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So häufen die Helden der alten Tragödie selbst alles Leiden auf ihre Brust, ziehn das Ungewitter über ihrem eignen Haupte zusammen, indem sie sich unvorsichtig über Gebühr gegen die Götter erheben, oder der unschuldige Enkel, hineingezogen in die Schicksalsverkettung, die von seinen Urvätern ausging, zu einer Unthat gedrängt wird, deren Ziel er selbst wieder fallen muß. Aias sinkt nicht als Opfer der Kabale der Atreiben und des Odysseus, sondern weil er schon bei seinem Zuge von Salamis durch zu großes Vertrauen auf menschliche Stärke die Götter beleidigte, und nun der verhängnißvolle Tag kam, an welchem Athene's Zorn sich sättigte, oder er gelöst war. Nicht die Tücken des Aigisthos find es, die Agamemnon erschlagen; schon bei der Abfahrt von Aulis, durch Iphigeneia's Opferung, hatte er den Saamen dazu ausgestreut, Jlions Fall hatte ihn erhoben höher als Menschen ziemt, nahe daran gränzt sein Untergang, und hat er sich selbst hingegeben dem Plaggeiste, der von seinem Urvater Lantalos an durch sein Geschlecht wüthet. Und der hohe Dulder Oidipus! Er selbst hatte seinen Vater erschlagen, mit seiner Mutter Kinder gezeugt, unwissend und unschuldig, aber einmal dem eisernen Geschicke zum Opfer geweiht, das tückisch sein Haus untergrub. Da ist es also auch nicht Frevel und Schuld, welche sie stürzen. Die That ist ihre, der Wille nicht immer. Ein höherer Richter schwebt über ihnen und spricht sie frei, während die Moral der irdischen Be schränktheit sie verdammt. Sie traten einmal unvorsichtig in die Reihe der Naturkräfte, vermögen ihre mechanische Causalität nun nicht mehr zu hemmen. Blind begehen sie häufig das Verbrechen und erkennen es erst, nachdem sie von seinen Folgen schon gefesselt sind.

Durch uralte Göttersprüche und Weissagungen der Scher ist dieser Gang des Schicksals befestigt. Ihr Verhängniß wissen die Menschen, aber nicht die bestimmte That deutlich, wodurch sie es herbeiführen wer den. Und gerade der ahnungsvolle Zeitpunkt, wo sie ringen, es zu entfernen, und durch jede Anstrengung es nur verstärken, ist der Schauplag der Tragödie. Der Mensch hält das Geschick nicht sowohl auf, als er es nur aufzuhalten strebt; aber gerade durch dieses Streben beschleunigt er es um desto mehr. Er wähnt, es abgewendet zu haben, und ist schon vermessen in seiner Sicherheit; aber nur dichter hat er sich umzo. gen. Er reichte selbst die Hand zu der Mine, in der fürchterlich und geheimnisvoll sein Verderben schlummert, bis die Stunde des Verhäng. nisses schlägt. Hier bringt jede gehoffte Freude ein neues Leid, dicht und schrecklich gränzen fie an einander; und jedes Leid ist größer als die Er wartung, bis zu dem Augenblicke, wo der höchste entscheidende Punkt des Kampfes erreicht ist.

Hieraus ist Göthe zu erklären, wenn er im Meister das Wesen der Tragödie gegen den Roman mit darin seßt, daß in diesem die Begeben. heiten den Menschen treiben und leiten, in jener der Mensch sie aufhalte.

Ein unendlich rastloses Leben und Drängen webt in ihr, das nur so viel hin und wieder einhält, als das Widerstreben gegen das Schick. sal nothwendig macht. Jeden Fuß breit machen sich die Kräfte gleich. sam einander streitig, immer neuer Widerstand und neue Besiegung; und immer höher spannt sich der Mensch, bis er hoch genug steht, um desto graufiger zu fallen. Darum sagen die Alten oft, das Schicksal blende und erhebe ihn, damit es ihn desto schmähliger stürze. So ist nirgends unthätige Passivität, vielmehr die regeste Activität; und da der Mensch selbst sein Geschick beschleunigt, so hört es auf Begebenheit zu sein und wird Handlung. Nichts, als dies, muß man sich auch bei Aristoteles Worten denken, wenn er spricht: Das Größeste von diesen aber ist die Composition der Handlungen. Denn die Tragödie ist eine Darstellung, nicht der Menschen (d. h. kein Charaktergemälde), sondern der Handlungen und des Lebens, und des Glücks und Unglücks. Denn auch das Glück besteht in Handlung, und der Hauptzweck der Tragödie ist Handlung, nicht Qualität!"

