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Seele, wie sie sich schicksalhaft einstellt mit der Vorherrschaft der Zivilisation.*)

9.

DAS Problem der Zivilisation, auf das wir hiermit stoßen, und mit dem wir uns noch eingehend beschäftigen werden, wenn wir uns auf geschichtliche, vom Standpunkt unserer Methode aus beleuchtete Tatsachen stützen können, dieses Problem gewinnt heute, wo der Genius der Kultur von einer dämonisch vorstürmenden Entwicklung gleichsam niedergerungen worden ist, die größte Bedeutung. Aber noch hat kein Historiker, der die Weiten des Geschichtsverlaufes der Völker zu überschauen vermag und mit den entscheidenden Tatsachen wirklich vertraut ist, zu diesem Problem Stellung genommen. Man hat sich allzusehr von den Eindrücken der jüngsten Vergangenheit bestimmen lassen und so Erscheinungen vergangener Zeiten gemäß einem Schema gedeutet, das zu einer Vergewaltigung führt.

Einer völligen Verkennung des Wesens der Zivilisation kommt es gleich, wenn man, wie Spengler, in ihr lediglich eine Erstarrung erblickt. Nein, auch in den Zeiten der Zivilisation können ungeheure, mitunter rasend herausbrechende Kräfte sich offenbaren, wie dies doch die Zeit des Hochkapitalismus und des Weltkrieges mit einer erschrekkenden Aufdringlichkeit zeigt, und es ist bezeichnend, daß Karl Marx, der Wortführer des von imperialistischen Gelüsten beherrschten Proletariates, die Zeiten mittelalterlicher Kultur als wahre Bärenhäuterei empfunden hat gegenüber den mächtigen Leistungen des die ganze Welt durchstürmenden Kapitalismus. Nicht von einem Nachlassen oder Versiegen der seelischen Kräfte schlechthin darf gesprochen werden, nein, die Seele kann, wie der dämonisch emporlodernde Machtwille unserer Zeit zeigt, bis zum Bersten mit Kräften erfüllt sein. Freilich, diesen fehlt die Weihe einer feinen Gestaltung. Unsere heutige Zeit der Zivilisation, von der Höhe etwa der mittelalterlichen Kultur aus betrachtet, nimmt sich aus als eine Welt, die lediglich vom Toben roher Kräfte durchrauscht ist: der Kampf um die soziale Macht wirkt sich mit einer solchen Ausschließlichkeit aus, daß daneben alles, was ehedem als ein Hohes und Höchstes galt, versinkt. Gewaltiges wird in

*) Eingehend beleuchtet wird die ökonomische Geschichtsauffassung vom Standpunkt der hier entwickelten Grundsätze aus in der demnächst erscheinenden Schrift H. Buddensiegs: Das Problem der Geschichtsphilosophie und das Schicksal unserer Zeit.

dieser Zeit der Zivilisation geleistet. Riesige Energien entfesselt das die Völker verbindende Wirtschaftsleben; die Städte sind von einem wie Sturmesmacht dahinsausenden Rhythmus nie versiegender Kräfte durchrast; die Technik reiht Erfindung an Erfindung, mit denen die Natur den Herrschaftszwecken des Menschen unterworfen wird, und im Weltkrieg sind in kürzester Zeit solch gewaltige Energien entfesselt worden, daß ihnen keine Zeit auch nur etwas Ähnliches zur Seite zu stellen hat. Wohlan, nicht um eine Erstarrung handelt es sich, eher wäre man berechtigt zu sagen, daß das Zeitalter des Hochkapitalismus als eine Zeit des Sturmes und Dranges zu gelten hat, wie es eine solche noch nie gegeben.

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Freilich, der Reichtum der Seele, der in Zeiten der Kultur aufstrahlt in prachtvollen Denkmalen des Geistes, ist verloren gegangen. Keine große Kunst und Philosophie, keine erhabene Religion wölbt sich mehr über die Menschen, und wo noch derartige Offenbarungen sich zeigen, da handelt es sich immer um Nachklänge aus Zeiten der Kultur, nicht um die hallenden Akkorde einer von frischen Kräften durchströmten Seele. Auch in Zeiten der Kultur - wir werden es noch zu zeigen haben können rohe Mächte herausbrechen und furchtbar wüten: Kriege und Revolutionen düngen den Boden mit Blut. Aber immer ist es ein in Hochgefühlen emporloderndes und damit auch religiös und oft künstlerisch sich äußerndes Machtstreben, das hier den Wall der Ordnung durchbricht, und wenn auch die Selbstsucht des Einzelnen rasen und mit verhüllten Augen sich auf ihr Opfer stürzen kann: es handelt sich um die Selbstsucht leidenschaftlicher, nicht verrohter Menschen, indem diese auch wieder hinschmelzen in Tränen und sich beugen unter die Autorität von Mächten, denen ihr Herz mit feurigen Pulsen entgegenschlägt. Im Zeitalter unserer Zivilisation dagegen herrscht, würde der Genius der Kultur sein Urteil abgeben, die Roheit. Alle Regungen der Kultur leben wohl noch in einzelnen Kreisen fort, aber vergröbert und geschändet: die schöpferischen Kräfte, die, den Tiefen der Seele entquellend, sich äußern in Werken, welche der Hauch der Frische und Ursprünglichkeit umweht, fehlen. Weitaus die meisten Menschen sind dem Bannkreis der Kultur völlig entrückt. Der Taumel des Machtstrebens wehrt ab jene wundervollen Harmonien, die in Zeiten der Kultur wie himmlische Stimmen das Chaos überwältigen; was den Vorfahren ein Ehrwürdiges war, ist nun aufgegangen in Dunst und Rauch. Die soziale Lebensordnung, ehedem, trotz aller Ständekämpfe und sozialer Gebre

