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Zuge wallen die Völker vom Anfang der Zeiten her, und bringen dem Ewigen ihre Opfer und Gebete, ein jedes nach seiner Weise, vom Aufgang bis zum Niedergang, von den tiefsinnigen Priestern des alten In diens bis zu unsern Vätern in den heiligen Eichenhainen. Welche Fülle religiöser Gefühle, Anschauungen, Erkenntnisse ist uns hier gegeben! Unter allen Völkern der Vorwelt jedoch ist außer demjenigen, welches bestimmt war, ein höhres Licht in seinem Schooße aufgehen zu sehen, kein anderes, dessen Religion mehr unsere Theilnahme in Anspruch nimmt, als das uns verwandte Volk der Griechen, jenes von dem Him. mel so offenbar begünstigte Geschlecht, in dem sich alle Kräfte des Leibes und der Seele mit eigenthümlicher, innerer Lebensfülle, nicht gehindert durch äußere Einwirkungen, gesund und in der glücklichsten Harmonie bis zur vollendeten Reife ausbildeten. Sind es ja doch die Höhen des hellenischen Olympus, wo sich die schöne Welt jener seligen Götter erhob, in welchen sich der ätherische Schein idealer Schönheit mit aller frischen Kraft der irdischen Natur so wunderbar vermählte; die durch Liebe, Schuß und Kampf sich mit einem edlen Heroengeschlechte verban den, das ihre Herrlichkeit abstrahlte; die nachher, als sie selbst nicht mehr auf Erden wandelten, durch die bildende Hand der Kunst herab. geführt wurden von den Höhen des Himmels in die Hallen der Tempel, in die heiligen Haine, in die Wohnungen der Menschen. Und so klar und lebendig steht diese Welt in den Schöpfungen griechischer Kunst und Poesie vor uns, so wahr und nothwendig ging sie aus dem freien Spiel der schönsten menschlichen Vermögen hervor, daß sie noch jest unter uns fortlebt, und daß diese Religion gleichsam eine Weltreligion aller Dichter und Künstler geworden ist. Doch wenn Gefühl und Phantasie an diesen herrlichen Gebilden sich ergößt haben, so behauptet dann auch der Verstand seine Rechte. Es machen sich geltend die Ueberlegungen einer mehr gereiften, erleuchteten Vernunft, die Anforderungen einer strengen Sittlichkeit, die reinern Begriffe einer mehr geistigen Religion. So ist das, was uns bei dem ersten Anblick dieser heitern griechischen Götterwelt als so erfreulich und bewunderungswürdig entgegen kam, der Gefahr preisgegeben, durch diese ernsten Betrachtungen Reiz, Werth und Bedeutung zu verlieren, indem vieles nicht nur leer an religiösem Gehalt zu sein, sondern sogar in schneidendem Widerspruche mit dem selben zu stehen scheint. So ergeht es nicht blos uns: diesen Mangel fühlten schon unter den Griechen selbst alle ernsteren und denkenden Geister. Daher die vielen Allegorien, durch welche man schon frühzeitig anfing, der Volksreligion den vermißten höhern Gehalt zu geben; daher das harte Urtheil des selbst so dichterischen Plato gegen die Dichter, als die vorzüglichsten Schöpfer dieser phantasievollen Religion, so daß er

