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wurden, zogen zuerst in die Kirche, wo der Pfarrer eine Anrede an sie hielt, und dann durch die Straße in die Schule, wobei die Leute ihnen Brezeln schenkten. Nach und nach wandelte sich dieser einfache Hergang des ersten Schulbesuches, bei der im Mittelalter herrschenden Lebenslust und Freude am Scherzhaften, besonders aber am Vermummen, in ein immer lustiger werdendes Feft 5 um. Die neuen und die alten Schüler zogen, geführt von einem als Bischof verkleideten Knaben und zwei niederen Geistlichen, unter Glodengeläute in die Kirche, wo sich der Schülerbischof mit diesen Geistlichen am Altar niederseßte. Nach Anhörung der Rede des Pfarrers und nach Abfingung eines Gregoriusliedes verließ der Zug der Kinder die Kirche und bewegte sich unter Gesang zum Schulhause, wobei die Knaben, in mancherlei Berkleidungen und mit den ihnen geschenkten 10 Brezeln behangen, ihrem Bischof folgten. Später kam noch hinzu, daß dieses Fest mit der Aufführung einer geistlichen Komödie beschlossen wurde. Für dasselbe gab es hier und da bereits im 14. Jahrhundert Stiftungen zu Anschaffung und Verteilung von Brezeln. Schon früh nahm die Geistlichkeit Anstoß an der mit diesem Feste verbundenen Mummerei und an dem Scherze, welchen die Kinder unterwegs mit ihrem Bischof trieben. Sie verbot daher dasselbe. Dessenungeachtet er 15 hielt es sich, wiewohl nicht als Schuleröffnungs-Fest am Gregoriustage, sondern als sogenanntes Bischofsspiel auf Fastnacht, auf Andreä, am Nikolaustage, oder zur Weihnachtszeit, noch lange. In Hamburg war den Schülern vom Andreastage an bis zum 28. Dezember, folglich vier Wochen lang, erlaubt, mit ihrem Bischof durch die Straßen zu ziehen. Dort trieben sie außerdem auch noch am Gregoriustage das Bischofsspiel. In Braunschweig, wo sie außer einem Bischof auch noch einen 20 Abt aus ihrer Mitte ernannten, dauerten die mit diesem Fest verbundenen Mummereien und Beluftigungen vom Nikolaustage an bis zum 28. Dezember und waren mit öfteren Knabenprozeffionen und zum Schlusse mit einer Schmauserei verbunden; das ganze Fest wurde aber dort 1407 durch einen vom Papst bestätigten Beschluß des St. Blasius-Stiftes unterdrüdt. Übrigens war das Bischofsspiel der Knaben auch in England gebräuchlich.