Diese Antithese der beiden Welten, die im Menschen sich vereinigen, und welche die alte Tragödie darstellt, wird in ihr vollendet durch die Synthese derselben, und sie ist schon in der Mitte geschlossen noch wäh rend jene herrscht. Zwischen dem Streite der Elemente hindurch tönet lyrisch die Saite der Vereinigung des Göttlichen mit der Natur, und ihres Friedens in der irdischen Beschränktheit. Der Chor dient nicht etwa als Nebenperson, um irgend einen Charakter als Folie zu heben, oder zu erklären, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu zeigen. Denn dies ist. eben, um es beiläufig zu erwähnen, ein Hauptmoment des Unterschieds der griechischen Tragödie von der modernen, daß sie immer nur die ein zelne, einfache, genau begränzte und ganz individuelle Gruppe ausbildet, die in ein Verhängniß verstrickt ist. Fremder Hülfe, Personen, die In trigue machen, bedarf sie nicht, um jene zu erklären, da sie organisch und in höchster Fülle der Selbstständigkeit von innen hervorwächst. Auch tritt der Chor in der vollendetsten Tragödie, der sophokleischen, nicht als Theilnehmer der Handlung und des Schicksals auf. In ihm hallen immer die klarsten und feinsten Laute des Geistes zurück, welcher durchs Ganze webt. Es spiegeln sich in ihm die Wege des Schicksals, er sezt die um ihn her schwankende, mit sich selbst kämpfende Mensch. heit ins Gleichgewicht, lehrt Mäßigkeit, Bescheidenheit und genügsame Hoffnungen, und zeigt, wie, zwar nicht durch Fügung und Unterwerfung, aber durch besonnenes allmähliges Schaffen, durch Ausfüllen des gegen.

wärtigen Augenblicks, die Freiheit in Frieden mit der Natur bestehen könne. In ihm schwebt die Harmonie der Menschheit, der Mittelstand, den man erkennen und bedenken foll; auf beiden Seiten keimt Unheil, hier gewaltsame Zerstörung, dort Niedrigkeit und Verwerfung, in ihm bescheidene Größe, Ruhe und Frieden.

Und darum ist sein Gemüth oft so tief und blickt ins innerste Wir. ken der Schöpfung, sein Sinn reizbar, zart und empfänglich. Das erste vornehmlich im Aischylos. Denn in ihm stehen die beiden Massen schroff und stark gegen einander; deswegen muß der Chor auch immer so gewaltig tief fassen und kühne Griffe thun, die beiden Enden zu vereinigen. Seine Gesänge tönen darum hervor, wie aus den Fernen einer andern Welt, und gleich Göttersprüchen. (Sortilegis non discrepuit sententia Delphis. Horat.) Sophokles Chor ist mild und sinnig, von ihm geht das innig stille Leben, der sanfte Hauch mit aus, der Anmuth und Milderung über die oft schauderhafte That webt. Mitten unter den Stürmen wallet Meeresstille in seinen Gesängen, er labt durch Blicke der Ruhe auf friedliche Eilande, auf die Wonne der Liebe und die schönen Tage vergangener Zeiten, und indem er oft eine Blüthe ent flohenen Glückes und heiterer Jugendjahre, des zärtlichsten Sehnens ge. rade vor den Augenblick der Entscheidung hinpflanzt, erregt er die hei ligste Wehmuth. Euripides Chöre find in sich schön, stehen aber mit den Tragödien selbst in geringem Zusammenhange, und find fast Blumen zum Puß.

Zu diesem Chore waren Gemüther nöthig, in welchen die Eintracht noch nicht gestört, oder schon wieder hergestellt war. Darum besteht er entweder aus Greisen, oder wenigstens gereiften Männern, welche durch lange Lebung und mancherlei Ungemach eine väterliche Ansicht des Lebens gewonnen haben, bei warmen Herzen; oder aus jungen Mädchen, in deren Seele unbefangen, unschuldig und bewußtlos die vereinten Kräfte schlummern, und nur der eine reine harmonische Ton des Lebens hallt. Von Weibern kommt deswegen vorzüglich die Jungfrau vor:

Denn in dem mütterlichen Boden nährt

Sie, ein junges Reis, sich; nicht die heiße Glut
Des Gottes, Regen drängt es nicht und Sturm,
In kummerfreiem Leben sproßt es auf!

Bis wo, statt Jungfrau, Weib sie wird genannt,
Und nimmt der Sorgen Theil in einer Nacht,
Sei's um den Mann, sei's um die Kinder fürchtend.

Sophokles.

Ein solcher Chor mag nun auch wohl ahnend und wahrsagend sein,

wie er es vornehmlich bei Aischylos ist.

Denn ist die alte Tragödie

überhaupt religiös, so ist sie es hauptsächlich durch Divination. Ahnung aber ist nur umgekehrte Erinnerung; der große, offene, helle Geist greift leicht der Reihe der Erscheinungen seiner innern Welt zuvor, und das ruhige, reizbare Gemüth fühlt leise, was auf seinem geraden, unschuldi digen Pfade ihm widerstrebt, und ahnet bang im Herzen, was die Lippe oft nicht prophezeihend reden kann. Daß solche Ahnungen Wirkungen hervorbringen sollten, daran dachte nicht der alte Tragiker, denn er be rechnete nicht den Effekt. Aber in der Welt, wohin er seine Stücke seßt, erfolgen sie ganz natürlich, und wenn sie noch überdem die Seele des Zuschauers in stiller Erwartung sammelten, und zu hohen Gefühlen stimm ten, so durfte er nur um so sicherer hoffen, daß sein ganzes Werk wür dig aufgenommen werde.

