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Seite 112. Schiller, Friedrich von:

Ueber Völkerwanderung, Kreuzzüge und Mittelalter,

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(Werke. Bd. 16. der Ausg. in 16.)

Heeren: Versuch einer Entwickelung der Folgen der Kreuzzüge für Europa"; eine vom National - Institut von Frankreich gekrönte Preisschrift. Göttingen. 1808.

Daraus S. 331 der Auffäße:,,Folgen der Kreuzzüge für die Literatur und wissenschaftliche Aufklärung in Europa."

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Herder: Kreuzzüge und ihre Folgen." S. 268. Th. 4. der Ideen zur Geschichte der Menschheit. Stuttg. und Tübingen 1828. Th. 7. der Werke zur Philosophie und Geschichte.

,,Man ist gewohnt, den Kreuzzügen so viele gute Wirkungen zuzuschreiben, daß man dieser Meinung zu Folge unserm Welttheil alle halbe Jahrtausende ein dergleichen Fieber, das seine Kräfte rüttelt und aufregt, wünschen müßte; eine nähere Ansicht zeigt aber, daß die meisten der an gegebenen Erfolge nicht von den Kreuzzügen, am wenigsten von ihnen allein herstammen, sondern daß unter den vielen Antrieben, die damals Europa gewann, sie höchstens ein beschleunigender, im Ganzen aber wis driger Mit. und Nebenstoß gewesen, den die Vernunft der Europäer wohl hätte entbehren mögen. Ueberhaupt ist's nur ein Bild der Phantasie, wenn man aus fieben getrennten Feldzügen, die in zweihundert Jahren aus sehr verschiedenen Ländern und Beweggründen unternommen wurden, blos des gemeinschaftlichen Namens wegen, eine Hauptquelle von Begebenheiten dichtet.

1. Der Handel, sahen wir, war den Europäern in die arabischen Staaten vor den Kreuzzügen eröffnet, und es stand ihnen frei, solchen auf eine anständigere Weise zu nußen und zu verbreiten, als es durch Räuberfeldzüge geschehen konnte. Bei diesen gewannen die Ueberfahrer, Geldnegocianten und Lieferanten; sie gewannen aber alles von den Christen, gegen deren Vermögen sie eigentlich die Kreuzfahrer waren. Was dem griechischen Reich entrissen ward, war ein schändlicher Kaufmanns. raub, der dazu diente, daß durch die äußerste Schwächung dieses Reichs den immer näher andringenden Türkenhorden dereinst ein leichter Spiel mit Konstantinopel gemacht werden sollte. Daß Türken in Europa sind, und daß sie sich daselbst so weit umherbreiten konnten, hatte der Löwe des heiligen Markus in Venedig schon durch den vierten Kreuzzug vorbereitet. Zwar halfen die Genueser einem Geschlechte griechischer Kaiser wieder auf den Thron; allein es war der Thron eines geschwächten, zerstückten Reichs, den nachher die Türken leicht überwältigen mochten, da denn Venetianer sowohl als Genueser ihre besten Besigungen im mittelländi

schen und am schwarzen Meere, ja endlich fast allen ihren Handel dahin auch verloren.

