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zur Bereicherung meiner Menschenkenntniss und Lebenserfahrung bei und mussten mir in einem gewissen, freilich unvollkommenen Grade durch Bekanntwerden mit mannichfachen charakterologischen und ethnographischen Typen das mir durch die Verhältnisse versagte Bereisen fremder Länder ersetzen. Während der Gymnasialzeit hatten meine Reisen sich auf nähere und fernere Ferienausfltige mit meinen Eltern oder Vettern beschränkt. Im Jahre 1860 hatte ich alsdann als Offizier die grossen Belagerungsübungen und Breschversuche bei Jülich mitgemacht. Von 1862 an dagegen bereiste ich unter der treuen und sorgsamen Pflege meiner Mutter verschiedene Bäder, die zum Theil durch ihre Umgebung mir neue Landschaftsbilder und geschichtlich merkwürdige Stätten erschlossen.

In den ersten zwei Jahren des Leidens zweifelte Niemand, dass das zwar pathologisch leichte, aber symptomatisch so hinderliche Uebel der Heilkraft des jugendlich kräftigen Körpers oder geeigneter Therapie über kurz oder lang weichen müsse, und die intermittirenden Besserungen und Verschlimmerungen, welche eine theilweise dienstliche Thätigkeit auf begrenzten Gebieten auch noch nach dem Verlassen der Artillerieschule gestatteten, schienen diese Ansicht zu unterstützen; als aber dasselbe nach den wiederholten Verschlimmerungen einen gleichförmig andauernden Charakter annahm, da schwand die Hoffnung auf Genesung mehr und mehr und wurde die Fortsetzung der militärischen Laufbahn immer unwahrscheinlicher. Nach der erfolglosen Badekur von 1864 schien mir der Soldatenstand unhaltbar, und es war nur eine Pflicht gegen mich selbst, wenn ich mir die möglichen Chancen des Weiterdienens auf ein Jahr länger offen hielt, wo dann definitiv meine Verabschiedung mit dem Charakter als Premierlieutenant genehmigt wurde.

Als mir im Jahre 1862 der Gedanke an die eventuelle Nothwendigkeit eines Berufwechsels nahe trat, wurde ich zwar sehr peinlich dadurch berührt, aber ich war noch zu jung und von dem Leiden noch nicht ernstlich genug behindert, um von dieser Aussicht niedergedrückt zu werden. Ich hatte inzwischen in der Malerei solche Fortschritte gemacht, dass der Vorsatz, in diesem Falle Maler zu werden, mir ziemlich feststand. Ein Jahr später fing mir aber mein Beruf zum Maler bereits an, sehr zweifelhaft zu werden, als ich bei dem Versuch grösserer selbstständiger Compositionen bemerken musste, dass es mir denn doch zu sehr an der intuitiven

Kraft sinnlicher Gestaltenbildung vor dem geistigen Auge fehle, während mir das Arbeiten nach dem Modell sehr leicht wurde. Dazu kam, dass ich nicht mehr, wie ich gewohnt war, an der Staffelei stehen konnte, was bei grösseren Bildern fast unentbehrlich ist.

So warf ich mich denn mit verdoppelter Energie auf die musikalische Composition, auf welchem Gebiete ich allerdings über ein weit stärkeres sinnliches Anschauungsvermögen verfügte. Aber wieder ein Jahr später, d. h. im Herbst 1864, begann mir auch zu dieser Kunst mein Beruf fraglich zu werden. Ich fing nämlich an zu merken, dass alle aus meinem Fühlen und Denken sonst streng verbannte Sentimentalität sich in meine musikalische Production wie in einen geheimen Schlupfwinkel geflüchtet hatte, wo sie ungestört ihr Wesen treiben konnte. Ich sah mehr und mehr ein, dass meine Oper zu einförmig wurde, zu sehr der Höhen und Tiefen entbehrte, dass mir trotz einer dramatisch wirksamen Recitativbildung doch die eigentliche durchschlagende Gewalt des dramatischen Ausdrucks im stilisirten Ensemble abgehe, und dass ich für Harmonik nicht hinreichend begabt sei, um bei den gerade in dieser Richtung hochgespannten Anforderungen unserer Zeit originell und schöpferisch wirken zu können. Ueberhaupt waren die Fortschritte meines Kunstverständnisses den Fortschritten meiner Leistungen in beiden Künsten tiber den Kopf gewachsen; ich sah ein, dass ich auf diesen Gebieten immer nur Werke von geschmackvoller und gediegener Mittelmässigkeit würde produciren können, weil mir für dieselben der Funke des schöpferischen Genies fehle, dessen Bedeutung ich nun erst begriffen hatte, während ich früher glaubte, der combinirende Verstand müsse im Stande sein, auch in der Kunst das Höchste zu erreichen.

