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begraben worden. Jezt fuche er Leipzig zu erreichen, wo er Geld zur Fortsehung seiner Reise zu finden hoffe.

Das Ansehen des Mannes flößte Zutrauen ein, und sein blasses, verfallenes Gesicht, auf dem der Kummer tiefe Furchen gezogen hatte, konnte man ohne Mitleiden nicht ansehen. Seine Kinder saßen ihm auf dem Schoß, und da gingen sie auch nicht weg, als der arme Holzhauer einige gefottene Erdäpfel zum Abendessen auffeßte.

Nachdem das Abendbrot eingenommen war, legten sich alle auf die Streu; denn ein Bett war im ganzen Hause nicht. Der Raum war eng, das Lager hart; Schnee und Regen schlugen gegen die Fenster, der Wind heulte, die brechenden Tannen im Wald krachten. Aber die Kinder 10 schliefen ruhig neben ihrem Vater, auf jeder Seite eins, und ihre Händchen hatten sie um seinen Naden gelegt.

In derselben Nacht aber wurde der fremde Mann krank und immer kränker, und che drei Tage um waren, war er tot.

Jezt war guter Rat teuer. Der arme Holzhauer konnte mit Not seine eigenen Kinder er15 nähren, ohnerachtet er ihnen nur trockenes Brot gab und Sonntags Erdäpfel, und nun waren ihm zu den vier seinigen noch zwei andere zugewachsen, die so schwach und zart gebaut waren, daß man gleich sah, sie würden für das harte Leben im Walde nimmermehr taugen. Hinterlassen hatte der Vater auch nichts. Von seinen Habseligkeiten waren nach der Beerdigung nur einige Kleidungsstücke für die Kinder übriggeblieben und der Karren mit dem zerschellten Rade, der jezt 2 vor dem Hause stand. Das Brot und die Erdäpfel gingen zu Ende, der Winter aber noch nicht, und der Hunger der sechs Kinder wurde mit jedem Morgen neu. Da saß nun der arme Mann eines Abends, als er das lezte Brot verschnitten hatte und die Kinder nebeneinander auf der Streu schliefen, und sann nach, wie er sich weiterhelfen wollte; und da fiel ihm ein, daß ja der Forstmeister ein reicher Mann wäre und keine Kinder hätte.

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„Wie“, dachte er, wenn du mit den Kindern zu ihm gingst? Vielleicht nähm' er sie bei sich auf und verdiente einen Gotteslohn, den er wohl nötig hat.“ Und mit diesem Gedanken legte sich der arme Holzhauer auf die Streu und schlief ein. Da kam es ihm wie im Traume vor, als führe er die fremden Kinderchen auf ihrem Emigrantenwägelchen über ein schönes Feld, das mit Saat über und über bedeckt war, wie ein grünes Tuch, und während des Fahrens schoß s die Saat plöglich auf, und waren gleich volle, schwere Ühren daran, die fast über den Wagen zusammenschlugen; und er fing gleich an zu mähen und zu ernten, und der Überfluß war so gewaltig, daß er gar nicht Herr darüber werden konnte. Da wachte er über der großen Arbeit auf, und es wollte schon Morgen werden; und er dachte: „Das ist wohl ein guter Traum; mein Vorhaben wird mit Gottes Hilfe gut ausschlagen". Er stand also munter auf, rüttelte seine Pfleglinge s aus dem Schlafe, wusch sie sauber ab und ließ sie ihre besten Kleiderchen anziehen. Es war ein gar niedliches Pärchen. Und als es Tag wurde, und die Sonne recht freundlich hereinschien, nahm er sie an beide Hände und machte sich auf den Weg nach dem Forsthause. Unterwegs hatte er immer seinen Traum in Gedanken und bedachte, wie er den gnädigen Herrn anreden und vornehmlich, wie er ihm danken wollte, wenn er die Waisen auf- und angenommen hätte. Und es 40 tat ihm schon recht weh im Herzen, wenn er dachte, daß er nun ohne die kleinen Engel würde nach Hause zurückkehren müssen. Das waren nun freilich unnüße Sorgen, denn als der Mann mit seinen Waisen an die Tür des Forsthauses anklopfen wollte, fuhr diese auf, und der Forstmeister trat mit der übergehängten Flinte und zwei großen Hunden hinter sich heraus, um auf die Jagd zu gehen. Als er nun den Holzhauer zur Seite stehen sah, fragte er ihn mit rauhem Tone, was 45 er wollte; und der Holzhauer mit der Müze in der Hand nahm sich, ob er gleich erschrocken war, doch zusammen und trug die Sache mit kurzen und bündigen Worten vor. „Wenn ich Brot für sie hätte", sezte er hinzu, „hätt' ich sie bei mir behalten, und sie wären mir fast so lieb als meine eigenen Kinder. Aber Not bricht Eisen.“