chen, eine vom Hauch der Seele durchwehte, den Menschen mit dem Menschen innig verbindende Lebensmacht, sie ist geborsten; fremd, ja feindselig steht der Einzelne dem Einzelnen gegenüber, und würde nicht der Staat mit ehernen Klammern das Gefüge zusammenhalten: das furchtbarste Chaos bräche herein.

Nun hat man gemeint, daß die Kultur jedes Volkes unentrinnbar dem Siechtum der Zivilisation verfalle: in einen Abgrund gerate, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Die Universalgeschichte zeigt, daß Epochen zivilisatorischer Vergröberung fast regelmäßig als Zeiten des Verfalles eines Kulturstadiums sich einstellen, ohne aber daß dadurch die Entfaltung einer neuen Kultur schlechthin unterbunden wäre. Laotse gegenüber bedeutet Konfutse zweifellos eine Erscheinung der Zivilisation: die edlen, die Weiten und Tiefen der Welt umschlingenden Kräfte der Seele sind erloschen. Aber mitnichten ist von nun an der Tod der chinesischen Kultur besiegelt. Immer wieder wallen aus den Abgründen der Seele Ströme glühenden Lebens hervor: es vermögen sich große Philosophen vom Range eines Dschuangtse und Yangschu Konfutse gegenüber zu behaupten, und die wundervolle chinesische Lyrik, die der Blütenduft feinster Kultur umschwebt, sie gehört späteren Jahrhunderten an.

In Indien kündet vornehmlich Buddha jene Entwicklung an, die herausführt aus dem Lichtkreis der Kultur: im Vergleich zu den großen Philosophen wirkt er matt, ja derb und ungeschlacht. Der Reichtum seelischer Energien, die diese aufbrachten, um das Weltproblem zu lösen, geht ihm ab. Aber steht etwa Buddha am Eingang des Tores, hinter dem nichts als Öde lagert? Gewiß, Zivilisationsmächte sind da, ater welche Seelentöne berühren wieder auch unser Ohr? Die schmelzenden Weisen des indischen Dramas und der Lyrik verkünden uns, daß auch noch lange nach Buddha der Geist der Kultur mit starken Schwingen aufschwebte zu den Gefilden der Harmonie.

In Juda errang der Geist der Zivilisation mit dem Auftreten Esras und Nehemias einen wahren Triumph, aber bedeutete die Herrschaft des Gesetzes das Ende der jüdischen Kultur? Nein, in einer machtvollen Gegenströmung rang sich der Geist der Kultur wieder durch, um sich mit dem Christentum weithin auszubreiten.

Die Sophisten und Sokrates bedeuten für die Entfaltung des griechischen Geistes zweifellos eine zivilisatorische Verkümmerung der

Kräfte: aber folgte auf Sokrates nicht Plato, wohl die erhabenste Gestalt der griechischen Kultur?

Und schieben sich nicht auch in die Entwicklung der Kultur des Abendlandes Zwischenstufen ein, die eine zivilisatorische Färbung besitzen? Die so innige, von gewaltiger seelischer Fülle durchströmte ritterliche Dichtung unseres Mittelalters führte zuletzt zu einem öden Geleier; das Rittertum selbst, einst hohen Idealen hingegeben und in mächtigen Schöpfungen des Geistes sich rechtfertigend und verklärend, es verlumpte, bar jeder Idee, in einem rohen Herrschaftsstreben. Die Reformation, von lodernden Seelengewalten entbunden, erstarrte im Luthertum; die Aufklärung, aus der geistesmächtige Gestalten wie Spinoza und Leibniz herausragen, sie haucht zuletzt die Stürmer und Dränger, in denen der Genius der Kultur wieder aufflammte, an wie erstickender Gräbergeruch. Immer handelt es sich in diesen Fällen um Zwischenspiele: um Atempausen gleichsam der Entwicklung, um ein Sinken der Kraft, bis dann wieder frische Lüfte sie umfangen, erweckend Blüten ohne Zahl.

