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fehlt die seelische Kraft, dem Leid mit jener Entschlossenheit zu begeg nen, daß es aufglänzt gleichsam in der Seligkeit, wie sie in der Religion und Kunst als Lebensformen aller hohen Kulturen sichtbar wird.

Wenn wir sagten, daß die abendländische Geschichtsphilosophie die Vergangenheit, gebannt von einem Ideal, dunkel überfärbt, so verdient diese Feststellung eine Einschränkung. Auf einzelnen Zeiten ruhte das Auge mitunter mit wahrem Wohlgefallen, während andere Zeiten mit Finsternissen übergossen wurden. Die Romantiker haben das Mittelalter als Zeit der Eintracht und des Seelenfriedens verherrlicht, während Vertreter der Aufklärung dieses als eine Epoche der Barbarei schilderten. Der deutsche Idealismus hat die griechische Kultur als hoheitsvollste Offenbarung menschlicher Kraft gefeiert; im Mittelalter galt die urchristliche Zeit als Ideal, während die Sozialisten zuweilen die ganze Vergangenheit im Aufruhr daliegen sehen. Wo nun Ausschnitte der geschichtlichen Entwicklung verherrlicht werden, da geht es nicht ohne, freilich verständliche, Fälschung ab: das messianische Bild einer erträumten Zukunft spiegelt sich dann in einer vergangenen Kultur, die Sehnsucht nach einem Wunderreich der Vollkommenheit läßt eine solche Kultur als ein entschwundenes Paradies erscheinen, und so wird denn die Bewunderung erregende Zeit in die kristallene Atmosphäre des Visionären gerückt, die wie ein Götterland durchhaucht ist von Reinheit und Vollkommenheit. Schillers und Hölderlins Verherrlichung des Griechentums, das mit der griechischen Kultur der Wirklichkeit wenig zu tun hat, ist zu verstehen als künstlerische Verkündigung eines Traumbildes, das aus der Erlösungssehnsucht herausgeboren gleichwie des Novalis Verklärung des Mittelalters oder Chateaubriands Verklärung des Katholizismus. Solche Visionen sind Kunstwerke und von den Visionen des Historikers, die einer Schau der Wirklichkeit ent springen, durch eine Welt getrennt.

12.

Es drängt sich nun die Frage auf, ob es dem Historiker, der es wagt, aus einem Urphänomen die Besonderheit der einzelnen Kulturen abzuleiten, nicht verwehrt ist, einem Ideal zu huldigen, nach welchem eine gebrechliche Wirklichkeit ausgestaltet werden soll. Gerät er dann nicht in Konflikt mit jener dem Göttlichen nahegerückten Urmacht, aus der alles Geschehen geheimnisvoll herausflutet? Ist es nicht Vermessenheit,

gleichsam dem Göttlichen vorzugreifen und Linien der Entwicklung hinzuzeichnen, nach deren Weisungen sich gewissermaßen das Urlebendige zu richten hat? Um uns kurz, aber klar zu fassen: wir lehnen jene Deutung der Zukunft, die sich stützt auf Entwicklungsrichtungen der Vergangenheit indem etwa der Anbruch eines Zeitalters der Zivilisation nach Zeiten der Kultur als etwas Gesetzmäßiges betrachtet wird: eine solche Deutung lehnen wir ab. Auf geheimnisvolle Weise wirkt sich das Urphänomen aus, und wenn tausend Kulturen zur Zivilisation erstarrt wären, so ist uns damit nicht bewiesen, daß in einer vorhandenen Zivilisation die Kultur eines Volkes für alle Zeiten ihren Geist aushauche. Es kann dies sein, aber es braucht dies nicht zu sein. Damit gewinnen wir die Freiheit des Handelns: der Alp eines historischen,,Gesetzes", einer ehernen Tendenz lastet nicht auf uns, freilich ist diese Freiheit wohl von Willkür zu unterscheiden. Wenn wir einem Ideal leben, von dem wir erwarten, daß es werbende Kraft besitze, so darf es kein Phantasiegebilde sein, das uns in einer verträumten Stunde aufgegangen, es muß vielmehr verankert sein in der Wirklichkeit des Geschehens. Und gerade wer die Fähigkeit besitzt, frühere Kulturen in Form einer Schau ihres eigensten Wesens zu erfassen, dem kann es auch gelingen, im Wirrwarr einer noch nicht zu klaren Entscheidungen gelangten Gegenwart sich zurechtzufinden: indem sich ihm ein Ideal ankündigt in den Stimmungen einmal seiner eigenen Seele, dann in den seelischen Regungen auch der Zeit. Was genialen Menschen früherer Zeiten gelungen, indem sie, ohne sich irgendwie geschichtlichen Besinnungen hinzugeben, mit feiner Witterung das Kommende erschlossen und ihm als einem Ideal ihre Kräfte weihten, das kann nun erst recht dem Historiker gelingen: was dort nur mehr gefühlsmäßig erfaßt ist, hier kann es herausquellen aus einer klaren, die Fülle der Zeit umspannenden Erkenntnis, die wieder, durchhaucht von den Kräften des Gefühles, zur Höhe des Ideales emporgerückt werden mag. Als Handelnde aber gewinnen wir, ist unsere Seele nicht in das Fangnetz von grauen Theorien geraten, volle Freiheit. Mag das Ergebnis einer wissenschaftlichen Bewältigung des Geschichtsverlaufes sein, welches es wolle, mag sich selbst der Eindruck ergeben, als ob gesetzmäßig der Ablauf der Kulturen sich vollziehe: als Handelnde sind wir, wie Goethe einmal sagt, gewissenlos. Sind Hochgefühle eines Ideales in uns lebendig, so vermag nichts, keinetheoretische Erwägung, unsere Kraft zu lähmen: einem Glauben weihen wir uns, der hineinweist in eine Sphäre jenseits aller Theorie.