2. Das Ritterthum ist nicht durch die Kreuzzüge, sondern die Kreuzzüge sind durch das Ritterthum entstanden; beim ersten Feldzuge schon erschien die Blume der französischen und normannischen Ritter in Palästina. Vielmehr haben die Kreuzzüge beigetragen, ihm seine eigen. thümliche Blüthe zu rauben, und wahre Waffenritter in bloße Wappenritter zu verwandeln. In Palästina nämlich kroch mancher unter den Helm, der ihn in Europa nicht tragen durfte; er brachte Wappen und Adel zurück, die jest auf sein Geschlecht übergingen, und damit einen neuen Stand, den Wappen und mit der Zeit auch den Briefadel in Lauf brachten. Da die Zahl der alten Dynasten, des wahren Ritter. adels, vermindert war, so suchte dieser zu Besißungen und erblichen Vor. zügen, gleich ihnen, zu gelangen; sorgfältig zählte er seine Ahnen, erwarb sich Würden und Vorzüge, so daß in einigen Geschlechtern Er wieder der alte Adel hieß, ob er gleich mit jenen Dynasten, die gegen ihn Fürsten waren, mit nichten zu einer Klasse gehöret. In Palästina konnte, was Waffen trug, Ritter werden; die ersten Kreuzzüge waren ein großes Erlaßjahr für Europa. Bald kam dieser neue dienende Kriegsadel der wachsenden Monarchie sehr zu flatten, die ihn gegen die übrig gebliebe nen hohen Vasallen klüglich zu gebrauchen wußte. So reiben Leiden. schaften einander, und der Schein den Schein auf: durch den dienenden Kriegs und Hofadel ging endlich das alte Ritterthum gar zu Grunde. 3. Daß die in Palästina gestifteten geistlichen Ritterorden Europa zu keinem Vortheil gewesen, ist durch sich selbst klar. Sie zeh. ren noch von dem Kapital, das einst dem heiligen Grabe, einem für uns ganz untergegangenen Zwecke, geweihet ward. Die Hospitäler soll. ten ankommende Pilgrime beherbergen, Kranke verpflegen, Aussäßige be dienen; dies sind die hohen Johanniter Ritter unsrer Zeit. Als ein Edelmann aus dem Delphinat, Raimund du Puy, Waffengelübd unter fie brachte, trennte sich der Lazarusorden von ihnen, und blieb bei der ersten Stiftung. Die Tempelherren waren regulirte Chorherren, lebten zehn Jahre selbst von Almosen und beschüßten die Pilger des heiligen Grabes, bis auch nach vergrößerten Gütern ihre Statuten verändert wurden, und der Ritter den Waffenträger, der Orden dienende Brüder hinter sich bekam. Der deutsche Orden endlich war für Kranke und Verwundete gestiftet, die auf dem Felde umherlagen; Kleidung, Wasser und Brod war ihre Belohnung, bis auch sie im nußvollen Dienst gegen die Ungläubigen reich und mächtig wurden. In Palästina haben alle diese Orden viel Tapferkeit und viel Stolz, auch wohl Untreue und Verrath bewiesen; mit Palästina aber hätte ihre Geschichte zu Ende

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sein mögen. Als die Johanniter dies Land verlassen mußten, als sie Cypern und Rhodus verloren, und Karl V. ihnen mit dem Felsen Malta ein Geschenk machte: wie sonderbar war der Auftrag, ewige Kreuzzicher, auch außerhalb Palästina, zu bleiben, und dafür Besißthümer in Reichen zu genießen, die weder die Türken bekriegen, noch die Pilgrime zum heiligen Grabe geleiten mögen. Den Lazarusorden nahm Ludwig VII. in Frankreich auf, und wollte ihn zu seinem Beruf, der Aufsicht der Kran ken, zurückführen; mehr als Ein Papst wollte ihn aufheben; die Könige von Frankreich schüßten ihn und Ludwig XIV. vereinte ihn mit mehreren geringen Orden. Er gedachte hierin anders, als sein Vorfahr, Phi. lipp der Schöne, der aus Geiz und Rache die Tempelherren grausam ausrottete und sich von ihren Gütern zueignete, was ihm auf keine Weise zustand. Die deutschen Ritter endlich, die, von einem Herzoge in Masovien gegen die heidnischen Preußen zu Hülfe gerufen, von einem deutschen Kaiser alles das zum Geschenk erhielten, was sie daselbst erobern würden, und was ihm, dem deutschen Kaiser, selbst nicht gehörte, fie eroberten Preußen, vereinigten sich mit den Schwertbrüdern in Lief land, erhielten Esthland von einem Könige, der es auch nicht zu erhalten wußte, und so herrschten sie zuleht von der Weichsel bis zur Düna und Newa in ritterlicher Ueppigkeit und Ausschweifung. Die alte preußische Nation ward vertilget, Litthauer und Samojiten, Kuren, Letten und Esthen wie Heerden dem deutschen Adel vertheilet. Nach langen Kriegen mit den Polen verloren sie zuerst das halbe, sodann das ganze Preußen, endlich auch Lief und Kurland; sie ließen in diesen Gegenden nichts als den Ruhm nach, daß schwerlich ein erobertes Land stolzer und unter. drückender verwaltet worden, als sie diese Küsten verwaltet haben, die, von einigen Seestädten kultivirt, gewiß andre Länder geworden wären. Ueberhaupt gehören alle drei angeführte Orden nicht nach Europa, son. dern nach Palästina. Da sind sie gestiftet, dahin in ihren Stiftungen gewiesen. Dort sollten sie gegen Ungläubige streiten, in Hospitälern die. nen, das heilige Grab hüten, Aussäßige pflegen, Pilger geleiten. Mit - dieser Absicht sind auch ihre Orden erloschen; ihre Güter gehören christ. lichen Werken, vorzüglich Armen und Kranken.

