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bleiben und nicht vielmehr eben die Ausführung der Befreiung unmittel bar vor's Auge bringen sollen. Es ist gewiß, daß dies das Bessere, das Dramatischere gewesen seyn würde. Davon aber abgesehen, hatte der Dichter zwei bedeutsame Aufgaben zu lösen, deren er sich in diesem Akte auf eine sehr effektvolle Weise entledigt hat. Erstlich war dem Zuschauer, um die Größe der vor ihm aufgerollten Scenen vollständig würdigen zu können, eine Beruhigung zu geben, daß die unter so schwie. rigen Verhältnissen durchgesezte Befreiung des Schweizerlandes auch dauernd und für die Zukunft verbürgt bleiben werde: dies wird durch den in den Verlauf der Handlung aufgenommenen Untergang Königs Albrecht bewirkt; da einzig und allein dessen Herrschsucht und Ländergier aller über das Land verhängten Uebel Anlaß gewesen. Der Bericht dieses verhängnißvollen Ereignisses wird deshalb mit einer gewissen Feier. lichkeit eingeflochten und durch die Erscheinung des Reichsboten, welcher im Namen der verwittweten Königin der Eidgenossen Hülfe wider die Mörder aufbietet, in seiner verhängnißvollen Wichtigkeit gehoben. Denn die Rache, die noch dem Todten zu Theil wird, läßt uns schließen, mit welcher Schwere der Lebende seinen Zorn den abgefallenen Freiheitsfreunden würde fühlbar gemacht haben. Dagegen weis't uns die Erwäh lung eines neuen Reichsoberhauptes auf die Gerechtigkeit hin, welche die nothgedrungenen Anstrengungen der Waldstette vor einem unpartheiischen Richter finden werden. Zweitens mußte Tells Unterfangen, an den Landvogt, an seines Kaisers Beamten, die Hand gelegt zu haben, vor unserm sittlichen Gefühle, das sich unter allen Umständen gegen die Bil ligung eines Meuchelmordes sträubt, gerechtfertigt werden. Dies erreicht der Dichter auf eine vollkommen würdige Weise dadurch, daß er dem Tell, der aus Nothwehr, im Drange gerechter Selbsthülfe, seinen und seines Volkes Feind erschlagen, den Johannes Parricida, den Mörder des Kaisers und Oheims aus frevelhafter Ehr- und Selbstsucht, gegenüber stellt, und sie wechselseitig ihre Lage vergleichen läßt *). Tell trat einer Will.

*) Ueber die Einführung des Johannes Parricida und das Benehmen. Tells gegen denselben vergl. Hoffmeister a. a. D. S. 204 ff. H. tadelt diese Scene, weil sie auf einem moralischen Zweck, einer partikulären Rückficht beruht, die an sich unpoetisch, aber hier vollends ganz verfehlt ist.« Schon früher sagte Bouterwek: »Hier verwechselte Schiller das moralische Interesse mit dem ästhetischen. Wenn unser Gefühl mit der That des Tell, erst nachdem sie geschehen, durch Confrontation derselben mit dem Verbrechen des Johann von Schwaben versöhnt werden müßte, wäre sie überhaupt keiner dramatischen Darstellung werth.« Edermann (Gespräche mit Göthe Th. 2. S. 315) und Gustav Schwab (Schillers Leben S. 740) tadeln das Benehmen Tells; der Fehler liegt aber, wie Hoffmeister (S. 206) richtig bemerkt, nicht im Charakter des Tell, sondern in der Intention des Dichters.

kühr, welche durch ihm und den Seinen ans Leben gehende Proben den Beweis gegeben hatte, daß der Muthwille, zu welchem sie sich verirren könne, ganz unberechenbar sei, die folglich unbestreitbar den Naturstand, wo lediglich das Recht des Stärkeren gilt, selbst zuerst in die Bahn gerufen, in der traurigen Erkenntniß, daß es zu einem Aeußersten gekom. men, wo auch nur das Aeußerste zu helfen vermöge, mit Schmerz und hartem Selbstkampfe entgegen: der junge Fürst ließ sich durch Neid und Ehrgeiz um geringfügiger, leicht gut zu machender Kränkungen willen, unter Verlegung aller göttlichen und menschlichen Gebote, dahinreißen, das Blut des Oberherrn, Beschüßers und nächsten Anverwandten zu vergießen. Er weiß für sein Verfahren nichts als die scheue, durch die eigene Gewissensangst und die Scham der Verzweiflung lügengestrafte Sophistik schuldbeladener Selbstsucht geltend zu machen: Tell tritt ihm gegenüber mit der lautren Zuversicht und der ruhigen Freudigkeit eines sich vor Gott und Menschen frei fühlenden Bewußtseins. Indem Tell in diesem weihevollen Momente die schöne Frömmigkeit seines Innern entfaltet, indem er die erhebende Ueberzeugung ausspricht, mit der Seis nen Leben auch Recht und Freiheit seines Landes sichergestellt zu ha. ben, indem er die Pflicht des Freien und des Christen, menschliche Theilnahme auch an dem schußflehenden Verbrecher zu üben, ohne sich in seine Schuld verflechten zu lassen, mit altbiederer Treue erfüllt, stellt er uns noch einmal die ganze kräftige Tüchtigkeit seines Charakters vor Augen, und hinterläßt in uns den Eindruck, daß allerdings Er der Hebel und Mittelpunkt von seines Landes Kampf und Siege bleibt, und von seiner Persönlichkeit das Drama seine wesentlichsten und wirksamsten Momente entlehnt.