13.

IN unserer Zeit, wo Stimmen aus allen Reichen fremder Kulturen laut werden, gewinnt das Problem der Einwirkung einer Kultur auf eine andere besondere Bedeutung. Noch nie ist diese für die Geschichtsschreibung so wichtige Frage, so weit wir sehen, gründlich beleuchtet worden, ja für Spengler hat sie überhaupt keinen Sinn, indem er die einzelnen Kulturen als in sich selbst ruhende pflanzenartige Organismen betrachtet. Ein Blick auf die Universalgeschichte jedoch belehrt uns, daß oft machtvoll der Geist eines Volkes die Entwicklung eines anderen befruchten kann. Sollen wir hinweisen auf die Ausbreitung des Buddhismus im fernen Osten, der persischen Religion in Juda, die Ausbreitung der hellenistischen Kultur über die Weiten des römischen Reiches, auf den Einfluß orientalischer Kultur auf das Abendland in der frühchristlichen Zeit, die Einwirkung des Christentums 'auf die abendländische Kultur in allen ihren Epochen, dann auch der griechischen und indischen auf diese? Und sehen wir nicht, wie neuerdings die westeuropäische Zivilisation in Rußland, China und Japan eingedrungen?

Wer jede einzelne Kultur als ein Fürsichbestehendes, gleichsam beständig in seiner eigenen Atmosphäre Webendes betrachtet, der verschließt sein Auge vor einer der gewaltigsten geschichtlichen Erscheinungen, oder tut er dies nicht, so vermag er keine Deutung zu geben. Unsere Methode breitet nun helles Licht über diese Tatsache. Wir leiten alle Kulturen aus dem gleichen Urphänomen ab: also müssen die Grundkräfte des Urgeistes, der Machtwille und das Erlösungsstreben, in jeder dieser Kulturen, wenn auch in besonderer Weise, lebendig sein. Wenn auch nach unserer Auffassung jede Kultur in eine gerade ihr eigenen Atmosphäre eingehüllt ist: alle Kulturen sind wieder von einer Gesamtatmosphäre umgeben, indem sie ohne Ausnahme als Auswir kungen des gleichen Urphänomens begriffen werden können. So werden sie einander wieder seelisch nahegerückt, und so ist zu verstehen, daß eine Kultur oder doch Kräfte einer Kultur in den Bereich einer anderen überströmen können.

Diese Einwirkung darf aber nicht als ein Äußerliches betrachtet werden. Nicht als ein völlig Fremdes wurde das Christentum den Germanen überbracht, sondern indem die Seele dieser jugendfrischen, aber von furchtbaren Schicksalsschlägen heimgesuchten Völker von Stimmungen ergriffen wurde, die im Christentum einen machtvollen Aus

druck gewonnen hatten, vermochte dieses seinen Siegeszug anzutreten. Nicht der Kapitalismus hat den zivilisatorischen Machtwillen der Japaner geweckt, sondern ein in der japanischen Seele schon vorhandenes, in Fehden und Kriegen, in kulturellen Offenbarungen aller Art sich längst auswirkendes Machtstreben wurde durch den westeuropäischen Kapitalismus auf eine Bahn geleitet, der nun diese Seele als einem auch ihr Zusagenden folgt. Nicht die rohe Gewalt der hellenistischen Cäsaren hat in der Makkabäerzeit bei den Juden die Neigung zur griechischen Kultur geweckt, sondern das tiefe Verlangen der zerrissenen jüdischen Seele nach Harmonie ließ die griechische Kultur als ein Hohes und Begehrenswertes erscheinen.