ihnen sogar den Eingang in seinen idealischen Staat untersagte, der nur durch das reine, farbenlose Licht der Philosophie erleuchtet sein sollte. Indessen, ohne in der griechischen Volksreligion diesen Zwiespalt gänzlich aufheben zu können, zwischen der frei sich bewegenden Phantasie und dem Sittlichen und Religiösen in seiner Reinheit, und abgesondert von allen Einflüssen der übrigen menschlichen Kräfte, Freuden und Bedürfnisse; zeigt sich dennoch auf diesem Gebiete für den unbefangenen For scher manches, das nur der Phantasie und dem finnlichen äußern Kultus anzugehören scheint, in einer viel nähern Verbindung mit wahrer Reli gion und Sittlichkeit, als man nach dem ersten Anblick erwarten sollte. Diese Verbindung nachzuweisen scheint kein unnüßes Unternehmen: ein mal zur genaueren Kenntniß und Würdigung des Glaubens der alten Griechen, vielleicht auch als Beitrag zur Beantwortung der großen und fortwährend so bedeutenden Frage, ob man Etwas und wie viel man im Gebiete der Religion dem Gefühle und der Phantasie einzuräumen habe. Lassen Sie uns also untersuchen, in welchem Verhältniß dieser heitre Götterglaube und Götterdienst zu den Ideen des sittlich Guten stand, welchen Einfluß er hatte, auf das recht- und unrecht Handeln sowohl im öffentlichen als im Privat- Leben. Ueber das Ethische der griechischen Volksreligion demnach werde ich versuchen, die wichtigsten und fruchtbarsten Säße hier zusammen zu stellen, oder vielmehr, damit ich Ihre Aufmerksamkeit nicht zu sehr in Anspruch nehme, nur in Um rissen anzudeuten.

Ich habe absichtlich diese Betrachtungen auf die Volksreligion ein. geschränkt. Denn wollten wir allen religiösen Glauben und alle religiösen Institute Griechenlands umfassen, so müßte hier noch vieles andre zur Sprache kommen, was wir nach diesen geseßten Gränzen übergehen dürfen. Nichts kann also hier gesagt werden von jenen Mysterien, in welchen würdigere Vorstellungen über das Wesen der Gottheit, über die Abkunft und Wiederkehr der Geister, über die Reinigung und Besserung der Seele gelehrt wurden. Eben so können hier nicht verfolgt werden die Spuren des Gößendienstes der ältesten, noch ganz rohen Bewohner jenes Landes, ehe sie zu dem Besiß derjenigen Vorzüge gelangt waren, welche den eigenthümlichen Charakter des griechischen Genius ausmachen. Wir gehen vielmehr von jener Zeit aus, da im Laufe von Jahrhunder. ten durch die fortgehende natürliche Entwickelung des menschlichen Geis stes, durch Völkerwanderungen und politische Veränderungen sich das eigentliche Hellenenthum bildete und aus seinem Schooße jene heitre und schön geformte Götterwelt hervorging. Da verschwanden entweder gänzlich oder traten in das Dunkel zurück die gestaltlosen und mißgestal teten Idole, die eben so formlosen, wenn auch inhaltsvollen, mystischen

