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der nach dem Höchsten strebende Mensch der Kultur, voll edler, überschäumender Kräfte, und so ist von vornherein der Sieg über die Unvernunft des Lebens verbürgt, mögen auch schreckliche Erschütterungen sich einstellen, entsetzliche Abgründe, die ihm das Herz erstarren machen, sich auftun. Aber er selbst ist sein eigener Feind, und mit den dämonischen Mächten seines Inneren hat er sich zu messen, um sich zu behaupten und die Krone zu erwerben. Diese feindliche Macht verkörpert sich eben in Mephistopheles, der Faust von seinem Urquell abführt, und dem dieser folgt, wenn die göttlichen Stimmen seines Innern verstummen, der Drang, sich in wilder Lust ins Chaos zu stürzen, die Oberhand gewinnt.

So führt denn seine Lebensbahn durch Klüfte des Elends, und wenn ihn einmal das Glück verklärt: es hält nicht an: immer wieder reißt ihn Mephistopheles heraus aus den Gefilden der Wonne. Sein Leben ist ein ewiges Irren, aber auch ein ewiges Streben nach der Höhe der Vollendung, des Frieden ausbreitenden Glückes. Ohne daß das Leid sich in die Seele gräbt, würde der Mensch verkümmern: seinem Leben würde fehlen der beschwingende Rhythmus, der aus der Tiefe zur Höhe führt, nicht könnten dem Chaos die Quadern entnommen werden, die eine Meisterhand auftürmt zu einem triumphierenden Gebäude.

Mephistopheles ist mithin der Geist, der stets verneint, der die feinen Gebilde, die der Menschengeist ersonnen, wieder zersprengt, er ist der Frost, der die Blütentäler verwüstet: aber er ist auch die Kraft, die das Leben durchpulst, daß es nicht erstarrt. Im Prolog ist es in der Rede des Herrn deutlich ausgesprochen:

,,Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh';

Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen."

Über Fausts Himmel ziehen immer wieder dunkle Wolken; auch wo Goethe Mephistopheles nicht eingreifen läßt, durchzückt der Schmerz seine Seele: der Schmerz, der eben der Begleiter des Menschen ist, der ringend das aus einem Abgrund hervorwallende Leben zu bemeistern sucht. Leidenschaftlich strebt Faust darnach, dem Dasein den Schleier abzunehmen, um es mit der Leuchte der Vernunft zu durchdringen, auf daß er die Quelle, aus der alles strömt, beseligt schauen kann. Aber ein tiefer Schmerz zerreißt ihm die Brust. Als ein armer Tor fühlt er sich,

trotzdem er alle Wissenschaften studiert; er sieht, daß wir nichts wissen können, und so ist alle Freude von ihm gewichen. Seine Studierstube, die ihm zum Tempel werden sollte, wo sich seinen verehrenden Blicken das Geheimnis des Lebens darbietet, sie erscheint ihm als ein Kerker, als ein dumpfes Mauerloch, das ihm, der wähnte, im Himmelslicht wandeln zu können, am Atmen verhindert. Und als ihm der Erdgeist erscheint, die gewaltige Flammenbildung, in der das Geheimnisvolle des Daseins in majestätischer Größe sich darbietet, da sinkt er, erschauernd vor der übermächtigen Erscheinung, zusammen: ein „erbärmlich Grauen" faßt ihn an: die Angst vor der unheimlichen Macht des Daseins packt ihn, die Weltangst drückt ihn zu Boden. Er hat sich aufgereckt im Hochgefühl des Eroberers, aber als es galt, das Tor, hinter dem das Geheimnis geistert, zu sprengen, da findet er sich zu schwach:,,ins ungewisse Menschenlos" fällt er zurück, ein Donnerwort erinnert ihn an seine Nichtigkeit. Das Unheimliche des Lebens ist ihm offenbar geworden: das schaurige Chaos, das es umstürmt und immer wieder die hohen Gefühle befleckt; die hemmenden Gewalten, die vor dem strebenden Menschen Wälle auftürmen, ihn leicht zu Falle bringen.

,,Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.

Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drängt immer fremd- und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle,
Erstarren in dem irdischen Gewühle.

Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr gut genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;

Du bebst vor allem, was nicht trifft,

Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich' ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleich' ich, der den Staub durchwühlt;

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt."

6 Muckle, Jüdische Kultur

So gewaltig empfindet Faust seine Gebrechlichkeit, ja seine Nichtigkeit, daß er sich entschließt, seinem elenden Dasein ein Ende zu bereiten: hoffend, in einem neuen, reinen Leben zu finden, was ihm hienieden versagt worden, aber auch auf die Gefahr hin, für immer zu versinken. Schon hat er die Phiole ergriffen, als feierlicher Ostergesang ihn abhält, den letzten Schritt zu wagen. Er ist dem Leben wieder gewonnen, und mag er fürderhin auch Weihestunden erleben, indem er sich in die beglückende Herrlichkeit der Natur versenkt, aus der ihm der Hauch der Gottheit entgegenweht: er muß es erfahren, daß seine hohe Stimmung nicht anhält, daß ein unbändiger Geist ihn herausreißt aus den Gefilden, die die Glorie des Ewigen umschwebt.

„Aber ach! schon fühl' ich bei dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?"

Der unholde Geist Mephistopheles bemächtigt sich seiner, der, wie Faust sagt, als des ,,Chaos wunderlicher Sohn",,der ewig regen, der heilsam schaffenden Gewalt die kalte Teufelsfaust" entgegensetzt, und so schließt er mit ihm einen Vertrag. Wird es dem Sohn des Abgrundes gelingen, Faust zu umschlingen, oder wird dieser die Kraft aufbringen, dem schauerlichen Gesellen die Siegesmacht seines Geistes entgegenzustellen, um ihn zu überwältigen?

Unheimliche Stimmungen überkommen Faust, nachdem er sich Mephistopheles verschrieben. Quälend legt sich die Pein des engen Erdenlebens auf seine Seele, finstere Nacht umhüllt ihn, von ängstigenden Fratzen bevölkert:

,,Nur mit Entsetzen wach' ich morgens auf,

Ich möchte bittre Tränen weinen,

Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf

Nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen,

Der selbst die Ahnung jeder Lust

Mit eigensinnigem Krittel mindert,

Die Schöpfung meiner regen Brust

Mit tausend Lebensfratzen hindert.

Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,

Mich ängstlich auf das Lager strecken;

Auch da wird keine Rast geschenkt,

Mich werden wilde Träume schrecken....

Und so ist mir das Dasein eine Last,

Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt."

Er erleidet einen furchtbaren Zusammenbruch, die Verzweiflung durchschüttert ihm das Gebein, er hat den Glauben an das Hohe, an die Siegesmacht des Menschen verloren und schleudert allem, was hoffende, liebende Menschen verehren, einen gräßlichen Fluch zu.

Damit ist er in den Bann des Mephistopheles geraten, doch bald regt sich wieder sein besseres Selbst. Nie wird es der böse Geist erleben, daß er ihm endgültig verfällt. In ekelhafte Tiefen des Lebens führt ihn. Mephistopheles, doch Faust fühlt sich von dem tollen Treiben angewidert: die Raserei des Genußlebens flößt ihm Abscheu ein. Die Sehnsucht nach reineren Freuden durchdringt ihn, und nun scheint des Himmels Wonne auf ihn herabzuschweben: dem „,Flüchtling", dem „Unbehausten“, dem „,Unmenschen ohne Zweck und Ruh", dem „Gottverhaẞten" wirft sich ein liebliches Mädchen ans Herz: Gretchen.