Die beiden Kinderchen hingen währenddessen an den Händen des armen Mannes, vor50 nehmlich das Mädchen; denn die rauhe Stimme des Forstmeisters, der in seiner Fuchsmüße auch wild genug aussah, machte sie bange, und sie verkrochen sich hinter ihrem Pflegevater, als die großen Hunde sie murrend und kläffend beschnupperten. Der Forstmeister ergözte sich an der

Furcht der Kinder, aber ihre Not rührte ihn nicht; vielmehr ließ er den Mann hart an, daß er ihm solches Bettelvolk und Landstreicher über den Hals brächte. Endlich schloß er seine Strafpredigt mit den Worten, er sollte sich auf der Stelle packen und nicht wieder bei ihm sehen lassen, sonst wolle er ihn mit den Hunden wegheßen und die ausländische Brut obendrein. Und als er dabei die Stimme drohend erhob, fingen die Hunde an schrecklich zu bellen, und die Kinder 5 schrieen kläglich und wußten in ihrer Angst nicht, wo sie sich verbergen sollten. Der Forstmeister ging darauf in seiner Fuchsmüße mit den beiden Jagdhunden brummend seines Weges und ließ die beiden Waisen mit dem armen Thomas hilflos stehen. Dieser aber verzagte darum nicht, sondern dachte bei sich: „Er, der den jungen Raben ihr Futter gibt, wird ja auch diese nicht verlassen“. Dann nahm er die Müze ab und betete: „Unser täglich Brot gib uns heute!" faßte 10 die Kinder wieder bei den Händen und ging mit ihnen nach der andern Seite weg.

Wie er nun so, seinen Weg verfolgend, am Gartenzaun hingeht, öffnet sich eine Tür, und die Forstmeisterin tritt heraus und sagt recht freundlich zu ihm: „Guten Morgen, Thomas!“ Sie hatte hinter dem Fenster gestanden und alles mit angesehen, und das Herz hatte ihr wehe getan bei dem Benehmen des Mannes; aber dareinzureden hatte sie nicht gewagt, denn er war 15 gegen sie noch hartherziger, als gegen Fremde. Daher wartete sie an der Gartentür, trat heraus, tauerte sich nieder in den Weg und sprach mit den Kindern in ihrer Sprache. Da nun diese vor Freude über die langentwöhnten Töne ihrer Heimat noch freundlicher waren, als gewöhnlich, faßte die gute, aber niedergedrückte Frau eine große Liebe zu ihnen, und sie ging mit sich zu Rate, ob sie nicht bei ihrem Manne für die armen Waisen bitten sollte. Aber die Furcht behielt die Oberhand, 20 und wahrscheinlich wußte sie auch, daß doch alles Reden verloren sein würde. Darauf hieß sie den Thomas warten und ging in das Haus zurück; und nach einiger Weile kam sie wieder mit einem Körbchen voll Lebensmittel und einem Bündelchen Wäsche und Kleidungsstücke sie hätte gern auch Geld dazu gelegt, aber das hatte sie nicht; denn ihr geiziger Mann gab ihr keins in die Hände — und endlich auch einen Brief, den sie in der Eile geschrieben hatte. Dieser Brief war an 25 ihre Schwester gerichtet, die in Franken wohnte, und indem sie dem Thomas den Brief gab, sagte fie: „Was ich nicht vermag, werden an meiner Stelle andere tun. Macht Euch auf, Thomas, mit diesen lieben Kindern und bringt sie meiner Schwester. Dieser sind jezt eben zwei Kinder an den Bocken gestorben, und sie ist darüber in großer Traurigkeit. Mein Herz sagt mir, daß sie diese Waisen nicht verstoßen wird. Geht mit Gott! Von dem, was hier in dem Korbe ist, könnt ihr unterwegs so zehren. Gott weiß, daß mir das Herz springen möchte, daß ich Euch vor eine andere Tür schicken muß.“ Darauf bückte sie sich wieder zu den Kindern und herzte und küßte sie; und da sie weggingen, blieb sie in der Gartentür stehen und sah ihnen nach so weit, als sie konnte.