Können wir demnach in der Handlung des Tell nicht alle Motive billigen, müssen wir zugestehen, daß in gewissem Sinne allerdings eigent lich zwei Handlungen neben einander hergehen, ergiebt sich, daß verhält. nißmäßig mehr geredet als gehandelt wird: so dürfen wir demungeachtet mit Freuden anerkennen, daß die ganze poetische Atmosphäre, in welcher der Dichter sein Stück zu halten gewußt hat, das Ergreifende und Spannende der Situationen, das Interesse, welches wir an den Charakteren zu nehmen gedrungen werden, unsere Phantasie mit solcher Ge walt beherrschen, daß wir über die Schwächen der Dichtung, besonders bei einer entsprechend angeordneten und meisterschaftlich durchgeführten scenischen Aufführung, gern hinwegsehen *).

Wilhelm Ernst Weber.

*) A. W. v. Schlegel in seinen dramatischen Vorlesungen (Th. 3. S. 414) sagt über Wilhelm Tell: »Das lezte von Schillers Werken, Wil

Anstand und Sittlichkeit.

1.

(Vorlesungen zur Aesthetik, vornämlich in Bezug auf Göthe nnd Schiller. Von W. E. Weber.)

Die Scheidung zwischen Sittlichkeit und Anständigkeit verdankt ihren Ursprung nicht der Natur der Sache überhaupt, sondern der historischen Gestaltung, die sie mit der allmähligen Ausbildung des Zustandes der Menschheit aus einem natürlichen zu einem conventionellen angenommen hat. Zufolge der Natur der Sache sind nämlich Sittlichkeit und An. ständigkeit ihrem Wesen nach Eins, ihrer Erscheinung nach nicht weiter aus einander, als Ursache und Wirkung. Sittlichkeit ist das Durch. drungenseyn von der Gesinnung, welche das Bewußtseyń unsrer Men schenwürde schlechthin von uns fordert; Anständigkeit ist nichts, als die Offenbarung dieser Gesinnung in unsern Verhältnissen zu andern. In einem vollkommen naturgemäßen Zustande der Menschheit würde demnach das Sittlichste zugleich auch unmittelbar das Anständigste seyn, und es würde sich gar nicht denken lassen, daß eine dieser Eigenschaften getrennt von der andern bestehen könne. Aber nicht nur diese Trennung ist im Verlaufe der Zeiten zu Stande gekommen, sondern es hat auch die Nothdurft, welche über alle menschliche Einrichtungen gebieterisch waltet, mit sich gebracht, daß man in den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht das Sittliche, als das Innere und folglich Ursprüngliche, sondern das Anständige, also das Aeußere und folglich Abgeleitete, zum Gesez erho. ben, und den Anstand von dem veränderlichen Eigenfinne der Convenienz

helm Tell, ist meines Erachtens auch das vortrefflichste. Hier ist er ganz zur Poesie der Geschichte zurückgekehrt; die Behandlung ist treu, herzlich, und bei Schillers Unbekanntschaft mit der schweizer'schen Natur und Landessitte von bewundernswürdiger örtlicher Wahrheit. Es ist wahr, daß er hierin an des unsterblichen Johannes von Müllers sprechenden Gemälden eine herrliche Vorarbeit hatte. (Außer J. v. Müllers Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft benußte Schiller, nach J. Meyers oben erwähnter Abhandlung, noch Tschudi's Schweizerhistorie, Ellerlin's Chronik, Ausgabe von Spreng 1752; Stumpfs allgemeine Eidgenossenschaft - Chronik, Zürich), 1548; Scheuchzer's Naturgeschichte des Schweizerlandes, 2. Ausg. von Sulzer, Zürich, 1746; und Ebels Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz, 1798-1802.) Im Angesicht von Tells Kapelle, am Ufer des Vierwaldstetter See's unter freiem Himmel, die Alpen zum Hintergrunde, hätte diese herzerhebende, altdeutsche Sitte, Frömmigkeit und biederen Heldenmuth athmende Darstellung verdient, zur halbtausendjährigen Feier der Gründung der schweizerischen Freiheit aufgeführt zu werden.<<

abhängig gemacht hat. Es gehört nicht hierher, diese Thatsachen aus der Natur des gesellschaftlichen Lebens herzuleiten, und in ihrer inneren Nothwendigkeit zu beweisen. Nur in welche Stellung dadurch Sittlichkeit und Anstand zu einander gerathen sind, muß mit wenigen Worten erinnert werden.