Freilich folgt in der Entwicklung eines in eigenwüchsigen Leistungen sich verherrlichenden Volkes auf Zeiten des Glanzes eine solche langwährender kultureller Ohnmacht: Spätzeiten stellen sich ein, in denen der Geist der Kultur die feine Bildform einer in hohen Taten aufglühenden Lebensmacht verliert und rohe Züge annimmt. Aber wenn wir etwa an die derben Gelüste der hellenistischen Zeit oder der römischen Kaiserzeit denken: dauern sie denn ewig an, oder regt sich unter der Decke eines wilden Treibens nicht auch ein neues Leben: die Sehnsucht nach einem religiösen Halt in einer wüst und öde gewordenen Welt, eine Frömmigkeit, die in mystischen Kulten eifrige Pflege findet und zuletzt zum Sieg des Christentums führt? Mag man nachzuweisen suchen, daß die Ausbreitung der orientalischen Mystik im Abendland gleichkam dem Einströmen einer fremden Kultur: nie hätte diese die Geister angezogen, hätte sie ihnen nicht eine Botschaft überbracht, nach der sie eben selbst voll Verlangen waren. Um das Aufwallen religiöser Stimmungen handelt es sich, die auch schon früher, in Zeiten der Vollkraft der Kultur anklangen, nur daß sie jetzt mächtig auflodern und mit der Zeit die Zivilisation überwinden, ankündigend eine Kultur, die im Mittelalter der romanischen und germanischen Völker prachtvolle Ausdrucksformen schuf.

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Doch verlieren wir uns jetzt nicht in Einzelheiten und heben wir unsere Grundauffassung scharf heraus. Danach wären Zeiten der Zivilisation einmal als Zeiten der Erschlaffung kultureller Lebenskräfte zu betrachten, und in unzähligen Graden kann diese Erschlaffung zur Erscheinung gelangen. Bald legt sich der Frost lediglich auf bisher führende Kreise wie etwa im Ausgang unseres Mittelalters, wo das Rittertum kulturell verwahrloste, während andere Schichten sich aufrecken, um in kulturellen Großtaten ihre Würde zu offenbaren: das Aufsteigen des Bürgertums beleuchtet diese Erscheinung. Bald ist es so, daß eine noch durch Kulturleistungen sich auszeichnende Schicht zu Fall gebracht wird durch eine von Zivilisationskräften beherrschte Klasse, die nach dem Sturze der alten Mächte die Herrschaft antritt: der Ansturm und Sieg des revolutionären Bürgertums Frankreichs rückt diesen Vorgang in helles Licht. Bald greift der Geist der Zivilisation mit einer ungestümen Gewalt um sich und zieht alle Schichten in seinen Bann, so daß der Anschein entsteht, als seien die Zeiten der Kultur für immer dahin: die jüdische Entwicklung kurz vor Esras Auftreten, wo man spottete über den Jahweglauben, in dem sich die jüdische Kultur einen prachtvollen Ausdruck verschafft hatte, stellt einen solchen Fall dar, oder das Abendland von heute, wo in allen Kreisen die seelischen Kräfte vor allem nach außen drängen.

Doch man hüte sich, die Herrschaft dieser Zivilisation, auch wenn deren Geist wie ein um sich fressendes Gift immer mehr das zarte Wurzelwerk der Kultur abtötet, als ein Endgültiges zu bezeichnen: sie kann gewiß den Untergang der Kultur besiegeln, doch ist das geschichtliche Geschehen so rätselhaft, es wird von solch geheimnisvollen, unberechenbaren Kräften gelenkt, daß kein Verstand der Verständigen mit fester Hand die Linien des Kommenden hinzuzeichnen vermag. Unzähligemal, das ganze Mittelalter hindurch, ist angesichts der Verderbnis der Menschen das die irdische Entwicklung für immer abbrechende Gericht, der Untergang also, prophezeit worden: die tiefsten Geister sahen sich schon umflammt vom Graus des göttlichen Zornes, und wieviele Frühlinge und Herbste haben diese düsteren Voraussetzungen Lügen gestraft!

Zudem übersehe man nicht, daß auch in Zeiten der Zivilisation die Seele der Völker im Innersten noch Kräfte birgt, die wie ein Sturm herausfahren können als Hochgefühle, wie sie eben Zeiten der Kultur eigen sind. Stark war die revolutionäre Bourgeoisie Frankreichs, wie in des Verfassers Buch über „Das Kulturproblem der französischen Revolu4 Muckle, Jüdische Kultur

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