Thomas bedachte nun die Sache im Nachhausegehen. „Zu Fuß“, dachte er, „können die Kinderchen den weiten Weg nicht machen. Wenn ich sie hinfahren könnte! Der Karren wäre 35 schon da, und der ist so ihr Eigentum und alleiniges Erbteil; aber wo soll ich das Pferd hernehmen und das teure Futter für das Pferd?" Da wußte er nun keinen Rat und ging, darüber ganz tiefsinnig, in den Wald und kam auch ganz tiefsinnig wieder. . Die Nacht konnte er auch nicht schlafen vor Sorgen, und das Mitleiden kam dazu, daß die Kinder soweit weg sollten, wo er sie vielleicht gar nicht wiederfähe. Als nun der Tag anbrach, dachte er: „Hinbringen mußt du sie 40 doch; Gott wird ihnen ja unterwegs forthelfen“. Und dann stand er auf und machte sich, ohne recht zu wissen, warum, an das zerschellte Rad, das auch in kurzem wiederhergestellt war. Nun ging er ins Amt, um sich einen Paß zu holen.

Wo soll die Reise hingehen?" fragte der Amtsschreiber.

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Ins Fränkische“, war die Antwort. „Und der Ort?" ‚Nach Martinbach, wo die Schwester von der Frau Forst: 45 meisterin das Gut hat." — Wie der Amtsschreiber das hörte, stand er auf und ging hinaus, und gleich darauf kam er wieder mit dem Amtmann selbst herein. "Ihr wollt nach Martin

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bach?" fragte der Amtmann. „Ja, Herr.“ — „Auf das Gut der Frau v. Staufenberg?" „Ja, Herr Amtmann.“ „Nun, das kommt ja wie bestellt“, sagte dieser. „Der Landstreicher, den wir hier sizen haben, hat sein Pferd eben auf dem Gut gestohlen. Da Ihr nun den Weg 50 dorthin macht, so könnt Ihr das Pferd mitnehmen; so kommt Ihr schneller hin und verdient Euch noch ein Trinkgeld obendrein.“ Um das Trinkgeld wär' es mir nicht sowohl“, antwortete

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Thomas, so ich es auch gleich brauchen könnte; aber ich könnte das Pferd in das Wägelchen spannen. Das Ding ist federleicht, und die Kinder wiegen auch nichts, und so tämen wir recht gut von hinnen.“ Darauf erzählte er dem Amtmann sein ganzes Vorhaben; und wie dieser nichts dagegen hatte, war er mit einem Male von allen seinen Sorgen los. Seine eigenen vier 5 Kinder gab er seiner alten Schwiegermutter aufzuheben, damit sie in der Zeit nicht zu Schaden tämen, und am andern Morgen, sobald der Tag graute, schickte er sich zur Reise an. Er hatte bald Heu in das Wägelchen gelegt und einen Sack mit Hafer, den er für das gestohlene Pferd im Amthause bekommen hatte - „in Martinbach würden sie es schon bezahlen“, sagte der Amtsschreiber —; auf dem Sacke saßen die beiden Kinderchen nebeneinander und sahen unter dem 10 Verdecke so froh und schön heraus, wie ein Paar neugemalte Heiligenbilderchen aus ihrer Blende. Thomas ging mit der Peitsche nebenher. Wer ihm begegnete, blieb stehen und betrachtete das fremde Fuhrwerk, noch mehr aber, was darin war; manche fragten ihn auch, wohin er denn diese Paradiesvögel zu Markte führe? Gegen Abend hatte er schon den dritten Teil des Weges zurückgelegt und hielt an der Tür eines Wirtshauses, vor welchem ein schöner Reisewagen stand. 15 Thomas hob seine Passagiere herunter, spannte sein Pferd aus und begab sich damit in den Stall. Die Kinder aber wies er in die Wirtsstube, wo sie sich auf die Bank am Ofen seyten; denn sie waren doch ziemlich erfroren.