25 Der Lehrstunden oder, wie man im Mittelalter sie nannte, Lektionen waren in den meisten Schulen täglich vier an der Zahl. Doch gab es auch Schulen mit fünf, oder auch nur mit drei täglichen Lehrstunden, wie z. B. die Speyerer Domschule im 14. Jahrhundert. Ja, für die Schule zu Halle schrieb Brenz in seiner Kirchenordnung von 1526 fogar nur zwei vor, eine am Vor- und eine am Nachmittag, und zwar mit der Motivierung: „dan es nichts nuß ist, das so man die Jungen einen ganzen Tag zwing by ein ander zu sizen“. Sonst nahm gerade im 16. Jahrhundert die Zahl der Lehrstunden zu; so erhielten z. B. die Badener Lateinschule 1541 und die Freiburger 1558 täglich sechs, erstere sogar sechs und eine halbe, das Eßlinger Gymnasium aber 1548 in den drei oberen seiner vier Klassen nicht weniger als acht. Daß am Mittwoch nachmittag der Unterricht ausgesetzt war, tommt meines Wissens zuerst in der Schulordnung der 85 Stadt Baden von 1541 vor. Die Verteilung der Lehrstunden war fast überall so gemacht, daß gleichviele auf den Vor- und Nachmittag fielen. Hier und da gab es auch noch eine abendliche Lehrstunde, z. B. an der Speyerer Domschule und in der clevischen Stadt Goch. In der Freiburger Lateinschule wurde 1558 eine Einrichtung gemacht, welche Thomas Platter bereits 1542 auch beim Baseler Gymnasium getroffen hatte: man ordnete nämlich die vier täglichen Lehrstunden 40 so an, daß sowohl vor- als nachmittags in ihre Mitte eine freie Stunde gelegt wurde, welche entweder zur Erholung der Schüler, oder zum Arbeiten derselben bestimmt war. Auch in der Schule von Baden war 1541 der dreistündige Vor- und Nachmittagsunterricht durch eine Freistunde unterbrochen, welche nicht in der Schule, sondern zu Hause zugebracht wurde. Der Nachmittags= unterricht begann fast überall um 12 Uhr, weil man im Mittelalter allenthalben um zehn oder 45 elf Uhr zu Mittag speiste und zwölf Uhr schon zum Nachmittag gerechnet ward. Am Vormittag begann in den meisten Städten der Unterricht im Sommer um sechs und während des Winters um fieben Uhr, in manchen (wie zu Baden, zu Freiburg im Breisgau und zu Gerolzhofen) sogar um fünf Uhr des Sommers und um sechs Uhr des Winters. In den meisten Städten erhielt sich dieser frühe Beginn des Schulunterrichtes noch bis zum 18. Jahrhundert. Selbst im äußersten so Nordosten des deutschen Sprachgebietes, nämlich zu Reval, begann die vornehmste der dortigen Schulen noch 1627 um sechs Uhr des Sommers und um sieben Uhr des Winters; zu Frankfurt aber wurde noch 1765, bei der Verbesserung der Gymnasialordnung, die Frage aufgeworfen, ob

nicht der alte „löbliche" Gebrauch, den Unterricht um halb sieben Uhr zu beginnen, wiederherz gestellt werden solle.

Von Schulprüfungen zeigt sich im Mittelalter keine Spur. Zwar nahm in den Stiftsschulen der mit der Aufsicht über dieselben betraute Prälat (der Scholaster) von Zeit zu Zeit eine solche vor; aber dies kann man doch nicht als eine Prüfung, sondern bloß als eine Schulvisitation s ansehen. Für die geistlichen Zöglinge der Konstanzer Schule stellte 1506 der Bischof einen Ge lehrten als besonderen Prüfungsmeister an, damit derselbe sie vor ihrer Ordination examiniere, was früher der dortige Domscholaster getan hatte. Auch von Schulprämien habe ich im Mittelalter nirgends etwas entdeďt. Sie tamen nebst den eigentlichen Schulprüfungen erst in der Reformationszeit auf. Zu Eßlingen gedenkt ihrer bereits die Schulordnung von 1548; in Frank 10 furt werden fie 1561 beim Gymnasium zum erstenmal erwähnt; in den dortigen Volksschulen aber wurden sie erst 1782 eingeführt.