So verschenkte ich denn Pinsel und Palette und verschloss meine Noten, oder wie Fritz Reuter es am Schlusse seiner „Festungstid" so ergreifend schildert, ein Stück Ballast flog nach dem andern über den Bord meines Lebensschiffleins. Mit einem nachgerade hoffnungslosen Leiden behaftet, vom Schicksal betrogen (wie ich damals wähnte) um die Anstrengungen der sechs besten Jahre meiner Jugend, abgeschnitten von der praktischen Wirksamkeit, der ich mein Leben aus freiem Entschlusse bestimmt, verlustig gegangen des beseligenden Glaubens an die eigene künstlerische Gestaltungsso war ich bankerott an Allem, was sonst den Sterblichen

kraft,

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gross und begehrenswerth erscheint, bankerott an Allem, nur

an Einem nicht: dem Gedanken. Denn mein Denken war frühzeitig gereift in dieser Schule des Lebens, und hatte mehr Gewinn daraus gezogen, als ich selbst damals ahnte; das aber wusste ich, dass meine philosophische Denkweise es gewesen war, welche mir bis dahin in allen Lebenslagen den philosophischen aequus animus unerschütterlich bewahrt hatte, welche mich gelehrt hatte, die Dinge objectiv und gelassen sub specie aeternitatis zu betrachten, und welche sich nun auch in der härtesten Probe, dem Verlust des Glaubens an meinen Beruf als Maler oder Musiker, bewährt hatte. Denn die erlangte höhere Einsicht war mir so wichtig, dass ich um ihren Preis nimmermehr den verlorenen Glauben hätte zurückerkaufen mögen. Je mehr ich über Bord geworfen, je leichter mein Nachen geworden, desto mehr war er in das rechte Fahrwasser gekommen; das fühlte ich ganz deutlich, dass ich nun erst, mit der Rückkehr zur Wissenschaft, und zwar in der Gestalt des freien philosophischen Denkens, zu meinem wahren Beruf zurückgekehrt war, der mir früher nur dunkel vorgeschwebt hatte und von anderen vordringlicheren Neigungen und Talenten zeitweilig überwuchert war. Ich wusste jetzt, dass ich mit 22 Jahren mehr erlebt und erfahren, mehr Irrthümer überwunden, mehr Vorurtheile abgestreift und mehr Illusionen durchschaut hatte, als vielen Gebildeten in ihrem ganzen Leben vergönnt ist, und ohne bestimmtere Pläne für die Zukunft zu entwerfen, ging ich frisch an's Werk, meine Gedanken in grösserem Massstabe zu ordnen und niederzuschreiben, wie ich es in kleinerem schon immer gethan. So begann ich gegen Ende des Jahres 1864 die „Philosophie des Unbewussten", ohne zu ahnen, wie weit die beim Abschnitt A angefangene Arbeit sich mir unter den Händen ausspinnen würde.

3. Die Philosophenzeit.

Ich muss hier auf meine früheren philosophischen Orientirungsversuche ein wenig zurückgreifen, welche in meinem 13. und 14. Lebensjahre mit dem Niederschreiben von Gedanken, Einfällen, Fragen, Zweifeln und Aphorismen begannen. Im Herbst 1858, theils noch auf dem Gymnasium, theils im Beginn meiner Dienstzeit schrieb ich meine erste zusammenhängende Arbeit unter dem Titel „Betrachtungen über den Geist". Ich vertrat darin sehr entschieden

einen psychologischen Determinismus, und plädirte in der Unsterblichkeitsfrage für die Abstreifung der geistigen Individualität mit dem Tode und die Wiederverschmelzung mit dem absoluten Geist als für die wahrscheinlichste Lösung. Im Ganzen bewegte sich dieser Versuch auf dem Boden eines aufklärerischen Deismus, zeigte aber durch seine Leugnung der Willensfreiheit und seine Auffassung des absoluten Geistes immerhin schon eine gewisse Neigung zu einem pantheistischen Monismus.

