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tion" zu lesen (Lichtenstein, Jena), dem Geist des Rationalismus und also der Zivilisation verfallen. Aber als der Kampf mit den alten Gewalten losbrach, da rauschten nicht allein Herrschaftsgefühle auf als Äußerungen des Machtwillens einer niedergehaltenen Klasse, sondern auch messianische Hochgefühle beseelten diese, der Glaube, daß nun der Glanz der Erlösung alle Weiten der Welt übergießen werde. In Harmonien von Welterlösung schwelgte das große Herz dieser Klasse, und als die düstere Wirklichkeit ihre glühenden Hoffnungen höhnte und das Kleinbürgertum ihr das Szepter aus der Hand riẞ, da wiederholte sich das bannende Schauspiel: es wallte die Seele des Kleinbürgertums hoch auf, und mit Heldensinn, angefeuert vom Siegesglanz einer gewaltigen, die Menschen mit einer neuen, erlösenden Würde krönenden Idee, stürmte man in den Kampf, um die Feinde des Messiasvolkes niederzuringen.

Solch lodernde Feuergewalten inmitten einer Zeit der Zivilisation zeigen, daß es auch hier noch Abgründe der Seele gibt, die hineinreichen in jene geheimnisvolle Tiefe des Lebens, aus dem eben auch die Schöpfungen der Kultur hervorquellen, und noch in den letzten Jahren bot sich uns ein großartiges Schauspiel dar, das beweist, daß mit dem Schlagwort,,Zivilisation" das seelische Problem der Spätzeit nicht gelöst wird. Gerade in dem Lande, wo vielleicht die Zivilisation in den derosten Formen sich äußerte, in Deutschland, schmolz, als der Weltkrieg ausbrach, in fast ekstatisch aufflammender Begeisterung ein verrohtes Volk zu einer einzigen glühenden Masse zusammen, in der wie durch ein Wunder eine neue, große Seele lebendig wurde: eine Heldenkräfte bergende, ganz einer erhabenen Idee sich hingebende Seele. Mag auch die folgende Entwicklung die mächtige Leuchte dieser Seele wieder ausgelöscht haben: daß dieses Volk überhaupt aus seinen Niederungen sich erhob und inmitten des Grauens wie eine Siegesfackel emporloderte, beweist erneut, daß es auch in Zeiten der Zivilisation Abgründe der Seele gibt, in denen der Genius der Kultur gleichsam schlummert, um sich aufzurecken, wenn geheimnisvolle Kräfte an die Pforte klopfen.

Und zeigt nicht auch der Fall Nietzsche, daß selbst dann, wenn der frevlerische Geist der Zivilisation herrscht, noch berückende Klänge aus dem Reiche der Kultur durch die Seele schweben können, und sind denn die unzähligen Versuche unserer Zeit, der Verrohung Einhalt zu gebieten und die Laute der Seele wieder zum Erklingen zu bringen, nicht

Anzeichen dafür, daß sich etwas regt, das sich gegen die Umklammerung durch den Geist der Zivilisation zur Wehr setzt?

Wie gesagt: mit Schlagworten wie „Kultur“ und „Zivilisation" läßt sich nicht der Reichtum der geschichtlichen Entwicklung erschöpfen. Das geheimnisvolle, nur dem liebend-schauenden Auge sich erschlieBende Spiel der seelischen Kräfte gilt es zu erfassen, jene Systole und Diastole vor allem, die sich entfaltet als eine in unzähligen Formen sich vollziehende Auswirkung des Machtwillens und Erlösungsstrebens, die auch in Zeiten der Zivilisation sich darbietet.

Das Problem der Zivilisation, suchen wir es durch universalgeschichtliche Betrachtungen zu erhellen, führt uns in die verschiedensten Welten hinein: die Zivilisation jedes eigenwüchsigen Volkes trägt ihre besondere Farbe. Irgendwie kommt der Rhythmus der Kultur, die von ihr abgelöst oder doch zurückgedrängt wird, wieder zum Vorschein. Die indische, die jüdische, die griechisch-römische, die abendländische Zivilisation können wohl als Ausstrahlungen des gleichen Urphänomens begriffen werden, aber jedesmal schafft sich dieses seine eigene Ausdrucksform. Die römische Zivilisation z. B. zeigt ein Erschlaffen, ein Versiegen selbst der nach außen gewandten Kräfte der Verfall etwa des Wirtschaftslebens, der politischen Energie, ergibt dies deutlich; die abendländische Zivilisation unserer Zeit dagegen entfaltet sich, wie ein Blick auf die kapitalistische Entwicklung ergibt, in der Form eines bis zur Raserei gesteigerten Machtwillens, der den Himmel stürmen würde, wären ihm keine Grenzen gesetzt. Diese Besonderheiten und Abtönungen der einzelnen Zivilisationen hat eben der Historiker herauszuwittern.

