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zur Quelle Siloah! Der Teich Bethesda erinnert an die heilende Kraft der Natur und läßt im Anblic seiner von Mauern überbauten Tiefe die von Schrecniffen erfüllte Seele sich einigermaßen wieder beruhigen. Am Ende des Tales Josaphat liegt die Quelle Siloah. Könige und Propheten haben auf das Rieseln dieses Quells gehorcht; wenn sie Trost suchen wollten in der Bekümmernis, setzten sich die Edeln in seine Kühle. Nirgends in der ganzen Umgegend Jerusalems kann der Wanderer mit einem Trunke Wassers sich erfrischen; nirgends findet er Schatten, um auszuruhen von der Mühseligkeit der Reise; nur hier am Quell Siloah ist ihm vergönnt, die lechzende Zunge zu erfrischen, den vertrockneten Gaumen zu neßen und das ermattete Haupt im Schatten niederzulegen. Wenn die Frauen aus dem Dorfe Siloah kommen, 10 um sich Wasser zu schöpfen, und die Stufen hinabsteigen, welche in den Felsen ges hauen sind, und in stillem Sinnen die Krüge füllen, dann meint der Reisende in die Zeit des grauesten Altertums sich zurückverseßt, und lebendig vor seinen Augen steigen jene schönen Bilder auf, welche die Bibel uns malt von den Töchtern der Patriarchen und dem Werben der Hirten, welche Stamm- und Erzväter wurden.

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Auf Morija, dem Tempelberge, auf derselben Stätte, wo einst der alte jüdische Tempel gestanden, steht mit hoch emporgewölbter Kuppel die Moschee des Omar, nächst der Moschee in Mekka der Mohammedaner größtes Heiligtum; denn in ihr soll die Stelle sein, wo Mohammed gen Himmel fuhr. Bei Todesstrafe ist der Zutritt in dieses Heiligtum jedem andern Menschenkinde, als dem Bekenner des Islams, 20 versagt. So heilig halten die Mohammedaner ihre Monumente; zu dem Allerheiligsten der Christen aber führen die Verehrer des Propheten den Schlüffel.

Durch den Kessel des Toten Meeres ist die Aussicht gegen Südost hin begrenzt. Ich schweige von all dem Schauerlichen, was man von dem Toten Meere erzählt; es ist wie besonders geschaffen für diese Gegend des düsteren Schweigens und der 25 Trauer. Von der Terrasse auf der Grabeskirche erscheint bisweilen das Tote Meer wie ein spiegelglatter See, und gern läßt man in der dürren Gegend das Auge über dasselbe hinschweifen.

,,Dort im Osten", sagte der Führer zu mir, „sehen Sie Bethanien und den Olberg." Nächst Bethlehem ist Bethanien gewiß das lieblichste Dörflein, das 30 weit und breit der Reisende findet. Und welch teure Erinnerungen knüpfen sich an diese Stätte! Hier hat Lazarus gewohnt und Maria und Martha; in ihrem Kreise hat Jesus ausgeruht von der heiligen Arbeit, um neue Kräfte zu sammeln zur Ausführung des schweren Berufs, den er über sich genommen; hier hat der aus Jerusalem Verstoßene ein Obdach, der Heimatlose eine Heimat, der von seinem Volk einem 35 Missetäter gleich Verachtete Liebe und Ehre gefunden. Bethanien möcht' ich den Ort der stillen Liebe nennen; es ist so einsam, so traulich an den Berg gebaut, rings von schattigen Bäumen, von grünenden Feldern umgeben, daß man, wenn man's auch nur anschaut aus der Ferne, Wohnung darin machen möchte, umgeben von geliebten Herzen. Noch heute wallen alle Pilger besonders gern dorthin, und viele 40 Christen verweilen daselbst, um sich der Erinnerung an die Stunden zu erfreuen, da Jesus in Lazarus' Haus ausstrahlte allen Glanz seiner Liebe, und wo der Geliebte Liebe um Liebe genoß. Wäre der Orient zur neuen Heimat mir beschieden, so möcht' ich mit jenen Christen in Bethanien wohnen und oft vorübergehen an Lazarus' Haus und der Martha gedenken und ihrer Schwester Maria. Lange ruhte mein Blick auf Bethanien, der Heimat der Seelen, welche der Herr lieb hatte, und die Seele war mir bewegt von unbeschreiblicher Wallung.