Aber so hoch das Glück Faust auch trägt: welche entsetzensvolle Martern entspringen dem Liebesbund. Abgeschieden, vom Glück des stillen Hauses umweht, lebt Gretchen dahin, und nun ist ihm der Friede genommen, mit unheimlicher Gewalt packt es die Liebe, seine Seele aus den Fugen reißend. Und die Angst würgt nun auch Faust. Gretchen fühlt deutlich, daß, so lange Mephistopheles in Fausts Nähe weilt, das Liebesglück von Sturmgewalten bedroht ist. Es gibt sich Faust hin, und nun zerreißt ein eisiger Sturm die Frühlingsbilder des Glückes des holden Mädchens. In erschütternden Versen hat Goethe den Liebesjammer des aus dem Traum der Unschuld herausgerissenen Kindes geschildert, nirgends ist wohl das Weh der hingebenden Liebe so ergreifend offenbart worden wie in diesen Versen. Zum Schrecken gesellt sich neuer Schrecken. Gretchens Mutter wird ein Opfer seiner Liebe, Gretchens Bruder wird von Faust niedergestochen, Gretchen ertränkt sein Kind, und nun bricht weiteres gräßliches Unheil über die Verlassene herein. Furchtbare Gedanken umflammen es, schwarze Nachtgestalten martern selbst in der Kirche die Seele des Mädchens, Weltuntergangsstimmung dringt auf es ein: die Nacht des schaurigsten Elends hüllt es ein. Gretchen wird in den Kerker geworfen, der Wahnsinn zerstückt seine Sinne. Faust aber leidet das ganze Elend der Verzweifelnden mit: der Menschheit ganzer Jammer faßt ihn an. Sein holdestes Glück ist zerstört, und er schleudert einen furchtbaren Fluch seinem gespenstischen Genossen, Mephistopheles, zu, der all dies Unheil verschuldet und „,gelassen über das Schicksal von Tausenden grinst". Er fleht die Gottheit

an, ihn von dem Schandgesellen zu erlösen, „der sich am Schaden weidet und am Verderben letzt". Er bemüht sich, Gretchen zu retten, doch es gelingt ihm nicht: Himmlische Geister erlösen die Geliebte von ihrer Pein.

Auch der zweite Teil des Gedichtes, den wir wie den ersten nur in seinen Hauptzügen beschauen wollen, ist erfüllt vom Chaos, das freilich nie für sich besteht, sondern immer irgendwie die Wirkungsstätte meisternder, erlösender Kraft bildet. Fausts Seele wird beruhigt, indem er am Born der Natur saugt: singend umschweben ihn Elfen, es,,jammert sie der Unglücksmann". Mit ihren zarten Geisterhänden streicheln sie seine fiebrige Stirne, daß er in einen erlösenden Schlaf fällt. Neue Kraft strömt wieder durch seine Glieder, und so beginnt von neuem die Fahrt ins Leben. Zum höchsten Dasein will er streben, und wieder stellt sich so Mephistopheles ein. Wenn auch Faust die Wildheit seines bisherigen Strebens abgelegt, wenn er besonnener geworden ist: das Schicksal zwingt ihn hinein in die Wirrnis: Mephistopheles kann er nicht entbehren.

Wir gelangen an den Kaiserhof, erfahren, daß die Grundfesten des Reiches wanken, und nun ist Mephistopheles in seinem Element. Er findet, daß alles in Ordnung sei, doch meint er, daß eines noch fehle, um alles zur schönsten „Harmonie“ zu gestalten: das Geld. Hier ist Mephistopheles von dem untätigen Faust losgelöst, als Geist der Zerstörung tritt er auf, der im Völkerleben, wo der Machtwille seine Opfer fordert, Verwüstung schafft. Faust aber, der Unbändige, der durch seine Unbändigkeit unheimliche Schrecken erfahren, sehnt sich aus der Sphäre der Verneinung und Zerrüttung heraus; nach einem vollen, in Schönheit prangenden, wohlgestalteten Leben dürstet sein Sinn, und so taucht denn Helena auf, das Symbol der Harmonie, des Maßes, des edelgeformten Daseins.

In den Helenaszenen, dann in den Lynkeusgesängen hat Goethe meisterhaft das Entzücken geschildert, das den ruhelosen, verworrenen abendländischen Menschen überkommt, wenn in seine zerrissene Seele der Zauberstrahl der Harmonie fällt, und was später Nietzsche in der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" so stark betonte: nämlich daß die Schönheit kein Göttergeschenk ist, das ohne Zutun des Menschen Verklärung um sich breitet, sondern daß sie erworben, errungen, der düsteren Nacht der Seelennot abgetrotzt werden muß:

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