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DER Leser, der unseren Ausführungen teilnehmend gefolgt ist, wird erkannt haben, daß wir jeder Charakteristik kultureller Erscheinungen abhold sind, die mit Schlagworten und Begriffen glaubt, zum Ziel gelangen zu können. Solche Begriffe sind entweder leer, oder heben nur eine Seite irgend eines Vorganges heraus, während es sich darum handelt, den Rhythmus des in der Form einer Systole und Diastole sich vollziehenden Werdens zu erlauschen.

Da werden Zeiten wie die verschiedenen ,,Mittelalter" als solche der sozialen und religiösen Gebundenheit beschrieben: während ein reines Anschauen der Wirklichkeit zeigt, daß der Mensch dieser Zeiten sich durchaus auch ein Reich der Freiheit schafft: sei es, daß er kühn die

Schranken der sozialen Ordnung durchbricht, um sich selbstherrlich, in wilden Fehden etwa, durchzusetzen, sei es, daß er in der Kunst den Aufschwung erlebt zu Höhen, die jenseits aller sozialen Gebundenheit liegen, oder in religiösen Wallungen sich das Hochgefühl einer Freiheit verschafft, die ihn über alles Menschenwesen hinausrückt: die furchtbaren sozialen Wirren, die Kunst und Mystik unseres Mittelalters liefern Beispiele in Fülle. Da werden weiterhin andere Zeiten als solche des,,Individualismus“ behandelt, als ob der Mensch ganz auf sich selbst gestellt sei, in sich selbst ruhe, auf eigenem Grund und Boden erblühe: während es sich so verhält, daß der von einem starken Selbstgefühl beherrschte Einzelne gewiß sich aus Bindungen, die ihn behindern, herauslöst, aber immer auch sich ausströmt, um mit einem anderen zu verschmelzen: sei es, daß er die Natur beseelt, um in ihrem Reiche beglückt unterzutauchen, daß er einem sozialen Ideal huldigt, um sich der Idee einer Gemeinschaft liebevoll hinzugeben, sei es, daß ihn eine Frömmigkeit durchschauert, die ihn beseligt eingehen läßt in die Hallen der Gottheit. Da hebt das Wort „,Sozialismus“ lediglich die eine Seite einer Kulturerscheinung heraus: die soziale Gebundenheit, während doch die sozialistische Ordnung nicht allein bezwecken soll, daß die auseinanderstrebenden Menschen von starken Banden umschlungen werden, sondern auch, daß ihnen ein Reich der Freiheit bereitet wird.

Man spricht weiterhin von Verfallszeiten, während es für den, der das Ganze der geschichtlichen Entwicklung zu überschauen vermag, einen absoluten Verfall einfach nicht gibt. Man kann sprechen vom Verfall irgend einer Kultur, etwa der griechischen, aber immer meldet der Verfall ein neues an: Frühlingsboten verkünden, daß unter der Schneedecke sich neues Leben regt.

Solche Besinnung ist nicht überflüssig. Sie mahnt uns, das Leben als eine in Gegensätzen bestehende, immer im Flusse sich befindende Einheit zu betrachten, die Atemzüge seines Werdens zu beobachten und es nicht in Begriffe zu pressen, die es vergewaltigen, ja töten.

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DER Abendländer steht im Banne einer immer wieder hinreißenden Idee, die dem Historiker geradezu gefährlich werden kann, indem sie dazu verleitet, das geschichtliche Geschehen nicht voraussetzungslos zu betrachten, sondern es zu werten gemäß den Weisungen dieser Idee: im Banne eines Ideales der Freiheit, das, wie man hoffnungsfreudig

glaubt, sich in der Zukunft auf die Erde senken werde. Immer wieder läßt die messianische Hoffnung herrlich glühende Farben am Horizont der Zukunft aufleuchten: das ganze Mittelalter hindurch, in der Reformationszeit, der Zeit der Aufklärung, des Idealismus, ja selbst der Zivilisation, geben sich einzelne Schichten der Erwartung hin, daß bald der Siegesstrahl der Freiheit die Nebel der Wirrung durchbrechen und ein Gefilde der Harmonie eröffnen werde. Und gerade auch die Geschichtsphilosophie ist durchtränkt von diesem Glauben, und alle Geisteskräfte werden aufgeboten, um zu erweisen, daß der Verlauf der Entwicklung den Anbruch eines herrlichen Morgens ankündige. Wenn auch wir uns hoffnungsfreudig einem Ideal hingeben, ohne daß unser Leben schal wäre: unsere Auffassung des geschichtlichen Lebens verbietet es uns, die ersehnte neue Zeit als lichtübergossenes, in fleckenlose Harmonie getauchtes Friedensreich zu schildern, und wir lehnen vor allem die mißgünstige Beurteilung der vergangenen Zeiten ab, die allen geschichtsphilosophischen Betrachtungen der Propheten eigen. Hat doch selbst Hegel, der vielleicht mit Ausnahme von Herder, am umfassendsten die Weiten und Tiefen des Völkerlebens zu umspannen vermochte, sogar die Glanzzeiten der Geschichte, gebannt von seinem Ideal, in eine mißgünstige Beleuchtung gerückt, von einem Ideal, das eben die Entwicklung krönen und so ihren Abschluß im Sinne der Vollendung bezeichnen sollte.