Mit Bethanien übersieht das Auge den Olberg. Der Olberg - jede Spanne des Berges eine Geschichte! Nahe am Olberg liegt Gethsemane, unten an seinem Fuße der Olivengarten und oben auf dem Gipfel die Himmelfahrtskirche. Steht der 50 Sinai in der Wüste wie ein Berg des Zorns, so ist der Ölberg mit seinen Bäumen wie ein Berg des Friedens anzuschauen. Ich konnte mein Auge fast nicht wenden

von den heiligen Hügeln; nur unvermerkt schweifte es mir hin und wieder nach
Bethanien hinüber..
Noch einmal trank ich mit vollstem Zuge das heilige
Schauspiel und wandte mich dann mit dem Wunsche des heimatlichen Dichters ab:
Bleibt mir nah' mit eurem heil'gen Walten,
Hohe Bilder, himmlische Gestalten!"

105. Schilderungen aus Südamerika. (1806.)
Von A. v. Humboldt.

Ansichten der Natur. Stuttgart und Augsburg 1859. Bd. I, B. 19 u. 163. (Gekürzt.)

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Wenn unter dem senkrechten Strahle der nie bewölkten Sonne die verkohlte Gras10 decke in Staub zerfallen ist, klafft der erhärtete Boden auf, als wäre er von mächtigen Erdstöfsen erschüttert. Berühren ihn dann entgegengesetzte Luftströme, deren Streit sich in kreisender Bewegung ausgleicht, so gewährt die Ebene einen seltsamen Anblick Als trichterförmige Wolken, die mit ihren Spitzen an der Erde hingleiten, steigt der Sand dampfartig empor gleich den rauschenden Wasserhosen, die der erfahrene 15 Schiffer fürchtet. Ein trübes, fast strohfarbiges Halblicht wirft die nun scheinbar niedrigere Himmelsdecke auf die verödete Flur. Der Horizont tritt plötzlich näher. Er verengt die Steppe, wie das Gemüt des Wanderers. Die heifse, staubige Erde, welche im nebelartig verschleierten Dunstkreise schwebt, vermehrt die erstickende Luftwärme. Statt Kühlung führt der Ostwind neue Glut herbei, wenn er über den 20 langerhitzten Boden hinweht.

Auch verschwinden allmählich die Lachen, welche die gelbgebleichte Fächerpalme vor der Verdunstung schützte. Wie im eisigen Norden die Tiere durch Kälte erstarren, so schlummert hier unbeweglich das Krokodil und die Boaschlange, tief vergraben in trockenem Letten. Überall verkündet Dürre den Tod. In finstere Staubwolken ge15 hüllt, von Hunger und brennendem Durste geängstigt, schweifen Pferde und Rinder umber, diese dumpf aufbrüllend, jene mit langgestrecktem Halse gegen den Wind anschnaubend, um durch die Feuchtigkeit des Luftstromes die Nähe einer nicht ganz verdampften Lache zu erraten. Bedächtiger und verschlagener sucht das Maultier auf andere Weise seinen Durst zu lindern. Eine kugelförmige und dabei vielrippige Pflanze, 30 der Melonen-Kaktus, verschliefst unter seiner stacheligen Hülle ein wasserreiches Mark. Mit dem Vorderfusse schlägt das Maultier die Stacheln seitwärts und wagt es dann erst, die Lippen behutsam zu nähern und den kühlen Distelsaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebendigen Quelle ist nicht immer gefahrlos; oft sieht man Tiere, welche von Kaktusstacheln am Hufe gelähmt sind.

