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Peite 3. Humboldt, Wilhelm von:

Ueber die Aufgabe des Geschichtsschreibers.

(Abhandlungen der historisch philologischen Classe der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus den Jahren 1820-21. Berlin. 1822. Auch in: gesammelte Werke. Berlin. 1841. Bd. 1.) Vergleiche:

Heeren,,,Andenken an deutsche Historiker.“ 1822.

,,Bereits ein großer Geschichtsschreiber des Alterthums macht die Bemerkung, es sei nicht weniger schwer, die Geschichte zu schreiben, als durch Thaten sich zu verherrlichen. In diesem Ausspruch des Schrifts stellers liegt tiefe Wahrheit, welche die Erfahrung längst bestätigt hat. In der That ist es auffallend, wie gering die Anzahl bleibt, wenn man diejenigen Geschichtschreiber zusammenzählt, welchen die Stimme der Jahrhunderte einen Plaß unter denen vom ersten Range eingeräumt hat. Wenn man zu den drei großen griechischen Historikern, die uns noch erhalten find, Ephorus und Theopomp hinzufügt, bleiben kaum noch Andere übrig, welche das Alterthum neben diesen genannt hätte. Noch beschränkter war dieser Kreis bei den Römern. Und wenn wir unsere Blicke auf dasjenige Volk der neuern Zeit richten, dem in Beziehung auf die Geschichtschreibekunst der erste Plaß gebührt, stehet nicht auch hier die Dreizahl seiner historischen Classiker unerreicht von den übrigen da; während die Westminster. Abtei ganze Reihen von Monu. menten seiner Helden, seiner Staatsmänner, seiner Weltweisen und Dichter in sich schließt?

Diese Erscheinung wird um so befremdender, wenn man die zahlreichen Schaaren derer übersieht, welche den historischen Studien einen so großen Theil ihres Lebens, in manchen Rücksichten nicht ohne glück lichen Erfolg, widmeten. Wie schwer man sich auch die Geschichtschrei bekunst denken mag, so bleibt doch immer die Frage übrig: was sie denn eigentlich in einem solchen Maaße erschwert, daß von den Hunderten, die nach dem Kranze rangen, kaum einzelne ihn errungen haben?

Die Antwort auf diese Frage liegt großentheils schon in der Ent. wicklung des Begriffs der Geschichte selbst. Sie ist die Erzählung ver.

gangener Begebenheiten, aber vergangener Begebenheiten in ihrem Zusammenhange. Die Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange, was ist sie anders, als ein fortlaufendes Gewebe von Ursachen und Wir kungen, wo die Wirkungen wieder die Ursachen neuer Wirkungen wer den? Die Entwickelung dieses unermeßlichen Gewebes, sei es im Ganzen, sei es in einzelnen Theilen, ist die Aufgabe für den Geschichtschreiber.

So tritt sofort der Unterschied zwischen dem Geschichtschreiber und dem bloßen Geschichtsorscher hervor. Das Ziel des leßtern ist die Er. forschung einzelner Thatsachen; das Ziel des erstern die Darlegung des Zusammenhangs, in dem diese Thatsachen als Ursachen und Wirkungen unter einander stehen, in einer würdigen, den Gegenständen angemessenen Erzählung.

Die Erforschung des Zusammenhangs der Begebenheiten seßt also die Enthüllung der Ursachen voraus, durch welche die Begebenheiten in die Wirklichkeit traten. Wie schwer, ja, wie unmöglich vielleicht die Auflösung dieser Aufgabe ist, wird aber erst deutlich, wenn wir die Natur dieser Ursachen weiter entwickeln. Sie sind theils äußere, theils innere. In wiefern das Zusammenwirken äußerer Ursachen eine Bege= benheit in die Wirklichkeit rief, läßt sich vielleicht zeigen; allein ist dieses auch bei den innern möglich? Diese innern Ursachen liegen in dem Gemüth und in dem Charakter der handelnden Personen; es sind die innern Beweggründe, welche sie zum Handeln trieben. Ihre volle Darlegung würde also eine vollständige Kenntniß der handelnden Personen erfordern. Wer getraut es sich, diese von seinen Zeitgenossen, ja, selbst von seinen Bekannten sich beizulegen? Der Geschichtschreiber aber hat gewöhnlich von Personen zu reden, die längst nicht mehr sind; die er selber nur aus Nachrichten kennt, welche ihrer Natur nach unvollkommen bleiben müssen.