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Regelmäßig wiederkehrende Einstellungen des Unterrichts während einer gewissen Zeit, oder Shulferien, gab es im Mittelalter nirgends; die Schüler erhielten nur diejenigen Tage frei, an welchen kirchliche Hauptfeste gefeiert wurden und deshalb alle Arten von Arbeiten eingestellt 15 waren. Jedoch war nicht überall an Sonn- und Feiertagen der Schulunterricht eingestellt. In Nürnberg z. B. fand, wie wir bereits wissen, an denselben regelmäßig Schulunterricht statt, und in Landau war dem Lehrer der Lateinschule geradezu verboten, wegen eines in der Woche eintretenden Feiertages den Unterricht auszusetzen. Dagegen hatte fast überall der Lehrer das Recht, den Schülern einmal einen oder mehrere freie Wochentage durch luft und spils willen irem libe zu 20 troft" zu gewähren. Auch geschah es mitunter, daß die Schüler dem Lehrer Geld für die Gewährung eines freien Lages anboten, und dieser darauf einging. Ja, man muß fast annehmen, daß die Schüler jedesmal, wenn ihnen ein oder mehrere Tage freigegeben wurden, diese Vergünstigung zu bezahlen hatten. Auf der Meißener Gelehrtenschule gab es noch im ganzen 16. Jahrhundert keine Ferien. Am frühesten habe ich regelmäßige Ferien bei der Freiburger Lateinschule erwähnt gefunden, 25 für welche die Schulordnung von 1558 vorschrieb, daß es nur im Herbst Ferien geben sollte, dieselben aber nicht über vierzehn Tage dauern dürften. Beim Frankfurter Gymnasium werden sie vor 1585 nicht erwähnt; sie umfaßten bei demselben damals die nächsten drei Wochen nach dem jährlichen Eramen.

Das Abhandensein von Ferien mußte im Mittelalter den Schulfesten eine größere Be- so beutung geben, zumal da Festlichkeiten überhaupt damals bei allen Ständen und Volksklaffen eine weit größere Rolle spielten als heutzutage. Von diesen Festen sind die am häufigsten erwähnten das Gregoriusfest und Bischofsspiel, die Schulkomödien und das Virgatum-Gehen. Des zuerst genannten ist bereits oben ausführlich gedacht worden, sowie der Schulkomödien in meiner Schrift über das deutsche Bürgertum. Auch das Virgatum - Gehen ist in dieser Schrift schon behandelt; ss ich bin aber mittlerweile in den Stand geseht worden, über dasselbe ausführlichere Mitteilungen zu machen und namentlich seine Entstehung anzugeben. Dieses Schulfest war allerdings dasselbe, was jezt die Maifeste und andere Auszüge der Jugend in die freie Natur sind. Allein es war mit einem die mittelalterliche Schuldisziplin bezeichnenden Gebrauche verbunden und hatte einen ganz andern Entstehungsgrund, als die Maifeste, das sogenannte Waisengrün und ähnliche Schulfreuden der so neueren Zeit, wenn nicht etwa einige dieser heutigen Feste noch Überreste des ehemaligen VirgatumGehens find.

Die Rute, in den lateinischen Schulen die virga genannt, war das Haupt-Strafmittel bei der Jugend des Mittelalters und wurde damals so häufig angewandt, daß jede Schule einen starken, immer wieder Ersaß heischenden Bedarf derselben hatte. In manchen Schulen wurde dez× 45 halb den sogenannten Kustoden, d. i. den zu Aufsehern ernannten Schülern, manchmal ein Tag freigegeben, damit sie im Walde Ruten schnitten. Dies geschah in der Revaler Domschule noch im Jahre 1627. Auch in Frankfurt herrschte dieser Gebrauch, was daraus hervorgeht, daß man daselbst die Schulrute die Kusto 3 - Virga nannte. Die lettere wird dort bei folgender, in den städtischen Liebfrauenstifts - Alten erwähnten Gelegenheit angeführt: „Ein Fürsprech reichte 1504 50 eine Injurientlage gegen mehrere Mitbürger ein und bezichtigte dieselben namentlich, daß sie, weil er schon mehrmals sich beschwerend an den Bürgermeister gewandt habe, ihn einen den Schulmeister

zu Hilfe rufenden Schüler nennten und auf der Straße ihm nachriefen, ob er vielleicht wieder zum Bürgermeister laufe, um die Kustos - Virga zu holen".