85 Folgt auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der hier immer gleich langen Nacht, so können Rinder und Pferde selbst dann nicht der Ruhe sich erfreuen. Ungeheure Fledermäuse saugen ihnen, während des Schlafes, vampirartig das Blut aus, oder hängen sich an dem Rücken fest, wo sie eiternde Wunden erregen, in welchen Moskitos und eine Schar stechender Insekten sich ansiedeln. So führen die Tiere ein schmerzenvolles 40 Leben, wenn von der Glut der Sonne das Wasser auf dem Erdboden verschwindet.

Tritt endlich, nach langer Dürre, die wohltätige Regenzeit ein, so verandert sich plötzlich die Scene in der Steppe. Das tiefe Blau des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Gewölk im Süden. Nebelartig breiten die Dünste sich über den Zenit aus. Den belebenden Regen verkündigt 45 der ferne Donner. Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die duftende Steppe mit mannigfaltigen Gräsern. Vom Lichte gereizt, entfalten krautartige Mimosen ihre gesenkt schlummernden Blätter und begrüfsen die aufgehende Sonne, wie der Frühgesang der Vögel und die sich öffnenden Blüten der Wasserpflanzen. Pferde und Rinder weiden nun im frohen Genusse des Lebens. Das hoch aufschiefsende Gras 50 birgt den schön gefleckten Jaguar. Im sicheren Verstecke auflauernd, erhascht er die vorüberziehenden Tiere, katzenartig, wie der asiatische Tiger. Bisweilen sieht man (so

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erzählen die Eingeborenen) an den Ufern der Sümpfe den befeuchteten Letten sich langsam und schollenweise erheben. Mit heftigem Getöse, wie beim Ausbruche kleiner Schlammvulkane, wird die aufgewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert. Wer des Anblickes kundig ist, flieht die Erscheinung; denn eine riesenhafte Wasserschlange oder ein gepanzertes Krokodil steigen aus der Gruft hervor, durch den ersten Regengufs aus 5 dem Scheintode erweckt.

Schwellen nun allmählich die Flüsse, so zwingt die Natur dieselben Tiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf dem wasserleeren, staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als Amphibien zu leben. Ein Teil der Steppe erscheint nun wie ein unermefsliches Binnenwasser. Die Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren 10 Bänke zurück, welche inselförmig über dem Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengt sich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide schwimmen die zusammengedrängten Tiere stundenlang umher und nähren sich kärglich von der blühenden Grasrispe, die sich über dem braun gefärbten, gärenden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwanze 16 zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde und Rinder, die, dem Rachen dieser blutgierigen Eidechsen entschlüpft, die Spur des spitzigen Zahnes am Schenkel tragen.