Aber wie sehr auch diese Geständnisse den Historiker demüthigen werden, so reichen sie doch nicht hin, ihm gänzlich das Zutrauen zu sich selbst und mit diesem das Gefühl seines Werths und seiner Würde zu rauben. Er wird es sich selber gestehen, daß das vollständige Erfor schen der Begebenheiten in ihrem Zusammenhange weit über seine Kräfte, ja weit über die Kräfte jedes menschlichen Wesens gehe; er wird also das ihm vorgesteckte Ziel als ihm unerreichbar erkennen; aber er wird es sich doch auch gestehen dürfen, daß er ihm sich nähern, mehr oder weniger sich nähern kann; und daß eben dieses Annähern Ge. schichte schreiben heißt.

Zwischen dem bloßen Erforscher von Thatsachen also und dein Ge schichtschreiber in diesem höhern Sinn ist noch eine weite Kluft befestigt. Nicht der Fleiß, nicht die Beurtheilungskraft allein find es, die den

leşten bilden; es gehört dazu ein nicht gewöhnliches Maaß fast aller Seelenkräfte, und was die Hauptsache ist, ein gewisses richtiges Ver. hältniß, in welchem diese Kräfte gegen einander stehen.

Der Geschichtschreiber, der diesen Namen verdient, ist nicht bloßer Wiedererzähler von dem, was ihm erzählt ist; er ist eben so wenig Dichter; aber er steht zwischen beiden in der Mitte, und bedarf in einem gewissen Grade das Talent des leßtern wie des erstern. Er bedarf der Phantasie; denn er soll die Begebenheiten auf eine ihrer würdige Weise, das heißt er soll sie darstellend erzählen; und was ist Darstellung ohne Phantasie? Er kommt also darin mit dem Dichter überein; aber die Gränzlinie zwischen der Phantasie des Geschichtschreibers und des Dichters bleibt deßhalb doch bestimmt gezogen. Das Gebiet des Geschichtschreibers ist die Wirklichkeit; das Werk seiner Phantasie ist die Wahrheit der Darstellung des Wirklichen. Das Gebiet des Dichters geht weit darüber hinaus; es ist das des Wahrscheinlichen oder des als möglich Gedachten. Indem er in dieses uns führt, indem seine Phantasie uns dieses als wirklich darzustellen weiß, zeigt er sich uns als Dichter. Der Geschichtschreiber bedarf aber nicht weniger der Beurthei lungskraft, des Scharfsinns und des Verstandes; weil ohne diese die Kritik der Thatsachen und die Auffindung der Verknüpfung der selben unmöglich wäre. Aber die Urtheilskraft des Geschichtschreibers hat darin wieder etwas Eigenthümliches, daß die Phantasie auf ihre Wirksamkeit einen Einfluß äußern muß. Denn jenes Verknüpfen der Thatsachen ist ganz unmöglich ohne Phantasie, ist zur Hälfte ihr Werk. Es ist eine der wahrsten Bemerkungen eines neuern Schriftstellers, daß der innere Zusammenhang der Geschichte sich keineswegs immer klar nachweisen, daß er großentheils sich nur ahnden läßt, ohne daß deßhalb die Wahrheit der Geschichte, die sie für menschliche, das heißt für sehr beschränkte Wesen, haben kann, verschwindet. Die geschichtliche Wahr. heit in ihrem vollen Glanze zu sehen, ist so gut einem künftigen höhern Dasein aufbehalten (so weit sie uns dann noch interessiren mag), als die philosophische. Wer daraus folgern will, daß Philosophie und Geschichte Nichts seien, verkennt die Gränzen der menschlichen Erkenntniß und die Zwecke unsers Forschens.

Aber neben der richtigen Beurtheilung des Wahren und neben der Phantasie bedarf der Geschichtschreiber nicht weniger einer andern Geisteskraft, die in der engsten Verbindung mit seiner moralischen Natur steht, des Gemüths. Ohne Gemüth hat es nie einen großen Ge schichtschreiber gegeben, und wird es nie einen geben. Unter dem Gemüth verstehen wir das lebendige Gefühl für alles Menschliche, mag es die Menschheit im Ganzen oder im Einzelnen betreffen. Aus

diesem Gefühl geht die Theilnahme für dieses Menschliche hervor; in ihr äußert es sich durch das Mitgefühl für alles die menschliche Natur Veredelnde, das Gute sowohl als das Große, und durch den Widerwillen gegen das, was damit im Widerspruche steht. Der Geschichtschreiber, welchen Stoff er sich auch zu behandeln wählt, behandelt menschliche Angelegenheiten und Verhältnisse; was ist er ohne jenes Gefühl für das Menschliche? Denn aus diesem Gefühl geht auch bei ihm die Theil. nahme an seinem Stoff hervor, und ohne diese Theilnahme bleibt sein Werk, und wäre es noch so gelehrt und noch so richtig und noch so schön geschrieben, ein todtes Werk.