Die Sittlichkeit ruht auf den ewigen Gefeßen des Wahren, Guten und Schönen; sie ist selbst ein Ewiges, sie kann zu keiner Zeit etwas anderes werden, als sie von je gewesen ist. Sie ist das unbedingt Charakteristische des Menschlichen; der Entartete fühlt sich vor ihr ge. züchtigt; er kann sich der Achtung gegen sie nicht erwehren; sie gebietet als Herrscherin; sie braucht nur sich, um überall zu gelten. Die Anstän digkeit hat sich unter den Einfluß der Mode schmiegen müssen; sie ist in ihrer Trennung von der Sittlichkeit, der unsterblichen Mutter, eine arme, fieche, sterbliche Tochter.

Wilhelm Ernst Weber.

2.

(Kleines A - B - C - Buch für Anfänger im Lesen und Schreiben. Synonymen und Homonymen. Von J. G. v. Quandt. Leipzig, 1838.)

Der Anstand und die Sittlichkeit beruhen beide auf einem Ge. fühle, welches als leitender Engel dem Willen zur Seite steht. Der Anstand verbietet mehr, als daß er positive Pflichten auferlegte, indeß er nur will, daß man vermeiden soll, was auf irgend eine Weise Jeman den unangenehm berühren könnte; so fordert die Sittlichkeit, daß man sich sogar bestrebe, Andern wohlzuthun. Wenn der Anstand ver langt, Alles abzulegen, wodurch man auffallen könnte, und daß man sich seinen Umgebungen anbilde, verlangt die Sittlichkeit eine innere Ausbildung des Gefühles für das Gute. Wenn der Anstand jede leb hafte Gefühlsäußerung verbietet, gebietet die Sittlichkeit Offenheit des Gemüthes. Der Anstand macht es zur Pflicht, die Menschen zu schonen; die Sittlichkeit, sie zu lieben. Die Vorschriften des An. standes, wenn er welche gibt, sind casuistisch und berücksichtigen Zeit und Umstände. Jeder Stand, jedes Alter, jedes Land fordert ein an. deres Benehmen, und es gibt unendliche Modificationen des Anstandes, welche mit der Mode wechseln. Die Sittlichkeit gibt allgemeine Ge bote, welche auf der Vernunft beruhen. Der Anstand gleicht mehr dem Gärtner, der die üppigen Zweige beschneidet, und die Sittlichkeit dem, der das gute Reis auf den wilden Stamm pfropft. Anständig ist es, den Gewohnheiten der Gesellschaft gemäß zu leben; sittlich lebt man, wenn man die Forderungen der Vernunft erfüllt. Der Weltmann ist anständig, der Tugendhafte sittlich, und Beides mit einander zu

vereinen, ein Weltmann und Weiser zu seyn, ist die schöne Aufgabe des Lebens im Umgange mit den Menschen.

J. G. v. Quandt.

Welches ist die rechte Prüfung seiner selbst?

(J. P. Hebel's sämmtliche Werke. Bd. 5.

Karlsruhe, 1832.)

Gott du erforschest uns und kennest uns. Wenu unser Herz uns so gerne täuscht, wenn wir so leicht mit der süßen Täuschung uns be ruhigen lassen, daß wir reiner, besser, dir ähnlicher seyen als wir wirklich sind, wenn wir so gerne unsere gutmüthigen Schwächen für errungene Tugenden, und schwer verschuldete Fehler für verzeihliche Schwächen halten, und wenigstens vor Menschen sorglich verbergen, was wir uns selbst nicht läugnen können, Gott, so erforschest und kennest du uns doch. Unsere guten Thaten und unsere bösen Thaten, unsere Worte und Gedanken, unsere stille entstandenen und stille wieder erloschenen, von uns längst vergessenen Wünsche und Neigungen liegen auf deiner Wage, die für die Ewigkeit sammelt, und für die Ewigkeit entscheidet. Ach fie ist uns Allen so nahe die Stunde der ernsten Entscheidung; er ist so nahe, und schlummert so leise der Richter in unsrer Brust. Heiliger, Barmherziger, zu diesen Ueberzeugungen flehen wir um Ernst aufrichtig zu seyn gegen uns selber, um Weisheit, uns selber kennen zu lernen, um Muth für jeden lange Verblendeten, das Bewußtsein seiner Schuld zu ertragen, um Trost für ihn, um Kraft für uns alle, die wir alle bedürfen, mit festem Blick auf unsere Bestimmung und auf ihren Segen von einer schweren Stufe der Vollkommenheit zur andern leichter emporzustreben. Dieser Segen begleite auch heute unsere Andacht. Wir beten darum in einem stillen B. U.

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Tert. Luc. 18, 9-14.

(Gleichniß vom Zöllner und Pharisäer.)

Unter allen Gegenständen der Erkenntniß, denen der Mensch unter der Sonne nachforschen kann, ist für ihn nichts so wichtig, als die Er kenntniß seiner selbst, seiner Tugenden, Schwachheiten und Fehler, kein tief verborgenes nahes oder fernes Geheimniß seiner sorgfältigen Untersein Herz. Von der suchung so werth, als das tiefste und nächste, Lauterkeit und Güte unserer herrschenden Gesinnungen, von der Güte und dem Werthe unserer Thaten, von der Uebereinstimmung unseres ganzen Lebens mit dem heiligen Geseze, das vom Himmel herab in un

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