In manchen Städten war von alter Zeit her gebräuchlich, daß an einem Sommertage die ganze Schuljugend in den Wald zog, um die nötigen Ruten herbeizuschaffen. Man nannte dies in 5 Basel den Rutenzug, an anderen Orten aber das Virgatum-Gehen, weil die Schüler nach dem Ausdruck einer Schulordnung von 1578,,virgatum, ut vocant, producuntur". Bei demfelben pflegte die Schule einen ganzen Tag im Freien zuzubringen, wie bei unseren Maifesten, und da man im Mittelalter den Scherz in den Ernst einzumischen liebte, so machte auch die damalige Jugend aus einer für sie im Grunde traurigen Sache ein Fest der Freude. Lustig zogen die 10 Schüler, von den Lehrern geführt und von der halben Stadt begleitet, hinaus in den Wald. Dort tummelten sie sich, wenn die Ruten geschnitten waren, mit Maien geschmückt, herum, führten allerlei Spiele und gymnastische Übungen auf und wurden von Eltern und Lehrern bewirtet. Mit ihrer Plage beladen, tehrten sie abends in komischem Aufzuge, scherzend und entsprechende Lieder fingend, zur Stadt zurück.

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Das Fest des Virgatum-Gehens artete zulezt aus, indem Musik und Tanz an die Stelle der Leibesübungen traten, auch Trommler, Pfeifer, Lautenisten und andere Musikanten mitzogen. Es wurde deshalb in Regensburg 1554 verboten. Fünf Jahre später erlaubte man es zwar wieder, jedoch mit Beseitigung der Instrumentalmusik, mit Verbieten des Tanzes, mit Absonderung der Mädchen von den Knaben, und mit dem Befehle, daß es nicht mehr im Walde, sondern in einem 20 Stadtgraben, sowie an einem und demselben Tage nicht von mehreren Schulen zugleich gefeiert werde. In manchen Städten blieb dieses Fest bis weit in die neuere Zeit hinein bestehen. In Regensburg, wo es sich 1426 zum erstenmal erwähnt findet, hat es sich bis in unser Jahrhundert hinein erhalten. Dort wurde es später das Vakatum (der Tag der Vakanz) genannt, wahrscheinlich weil, wie Gemeiner meint, die eigentliche Bedeutung des Wortes virgatum (d. i. um Ruten zu 15 holen) aus dem Gedächtnisse geschwunden war.

Von den vielen anderen Schulfesten erwähnen wir schließlich nur noch eines, weil dasselbe in Deutschland wohl kaum bekannt geworden ist. Es ist das Gelage, welches bereits 1390 die Revaler Domschüler jährlich zweimal, nämlich in der Woche nach Michaelis und im Sommer, hielten, und welches in der lezteren Jahreszeit auf dem Felde gehalten wurde.

30 Wenn wir nun zur Besprechung der Disziplin in den mittelalterlichen Schulen und zu den bei ihrer Handhabung angewandten Mitteln übergehen, so muß vor allen Dingen eine dem Mittelalter eigentümliche Erscheinung dargestellt werden, weil dieselbe den größten Einfluß auf den sittlichen Zustand der Schulen ausgeübt hat. Wir meinen das jahrhundertelang vorgekommene, sowie noch nach dem Mittelalter sich lange Zeit erhaltende Treiben der sogenannten fahrenden Schüler, 35 oder, wie sie zulezt hießen, der Bachanten (Verkehrung des Wortes Vaganten, d. i. Umberstreifenden). Es waren dies junge Leute, welche von einer Stifts- oder Stadtschule oder Universität zur anderen wanderten und sich dabei Nachtlager und Kost, oder das Geld dafür durch Betteln verschafften. Sie führten fast insgesamt ein unsittliches Leben, erlaubten sich mitunter als Quadsalber, Taschenspieler, Schatgräber, Sänger u. dgl. m. Betrügereien und wirkten durch ihr Beispiel so 40 verführerisch, daß immer wieder andere Schüler sich auf die Wanderung begaben, und daß auch nicht wenige Mönche das Kloster verließen, um sich der gleichen Lebensweise hinzugeben. Die Zahl dieser Schulvagabunden war so groß, daß um 1400 in der Stadt Breslau allein sich zu gleicher Zeit deren mehrere Tausend aufgehalten haben sollen.