Sagen, und Kalliope sang zur homerischen Leier in dem nämlichen Lone, in welchem sie die Thaten, das Leiden und Lieben ausgezeichneter Menschen verherrlichte, nun auch das Leben und Wirken zwar mensch licher, aber mit übermenschlicher Kraft und Schönheit ausgestatteter Götter. Dieser so entschiedne und ausgeführte Anthropomorphismus der griechischen Volksreligion, als ihr am meisten charakteristisches Kenn. zeichen, sei das erste Moment, das wir von unserm Standpunkte aus betrachten wollen. Auf den ersten Anblick freilich, wenn man von dem Zauber der Poesie absieht, und an die religiösen Forderungen und Vorstellungen einer gereifteren Menschheit denkt, scheint es unmöglich mit diesen Liebeshändeln, mit diesen Kämpfen und Verwundungen sinnlich lebenslustiger und lebenskräftiger Götter irgend eine Anschauung oder Empfindung des Unendlichen und Ewigen zu verbinden. Doch lassen Sie uns sehen, ob diese Ansicht, wenigstens in ihren Wirkungen, so ganz aller sittlichen Elemente beraubt war. Dadurch, daß die Götter Menschen waren, aber gesteigert nach jeder Seite der menschlichen Anlagen und Kräfte, mußten sie nicht zugleich auch den Menschen zur Nachahmung näher gerückt sein? Gewiß, in einer Zeit, die nicht geeig net war, durch metaphysische Lehren und abstrakten Unterricht gebildet zu werden, mußte die deutliche und lebendige Anschauung einer so ge hobnen Menschheit, wie sie diese Götterwelt im hellen Spiegel des Lie des zeigte, entschieden beitragen zur Veredlung, Milderung und Verschönerung des Lebens. Denn das war doch wohl nach dem Wesen der menschlichen Natur nothwendig, daß das Volk und die ersten Gründer seiner Religion das Beste und Edelste, was sie zu fühlen und denken im Stande waren, ihren Göttern beilegten. Ueberdies was uns, nach den strengen Forderungen einer reineren und mehr geistigen Moral beurtheilt, in dieser griechischen Götterwelt bei allen Vorzügen einer gesteigerten Menschheit befremdet, ja oft erröthen machen muß, das konnte bei jener frühern Menschheit, bei welcher der Geist gleichsam noch nicht entbunden in der finnlichen Hülle schlummerte, das Göttliche nicht herabwürdigen. Sie sah darin nur Aeußerungen einer stets frischen, stets lebendigen Naturkraft. Waren ferner die Götter solche gesteigerte Menschen, so konnte man in ihrem Dienste auch nichts thun, was über die Schran ken des menschlichen Lebens hinausging. Von welcher Bedeutung dieses war, können wir leicht wahrnehmen, wenn wir auf andre Völker der alten Welt sehen. Blicken wir von Griechenland hinüber nach Klein. Asien, an den Pontus oder auf die alten Nachbarn der Israeliten und nach Babylon; blicken wir nach der lybischen Küste. Dort waren die alten Naturgötter weniger in die Schranken, in die festbegränzte Form eines ganz menschlichen Wesens eingeengt; sie hatten mehr von dem

Ueberschwenglichen und Schrankenlosen der elementarischen Weltkräfte, als deren Personifikation sie anzusehen sind. Aber hätten wohl diese Völker sich verirren können, durch den grausamsten und ausschweifendsten Dienst, durch das Opfer von Menschenleben und weiblicher Zucht und Jugendblüthe, ihre Götter zu verehren, wenn sie ihre schrankenlosen An. schauungen des unendlichen Lebens der Natur, wenn sie den Erguß ihrer fanatischen Gefühle in eine Vielheit von Göttern getheilt hätten, versehen mit einem klaren, bestimmten, menschlichen Thun und Leben? - Außer diesen negativen Vorzügen der griechischen Götter, in Hinsicht auf das Ethische, bleiben ihnen noch andre positiver Art. Ich habe schon darauf hingedeutet, daß sie als gesteigerte, erhabenere menschliche Naturen die ganze Sphäre der menschlichen Anlagen und Thätigkeiten in sich aufgenommen hatten. Zu diesen gehören nun aber die sittlichen, welche darum auch der Volksglaube und der Volksgesang seinen Göttern in vielfältigen Zügen beilegte, nebst allem, was aus diesen sittlichen Eigenschaften mit Nothwendigkeit hervorgeht. In diesem Sinne sagt der wackere Hirt Eumäus bei Homer, welcher Dichter als die erste und sicherste Quelle der volksmäßigen Ansichten auf diesem Gebiete anzu sehen ist *):

,,Alle gewaltsame That mißfällt ja den seligen Göttern;

Frömmigkeit ehren sie nur und billige Thaten der Menschen."