Sie hatten sich eben hingesezt, so kam die Wirtin herein, betrachtete ihre kleinen Gäste, und da sie ihr wohlgefielen, tat sie allerlei Fragen an fie. Aber die Kinder verstanden nur wenig 20 davon und antworteten immer: „Nicht Deutsch verstehen, Franzos sein“ - worüber sich die

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Wirtin noch mehr wunderte. Auf einmal entstand im Hofe ein gewaltiger Lärm. Mehrere Stimmen schrieen durcheinander, unter denen die des Thomas die vernehinlichste war. Jacques -so hieß der kleine Pflegling des Holzhauers sprang auf und lief nach dem Hofe; Margot so hieß das Mädchen — aber blieb erst in der Tür stehen und zitterte wie Espenlaub. Ein 25 fremder Kutscher hielt den ehrlichen Holzhauer mit der einen Hand am Kragen und schrie in einem fort: Spizbube, Pferdedieb! Das Pferd ist mein!" mit der andern aber riß er an dem Pferde. Thomas wollte das Pferd nicht fahren lassen und schrie: „Mörder!" Auf dieses Geschrei war alles im Gasthofe zusammengelaufen; alle sprachen; einer tobte gegen den andern, und keiner verstand den andern. Margot weinte; Jacques riß den fremden Kutscher am Rock und schrie auf 80 Französisch gegen ihn, so arg er nur konnte. Die Wirtin lief auch dazwischen. Endlich kam eine stattliche Dame in Trauer die Treppe herab. Dieser gehörte der Kutscher an, und nach mehrmaligem Rufen gelang es ihr endlich, von dem Wütenden gehört zu werden. Er ließ den Thomas fahren, aber das Pferd hielt er fest. „Es ist unser Pferd“, schrie er, „und ich will den Kerl noch am Galgen sehen, der es mir gestohlen hat."

85 Thomas, von einer Menge Bauern umringt, hatte nicht zur Verteidigung kommen können, solange ihn der Fremde würgte. Jezt rief ihn die Dame in Trauer zu sich und verlangte zu wissen, wie er zu dem Pferde gekommen, und warum er es für das seinige ausgäbe. - „Das habe ich nie gesagt", antwortete Thomas, „und sag' es auch jezt nicht. Das Pferd ist nicht mein, und der, dem es gehört, soll es nächster Tage aus meinen Händen zurückbekommen, wie ich 40 ja ebendeshalb unterwegs bin. Daß aber dieser wütende Kerl über mich herfällt und es mir mit Gewalt wegreißen will und mich einen Dieb schilt, da ich doch ein ehrlicher Bote bin, das werde ich nimmermehr leiden." Und nun erzählte er, wie er zu dem Pferde gekommen, und wohin er damit wollte.

Da traf es sich denn nun artig genug, daß, wie ihr wohl schon gemerkt haben werdet, die 45 Dame in Trauer eben die Edelfrau war, welcher das Pferd angehörte und der es der Thomas bringen sollte. Das war nun auch recht gut, und unser Holzhauer hätte, was das Pferd betraf, mit einem guten Trinkgelde, das ihm die Dame für seine Mühe schenkte, wieder nach Hause zurücktehren können. Er hatte sich auch schon auf das beste bedankt und wollte nach der Wirtsstube umkehren, als ihm einfiel — was über dem gewaltigen Handel ihm ganz aus dem Sinne ge50 kommen war, daß er sich ja eines ganz andern Geschäftes wegen auf die Reise begeben habe. Er kehrte also wieder um, und mit der Müße in der Hand sagte er zu der Dame, die schon wieder die halbe Treppe hinauf war: „Ihr Gnaden, so geht das nicht; nehmen Sie Ihr Geld nur wieder.

Sie müssen schon so gut sein und mir das Roß noch auf zwei Tage borgen. Ich hab' es ja eben darum mitgenommen."