Ein solches Treiben war nur in Deutschland und nur in einem Zeitalter möglich, in welchem 45 die vielfache Spaltung der Nation in Staaten, Gemeinden, Standes- und Gewerkskorporationen, sowie eine ebenso große Mannigfaltigkeit der Rechtsverhältnisse das Bestehen und die Handhabung einer wirklichen Polizeigewalt unmöglich machten. Hierin allein lag jedoch der Grund des Aufkommens und der langen Fortdauer jener Erscheinung nicht; es wirkten vielmehr noch andere Umstände mit. Namentlich beförderten die vielen von frommen Leuten gestifteten Schulstipendien, so welche größtenteils in wöchentlichen oder auch täglichen Brotausteilungen bestanden, jenes Treiben.

Ebenso wirkte der Umstand mit, daß diejenigen Stiftsschüler, die sich zum Chorgefang ver

pflichteten, dafür Geld oder Brot erhielten, und daß dieselben auch bei Leichenbegångnissen und anderen Gelegenheiten sich ein Almosen erfangen. Es war dies eine besondere Form des Bettelns, welche einem fahrenden Schüler, wenn er in den Singchor der Schule eintrat, seine Eristenz erleichterte. Außerdem war aber auch das Betteln selbst von oben herab gestattet, weil man im Mittelalter und noch lange nachher sich ein Gewissen daraus machte, dasselbe an und für sich selbst zu verbieten. Die Nürnberger Bettelordnung von 1478 und die Würzburger von 1490 sprachen sogar geradezu aus, daß einem fahrenden Schüler, wenn er nur die Schule fleißig besuche, erlaubt sei, Almosen zu betteln.

Für Schüler, namentlich für herangewachsene, war es also eine leichte Sache, von einer Stadt zur andern zu ziehen, durch den Besuch einer Schule sich so lange, bis sie weiterzogen, am Genuß 10 der Stipendien zu beteiligen und alles außerdem noch Nötige bei den Bürgern zu erbetteln oder zu erfingen. Ein solches Leben war gerade für sie leichter zu führen, als für andere Bettler, weil der Schulbesuch fie in den Stand fette, sich unterwegs durch allerlei Künste, Erzählungen, gelehrte Dienstleistungen beliebt zu machen. Zugleich hatte dasselbe für sie nicht bloß den die Jugend anziehenden Reiz eines bunten, wechselreichen Lebens, sondern auch, bei der schlaffen Schuldisziplin, 16 den ebenso großen Reiz eines lustigen Zusammenseins im Wirtshause und beim Hasardspiele.

Dies alles allein erklärt jedoch das so lange Zeit in Deutschland bestandene Unwesen der fahrenden Schüler nicht. Es lag vielmehr noch ein anderer und vielleicht gerade der wichtigste Grund desselben im deutschen Nationalcharakter selbst. Dieser Grund ist die angeborene Wanderlust der Deutschen, die sich zum Unterschied von anderen Völkern noch bis auf unsere Zeit bei den 20 deutschen Studenten und Handwerksburschen erhalten hat. Fast in allen Biographieen, welche uns aus dem deutschen Mittelalter überliefert worden sind, zeigt sich eine große Beweglichkeit und ein Hin- und Herwandern der jungen Leute vom Gewerb wie vom Gelehrtenstande. Ja, die Sache ist durchaus deutsch, daß der französische Lexikograph Ducange als Ausländer kein Verständnis für fie hatte und die fahrenden Schüler, weil er mehrere Konzilienbeschlüsse gegen sie vorfand, für eine 25 Sette (,,ordo seu secta“) hielt.