Ein solcher Anblick erinnert unwillkürlich den ernsten Beobachter an die Biegsamkeit, mit welcher die alles aneignende Natur gewisse Tiere und Pflanzen begabt hat. 20 Wie die mehlreichen Getreidearten, so sind Stier und Rofs dem Menschen über den ganzen Erdkreis gefolgt; vom Ganges bis an den Platastrom, von der afrikanischen Meeresküste bis zur Gebirgsebene des Antisana, welche höher als der Kegelberg von Teneriffa liegt. Hier schützt die nordische Birke, dort die Dattelpalme den ermüdeten Stier vor dem Strahle der Mittagssonne. Dieselbe Tiergattung, welche im östlichen 25 Europa mit Bären und Wölfen kämpft, wird unter einem andern Himmelsstriche von den Angriffen der Tiger und der Krokodile bedroht. Aber nicht die Krokodile und der Jaguar allein stellen den südamerikanischen Pferden nach; auch unter der Fischen haben sie einen gefährlichen Feind. Die Sumpfwasser von Bera und Rastro sind mit zahllosen elektrischen Aalen gefüllt, deren schleimiger, gelbgefleckter Körper aus jedem 30 Teile die erschütternde Kraft nach Willkür aussendet. Diese Gymnoten haben 5-6 Fuls Länge. Sie sind mächtig genug, die gröfsten Tiere zu töten, wenn sie ihre nervenreichen Organe auf einmal in günstiger Richtung entladen. Die Steppenstrasse von Uritucu mufste einst verändert werden, weil sich die Gymnoten in solcher Menge in einem Flüsschen angehäuft hatten, dafs jährlich vor Betäubung viele Pferde in der 36 Furt ertranken. Auch fliehen alle anderen Fische die Nähe dieser furchtbaren Aale. Selbst den Angelnden am hohen Ufer schrecken sie, wenn die feuchte Schnur ihm die Erschütterung aus der Ferne zuleitet. So bricht hier elektrisches Feuer aus dem Schofse der Gewässer aus. Ein malerisches Schauspiel gewährt der Fang der Gymnoten. Man jagt Maultiere und Pferde in einen Sumpf, den die Indianer eng umzingeln, bis 40 der ungewohnte Lärm die mutigen Fische zum Angriffe reizt. Schlangenartig sieht man sie auf dem Wasser schwimmen und sich verschlagen unter den Bauch der Pferde drängen. Von diesen erliegen viele der Stärke unsichtbarer Schläge. Mit gesträubter Mähne, schnaubend, wilde Angst im funkelnden Auge, fliehen andere das tobende Ungewitter. Aber die Indianer, mit langen Bambusstäben bewaffnet, treiben sie in 45 die Mitte der Lache zurück. Allmählich lässt die Wut des ungleichen Kampfes nach. Wie entladene Wolken zerstreuen sich die ermüdeten Fische. Sie bedürfen einer langen Ruhe und einer reichlichen Nahrung, um zu sammeln, was sie an galvanischer Kraft verschwendet haben. Schwächer und schwächer erschüttern nun allmählich ihre Schläge. Vom Geräusche der stampfenden Pferde erschreckt, nahen sie sich 60 furchtsam dem Ufer, wo sie mit Harpunen verwundet und mit dürrem, nicht leitendem Holze auf die Steppe gezogen werden.