4. Wie der neue Wappenadel einzig und allein von der wachsenden Monarchie in Europa seine Bestimmung erhielt: so schreibt sich die Freiheit der Städte, der Ursprung der Gemeinheiten, endlich auch die Entlassung des Landmannes in unserm Welttheil von ganz andern Ursachen her, als diese tollen Kreuzzüge gaben. Daß im ersten Fieberanfall derselben allen liederlichen Haushältern und Schuldnern ein Ver zug zugestanden, Lehnsmänner und Leibeigne ihrer Pflichten, Steuernde ihrer Steuer, Zinsende ihrer Zinsen entlassen wurden, das gründete noch

nicht die Rechte der Freiheit Europa's. Längst waren Städte errichtet, längst wurden älteren Städten ihre Rechte bestätigt und erweitert; und wenn sich dem wachsenden Fleiß und Handel dieser Städte auch die Freiheit des Landmannes früher oder später mit anschloß, wenn selbst das Anstreben zur Unabhängigkeit solcher Municipalitäten in dem Gange der sich aufrichtenden Monarchie nothwendig begriffen war: so dürfen wir nicht in Palästina suchen, was uns im Strom der Veränderungen Europa's nach hellen Veranlassungen zuschwimmt *). Auf einer heiligen Narrheit beruht schwerlich das dauerhafte System Europa's.

5. Auch Künste und Wissenschaften wurden von den eigent lichen Kreuzfahrern auf keine Weise befördert. Die liederlichen Heere, die zuerst nach Palästina zogen, hatten keinen Begriff derselben, und konnten ihn weder in den Vorstädten von Konstantinopel, noch in Asien von Türken und Mamlucken erhalten. Bei den späteren Feldzügen darf man nur die geringe Zeit bedenken, in welcher die Heere dort waren, die Drangfale, unter welchen sie diese wenige Zeit, oft nur an den Grenzen des Landes, zubrachten, um dem mitgebrachten glänzenden Traume großer Entdeckungen zu entsagen. Die Pendeluhr, die Kaiser Friedrich II. von Meledin zum Geschenk erhielt, brachte noch keine Gnomonik, die griechischen Paläste, die die Kreuzfahrer in Konstantinopel anstauneten, noch keine bessere Baukunst nach Europa. Einige Kreuzfahrer, insonder. heit Friedrich I. und II., wirkten zur Aufklärung mit; jener aber that es, ehe er das Morgenland sah, und diesem war, nach seinem kurzen Aufenthalt daselbst, diese Reise nur ein neuer Antrieb, in seiner längst erwiesenen Regierungsart fortzuwirken. Keiner der geistlichen Ritterorden hat Aufklärung nach Europa gebracht, oder dieselbe befördert.