Der nächste Versuch bewegte sich auf rein psychologischer Basis. Er trug die Ueberschrift: „Die Geistesthätigkeit des Empfindens", und wurde 1859 in Spandau verfasst. Die Grundtendenz bestand darin, die Annahme des Empfindens als einer elementaren psychischen Grundfunction, sowie die darauf gebaute Hypothese eines besonderen Empfindungsvermögeus als irrthümlich zu erweisen, und die sinnliche, geistige und ästhetische Empfindung als combinirtes Resultat aus Begehren und Denken (oder Vorstellen) aufzuzeigen. Dieses an sich gerechtfertigte Bestreben konnte freilich bei völliger Unkenntniss des Unbewussten nur von zweifelhaftem Erfolge sein; ich führe es aber an, weil neuerdings die Superklugheit eines Recensenten sonnenklar deducirt hat, dass meine grundverkehrte Tendenz zur Elimination des Gefühls als primärer, psychischer Elementarfunction lediglich eine nachträgliche Consequenz des ergriffenen falschen Princips, des Unbewussten, sei.

Andere Aufsätze desselben Jahres blieben unvollendet, so z. B. ein Versuch über das Denken auf aristotelischer Grundlage, und eine Betrachtung über die Paradoxie der Lust am Tragischen, welche später in meinen „Aphorismen über das Drama“ ihre Erneuerung und Lösung fand.

Bis zum Jahre 1863 war alsdann meine Feder anderweitig zu sehr in Thätigkeit gesetzt, um in dieser Weise mit Studienarbeiten fortzufahren; die häufige Nöthigung zu schriftlichen Aufsätzen, insbesondere zu zeitlich knapp bemessenen Clausurarbeiten auf der Artillerieschule wirkte indessen zu der Fortbildung meines Stils mit. Erst im Frühjahr 1863 kehrte ich zu der alten Liebhaberei philosophischer Skizzen zurück, und schrieb in diesem und dem folgenden Jahre eine ganze Menge kleinerer Studien über die verschiedensten Gegenstände, hauptsächlich jedoch über psychologische Probleme, die mein Nachdenken mit Vorliebe beschäftigten (z. B.

über Coquetterie, Freundschaft, Phantasie, Gewissen, Ehre, Arbeit, Sauberkeit, Gall's Phrenologie und ihre psychologischen Irrthümer, kritische Bemerkungen zur Kritik der reinen Vernunft u. dgl.). In einigen Heften Aphorismen legte ich Gedanken nieder, welche nachher Grundpfeiler meines Systems geworden sind, z. B. die Formel zur Vereinigung des Optimismus und Pessimismus, über die Berechtigung der Teleologie, und über die Atomtheorie. Die drei reifsten Vorarbeiten handelten,,Ueber den Werth der Vernunft und Erkenntniss für das menschliche Handeln und Glück“, „Ueber den Begriff Unendlich (und Null)" und „Ueber die einfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde". In der erstgenannten fasste ich noch einmal die Leistungsfähigkeit des abstracten Rationalismus zusammen, der bis dahin mein Denken und Streben begrifflich beherrscht hatte; gerade indem ich ihn in seinem ganzen Umfang verherrlichen wollte, wurde ich mir seiner Schranken bewusst und empfing eben dadurch den ersten Anstoss, über denselben hin a uszugehen. Der Aufsatz über das Unendliche war aus einem oppositionellen Bedürfniss gegen den mit diesem Begriff getriebenen dialektischen Unfug erwachsen, und führte in den verschiedensten Variationen das aristotelische Thema durch, dass das Unendliche niemals als Wirkliches gegeben sein, sondern immer nur potentiell in der Unbegrenztheit des Progressus gesucht werden könne. Die letzte der drei Abhandlungen bezieht sich, wie der Titel zeigt, bereits auf die Philosophie Schopenhauer's, welche ich im Herbst 1863 kennen gelernt hatte.

Dass ich seit meinem Abgang von der Artillerieschule i. J. 1862 die geistige Fortbildung durch Lectüre nach Massgabe der vermehrten Musse nicht vernachlässigt hatte, brauche ich wohl kaum besonders hervorzuheben. Wenn ich auch mitunter mir von wichtigeren Werken Excerpte gemacht hatte, so hatten doch im Allgemeinen meine philosophischen Versuche keine unmittelbare Beziehung zu meiner Lecture; vielmehr liefen beide als unabhängige Bildungsbestrebungen neben einander her. Ganz unabsichtlich hatte ich meist über solche Fragen geschrieben, bei denen besondere sachliche Vorstudien weniger nöthig waren, weil der Stoff sich unmittelbar aus der psychologischen Beobachtung seiner selbst und Anderer ergab. Völlig unbekümmert darum, was etwa der oder jener vor mir über den Gegenstand ermittelt habe, hatte ich nur das Bedürfniss, mich

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