Der Dame kam das freilich sonderbar vor. Sie stand still, lächelte den Thomas an und forschte nach seiner Meinung. Da fing er nun die ganze Geschichte von vorn an, von dem Abend an, wo er die Kinder auf der Straße gefunden, wie er ihren Vater begraben und nun eine a Mutter für sie suche, da sie für seine Wirtschaft zu fein wären. Und am Ende der Erzählung zog er ein Tuch aus der Tasche und wickelte den Brief heraus, den die Oberforstmeisterin an ihre Schwester geschrieben hatte. Die Edelfrau aber war eben diese Schwester. Thomas hielt ihr den Brief hin, so daß sie die Aufschrift lesen konnte. „Das ist an mich“, sagte sie. „Nun, wenn das Schreiben an Sie ist“, fuhr Thomas fort, „so werden Sie daraus sehen, wie die Meinung ist." 10 Und dabei gab er ihr den Brief, und während sie las, verwendete er kein Auge von ihr. Denn da ihm die Frau gefiel, so wünschte er, daß sie die Kinder zu sich nehmen möchte. Die Kinder aber hatte er hinter sich gestellt. Die Dame überlief den Brief, schüttelte den Kopf, las ihn noch einmal und sagte vor sich: „Zwei fremde Kinder auf einmal - und Franzosen!" Als sie ihn aber zum zweiten Male heruntergelesen hatte und an die Worte kam, wo es hieß: „Gott schickt sie 15 Dir zum Ersatz für die Engel, die er eben zu sich genommen", da kamen ihr die Tränen in die Augen, und sie sagte ganz sanft: „Nun, so zeigt mir doch Eure Pflegekinder". Da war Thomas froh, wie er sie so freundlich sah, und daß ihr die Tränen in den Augen standen, und dachte: „Seht sie nur erst!" Und nun stellte er erst Margot vor sich, die gleich der Dame sehr artig die Hand küßte, und dann auch den Jacques. „Ach, die Engel!" rief die Kammerfrau, die 20 danebenstand. Und die Dame war aber auch über den Anblick der schönen Kinder so betroffen, daß sie gleich in ihrem Herzen entschlossen war. Sie sah sie noch ein Weilchen an, nahm dann eins ums andere in die Höh', küßte sie und sagte auf Französisch: „Ich will eure Mutter sein“.— Da kehrte sich Margot zu ihrem Bruder und sagte ganz erfreut: „Ach, Jacques, nun haben wir wieder eine Mutter gefunden!" Jacques aber hielt den guten Thomas fest bei der Hand, als 25 ob ihm bange wäre, ihn zu verlieren. Die Sache war nun bald in Ordnung gebracht, und am folgenden Morgen trennten sich beide Parteien. Thomas kehrte zu Fuße nach Hause zurüď, und Frau v. Staufenberg im Wagen. Margot wurde mit hereingenommen; Jacques aber fuhr auf seinem Kütschchen hinterdrein und sah sich noch oft nach dem guten Thomas um, der jezt seine Schritte verdoppelte, um sich die Betrübnis zu verlaufen und mit der guten Nachricht bald wieder so zu seinen eigenen Kindern zu kommen.

6. Der belohnte Totschlag.
Von H. v. Schubert.

Eeebilder. Erlangen 1850 S. 423.

Wenn ein sonst friedlicher Mann von einem Raubmörder angefallen wird, und er entledigt sich desselben, indem er ihn totschlägt, dann hat er es der gesetzlichen Ordnung gemäß noch immer mit den Gerichten zu tun, welche den Beweis verlangen werden, daß der Erschlagene wirklich ein Raubmörder, und daß durch seinen Anfall das Leben des Totschlägers in Gefahr gewesen sei. Dennoch ist es vor wenigen Jahren geschehen, daß ein Mann für einen verübten Totschlag von seiner 40 Obrigkeit nicht nur nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern selbst noch belohnt wurde, obgleich kein Mensch im ganzen Lande dem Erschlagenen mit Sicherheit etwas Böses nachsagen konnte.

Nun ja, so wird man sprechen, der Erschlagene wird sich eben selber durch unbesonnene, freche Reden oder durch die Papiere und gestohlenen Güter, die man 43 bei ihm fand, als ein Mordbrenner, als Kirchenräuber oder als radikaler Aufwiegler des Volkes kundgegeben haben.

Ausgesagt hatte der Erschlagene nichts, und ich glaube, er hätte sein Schweigen selbst unter den Martern einer Folter nicht gebrochen; Papiere fand man keine und überhaupt außer einer Hand voll überreifer Hagebutten nichts Besonderes bei ihm; • für einen Mordbrenner hätten ihn wohl selbst seine ärgsten Feinde nicht ausgegeben;

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Kirchenräuber war er ebensowenig, ja man darf mit gutem Grunde vermuten, daß er niemals in seinem Leben eine Kirche betreten hatte; einen Volksaufwiegler konnte man ihn auch nicht nennen, obgleich er vielleicht von manchen kommunistischen Gesinnungen nicht freizusprechen war.

