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ein frommes Leben zu verherrlichen. Dann schlief fie unter Gebeten ein, und als sie zu Grabe getragen wurde, die Priester mit den brennenden Kerzen voran, und hinter dem Sarge der Pfalzgraf in tiefer Trauer und Schmerzenreich an seiner Seite und vieles Volk hinter ihnen, ging auch die treue Hirschkuh mit tief gesenktem Kopfe neben dem Sarge her. Und als dieser 5 in der Kirche in die Gruft gelassen wurde, sah sie ihm mit unverwandten Blicken nach, legte sich dann an die Tür der Kirche, und da sie kein Futter mehr nahm, starb fie in wenigen Tagen und wurde unter einem Baume auf dem Kirchhofe eingescharrt.

Der Jammer des Pfalzgrafen war nun unbeschreiblich. Am Tage hatte er keine Ruhe und nachts keinen Schlaf, und es kam ihm bisweilen vor, als drückte ihn die Last der alten 10 Schuld noch mehr als vordem, weil er nun nichts mehr tun konnte, um seiner armen Genoveva Liebe zu zeigen. Wie nun Schmerzenreich die tiefe Betrübnis seines Vaters sah, wußte er ihn doch, so klein er auch war, mit klugen Worten zu trösten, indem er sagte, seine fromme Mutter hätte sich ja zu aller Zeit nach dem Himmel gesehnt und ihr voriges Elend als eine Vorbereitung dazu angesehen; darum solle er sich doch nicht betrüben, da ihr Wunsch in Er16 füllung gegangen. Vielmehr habe sie ihnen ja durch ihren gottseligen Tod den rechten Weg zum Himmel gezeigt. Nun erfreute es zwar den Grafen, daß der Knabe so klug und fromm sprach; aber den Schmerz konnten ihm diese Reden doch nicht von dem Herzen nehmen. So ging er denn eines Tages in seiner tiefen Betrübnis in den Wald, in welchem Genoveva die sieben Jahre des Jammers und des Elends durchlebt hatte, und kam bis zu dem Felsentale 20 und in die enge Höhle und legte sich hier auf das Lager, wo sie sich so oft gehärmt hatte, und bedachte da alles, ihr Elend und seine eigene Schuld, und weinte lang und bitterlich. Endlich schlief er ein. Da kam es ihm vor, als ob er seine Genoveva sehe in aller ihrer vormaligen Schönheit, und alle Herrlichkeit des Himmels war um sie her, und die Engel stiegen auf und ab, und sie sah mit seligen und verflärten Blicken darein. Dann neigte sie ihr liebes, holdes 25 Gesicht zu ihm und bot ihm die Hand, und er meinte, sie zöge ihn zu sich hinauf. Und als er erwachte, fühlte er eine solche Freudigkeit in sich, als er noch nicht gehabt hatte; und weil ihm der Ort so tröstlich gewesen war, beschloß er, auch hier zu leben und zu sterben und, wo die Höhle war, eine Kirche zu bauen. So tat er denn auch, verließ sein Schloß und Land und lebte hinfort als ein Einsiedler in dem Felsentale. Schmerzenreich aber wollte nun auch nicht 30 mehr ohne Vater und Mutter in der Welt leben, sondern zog zu ihm in die alte Einsamkeit und erfreute ihn lange durch seine Klugheit und Frömmigkeit. Und als sein Vater gestorben war, blieb er dennoch hier und besprach sich mit den Leuten, die zahlreich zu der Kirche wallfahrteten, und belehrte und ermahnte sie und diente Gott, solang' er lebte.

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48. Die heilige Lanze zu Antiochien.

Von F. v. Raumer.

Geschichte der Hohenstaufen. Leipzig 1840. Bd. I, S. 580.

Auf dem Zuge, welchen die Christen unter Anführung des frommen Herzogs Gottfried von Bouillon, des Grafen von Toulouse und anderer Fürsten antraten, um das heilige Land und Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien, 40 gelangten sie nach Antiochien und belagerten die Stadt. Nach sieben Monaten sah man jedoch noch keinen Erfolg; die Angriffe der Feinde, der Mangel an Lebensmitteln und ein furchtbares Erdbeben erzeugten große Not im Lager der Christen.

