ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

dann allmälig die meisten Kreise und Gebiete des sittlichen, staatlichen und kirchlichen Lebens in gegenseitiger Bekämpfung, in Verkennung ihres höheren Ursprungs und in selbstsüchtiger Vereinzelung verkümmerten oder in langsame auflösende Fäulniß übergingen. Und dennoch durfte der christliche Geist vor allen diesen Gefahren nicht zurückbeben; eben um den unzerstörbaren Gehalt seines göttlichen Wesens zu bewähren, hatte er in so unscheinbarer Gestalt (wie er aus der Reformation hervorgegangen) sich - mit allen geistigen und äußeren Weltmächten in Berührung sehen, und in die gewaltigsten Entwickelungskämpfe von Jahrhunderten siegesgewiß eingehen müssen.

Eine neue geschichtliche Macht von so tief innerlicher Natur wie die Reformation fonnte nur durch eine großartig ursprüngliche, in ihren innersten Tiefen religiöse Persönlichkeit in das Leben treten. Luther war durch das Eigenthümliche seiner Anlagen und seines Geműthes wie durch den Gang seiner inneren und äußeren Erfahrungen gleich sehr zum geistigen Tráger jener reformatorischen Macht berufen; die bedeutendsten umgestaltenden Bestrebungen seines Jahrhunderts durchdrangen sich in seiner Seele zu lebendiger Einheit, als befruchtende Kraft und bestimmendes Wort einer neuen Zeit.

Erster Umriß.

Vorbereitung und Ausrüstung.

it Vorbedacht haben wir diese Blätter, in denen das bedeutsame Bild des deutschen Reformators entworfen und gewürdigt werden soll, nur als „geschichtliche Umrisse“ bezeichnet, um so jeden Leser von vorn herein daran zu erinnern, daß es unsere Absicht nicht sei, den zahlreichen Lebensbeschreibungen des großen Mannes noch eine neue beizufügen, und was schon so oft, so gründlich, so ausführlich berichtet worden, noch einmal der Reihe nach zu erzählen. Vielmehr geht unser hauptsächliches Bestreben dahin: die reiche Fülle der geschichtlichen Thatsachen in der Weise geistig zu verarbeiten und in große leicht überschauliche Gruppen zu ordnen, daß die wahre wesentliche Bedeutung des Reformators und seines Werkes, für seine wie für unsere Zeit, uns lebensvoll daraus entgegentrete. Seine Bedeutung für jene wie für unsere Zeit: in diesen Worten liegt die zweite Eigenthümlichkeit unserer Aufgabe, gewiß nicht die leichteste Seite derselben, vielleicht aber die wichtigste.

Die beiden Abschnitte des ersten Umrisses sollen die Reformation vor Luther und in Luther in ihren Grundzügen darstellen; zuerst jene bedeutsamen geistigen und religiösen Bewegungen des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts, in denen sich das Bedürfniß eines belebenden und reinigenden Umschwunges in verschiedener Gestalt immer dringender ankündete; sodann die Vorbereitung eben dieses Umschwunges in der Seele Luther's.

(Den 18. Februar 1850.)

[ocr errors]

1. Die Reformation vor Luther.

Das fünfzehnte Jahrhundert trug eine neue Weltordnung in seinem Schoße, die schon seit dem Absterben der mittelalterlichen Schöpfungen sich vorbereitend, nun mit steigender Heftigkeit der endlichen Stunde der Geburt sich entgegen sehnte. Aber eben diese Stunde, obwohl durch so viele und auffallende Zeichen angekündigt, wollte immer nicht erscheinen. Es ist ein außerordentlicher Anblick, wie eine neue Zeit aus der alten sich hervorarbeitet, wie sie unter heißen Kämpfen und Mühen sich gestalten will, und doch immer nicht den sichern Mittelpunkt finden kann, der siegreich und unwiderruflich das neue Bewußtsein begründet und ordnet. In der angebahnten Umgestaltung nahmen Religion und Bildung die wichtigste Stelle ein; das Bedürfniß nach einer Reinigung des religiösen Glaubens und Lebens, oder wie man sich damals ausdrückte,,nach einer Reformation der Kirche in Haupt und Gliedern“ wurde der allgemeine Ruf, das dringende Verlangen der gesammten Christenheit. Und allerdings, stärkere und dringendere Gründe für dies Verlangen hatte es niemals gegeben.