Aber, so wird man weiter fragen, in welchem barbarischen Lande der Türken oder Heiden hat sich ein solch himmelschreiendes Unrecht zugetragen?

Nicht in der Türkei, noch bei den Heiden ist es geschehen, sondern in einem ganz guten christlichen Lande, unter den Augen einer sonst mit Recht als mild gepriesenen Regierung, und der geneigte Leser soll sogleich erfahren, wo und wie sich 10 die Sache zugetragen hat.

In ein Landgericht des Oberetsch-Kreises in Tirol trat an einem nebligen Winterabend, als schon Licht angezündet war, ein Mann herein, mit verstörten Mienen, in der Hand eine Holzart haltend, welche, wie die Hände und das zerfette Gewand des Mannes, stark mit Blut befleckt war, von dem man nicht wissen konnte, 15 ob es aus seinem eigenen, an vielen Stellen verwundeten Körper oder aus einem fremden geflossen sei. Doch er selber ließ hierüber keinen Zweifel, indem er mit lauter Stimme ausrief: „Ich, Herr Landrichter, habe ihn erschlagen, und mein Orts vorstand kann es bezeugen, daß es fein anderer getan hat als ich!"

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„Wie?" rief der Landrichter, indem er vom Stuhle aufsprang, du hast einen 20 erschlagen?" - Auch der Schreiber war aufgestanden und trat dem Manne näher; der Gerichtsdiener stellte sich, um ihm die Flucht abzuschneiden, vorsichtig zwischen diesen und die Tür. Man betrachtete jezt den Totschläger genauer und erkannte in ihm einen armen Weber und Tagwerker aus Burgeis, zwischen Mals und Nauders. Wahrhaftig, wenn dieser sich nicht selbst als Mörder angegeben hätte, kein Mensch 25 wäre auf den Gedanken geraten, ihn für einen zu halten; denn seinen schwachen Gliedern und eingefallenen Wangen sah man nur zu sehr die meist sigende Lebensart und die nahrlosen Zeiten an, und von seiner Kampflust hatte man auch niemals etwas gehört. Vielmehr wußte jeder, der den Weber kannte, daß sich dieser, wenn in seiner Gegenwart etwa an einem öffentlichen Ort ein Streit ausbrach, sogleich 30 auf und davon machte, weil, wie er zu sagen pflegte, ihm, wenn er streiten hörte, gar leicht die Galle überlaufe und seine Suppe ihm dann bitter schmeckte.

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Wann und wo", fragte der Landrichter, „hast du den Totschlag verübt?". Heute nachmittag, auf dem Berge ob dem Kloster", antwortete halblaut der Weber, den die strengen Mienen und die mit starker Stimme ausgesprochene Frage des Land85 richters in Schrecken setten. Und nicht wahr, Herr Landrichter", fuhr er in bittendem Tone fort,,,das Totschlagen gilt vor Gericht ebensoviel als das Totschießen ?"

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Der Landrichter, ohne sich durch die letteren Worte des Webers irremachen zu laffen, fragte, indem der Schreiber das ganze Verhör zu Protokoll nahm, weiter: Wo hast du den Körper des Erschlagenen liegen lassen?“

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,, unten auf meinem Holzschlitten", antwortete ganz unbefangen der Mörder, ,,denn er ist so schwer, daß ihn kaum zwei Mann zur Treppe herauftragen könnten." Während der Mörder dieses aussagte, trat der zweite Gerichtsdiener herein: ,,Herr Landrichter, sollen wir den Bären nicht von der Haustür hinweg in den Hof schieben? Es läuft gar soviel Blut von ihm heraus und beschmußt uns das 45 Steinplaster vor der Tür."

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Jetzt ging dem Landrichter, sowie seinem Schreiber erst das rechte Licht auf über den Totschlag des Webers, den ein heftiger Schreck auf einmal zum Helden gemacht hatte, und aus dessen Munde, sowie aus dem Zeugnis des Ortsvorstandes und etlicher anderer Leute man nun den Hergang auf folgende Weise erfuhr.

Der Weber war hinaufgestiegen auf den Berg, um für das winterliche Bedürfnis seines kleinen Haushaltes einiges Gestrüpp von Zwergfichten zu fällen; da brach, als er mitten in der Arbeit war, ein großer Bär aus dem Gebüsch hervor.

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