Es war daselbst unter ihnen Petrus, ein Bilger, arm und geringer Herkunft, aber fromm. Er konnte weder lesen noch schreiben; doch das Vaterunser, den 45 Glauben, das Gloria und das Benediktus betete er mit einfachem Sinne, wie man es ihn gelehrt hatte. Einsam_ruhte dieser einst in seinem Zelte und rief in schlafloser Nacht, von großer Furcht bedrängt: „Herr, hilf! Herr, hilf!" Da traten zwei Männer zu ihm in leuchtenden Kleidern; der ältere hatte einen langen, braunen Bart und schwarze, durchdringende Augen; der jüngere war schlanker, man mochte 50 sein Antlig mit keiner andern Bildung vergleichen. Jener aber hub an:,,Ich bin Andreas, der Apostel; fürchte dich nicht, sondern folge mir nach!" Der Pilger stand

vom Lager auf; jene beiden gingen voran zur Kirche des heiligen Petrus. Zwei Lampen brannten nur in dem weiten Gewölbe, und doch war es so hell wie am Mittage. Der Apostel sprach: Warte ein wenig!" und ging hinweg. Petrus setzte sich an eine Säule auf die Stufen, welche vom Mittag her zum Hochaltar führten; der jüngere Begleiter stand in der Ferne auch an den Stufen des Altars. 5 Nach einer Weile kam der heilige Andreas aus der Tiefe hervor, trug eine Lanze in der Hand und sprach zu Petrus: „Siehe, mit dieser Lanze ist die Seite geöffnet worden, aus welcher das Heil geflossen für alle Welt. Gib acht, wo ich sie verberge, damit du fie nach der Einnahme Antiochiens dem Grafen von Toulouse nachweisen könnest; zwölf Männer müssen graben, bis man sie findet. Jeßt aber ver- 10 kündige dem Bischof von Puy, er möge nicht ablassen von Ermahnung und Gebet, denn der Herr sei mit euch allen." Als der Apostel so gesprochen, führte er mit seinem Begleiter den Pilger über die Mauern der Stadt zurück in sein Zelt. Dieser aber wagte nicht zu dem Bischof zu gehen und das Geschehene zu erzählen, sondern zog nach Roja, um Lebensmittel zu sammeln. Da erschien ihm um die Zeit, wann 15 der Hahn zum zweiten Male kräht, am ersten Tage der großen Fasten wiederum der Apostel mit seinem Begleiter; ein heller Glanz füllte das Zimmer. Jener sprach: „Betrus, schläfft du?" Petrus antwortete: „Nein, Herr, ich schlafe nicht." ,,Hast Du getan, was ich dir befohlen?" fragte Andreas weiter. Ich habe mich gefürchtet", erwiderte der Pilger,,,denn ich bin arm und gering, feiner wird meinen 20 Worten glauben." -Da sprach der Apostel: Weißt du nicht, wie die Armen und Geringen das Reich Gottes erwerben, und hat euch nicht der Herr auserwählt zur Erlösung seines Heiligtums? Siehe, die Heiligen selbst möchten den Himmel verlassen und teilnehmen an eurem Beginnen. Geh hin und tue, was ich dir verheißen!" Betrus zögerte noch immer, er wollte gen Cypern segeln; ein Sturm warf ihn 25 zum Lande zurück, er erkrankte. Währenddessen war Antiochien eingenommen durch Hilfe christlich gesinnter Bewohner; aber ein neues Heer der Türken belagerte nunmehr die Kreuzfahrer, und größere Not entstand, als je zuvor. Da erschienen jene zwei zum dritten Male dem Pilger, und der Apostel sprach: „Petrus, Petrus, du hast noch nicht verkündet, was dir vertraut worden!" Dieser aber sagte:,, 30 Herr, erwähle einen Weiseren, einen Reicheren, einen Edleren; ich bin unwürdig solcher Gnade." —,,Der", antwortete der Heilige,,,ist würdig, welchen der Herr erwählet; tu, was dir befohlen ward, damit die Krankheit von dir weiche!" Ernst war des Apostels Blick, mild aber und wie von himmlischem Lichte umflossen das Antlitz seines Begleiters. Da faßte Petrus Mut und sprach: Wer ist dein Bes 35 gleiter, der noch nimmer gesprochen hat, zu dem mich aber Liebe hinzieht und Sehnsucht, der mein Inneres löset von jedem Zweifel, der meine Seele füllt mit Vertrauen und himmlischer Ruhe?" Der Apostel antwortete: Der Apostel antwortete:,,Du magst ihm nahen, und seine Füße küssen." Petrus trat hinzu und kniete nieder; da sah er blutige Male an den Füßen; er fiel auf sein Angesicht und rief: „Mein Herr und mein 40 Gott!" Es breitete Christus über ihn die Hände und verschwand.

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Der Pilger verkündete das Gesicht. Zwölf Männer gruben vom Morgen bis zum Abend, da zeigte sich die Lanze. Durch ihre Wunderkraft gestärkt, siegten die Christen über alle Feinde, und die Erzählung ist aufbewahrt worden, damit ein kindlich Gemüt sich an dem erbaue, was den Verständigen dieser Erde verborgen ist.