Unsere Methode gibt uns die Möglichkeit, diese Ausdeutung der Zukunft begreiflich zu machen: die Erlösungssehnsucht erweckt nämlich die Hoffnung, daß einmal eine Zeit sich auf die blutbefleckte, von rasenden Leidenschaften aufgewühlte Erde senken werde, die aller Wirrung ein Ende bereitet und den Tempel der Eintracht erstehen läßt als Wahrzeichen eines Gottes- oder Vernunftreiches, in dem die düsteren Gewalten der Machtgier und der Finsternis verbannt sind. Und so hat denn diese Sehnsucht nach kultureller Harmonie wundervolle Visionen von Frieden und Freiheit und Menschenherrlichkeit gezeitigt, Glanzbilder der Vollkommenheit, an denen sich das durch die ewige Wirrung verletzte Auge weidet wie an paradiesischen Gefilden. Wohlan, wir begreifen, indem wir hier eine edle Sehnsucht schöpferisch walten sehen, die seelische Notwendigkeit dieser Visionen und sind ferne davon, sie als Hirngespinste von Phantasten und Träumern zu verspotten. Aber wir sind gleicher Weise fern davon, in den gewiß weihevollen Chor jener Menschenfreunde und Propheten einzustimmen, indem wir über ein

Wissen verfügen, das jenen abging: der tragische Untergrund aller Kulturen, mag auch ein Hauch von Göttlichkeit über ihnen liegen, hat sich uns oft in erschreckender Deutlichkeit auf unserer weiten Wanderung durch die Reiche der Geschichte aufgetan. Und unsere Grundauffassung des seelischen Lebens verbietet es uns, glänzende Bilder von Freude und Vollkommenheit aufleuchten zu lassen und der Hoffnung zu leben, daß je die Seligkeit der Fabelländer Menschengemeinschaften mit himmlischen Klängen erfüllen werde. Ein Leben ohne Leidenschaften und ohne daß die schwarze Flut des Leides in es einströme, ist eine Vision, die gewiß von höchster künstlerischer und religiöser Bedeutung sein kann, aber wir wehren uns dagegen, daß es uns die Richtung unseres der Umgestaltung der Welt zugewandten Handelns anweise. Ohne Chaos gibt es keine Kultur, indem deren Wesen eben darin besteht, daß das Chaos niedergerungen wird; und wie nur im dunklen Weltenraum das Licht seine Wunder entfaltet, so kann allein auf dem Grunde des Leides der Siegestempel der menschlichen Freiheit gebaut werden. Immer wieder, mögen auch die herrlichsten Siege erfochten sein, muß das Leid sich in die Seele eingraben, soll dieser gleichsam der Stoff zu Gebote stehen, an dem sie die Meisterschaft des Gestaltens erproben kann. Ja wir möchten sagen: die herrlichsten Siegestaten der Kultur führen hin zu Zeiten, wo die Finsternis des Lebens grauenhafte Ungeheuer barg, nicht zu glanzbedeckten Höhen, sondern zu Niederungen des Elends, seelischer und sozialer Not, und im tragischen Kampfe mit dem Leid erweist sich der Mensch als Schöpfer all jener Werke, deren Inbegriff die Kultur eines Volkes ausmacht. Und eine große Zukunft, wenn sie je wieder dem Abendland beschieden sein sollte, wird keine Welt ewigen Frohsinns und Friedens sein, sondern eine zerklüftete Welt, die von Schrecken, Ängsten und Qualen durchzuckt ist, freilich wird sich diesem Chaos der Sieges- und Erlösungswille entgegenstellen und sich verherrlichen in Werken, in denen, glanzdurchhaucht, die seelische Not immer wieder überwunden wird. Wo wie im Paradies die wilde Kraft Luzifers gebrochen ist, da hat der Mensch sein Menschentum verloren, und um so erhabener ist dieses, je mehr es ihm gelingt, die dämonischen Mächte des Lebens zu überwinden, auf daß ein Erdreich entstehe, auf dem, im Kampfe mit Sturm und Wetter, die Bäume triumphierend ihre Krone entfalten können. Wohl ist auch unsere Zeit der Zivilisation mit Leid förmlich durchsetzt, und immer wieder dringen an unser Ohr die Schmerzensschreie derer, die die Not würgt. Aber es

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