Solcher Kultureinfluß kann von mächtiger Wirkung sein. Was erst leise sich regt, kann, wie von einer Zaubermacht hervorgelockt, in starken Strömen hervorbrechen, in den Strömen selbst einer neuen Kultur, die freilich dann nicht einen Abklatsch der fremden bildet, sondern durchhaucht ist auch von dem Eigensten des Geistes jenes Volkes, auf dessen Gefilde der befruchtende Regen fiel: die Renaissance sei da als erleuchtender Fall genannt.

Geradezu grotesk wirkt die Behauptung der Eigenwüchsigkeit aller Kulturen in einer Zeit, wo immer mehr die Schranken der Nationen durchbrochen werden und die großen Völker der Erde sich näher gerückt sind als etwa im Mittelalter einzelne Gaue des gleichen Landstriches. Die Idee der Menschheit, die im Altertum den Juden schon, im Mittelalter und nun einer Reihe erhabener Propheten der neueren Zeit voranleuchtet als ein Ideal, drängt sich mit gewaltiger Macht auf, und wer sie wie Nietzsche verspottet als ein altes, ekelhaftes Weib oder ihr, wie Spengler, allen Sinn abspricht, der beweist damit, daß es Probleme gibt, denen er eben nicht gewachsen. Die Idee der Menschheit, so verstanden, daß alle Völker verschmolzen werden sollen zu einem von gleichem Geist erfüllten gewaltigen Bund, der also besondere Kulturen nicht gelten läßt: diese Idee lehnen auch wir als ein Hirngespinst ab. Einem öden Völkerbrei käme diese Lebensordnung gleich, und alle Erfahrung widerspricht einer solchen Möglichkeit der Entwicklung. Wer ein göttliches Auge besäße, der könnte feststellen, wie selbst Durchschnittsmenschen, die von der gleichen seelischen Atmosphäre umgeben sind, sich aufs tiefste unterscheiden, daß also jeder Mensch, um uns unserer Sprache zu bedienen, eine eigenartige Ausstrahlung des Urphänomens darstellt. Unsere Lehre vom Urphänomen aber verleiht der

Idee der Menschheit einen tiefen Sinn. Es handelt sich um eine Gedankengestalt, zu der wir unsere Zuflucht nehmen müssen, um die Fülle der einzelnen, in besonderen Farben und Klängen sich äußernden Kulturen als eine Einheit begreifen zu können. Und diese Einheit wird dadurch begründet, daß eben alle diese Kulturen dem quellenden Boden des Urgeistes entstammen, so daß ihnen, bei all ihrer Ursprünglichkeit, ein Gleiches zugrunde liegt.

Und wo diese Idee die Bedeutung eines Ideales gewinnt, da verheißt letzteres nicht eine Lebensordnung, in die alle Völker hineingepreßt sind wie in eine, jede eigenwüchsige Regung unterdrückende starre Form, sondern eine Gemeinschaft, die der Entfaltung jedes Volkes Raum gewährt. Wohl wissen wir, daß die heutige Zivilisation in einer unerhörten Weise die Völker in seelischer Hinsicht verflacht und so einander naherückt. Aber immer noch behauptet jedes Volk seine freilich schwer zu fassende Eigenart. Bei aller Übereinstimmung der Lebensführung und der Lebensziele schafft sich das Urphänomen auch bei den einzelnen, in den Strom der Zivilisation hineingerissenen Völ. kern seine besondere Ausprägung, nur daß diese Erscheinungen noch nicht erforscht sind. Der amerikanische, englische, französische und deutsche Proletarier trägt jeweils eine besondere Farbe, und das Gleiche gilt für den Gelehrten und den Kapitalisten. Und anzunehmen ist, daß, wenn je wieder die Entwicklung einlenken sollte in Bahnen der Kultur, die neuen Offenbarungen, um das Modewort zu gebrauchen, auch völkische Eigenart besitzen werden. Ein Blick auf Dichter vom Range des Amerikaners Walt Whitman und des Flämen Verhaeren, die beide durchrauscht sind von den Gewalten des heutigen Lebens, doch sie in jeweils ursprünglicher Weise zu künden wissen, deutet an, was wir meinen.

14.

OB unsere Geschichtsbetrachtung zu fruchtbaren Ergebnissen führt, hängt nicht allein von der Brauchbarkeit des Prinzips ab, auf das wir die ungeheure Masse der Erscheinungen zurückführen wollen, sondern vor allem von der seelischen Kraft und Fülle, über die wir verfügen. Wir müssen die Fähigkeit haben, uns liebenden Sinnes tausendfältig zu entäußern, in fremde Gestalten gleichsam einzutauchen, um den düsteren und holden Klängen ihres Lebens zu lauschen, und wir müssen zugleich die Fähigkeit besitzen, das Gewoge der einzelnen Melodien zu

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