Darum sind die Götter auch die Austheiler von Strafe und Be lohnung; und so lebendig war dieser Glaube an ihre austheilende Gerechtigkeit, daß die Griechen, wie die meisten andern alten Völker, überzeugt waren, schon hier in diesem Leben fange das Amt derselben an. Der Gerechte, dachte man, wird mit Glück von den Göttern gesegnet; so wie der Böse von seiner auf unerlaubten Wegen` erstiegenen Höhe herabstürzt **). Keine Handlung der Sterblichen entgeht dem allsehenden Auge des Zeus. Tausende von unsichtbaren Genien, seine Diener, umschweben uns und beobachten die Thaten eines Jeden ***). Diese Vorstel lungen der schon in diesem Leben wirksamen göttlichen Gerechtigkeit gehen zu allgemein durch das ganze griechische Alterthum hindurch, als daß es nöthig wäre, einzelne Belege beizubringen, am allerwenigsten aus dem homerischen Epos. Denn macht nicht eben die Bestrafung der gottlo. fen und übermüthigen Freier unter dem Schuße und durch den Willen der Götter den Kern und das Ziel der ganzen Odyssee aus? Nicht zu gedenken der Tragiker und einer Menge eben dahin sich beziehender Acu,

*) Odyss. XIV, 83.

**) Odyss. XXII, 412. XIX, 109. Hesiods T. u. W. V. 238 f. f. ***) Hesiod a. a. O. V. 252.

ferungen der andern Dichter, so ist ja eben dieselbe Ueberzeugung von dem nothwendigen Falle der Bösen und Uebermüthigen, von ihrer Be strafung durch das göttliche Walten, auch die Grundansicht des großen herodoteischen Geschichtwerkes. Noch sicherer und gewisser aber erwartet die Sterblichen nach dem Tode Strafe und Lohn. Da ist Tartarus und Elysium, das die Dichter dem Volke in reizenden und furchtbaren Bildern und mit so frischen, unvergänglichen Farben darstellten. Es sind dies freilich nicht die reinsten sittlichen Ansichten, so wie sie auch nicht die reinsten Motive des Handelns enthalten; aber sie gingen doch ur. sprünglich von einem lebendigen Gefühl des Rechtes und Unrechtes aus, und darnach, so wie nach den Wirkungen, welche sie im Leben her. vorbrachten, find sie wohl zu den ethischen Bestandtheilen dieser Religion zu zählen.

Wenn wir nun von dieser Betrachtung der göttlichen Strafe und Belohnung übergehen zur Betrachtung der griechischen Ansicht von moralischer Zurechnung, von Schuld und Verdienst, durch welche Strafe und Lohn bedingt wird, so begegnen uns einige Vorstellungen, welche alle Moralität zu untergraben und aufzuheben scheinen, und auch diese Wirkung gehabt haben müßten, wenn eine durchgeführte Consequenz, wenn kalte, zu bösen Zwecken alle Mittel berechnende Reflexion im Wesen dieser unbefangenen, kindlichen Vorwelt gelegen hätte. Wo nämuch das Gebiet der gewöhnlichen Erscheinungen des Lebens, der mit beson, nenem, hellem Bewußtsein begonnenen Gedanken und Handlungen auf. hört, da trat nach der Ansicht des griechischen, ja man kann sagen, gesammten Alterthums unmittelbare Wirkung der Gottheit ein. Es war also natürlich, daß man nach dieser Denkweise so wie die ausgezeichneten Gaben und Vorzüge guter Art, also auch die gewaltigen, übermächtigen Triebe zum Bösen, die plößlichen, unerklärlichen Verirrungen einer sonst guten Natur als unmittelbar von Gott zugeschickt sich dachte. In dieser Ueberzeugung spricht Agamemnon bei seiner Versöhnung mit Achilles vor den versammelten Griechen *):

„Oft schon haben mir dieses Achajas Söhne gerüget,

Und mich bitter bestraft; doch trag ich dessen die Schuld nicht.
Sondern Zeus, das Geschick und das nächtliche Schrecken
Trinnys,

Die in der Volksversammlung zu heftigem Fehl mich verblendet,
Jenes Tags, da ich nahm sein Ehrengeschenk dem Achilles."

Auf dieselbe Weise urtheilt Penelope von der Verirrung der Helena, in. dem sie spricht:

*) Iliad. VI. 486.

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