Es schränket sich also, was hiebei für die Kreuzzüge gesagt werden kann, auf wenige Veranlassungen ein, die zu andern schon vorhandenen trafen, und sonach diese wider ihren Willen mit befördern mußten.

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1. Die Menge reicher Vasallen und Ritter, die in den ersten Feld. zügen nach dem heiligen Lande zogen, und einem großen Theile nach nicht wieder kamen, veranlaßte, daß ihre Güter verkauft wurden, oder mit andern zusammen fielen. Dies nuste, wer es nusen konnte, die Lehnherren, die Kirche, die schon vorhandenen Städte, jeder nach seiner Weise; der Lauf der Dinge zu Befestigung der königlichen Macht durch die Errichtung eines Mittelstandes ward dadurch zwar nicht angefangen, aber befördert und beschleunigt.

*) In der Schweiz, wo die meiste Freiheit aufblühete, fanden die Kreuz. züge keinen großen Beifall. M.

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2. Man lernte Länder, Völker, Religionen und Verfassungen len nen, die man sonst nicht kannte; der enge Gesichtskreis erweiterte sich; man bekam neue Ideen, neue Triebe. Jeßt bekümmerte man sich um Dinge, die man sonst würde vernachlässigt haben, brauchte besser, was man in Europa längst besaß, und da man die Welt weiter fand, als man geglaubt hatte, so ward man auch nach der Kenntniß des Entfern ten neugierig. Die gewaltigen Eroberungen, die Dschingis Khan im nörd und östlichen Asien machte, zogen die Blicke am meisten nach der Tatarei hin, in welche Mark. Polo, der Venetianer, Rubruquis, der Franzose, und Johann de Plano. Carpino, ein Italiener, in ganz verschiedenen Absichten reiseten; der erste des Handels, der zweite einer kö niglichen Neugierde, der dritte vom Papst geschickt, der Bekehrung dieser Völker wegen. Nothwendig also hangen auch diese Reisen mit den Kreuz. zügen nicht zusammen: denn vor. und nachher ist man gereiset. Der Orient selbst ist uns durch diese Züge weniger bekannt worden, als man hätte wünschen mögen; die Nachrichten der Morgenländer über ihn auch in dem Zeitpunkt, da Syrien von Christen wimmelte, bleiben uns noch unentbehrlich.

3. Endlich lernte auf diesem heiligen Tummelplaß Europa sich unter einander selbst kennen, obgleich nicht auf die ersprießlichste Weise. Könige und Fürsten brachten von dieser näheren Bekanntschaft meistens einen unaustilgbaren Haß gegen einander nach Hause; insonderheit empfingen die Kriege zwischen England und Frankreich dadurch neue Nah. rung. Der böse Versuch, daß eine Christenrepublik gegen Ungläubige vereint streiten könne und möge, berechtigte zu solchen Kriegen auch in Europa, und hat sie nachher in andre Welttheile verbreitet. Unläugbar ist's indessen, daß, indem die europäischen Nachbarn ihre gegenseitige Stärke und Schwäche näher sahen, damit im Dunkeln eine allgemeinere Staatskunde und ein neues System der Verhältnisse in Kriegs. und Friedenszeiten gegründet ward. Nach Reichthum, Handel, Bequemlich, keit und Weppigkeit war jedermann lüstern, weil ein rohes Gemüth diese in der Fremde leicht lieb gewinnet, und an andern beneidet. Die we nigsten, die aus dem Orient zurück kamen, konnten sich fortan in die europäische Weise finden; selbst ihren Heldenmuth ließen viele dort zurück, ahmten das Morgenland im Abendlande ungeschickt nach, oder sehn. ten sich wieder nach Abenteuern und Reifen. Ueberhaupt kann eine Be gebenheit nur so viel wirkliches und bleibendes Gute hervorbringen, als Vernunft in ihr liegt."

Regenbogen, J. H.:,,De fructibus, quos humanitas, libertas, mercatura, industria, artes atque disciplinae per junctam Europam etc. perceperint e bello sacro." Amsterdam u. Gotha. 1809.

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