Wir haben es also mit einem besonderen Charakterzug des deutschen Volkes zu tun. Dieser wirkte im Mittelalter auf eine so tief eingreifende Weise, daß Mone gewiß recht hat, wenn er vermutet, von den vielen für arme Schüler gemachten Stiftungen sei ein Teil durch den von den fahrenden Schülern getriebenen Unfug veranlaßt worden und aus der Absicht hervorgegangen, 30 diese vermittelst des Stipendiengenusses in bleibende Verbindung mit einer Kirche zu bringen und dadurch vom Umherschweifen abzuhalten. Sehr auffallend ist die äußerst seltene Erwähnung der fahrenden Schüler in einer Stadt wie Frankfurt, welche unausgefeßt einen starken Zuzug von Fremden hatte. Ich habe die fahrenden Schüler in frankfurtischen Schriften des Mittelalters sogar nur ein einziges Mal (1480) erwähnt gefunden, obgleich es in Frankfurt drei Stiftsschulen und 35 nicht wenige Stiftungen für Schüler gab. Einen Erklärungsgrund weiß ich nicht dafür aufzufinden, außer daß jene Schüler dort vielleicht stets mit dem öfters vorkommenden allgemeinen Ausdrucke „fahrende Leute“ bezeichnet worden sind. In anderen Städten fand das Umgekehrte statt: Ulm führte um 1500 fogar den Beinamen grandis Bachandria. Übrigens gab es schon im 14. Jahrhundert (1390) auch eine Bruderschaft der fahrenden oder (was dasselbe ist) elenden Schüler; sie 40 hatte ihren Sitz in Worms.

Die Schuldisziplin mußte durch die fahrenden Schüler in allen Städten sehr beeinträchtigt werden und schon um ihretwillen schwer zu handhaben sein. Hierzu bedenke man noch, daß damals überhaupt die Menschen derber, roher und schwerer zu leiten waren. Deshalb ist denn auch in den Amtseiden der Lehrer und in anderen Vorschriften für die Stifts- wie für die übrigen 45 Schulen die Rede von Lärmen, Plaudern, Schreien und anderen Ungezogenheiten, welche sogar während des Gottesdienstes vorkämen und von den Lehrern nicht geduldet werden sollten. Ebenso wird aus Braunschweig berichtet, daß sowohl während des Gottesdienstes in der Kirche, als auch bei Prozessionen der jugendliche Übermut zuweilen durch Backenstreiche und Zupfen am Ohr niedergedrückt werden mußte. Eine Übereinkunft zwischen den geistlichen Vorstehern zu Braunschweig von 501370 gestattete fogar jedem Rektor, folche Strafen bei Prozessionen auch den anwesenden Zöglingen einer andern Schule als der seinigen zu erteilen: ein Beweis, wie nötig dieselben waren. Selbst

von Dolchen, welche die Schüler trügen und in die Schule mitbrächten, ist öfters die Rede. Das lettere bezieht sich allerdings nicht stets auf Knaben, sondern hauptsächlich auf die jungen Leute, die sich in der oberen Klasse der Stiftsschule befanden. Indessen spricht auch die Eßlinger Schulordnung von 1548 für das dortige städtische Gymnasium das Verbot aus, Weidmesser und Dolche in die Schule mitzubringen. Ebenso werden 1296 in Wien und hundert Jahre später bei der Speyerer Domschule die Schwerter und Stechmesser den Schülern besonders verboten, so daß wir aus allen diesen Angaben auf das sittliche Wesen der Schuljugend in ganz Deutschland zurüðschließen können. Da nun ebenso damals in Wien, wie 1456 in der Stadt Überlingen die Behörde sich gegenüber dem Schulrektor verpflichtete, die der Strafe sich widerseßenden Schüler 10 aus der Stadt zu treiben, so sieht man, daß es hauptsächlich die fremden Schulzöglinge, d. h. die fahrenden Schüler, waren, gegen welche jenes Verbot gerichtet war. Auch der Wirtshausbefuch und das Spielen um Geld, welches beides den Schülern hier und da verboten werden mußte, deutet darauf hin.