49. Die heilige Elisabeth.
Von L. Bechstein.

Der Sagenschaz und die Sagenkreise des Thüringer Landes. Hildburghausen 1835. Tl. I.
a. Elisabeths Mantel. (S. 59.)

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Um Agnes, die schöne Schwägerin Elisabeths, freite ein Herzog von Österreich so und hatte Hochzeit mit ihr auf der Wartburg. Der Landgraf stattete sie gar wohl

aus, und das Haus wimmelte von Gästen. Da nun alle in dem großen Speisesaal zu Tische gehen wollten, so ward Elisabeth vermißt, und mußten die Gäste ihrer lange harren. Außen im Mushaus 1) vor der Treppe hatte sie einen dürftigen Mann gesehen, fast nackend, so daß sie sich verwunderte, wie dieser Arme in seiner Blöge 6 in die Burg und bis zu dieser Stelle gekommen, und dieser bat flehentlich um Almosen; sie antwortete, sie hätte schon alles weggegeben, wolle ihm jedoch zu essen senden. Der Arme aber fuhr fort zu klagen, zeigte auf seine gebrechlichen und unbedeckten Glieder, bis sie von seinen Klagen so gerührt ward, daß sie ihm ihren seidenen Mantel zuwarf. Nun war es aber in jener Zeit Sitte, daß sich die Frauen 10 und Jungfrauen in leichten Mänteln zu Tische setten; wie sie daher endlich erschien, fragte fie der Landgraf: Schwester, wo ist dein Mantel ?" Sie antwortete er schrocken und verwirrt: Herr, in meiner Kammer." Da gebot er einer ihrer Jungfrauen zu gehen und den Mantel zu holen, und wie diese in die Kleiderkammer fam, fand sie den Mantel hängen, nahm und brachte ihn. Der Arme aber war 15 hinweg, und keiner hatte ihn gesehen. Elisabeth dankte Gott und zweifelte nicht, daß der Heiland selbst jener Arme gewesen, der ihr erschienen, wie einst dem frommen Kriegsmann St. Martinus, um ihre Mildtätigkeit zu prüfen, und habe nun ein neues Wunder an ihr getan. Alle Gäste, zumal der Herzog mit seiner Neuvermählten, überließen sich großer Fröhlichkeit, und Ludwig freute sich seiner geliebten 20 Elisabeth. Jener Mantel war himmelblau, hier und da bestreut mit kleinen goldenen Bildchen; er war so fein und rein, daß aus ihm ein Meßgewand gefertigt wurde, das lang nachher noch die Brüder im Barfüßerkloster am Fuße der Wartburg aufbewahrten und heilig hielten.

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Den Brunnen der heiligen Elisabeth zeigt in Eisenach dem Wanderer jedes Kind. Eine klare, reine, frische Quelle, sprudelt er am Fuß der Wartburg, selbst ein lebendiger Sagenborn, und in ihrem Garten, nahe dabei, blühen ewig, wenn auch nicht sichtbar für einen jeglichen, jene Wunderrosen fort.

Die mildtätige Fürstin Elisabeth weilte oft und gern an dem Brunnen, der 30 noch heute ihren Namen führt; in seiner Nähe legte sie einen Garten an, in seiner Nähe erbaute sie das Siechenhaus für Arme und Bresthafte. Sie wusch am Brunnen mit eigener hoher Hand die Kleider ihrer Pfleglinge, sie schöpfte Fische daraus für ihre Kranken, und niemand wußte, wie Fische in den Felsenquell tamen. Einst sandte sie eine Magd mit dem Eimer, um für Leidende Fische zu holen, zu dem 85 Brunnen. Ungläubig ging die Dienerin, aber der Glaube kam ihr durch Schauen, voll Fische zog sie den Eimer aus der Kristallslut des Bergquelles. Dort gelangen. der milden Fürstin jene hohen Wunder durch die Kraft des Glaubens und des Gebetes, wegen welcher die fromme Vorzeit sie heilig sprach und pries. Sie brachte so vielen das Heil; nicht sie tat Wunder, sondern Gott tat diese an ihr und 40 segnete ihr Tun. Als sie irdene Waren, Töpfe, Tiegel und Teller auf dem Markt zu Eisenach gekauft hatte für ihr Hospital, und der Kärrner auf dem steilen Weg. ungeschickt den Karren umwarf, daß er gegen die Felswand fiel, zerbrach kein einziges Stild. Sie heilte die Lahmen, machte Blinde sehend, und in ihrem Schoße mehrten sich wunderbar die Gaben, wenn sie dort saß, Almosen spendend den Armen, die sie as in ganzen Scharen umdrängten. Engel schützten und schirmten sie vor allen Gefahren, der Regen näßte ihr Gewand nicht, und hatte sie den Armen ihre Kleider gegeben, sich mit den geringsten begnügend, so fand sie in ihren Gemächern wobl andere und schönere wieder, die dahingekommen waren, sie wußte nicht wie.