Die ganze kirchliche Weltordnung, wie sie im Mittelalter durch das Papstthum sich gebildet hatte, war in den Gemüthern und im Leben völlig aus ihren Fugen gehoben; anstatt ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß das Reich Gottes auf Erden darzustellen, gerieth sie in zerrüttenden Widerspruch mit dem innersten Wesen ihres Ursprungs und mit den wichtigsten Grundlagen jeder höheren sittlichen Weltordnung. Kaum läßt sich ein furchtbareres und niederschlagenderes Verhängniß denken als eine zum Segen bestimmte, aber durch Schuld der Menschen zum Verderben umschlagende Leitung und Beherrschung der religiösen Bedürfnisse. Dies aber war das damalige Loos der europäischen Menschheit; sie fühlte, in welches Nez sie gerathen, aber es schien, als müsse sie sich erfolglos an demselben zerarbeiten, indem immer neue Knoten sich schürzten, sobald einige alte zerrissen wurden.

Der bisherige kirchliche Glaube hatte den geistlichen Stand ganz ideal als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen, den Mönchstand als den sittlichen Höhepunkt der Menschheit gefaßt; nun aber stellte die Wirklichkeit jedem Nicht - Blinden das widerwärtigste und empörendste Zerrbild jenes Ideals entgegen. Die Geistlichkeit, zur Vertreterin der Religion berufen, war in allen ihren Abstufungen vom Papste bis zum Dorfpfarrer hinab, der großen Mehrzahl nach, in die tiefste sittliche Versunkenheit gerathen; worüber bei allen ernsteren Zeitgenossen nur Eine Stimme herrschte.

Das Papstthum hatte durch seine gewaltigsten Vertreter seinen Triumph in der Unterordnung des weltlichen Staates und in der schärfsten Ausbildung des absoluten einheitlichen Systems gefeiert. Aber im vierzehnten Jahrhundert war bereits an die Stelle dieser beiden

Siege eine doppelte Niederlage getreten: drückende Abhängigkeit von einer weltlichen Macht (von Frankreich) und die Zersprengung der monarchischen Einheit durch den Kampf verschiedener Prätendenten um die päpstliche Krone. Die höchste geistliche Gewalt zerstörte sich selbst, che die bisherigen Untergebenen es wagten die Hand an sie zu legen; jede in den Gemüthern festgewurzelte Autorität fällt gewöhnlich durch Selbstuntergrabung. Und wäre es nur bei jener doppelten Niederlage geblieben, das Papstthum hätte sich wieder davon erholen können; aber es vernichtete auch durch seine Persönlichkeiten und sein System den sittlichen Glauben an beides; diese sittliche Selbstvernichtung mußte auch (wenigstens theilweise) zum äußeren Untergange führen.

[ocr errors]

Das Papstthum sagen wir zerstörte sich durch sein praktisches System und durch seine Persönlichkeiten. Sein System trug die selbstbewußte unbedingteste Selbstsucht an der Stirne, die sich wieder vorzugsweise als schaamloser Mammonsdienst ausprägte. Judas Ischarioth hatte sich scheinbar an Petrus Stelle gesezt; derselbe Geist, der den Heiland der Welt verrathen hatte, verrieth von neuem die christliche Kirche. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderte war die Verkäuflichkeit, der Mammonsdienst der Päpste und ihres Hofes zum alltäglichen Sprüchwort geworden. „Lieber Herr Meister schrieb der Gesandte des deutschen Ordens in Rom nach Preußen im Jahre 1420 - Ihr müßt Geld senden; denn hier im Hofe alle Freundschaft endet, so sich der Pfennig wendet." - Und ein ander Mal: Wer allhier zu schaffen hat, der muß zuvor Geld und Gut hingeben und auf die Wage seßen. Ich wähnte, als ich aus Preußen zog, wer allhier die Wahrheit unerschrocken reden dürfe, der könne und müsse wohl bei Recht bleiben; allein ohne Geld will sich das nicht finden.... Es ist hier nun einmal ein gemeiner Lauf der Welt: wer da mehr giebt, der hat auch mehr Recht." ,,Die Gierigkeit hat im Hofe zu Rom die Oberhand, und weiß von Tag zu Tag mit neuen Listen und Finten das Geld aus Deutschland für die geistlichen Lehen auszupressen, daß groß Schreien und Klagen und Aergerniß . . . darüber ist, so daß daraus wohl großer Zwist über die Papstschaft entstehen, oder gar der Gehorsam endlich entzogen werden wird, damit man das Geld nicht also jämmerlich viel den Wälschen zuschleppe; und das Lezte wäre wohl, wie ich vernehme, vielen Landen zu Sinne." Also schon hundert Jahre vor Luther im Munde eines Deutschen die Ahnung einer künftigen Trennung von Rom. ,,Fürchtet Euch heißt es in einem andern Gesandtschaftsberichte von 1429 nur nicht vor dem Banne; der Teufel ist so häßlich nicht als man ihn oft malet, auch der Bann nicht so groß als ihn uns die Päpste machen. In Wälschland fürchten auch Herren und Fürsten und Städte, die doch unter dem Papste gelegen sind, den Bann außer Recht gar nicht weiter, und man hält in Wälschland nichts mehr vom Papste als insofern er es mit ihnen wohl will und anders nicht. Nur wir armen Deutschen lassen uns noch dünken, daß er ein irdischer Gott sei; besser wir ließen uns dünken, daß er ein irdischer Teufel wäre,