Nördlich zwischen der Gebirgskette von Venezuela und dem Antillischen Meere liegen gewerbsame Städte, reinliche Dörfer und sorgsam bebaute Fluren aneinandergedrängt. Selbst Kunstsinn, wissenschaftliche Bildung und die edle Liebe zu Bürgerfreiheit sind längst darinnen erwacht. Gegen Süden umgibt die Steppe eine schauder5 volle Wildnis. Tausendjährige Wälder, ein undurchdringliches Dickicht erfüllen den feuchten Erdstrich zwischen dem Orinoko und dem Amazonenstrome. Mächtige, bleifarbige Granitmassen verengen das Bett der schäumenden Flüsse. Berge und Wälder hallen wider von dem Donner der stürzenden Wasser, von dem Gebrüll des Jaguars und dem dumpfen, Regen verkündenden Geheule der bärtigen Affen. Wo der seichte 10 Strom eine Sandbank übrig läfst, da liegen mit offenem Rachen, unbeweglich wie Felsstücke hingestreckt, oft mit Vögeln 1) bedeckt, die ungeschlachten Körper der Krokodile. Den Schwanz um einen Baumast befestigt, zusammengerollt, lauert am Ufer, ihrer Beute gewifs, die schachbrett-fleckige Boaschlange. Schnell entrollt und vorgestreckt, ergreift sie in der Furt den jungen Stier oder das schwächere Wildbret und zwängt den Raub, in 15 Geifer gehüllt, mühsam durch den schwellenden 2) Hals. In dieser grofsen und wilden Natur leben mannigfaltige Geschlechter der Menschen. Durch wunderbare Verschiedenheit der Sprachen gesondert, sind einige, nomadisch, dem Ackerbau fremd, Ameisen, Gummi und Erde geniefsend, ein Auswurf der Menschheit (wie die Otomaken und Jaruren); andere, angesiedelt, von selbsterzielten Früchten sich nährend, verständig 20 und sanfterer Sitten (wie die Maquiritarer und Makos). Grofse Räume zwischen dem Cassiquiare und dem Atabapo sind nur vom Tapir und von geselligen Affen, nicht von Menschen bewohnt. In Felsen gegrabene Bilder beweisen, dass auch diese Einöde einst der Sitz höherer Kultur war. Sie zeugen für die wechselnden Schicksale der Völker, wie es auch die ungleich entwickelten, biegsamen Sprachen tun, die zu den unvergäng25 lichsten historischen Denkmälern der Menschheit gehören. Wenn aber in der Steppe Tiger und Krokodile mit Pferden und Rindern kämpfen, so sehen wir dagegen an ihrem waldigen Ufer, in den Wildnissen der Guyana, ewig den Menschen gegen den Menschen gerüstet. Mit unnatürlicher Begier trinken hier einzelne Völkerstämme das ausgesogene Blut ihrer Feinde; andere würgen, scheinbar waffenlos und doch zum Morde vorbereitet, 30 mit vergiftetem Daumnagel. Die schwächeren Horden, wenn sie das sandige Ufer betreten, vertilgen sorgsam mit den Händen die Spur ihrer schüchternen Tritte. So bereitet der Mensch auf der untersten Stufe tierischer Roheit, so im Scheinglanze seiner höheren Bildung sich stets ein mühevolles Leben. So verfolgt den Wanderer über den weiten Erdkreis, über Meer und Land, wie den Geschichtsforscher durch alle Jahrhunderte, das 35 einförmige, trostlose Bild des entzweiten Geschlechts. Darum versenkt, wer im ungeschlichteten Zwiste der Völker nach geistiger Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in der heiligen Naturkraft inneres Wirken; oder hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtausenden der Menschen Brust durchglüht, blickt er ahnungsvoll aufwärts zu den hohen Gestirnen, welche in ungestörtem Einklange die alte 40 ewige Bahn vollenden.....