1) Mushaus eig.

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Speisezimmer; hier: Vorhaus, Gang, Galerie.

6) Bilder aus der Weltgeschichte und der Geschichte der Pädagogik.

a) Aus der Weltgeschichte.

50. Ein ägyptisches Leichenbegängnis.
Von M. Uhlemann.

Drei Tage in Memphis. Göttingen 1856. S. 48.

Am See war schon viel Volk versammelt, Männer und Frauen aus allen Kasten, Vornehme und Geringe, die teils zu Wagen, teils zu Fuß herbeigeströmt waren. Auf dem See, dicht am Ufer, standen die bunten, reich mit Gold verzierten Brachtkähne, welche den Sarkophag und die Leibtragenden über den See nach der Begräbnisstätte führen sollten.

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Auch der Leichenzug ließ nicht lange auf sich warten. Er wurde eröffnet von sechs Tempeldienern, welche die zum Totenopfer nötigen Gegenstände und Geräte trugen. Sie waren, wie fast alle am Zuge Teilnehmenden, nur um die Lenden mit einem weißen, linnenen Schurze bekleidet. Der erste trug ein niedriges Holzgestell, mit Früchten und Blumen aller Art angefüllt, ein anderer die schönsten 15 weißen Tauben, ein dritter führte an einem Stricke ein junges, zum Opfern be stimmtes Kalb, die übrigen schlossen sich mit verschiedenartigen Krügen und Gefäßen an. Hierauf folgten die bekannten sogenannten Pastophoren, ebenfalls sechs an der Zahl, mit buntbemalten hölzernen Kapellchen, die leider von allen Seiten geschlossen waren, so daß ihr Inhalt nicht gesehen werden konnte. Sie enthielten aber jeden 20 falls, wie ähnliche Behältnisse, Statuen von Göttern, von heiligen Tieren, oder von den Vorfahren des Verstorbenen. Die Sklaven des letzteren trugen hierauf das Geräte, dessen sich derselbe hauptsächlich im Leben bedient hatte: einen Feldstuhl, einen einfißigen und einen zweisigigen Polstersessel, endlich sogar einen zweiräderigen Wagen mit allem Zubehör. Hieran schloß sich der Staatswagen des Verstorbenen, 25 mit zwei mutigen, braunen Roffen bespannt; derselbe war leer, der Wagenlenker ging, die Zügel haltend, traurig an seiner Seite. Dem Wagen folgten wiederum andere Diener, der erste mit kostbaren Gefäßen und einem goldenen Räucherinstrumente, die anderen mit Fächern, Bildern, Schmucksachen, goldenen Halsketten und Amuletten, Waffen und Emblemen, welche teils dem Verstorbenen, teils dem Könige angehörten, 30 dessen treuer Schreiber und Diener er gewesen war. Auch kostbare kleine Götterstatuen von edlem Metalle, schönem Steine oder buntem Glase, unter denen mir besonders der bekannte Horussperber mit einem Menschenkopfe auffiel, wurden im Zuge auf besonderen Repositorien herbeigetragen, auch ein kleines, blaues Boot auf einem Schlitten gezogen.

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Hierauf folgten sieben andere Männer, jeder mit zwei mit Palmenzweigen angefüllten Holzkästchen, dann die bekannten Klageweiber, in lange, weiße Gewänder gehüllt, mit aufgelösten Haaren, die Brust mit den Händen schlagend und ein trauriges, wildes Lied singend, in dem sie bald den Tod des Verstorbenen beklagten, bald seine Tugenden lobten und priesen. Endlich erschien der Oberpriester, ernst und 40 gravitätisch einherschreitend, ein goldenes Gefäß und die Räucherpfanne in den Händen. Er war über dem weißen Schurze noch mit einem Leopardenfelle bekleidet, dessen Bordertagen er so um die linke Schulter gebunden hatte, daß sein rechter Arm frei blieb, und der Schweif des Tieres, herabhängend, beinahe den Erdboden berührte. Gleich hinter dem Priester folgte der Sarkophag, stehend auf einem Schiffe, welches 45