W. Süvern.

Sophokles.

Sophokles fällt mit seinem Geburtsjahre zwischen die seines Vorgängers, des Aeschylus, und des Euripides fast in die Mitte hinein, so daß er etwa ein halbes Menschenalter von jedem absteht; die Angaben stimmen nicht ganz überein. Von Beiden aber war er den größten Theil seines Lebens hindurch Zeitgenosse. Mit Aeschylus hat er häufig um den tragischen Epheulranz gerungen, und den Euripides, der doch gleichfalls ein hohes Alter erreichte, hat er noch überlebt. Es scheint, daß eine gütige Vorsehung an diesem einzigen Manne dem Menschengeschlechte, um im Sinne der alten Religion zu sprechen, die Würde und die Glückseligkeit seines Looses offenbaren wollte, indem sie ihm zu allem Göttlichen, was das Gemüth und den Geist schmücken und erhe. ben kann, auch alle erdenkliche Segnungen des Lebens verlieh. Von wohlhabenden und angesehenen Eltern, als freier Bürger des gebildetsten Staates von Griechenland geboren zu sein, dies waren nur die ersten Vorausseßungen dazu. Schönheit des Leibes wie der Seele, und unge. störter Gebrauch von beider Kräften in vollkommener Gesundheit bis an das äußerste Ziel des menschlichen Lebens, eine Erziehung in der ge wähltesten Fülle der Gymnastik und Musik, deren jene so mächtig war, schönen Naturanlagen, Energie, diese, Harmonie zu ertheilen; die süße Blüthe der Jugend, und die reife Frucht des Alters; der Besiz und ununterbrochene Genuß der Poesie und Kunst, und die Ausübung heitrer Weisheit; Liebe und Achtung unter den Mitbürgern, Ruhm im Aus. lande, und das Wohlgefallen und die Gnade der Götter: dies sind die

allgemeinsten Züge von der Geschichte dieses frommen, heiligen Dichters. Es ist als ob die Götter, unter denen er sich besonders dem Bacchus als dem Geber aller Freude und dem Bildner des vormals rohen Men schengeschlechtes durch Darstellung seiner tragischen Festspiele frühzeitig widmete, gewünscht hätten, ihn unsterblich zu machen, so lange schoben fie seinen Tod hinaus; und da dies nicht möglich war, lösten sie sein Leben wenigstens so gelinde als möglich, um ihn unvermerkt eine Unsterblichkeit mit der andern, die lange Dauer seines irdischen Daseins mit der Unvergänglichkeit seines Namens vertauschen zu lassen. Als ein Jüngling von sechszehn Jahren wurde er wegen seiner Schönheit gewählt, dem Chor der Jünglinge, welche nach der Schlacht bei Salamis (in welcher Aeschylus mitgefochten und sie herrlich geschildert) den Paean um die aufgerichtete Trophäe aufführten, nach griechischer Sitte auf der Leyer spielend vorzutanzen; so daß die schönste Entfaltung seiner Jugendblüthe mit der glorwürdigsten Epoche des athenischen Volkes in demsel ben Moment zusammen traf. Ein Feldherrnamt verwaltete er zugleich mit Perikles und Thucydides, schon dem Greisenalter näher; ferner das Priesterthum eines einheimischen Heroen. Im fünfundzwanzigsten Jahre fing er an, Tragödien aufzuführen, zwanzigmal erwarb er den Sieg, öfter die zweite Stelle, niemals die dritte; in dieser Bemühung fuhr er mit zunehmendem Gelingen fort, bis über sein neunzigstes Jahr hinaus, ja vielleicht rühren aus dieser späten Zeit einige seiner größten Werke her. Man hat die Sage, er sei von einem älteren Sohne oder Söhnen verklagt worden, weil er einen Enkel von einer andern Gattin zärtlicher liebte, als sei er vor Alter kindisch geworden, und nicht mehr im Stande sein Vermögen zu verwalten. Er habe statt aller Vertheidigung den Richtern seinen so eben gedichteten Oedipus in Kolonos, oder nach anderen den herrlichen Chor daraus, welcher Kolonos, seinen Geburtsort, verherrlicht, vorgelesen, und hierauf seien die Richter ohne weiters be wundernd auseinander gegangen, und man habe ihn im Triumphe nach Hause begleitet. Wenn es gegründet ist, daß er den eben genannten zweiten Oedipus so spät geschrieben, wie selbiger denn in der Entfer nung von allem herben Ungestüme der Jugend, in der reifen Milde die Spuren davon an sich trägt, so gewährt uns dies das Bild zugleich des liebenswürdigsten und ehrwürdigsten Alters. Wiewohl die abweichenden Sagen von seiner Todesart fabelhaft scheinen, so stimmen sie doch darin überein, und haben auch diese wahrhafte Bedeutung, daß er, mit seiner Kunst oder etwas darauf Bezug habendem beschäftigt, ohne Krank heit verschieden sein soll; daß er also, wie ein grauer Schwan des Apollo sein Leben in Gefängen ausgehaucht. So achte ich auch die Geschichte, wie der lacedämonische Felbherr, welcher den Ort seiner

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