Diese Theilnahme an seinem Stoff ist es, welche wir die Begei= sterung des Historikers nennen; sie wird steigen und sinken, je nachdem der Stoff sein Gemüth mehr oder weniger aufregt. Der Geschichtschreiber hat also so gut seine Begeisterung, wie der Dichter sie hat; Tacitus so gut wie Virgil; aber sie sind sehr von einander verschieden, denn sie fließen aus verschiedenen Quellen. Die Quelle der Begeisterung des Dichters liegt in der Phantasie, mithin nicht in der Wirklichkeit, sondern in dem Wahrscheinlichen. Die Quelle der Begei sterung des Geschichtschreibers liegt in dem Gemüth, in der Theilnahme an dem Menschlichen, mithin nicht in der Region des Wahrscheinlichen oder Möglichen, sondern in der ihm eigenen Region des Wirklichen. Und auf diese Weise trägt der Geschichtschreiber sein eigenes Ich in den Stoff hinüber, den er bearbeitet; er muß dieß thun, weil er ihn sonst gar nicht würdig bearbeiten könnte, und er darf dieß thun, denn weit entfernt, dadurch entstellt zu werden, erhält vielmehr sein Stoff die. jenige Wahrheit, welche wir die menschliche Wahrheit genannt haben." Schelling:,, Ueber das Studium der Historie" in den,, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums." 2te Ausg. Stutt gart. 1813.

Welker, E. Th.:,,Ueber Aufgabe und Behandlung der Geschichte“; in den Festreden zur Säcularfeier Karl Friedrichs von Baden(Freiburg 1828) und in dessen Encyklopädie S. 305 Anmerk. Süvern: Ueber den Kunstcharakter des Tacitus." In den Denkschriften der Berliner Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1822 und 23. Berlin. 1825.

Creuzer: Die historische Kunst der Alten in ihrer Entstehung und Fortbildung." Leipzig. 1803.

Seite 18. Müller, Johannes von:

Ueber den Untergang der Freiheit der alten Völker.

(Joh. v. Müllers sämmtliche Werke. Th. 25. Stuttgart u. Tübingen.

Vergleiche:

1833.)

Herder: Roms Verfall." S. 293 der Auffäße.

"

Heeren: „Ursachen des Sinkens von Griechenland." S. 521 der Auffäße.

Seite 23. Schneider, K. E. Chr.:

Neber Cäsars Charakter.

Aus seinen Schriften. (Wachler's Philomathie. Bd. 1. Frankf. a. M.

1818.)

Schlegel, Friedrich:,,Cäsar und Alexander.

Eine welthistorische Parallele." (F. S. sämmtliche Werke. Wien 1822. Bd. 4.) Bresemer, C.:,,Bemerkungen über den Werth und die Glaubwür. digkeit der Commentarien Cäsar's." (Im Programm zur Michaelis. Prüfung 1835 des Friedrich Wilhelms - Gymnasiums zu Berlin. Berlin. 1835.)

Döring:,,De C. Julii Caesaris fide historica." Programm. Freiberg. 1837.

Seite 40. Schleiermacher, Friedrich:

Daß Vorzüge des Geistes ohne fittliche Gesinnungen keinen Werth haben.

(Predigten. Bd. 1. Erste Sammlung. Neue Ausgaben. Berlin. 1834.) Tschirner:,,Weber die nothwendige Verbindung geistiger Bildung und sittlicher Gesinnung." T.'s Predigten, herausgegeben von Goldhorn. Leipzig. 1829. 4 Bde.

Seite 53. Heyne:

Von dem Werthe des Nachruhms.

(Akademie der schönen Redekünste. Angefangen von G. A. Bürger. Fortgesezt durch eine Gesellschaft von Gelehrten. Berlin und Göttingen. 1797. Bd. II. Stück I.)

Ancillon: Ueber das Verhältniß des Idealen und der Wirklichkeit.“ S. 58 ff. in: Zur Vermittelung der Extreme in den Meinungen." Th. 2.

"

Herder: Ueber den Selbstruhm." Christliche Reden und Homilien. Th. 1.

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