wiederum auf einem Schlitten befestigt war und von vier schönen, weißen Stieren und sieben Männern gezogen wurde. Der Sarkophag selbst war von Zedernholz, reich mit eingeschnitten Bildwerken und Inschriften geziert und mit duftenden Blumen bedect. Hinter dem Sarge beschlossen das Ganze die leidtragenden Freunde. In 6 dieser Reihenfolge nahte sich langsam der Zug. Die Totenrichter, zweiundvierzig an der Zahl, waren indessen vollständig versammelt und hatten am See sich in einem Halbkreise geordnet; der Sarkophag ward in ihre Mitte geführt, während alle, die am Zuge teilgenommen hatten, sich um diesen aufstellten. Das neugierige Volt drängte sich ungestüm hinzu und umschloß im Kreise die ganze Zeremonie, welche 10 nun stattfinden sollte. Auf einen Wink des Oberpriesters schwiegen die Klageweiber, und eine Totenstille herrschte_ringsum. Jest trat einer der Freunde in die Mitte des Kreises, stellte sich am Kopfe des Sarkophages auf und sprach, der im Osten emporsteigenden Sonne mit dem Antlig zugewendet und mit erhobenen Händen, im Namen des Verstorbenen ein Gebet an den ewigen Sonnengott. Der Freund sprach 15 für den Verstorbenen; er begann mit den Worten: „Also spricht Osiris-Hopra“. Hopra, d. i. Liebling der Sonne, war nämlich der Name des zu Bestattenden, und es ist bekannt, daß die Toten als in der Unterwelt mit Osiris zu einer Person Vereinigte angesehen zu werden pflegten, weil auch dieser nach seinem irdischen Tode in die Unterwelt gegangen und dort als Regent und Richter aufgetreten war. Auf 20 diese Einleitung, durch welche also der Tote selbst als redend eingeführt wurde, folgte dann das Gebet an den Sonnengott und die übrigen Götter; er flehte um Aufnahme in die heiligen Wohnungen und suchte sich in zweiundvierzig Strophen vor den zweiundvierzig unterirdischen Totenrichtern, deren irdische Repräsentanten im Halbfreise den Sarg umgaben, von ebensoviel Sünden und Vergehungen zu reinigen 2 und zu rechtfertigen. Es schloß endlich mit den Worten: „Habe ich aber im Leben gesündigt, so war es nicht meine, sondern jenes Schuld; deshalb vergebt mir und reinigt mich, ihr unterirdischen Götter!" Hierauf wies er auf eine besondere Urne, welche den der Mumie entnommenen Magen und die Eingeweide enthielt, und welche später, wie ich sah, gewissermaßen als ein Sühnopfer in den See versenkt 30 wurde. Denn den Magen betrachten die alten Ägypter als die Ursache eines jeden geistigen und leiblichen Übels.

Nun begann das eigentliche Totengericht. Als der Freund sein Gebet geendet hatte und zu den übrigen zurückgetreten war, erhob der Gerichtspräsident, welcher sich vor den übrigen Totenrichtern durch eine besondere, an einer goldenen Kette um 85 den Hals getragene und vorn auf der Brust hängende, aus einem kostbaren Steine verfertigte Tafel mit dem Bilde der Gerechtigkeitsgöttin auszeichnete, seine Stimme und sprach laut, ernst und feierlich zu der versammelten Menge:

Hopra, der Sohn des Petamon, geboren von seiner Mutter Bert-Reri, der tönigliche Schreiber, ist es, dessen Mumie in diesem Sarkophage liegt, und welcher co um ein ehrenvolles Begräbnis fleht. Er ward geboren am siebenten Tage des Monats Thoth, im Jahre der Hundssternperiode 1212, im sechsten Jahre der Regierung des ewig lebenden Gottes, des Vaters unseres Königs; er starb vor siebzig Tagen im Monat Payni. Wer ihn kennt und ihn einer Sünde zeiht, wem er Geld schuldete, ohne es zurückzuzahlen, wen er an Leib und Gut beschädigte, ohne 45 den Frevel zu fühnen, der trete vor und klage ihn laut an vor uns, seinen Richtern. Wir werden streng richten, wir werden verdammen oder freisprechen. Aber hüte sich jeder vor einer falschen, gehässigen, rachsüchtigen Anklage; die Strafe würde von dem Verklagten auf den Kläger zurückfallen.“

Ein dumpfes, unheimliches Stillschweigen trat ein; nur einige Neugierige erhoben 50 die Köpfe, um zu sehen, ob niemand mit einer Anklage auftreten und den Verstorbenen des Begräbnisses unwürdig erklären würde. Besonders der Bruder blickte ängstlich umher, obgleich er alle ihm bekannten Schulden des Heimgegangenen vor dem

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