Das überall am häufigsten gebrauchte Strafmittel war die Rute. Die häufige Anwendung 15 dieses Strafmittels war ebenso schon im 14. Jahrhundert den Schulrektoren geradezu befohlen, wie sie noch in der Eßlinger Schulordnung von 1548 den Lehrern zur Pflicht gemacht wird. In Heidelberg wurde 1567 ein Pädagoglehrer sogar entlassen, weil er „die Rute nicht brauchen wolle gegen die Jungen". Vergebens hatte der verständige Mann sich durch die Erklärung zu rechtfertigen gesucht: man müsse zwar Zucht halten, aber bei der Strafe auch das Alter der Schüler berücksichtigen; unter den feinigen befänden sich Leute von 19 Jahren, und diese zu schlagen sei unvernünftig, unnüß und zwecklos, man könne auch mit Worten strafen. Übrigens waren es niemals die Backen, die Hände und der Rücken, sondern stets ein gewisser anderer Teil des Körpers, an welchem die Strafe vollzogen wurde. Überall wurde es hiermit auf gleiche Weise gehalten. In der Nürnberger Schulordnung von 1500 hielt man für nötig, dies bestimmt auszusprechen. „Der 25 Schulmeister soll" · heißt es daselbst - ,,bei seinen Collaboratoribus vnd Mithelfern verfügen vnd auch selbs daran seyn, die Knaben mit Rutten in die Hintern zimlicher weis vnd nit off die Häupter, Hennd oder sunst greblich zv straffen vnd zv hawen.“ Mancher Lehrer scheint auch das mals am Schlagen seine Freude gehabt und dasselbe über Gebühr geübt zu haben. Dies geht u. a. daraus hervor, daß das Frankfurter Bartholomäusstift nötig fand, in den Amtseid seines Schulso rektors die Worte aufzunehmen, er wolle, soweit es möglich sei, den Schülern nicht unverdienterweise wehetun.

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Vom Beginne des 16. Jahrhunderts an erscheint als Zuchtmittel in den lateinischen Schulen neben der Rute noch der sogenannte Asinus. Dieses Mittel kommt damals, sowie noch im 17. Jahrhundert, in Nürnberg, Ulm, Basel und anderen Städten vor. Was unter diesem Worte 35 zu verstehen ist, geht deutlich aus folgender Verfügung des Freiburger Stadtrates von 1608 hers vor: „Vnd damit ferners latina lingua desto mehr exerciert, soll so woll in des präceptoris, als cantoris vnd darbei rectoris lection (d. i. Lehrstunden) ein hölzerner Esell off einem prett ges schnitten oder gemalt verordnet werden, wie auch vor diesem solches gehalten vnd durch jedwede lection präceptoris, post finitam lectionem, denselben nachgefragt vnd zu wahrer disciplin zu 40 reiten offerlegt worden“. Es mußte also jeder straffällig gewordene Schüler am Ende der Lehrstunde sich dem Schimpfe unterziehen, einen in der Schulstube stehenden hölzernen Esel zu besteigen. In Nürnberg, wo neben diesem Esel auch noch ein Wolf (Lupus) gebräuchlich war, wurde um 1500 für die zwei oberen Klassen der Lateinschule verordnet, daß jeder, welcher an einem Lage dreimal den Lupus oder Asinus gehabt habe, noch dazu mit Ruten bestraft werden solle. Es aab 45 übrigens mehrere Arten dieses Esels, nämlich einen Asinus morum, garrulitatis et strepitus, welcher in allen Lehrzimmern stand, einen Asinus Germanismi in den oberen Klassen für die Schüler, die sich der deutschen Sprache statt der lateinischen bedienten, und einen Asinus soloecismi in der obersten Klasse für diejenigen, die sich beim Lateinisch-Sprechen und Schreiben grobe Vers stöße zuschulden kommen ließen.

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Zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung waren in manchen Schulen mehrere Schüler zu Aufsehern bestellt. In Nürnberg nannte man dieselben die Aufmerker, in anderen Städten die Kustoden. Auch in betreff des Unterrichtes pflegte man sich der Mithilfe einzelner Schüler zu

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