An den Küsten von Cumaná, Neu-Barcelona und Carácas, welche die Franziskanermönche der Guyana auf ihrer Rückkehr aus den Missionen besuchen, ist die Sage von erdefressenden Menschen am Orinoko verbreitet. Wir haben am 6. Junius 1800 auf unserer Rückreise vom Rio Negro, als wir in 36 Tagen den Orinoko herabschifften, einen 45 Tag in der Mission zugebracht, die von den erdefressenden Otomaken bewohnt wird. Das Dörfchen heifst La Conception und ist sehr malerisch an einen Granitfelsen angelehnt. Die Erde, welche die Otomaken verzehren, ist ein fetter, milder Letten, wahrer Töpferton

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1) Die Krokodile liegen so unbeweglich, dafs ich Flamingos auf ihrem Kopfe ruhend gesehen habe. Der ganze Leib war dabei, wie ein Baumstamm, mit Wasservögeln bedeckt. 2) Der Speichel, mit dem die Boa ihre Beute bedeckt, vermehrt die schnelle Fäulnis. Das Muskelfleisch wird dadurch erweicht, so dafs die Schlange ganze Glieder des erlegten Tieres durch den schwellenden Hals zwängt.

von gelblichgrauer Farbe, mit etwas Eisenoxyd gefärbt. Sie wählen ihn sorgfältig aus und suchen ihn in eigenen Bänken am Ufer des Orinoko und Meta. Sie unterscheiden im Geschmack eine Erdart von der andern, denn aller Letten ist ihnen nicht gleich angenehm. Sie kneten diese Erde in Kugeln von 4-6 Zoll Durchmesser zusammen und brennen sie äufserlich bei schwachem Feuer, bis die Rinde rötlich wird. Beim Essen wird 5 die Kugel wieder befeuchtet. Diese Indianer sind gröfstenteils wilde, Pflanzenbau verabscheuende Menschen. Es ist ein Sprichwort unter den entferntesten Nationen am Orinoko, von etwas recht Unreinlichem zu sagen: „So schmutzig, dafs es der Otomake frifst". Solange der Orinoko und der Meta niedriges Wasser haben, leben diese Menschen von Fischen und Schildkröten. Erstere werden durch Pfeile erlegt, wenn sie auf die Ober- 10 fläche des Wassers kommen, eine Jagd, bei der wir oft die grofse Geschicklichkeit der Indianer bewundert haben. Schwellen die Ströme periodisch an, so hört der Fischfang auf; denn im tiefen Flufswasser ist es so schwer als im tiefen Ozean zu fischen. In dieser Zwischenzeit, die 2-3 Monate dauert, sieht man die Otomaken ungeheure Quantitäten Erde verschlingen. Wir haben in ihren Hütten grofse Vorräte davon gefunden, pyrami- 15 dale Haufen, in denen die Lettenkugeln zusammengehäuft waren. Ein Indianer verzehrt, wie uns der verständige Mönch Fray Ramon Bueno, aus Madrid gebürtig (der 12 Jahre lang unter diesen Indianern lebte), versicherte, an einem Tage 3/4-1 Pfund. Nach der Aussage der Otomaken selbst ist diese Erde während der Regenzeit ihre Hauptnahrung. Sie essen indessen dabei hier und da (wenn sie es sich verschaffen können) 20 eine Eidechse, einen kleinen Fisch und eine Farnkraut-Wurzel. Ja sie sind nach dem Letten so lüstern, dafs sie selbst in der trockenen Jahreszeit, wenn sie Fischnahrung genug haben, doch als Leckerbissen täglich nach der Mahlzeit etwas Erde verzehren. Diese Menschen haben eine dunkel-kupferbraune Farbe. Sie sind von unangenehmen, tartarischen Gesichtszügen, feist, aber nicht dickbäuchig. Der Franzis- 25 kanermönch, welcher als Missionar unter ihnen lebt, versichert, dafs er in dem Befinden der Otomaken während des Erdeverschlingens keine Veränderung bemerkte.

Die einfachen Tatsachen sind also diese: Die Indianer verzehren grofse Quantitäten Letten, ohne ihrer Gesundheit zu schaden; sie selbst halten die Erde für einen Nahrungsstoff, d. h. sie fühlen sich durch ihren Genufs auf lange Zeit gesättigt. Sie 30 schreiben diese Sättigung dem Letten, nicht der anderweitigen sparsamen Nahrung zu, welche sie sich neben der Erde hier und da zu verschaffen wissen. Befragt man den Otomaken nach seinem Wintervorrat (Winter pflegt man im heifsen Südamerika die Regenzeit zu nennen), so zeigt er auf die Erdhaufen in seiner Hütte. Aber diese einfachen Tatsachen entscheiden gar noch nicht die Fragen: kaun der Letten wirklich 85 Nahrungsstoff sein; können Erden assimiliert werden; oder dienen sie nur als Ballast im Magen; dehnen sie blofs die Wände desselben aus und verscheuchen sie auf diese Weise den Hunger? Über alle diese Fragen kann ich nicht entscheiden. Dafs die Otomaken durch den Genufs so vieler Erde nicht erkranken, scheint mir besonders auffallend. Ist dieses Volk seit vielen Generationen an diesen Reiz gewöhnt? In allen 40Tropenländern haben die Menschen eine wunderbare, fast unwiderstehliche Begierde, Erde zu verschlingen, und zwar nicht sogenannte alkalische (Kalkerde), um etwa Säuren zu neutralisieren, sondern fetten, starkriechenden Letten. Kinder mufs man oft einsperren, damit sie nach frischgefallenem Regen nicht ins Freie laufen und Erde essen. Die indianischen Weiber, die am Magdalenenflusse im Dörfchen Banco Töpfe drehen, 46 fahren, wie ich mit Verwunderung gesehen, während der Arbeit mit grofsen Portionen Letten nach dem Munde. Aufser den Otomaken erkranken die Individuen aller anderen Völkerstämme, wenn sie dieser sonderbaren Neigung nach dem Genusse des Lettens lange nachgeben. In der Mission San Borja fanden wir das Kind einer Indianerin, das nach Aussage der Mutter gar nichts als Erde geniessen wollte, dabei aber auch schon 50 skelettartig abgezehrt war. Warum ist in den gemäfsigten und kalten Zonen diese krankhafte Begierde nach Erde um so viel seltener? Ja, man darf behaupten, dass in den

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