[ocr errors]
[ocr errors]

[ocr errors]

als er es fürwahr auch ist!" ,,Mir wäre es besser gewesen ruft ein andrer Gesandter aus Preußen 1447 in heftigster sittlicher Entrüstung aus — daß mir zu Stargard, wo ich in Gefahr des Todes war, der Hals abgestochen worden wäre, so wäre ich nicht hieher in diesen Jammer und Kummer gekommen, und hätte nicht diese Sünden gesehen!“

[ocr errors]

Ein solches Verderbniß des römischen Systems wäre nicht möglich gewesen, wenn die sittliche Fäulniß nicht von den obersten Kirchenfürsten selbst wie eine ansteckende Pest ausgegangen wäre; jeder weiß, welche traurige Berühmtheit die Persönlichkeit der Päpste im fünfzehnten Jahrhunderte erworben. Von Johann XXIII (1410) bis Alexander VI (1492-1503) faß eine Reihe von Fürsten auf dem päpstlichen Stuhle, die mit wenigen Ausnahmen ein abschreckendes Bild der Entartung eines hierarchischen Organismus darboten, deffen Geltung sich doch ganz allein auf den moralischen Glauben der Völker stüßen mußte. Von Schwäche zur Zweizüngigkeit und Hinterlist, von da zu gemeiner Habsucht bis zur vollendeten Verworfenheit wird die ganze Stufenleiter sittlicher Entartung durch die Päpste jener Zeit vertreten. Wir sind nicht gesonnen die unreinen Blätter jener Geschichte noch einmal aufzuschlagen; es genügt schon daran zu erinnern, daß ein Johann XXIII sich niemals genügend von dem allgemein verbreiteten Verdachte reinigte, seinen Vorgänger (Alerander V) vergiftet zu haben; oder daß ein Innocenz VIII nichts Angelegentlicheres zu thun wußte als die Vortheile seiner Stellung zur Versorgung seiner sieben Kinder zu benußen. Von seinem Nachfolger Alerander VI verzichtet man lieber zu sprechen, als daß man jenes die menschliche Natur schändende, Schauder erregende Gemälde seines Lebens mit den wahren Farben entwerfen möchte. Ist ja doch durch ihn und seine Kinder der Name Borgia zum Abscheu der Welt geworden; giebt es ja faft kein ungeheures Laster, in dessen tiefsten Pfuhl er mit den Seinigen nicht die frevelnden Hände getaucht. Wir Späteren erstaunen über die Möglichkeit einer solchen Entartung ohne sofortiges Zusammenstürzen des ganzen kirchlichen Gebäudes; mur wer die Macht der Gewohnheit und die Stärke alter geschichtlich erwachsener Institutionen erwägt, besigt eine Lösung für jenes Räthsel.

Was von dem geistlichen Haupte gilt, findet eine fast unbeschränkte Anwendung auf die übrigen Glieder des Priesterstandes, dessen große Mehrzahl der chriftlichen Welt im Wesentlichen ein eben so ärgerliches Schauspiel gab wie der Oberpriester in Rom; die Wechselwirkung zwischen dem Klerus und seinem Priesterfürsten war ja eine nothwendige und unausgeseßte. Ein Aeneas Sylvius (nachher Pius II) konnte damals scherzweise bemerken: die Schaafe Christi würden jezt nicht mehr geweidet, sondern nur noch geschoren. Und vielleicht empfand er nur halb oder gar nicht den vollen bittern Ernst und die vernichtende Wahrheit seines wälschen Wigwortes. So klagte z. B. der fromme Abt Ruysbroek: Auf hundert schlimme Priester komme kaum ein guter; Päpste, Bischöfe und Priester beugten ihre Knie vor dem zeitlichen Gute; Visitationen führten zu keiner Verbesserung; jeder bekomme dabei was er wolle:

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »