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herrschenden Meinung, so wird sie von dieser bekämpft, ebenso wie sie ihrerseits gegen dieselbe ankämpft, und dieser Kampf der Meinungen ist die wissenschaftliche Polemik.

Wo das geistige Leben noch in den Fesseln der Ueberlieferung liegt, da wird die Polemik sich um nebensächliche Punkte drehen, wenn sie überhaupt sich entfaltet; nur da, wo geistige Freiheit zur geistigen Regsamkeit führt, werden die Gegensätze in kürzeren Zeiträumen auftauchen, in engerem Raume sich zusammendrängen und in Individuen derselben Zeit und desselben Volkes Vertreter finden, welche sie auf einander platzen lassen. Je rascher das geistige Leben pulsirt, desto entschiedener wird jede Ausbildung der einen Seite der Wahrheit das Hervortreten des Gegengewichtes in der anderen provociren; je eifriger der Menschengeist sich beeilt, die eine ergriffene Seite der Wahrheit zum Centrum derselben zu machen und so ihre Leistungsfähigkeit zu überspannen, desto sicherer wird dann die Reaction der anderen, bei diesem Verfahren ungebührlich zurückgedrängten Seite der Wahrheit sein.

Diese Erscheinung tritt im letzten Jahrhundert auf allen Gebieten des Lebens auf das Deutlichste zu Tage. Die revolutionäre Uebertragung der Souveränität auf den Volkswillen forderte ihr Gegengewicht in der reactionären Uebertragung der Souveränität an einen militärischen Despoten; die Verlegung des Schwerpunktes des Staatslebens in das Phrasenthum liberaler Doctrinen einen Umschlag in die willige Anerkennung des unersetzlichen Werthes einer straff concentrirten Regierungsgewalt. Die polizeiliche Bevormundung des Verkehrs brachte die Manchester-Lehre des laisser aller in Flor, und die Auswüchse dieses volkswirthschaftlichen Faustrechtes führen zurück zur Sehnsucht nach socialer Organisation. Die Ueberspannung der philosophischen Speculation mit ihren apriorischen Constructionen des Realen und ihrer dialektischen Selbsterzeugung der absoluten Idee riefen die einseitige Cultivirung einer ihren Blick auf das Nächste beschränkenden Empirie und eines gedankenlosen Materialismus hervor, dessen nicht zu verbergende Unzulänglichkeit aufs neue zur philosophischen Orientirung im schätzbar bereicherten empirischen Material drängt. Jede einseitige Ausbildung des Monismus in der Philosophie provocirt die Reaction eines Pluralismus, der die unterschätzte Berechtigung der Individualität zum Ausgangspunkte nimmt und nun seinerseits deren Bedeutung zu einer abso

luten aufbläht.

anführen.

Dergleichen Beispiele liessen sich noch viele

Wo nun solche Gegensätze auf einander treffen, da entfaltet sich positive Polemik, d. h. eine Polemik mit positivem Gehalt, im Gegensatz zu einer rein negativen, an und für sich inhaltsleeren Polemik, welche einen positiven Werth nicht beanspruchen kann. Die positive Polemik ist ein Ritter, der da weiss, für welche Fahne er kämpft, die negative ein Strauchritter und professionirter Händelsucher, dem es nur darum zu thun ist, die Fahne echter Streiter zu zerfetzen und in den Koth zu treten, sei es aus Hass gegen das Positive überhaupt, sei es aus herostratischer Eitelkeit, um sich als gefürchteten Wegelagerer nennen zu hören.*) Diese negative Polemik wird dadurch um nichts edler, wenn sie sich in die Formen schulgerechter Klopffechterei hüllt und so für das abstracte Gespenst der Wahrheit zu fechten vorgiebt, wie die fahrenden Ritter einst für die abstracte Ehre jedem ihnen Begegnenden die Rippen zerbrachen. Die negative Kritik ist darauf gerichtet, in dem in Ansehen stehenden Positiven die Unwahrheit rein als solche nachzuweisen, ganz abgesehen von der Wahrheit, welche an ihre Stelle zu setzen sei. Ein solches Verfahren ist aber in Bezug auf nebensächliche, accidentielle Irrthümer verdienstlos und überflüssig, da solche im weiteren Processe von selber wie die trockenen Kelchblätter von der Frucht abfallen; hingegen in Bezug auf die Principien und deren nothwendige Consequenzen ist es im Wesentlichen fruchtlos, da der Menschengeist durchaus irgend etwas haben muss, woran er sich hält, und trotz aller Irrthümer das Gegebene festzuhalten sucht, bis ihm etwas Besseres geboten wird, wo er dann jenes willig fahren lässt.

In der That ist letzteres, anscheinend unkritische und unwissenschaftliche Verhalten in gewissem Sinne wohl berechtigt. Wenn man nämlich einmal eingesehen hat, dass alle unsere Erkenntniss mehr oder minder nach der einen oder nach der anderen Seite mit

Alles opponirende

*) Goethe sagt in den Gesprächen mit Eckermann: Wirken geht auf das Negative hinaus, und das Negative ist nichts. Wenn ich das Schlechte schlecht nenne, was ist da viel gewonnen? Nenne ich aber das Gute schlecht, so ist viel geschadet.. Wer recht wirken will, muss nie schelten, sich um das Verkehrte gar nicht bekümmern, sondern immer nur das Gute thun. Es kommt nicht darauf an, dass eingerissen, sondern dass etwas aufgebaut werde, woran die Menschheit reine Freude empfinde."

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Irrthum behaftet ist, dass es aber auch keinen Irrthum giebt, in dem nicht eine gewisse relative Wahrheit enthalten wäre, so wird man den Nachweis bestimmter Irrthümer in einer Meinung nicht mehr als schlechthin tödtlich für dieselbe ansehen, sondern nur als concrete Bestätigung einer Thatsache, die man in abstracto vorher wusste oder doch hätte wissen sollen.

In der Philosophie z. B. hat jedes System, wie schon Aristoteles wusste, seine kitzlichen Punkte oder Aporien und da das nachfolgende ebenfalls die seinigen haben wird, so kann die Einsicht in die Aporien eines gegebenen Systemes noch kein Motiv sein, dasselbe von Grund aus zu verwerfen; man hilft sich dann vielmehr so lange, wie es gehen muss, d. h. so lange kein neues System mit minder schwerwiegenden Aporien sich darbietet, mit Flickerei oder, wie es in der Schulsprache heisst, mit Hilfshypothesen und leichteren Modificationen. Ganz ebenso ist es in der Naturwissenschaft. Die Aporien der vorcopernikanischen Weltansicht waren längst bekannt, aber man half sich mit den Hilfshypothesen der Epicyklen, obwohl auch diese nicht auslangten, um sie fortzuschaffen; aber man musste sich mit ihnen behelfen, so lange ein anderes, besseres System des Weltbaues nicht aufgestellt war, und alle negative Kritik war bis dahin ein fruchtloses Unternehmen.

Erst wenn die neue Lehre gegeben ist, hat es einen Sinn, die alte zu zerstören, dann aber ist die Polemik nicht mehr negative, sondern positive Polemik, und sie ist letzteres sogar dann, wenn sie aus Opportunitätsrücksichten mit verhüllter Fahne kämpft, weil sie nach errungenem Siege dieselbe doch entfalten wird. Diese Art der pseudo-negativen Polemik kann in solchen Fällen von Vortheil sein, wo die Anhänger der zu bekämpfenden Lehre ein so heftiges Vorurtheil gegen die Anhänger der gegnerischen Doctrin haben, dass sie deren Gründe gar nicht hören wollen, so dass die einzige Art, ihnen beizukommen, die negative, anscheinend voraussetzungslose Kritik ihres Standpunktes ist. Ein solches Verhalten kann besonders da geboten erscheinen, wo ein der Vergangenheit angehöriger und durch den Fortschritt der geistigen Entwickelung thatsächlich längst überwundener Standpunkt in der hinter der Zeitbildung zurückstehenden Masse des Volkes durch das Zusammenwirken von geistigem Trägheitsmoment missverstandenen Gemüthspostulaten und deren Ausbeutung durch Classenherrschsucht zähe

beharrt und künstlich conservirt und zum Hass gegen die ihn in seiner Existenz bedrohende fortgeschrittene Geistescultur aufgereizt .wird. In einem solchen Fall liegt aber der anscheinend rein negativen Kritik die Summe der gesammten Errungenschaften des geistigen Fortschrittes zu Grunde, welche nur darauf lauert, den durch die Kritik aufgeräumten Boden mit ihrem Samen zu bestreuen. Eine solche pseudo-negative Kritik, welche, weil gegen einen historisch überwundenen Standpunkt gerichtet, immer dahin streben wird, sich zur immanenten Kritik zu erheben, darf nicht verwechselt werden mit einer inhaltslos negativen Polemik gegen die geistigen Fortschritte der Gegenwart selbst.

Was nun die auf einen positiven, mehr oder minder entgegengesetzten Standpunkt gestützte Polemik betrifft, so ist sie zwar positiv, aber sie ist ebenso wie die rein negative Kritik äusserlich, d. h. sie richtet mit einem der Sache fremden, von aussen herzugebrachten Massstabe. Die positive Kritik ist aber in ihrer Aeusserlichkeit wenigstens schon auf den Inhalt gerichtet, während die negative Kritik bei dem Mangel eines positiven Massstabes sich darauf angewiesen sieht, rein formalistisch zu verfahren, d. h. sich mit den Grundsätzen der formalen Logik als Massstab zu begnügen. Die negative Kritik beschäftigt sich einfach mit dem Nachweiss formeller Widersprtiche und hält damit ihre Aufgabe für abgethan, während sie doch nun erst recht angehen sollte, nämlich als Bestreben, die Existenz dieser formellen Widersprüche und ihre psychologische Entstehung in diesem Kopfe oder dieser Zeit zu erklären, die relative Berechtigung der zusammengekoppelten entgegengesetzten Tendenzen nachzuweisen und vor allen Dingen die aufgezeigten Widersprüche aus höheren Gesichtspunkten zu versöhnen. Die positive Kritik ist wiederum zufrieden, wenn sie den Widerspruch der Sache mit dem von ihr herzugebrachten äusserlichen Massstabe dargethan hat, ohne die Ahnung, dass hier die wahre Aufgabe erst damit beginnt, den höheren Gesichtspunkt zu finden, aus welchem die relativ berechtigten und anscheinend einander schlechthin ausschliessenden Standpunkte mit einander als Momente der vollen Wahrheit vereinbar werden.

Die negative Kritik hat darin Recht, dass jeder Versuch, eine einseitige Wahrheit als Wahrheit schlechthin zu behaupten, sich nothwendig bei hinreichend weitgehender Ziehung der Consequenzen

in innere Widersprüche verwickeln muss; die positive darin, dass eine solche den berechtigten Widerspruch der anderen, sie ergänzenden Seite der Wahrheit herausfordert; aber erstere irrt darin, dass sie mit dem Nachweis der Verwickelung in formelle Widersprüche jeden positiven Wahrheitskern eines Standpunktes vernichtet zu haben wähnt, letztere darin, dass sie ihren eigenen, ebenfalls einseitigen Standpunkt für die volle Wahrheit hält und jedem Standpunkt, der diesem widerspricht, unbedingt jede Wahrheit absprechen zu müssen meint.

In ihrer unmittelbaren Wirkung ist die äusserliche positive Kritik ganz eben so unfruchtbar wie die rein negative; d. h. sie bringt der Wahrheit keine directe Förderung. Indirect aber nützt sie der Entwickelung derselben dadurch, dass sie ihre Wahrheit vertheidigt, nicht dadurch, dass sie die ihr entgegengesetzte angreift; denn durch die Polemik selbst sieht sie sich zur Durcharbeitung, Klärung, näheren Ausführung und vielseitigeren Begründung ihres eigenen Standpunktes veranlasst und dies ist sowohl ein Gewinn für die Theorie, als auch führt es pracktisch zu einer Vermehrung ihrer Anhängerschaft und erzwingt dadurch eine eingehendere Berücksichtigung von Seiten derer, die etwa zur Fortbildung der Erkenntniss berufen sein könnten. Der Werth der positiven Polemik liegt also keineswegs in den Wunden, die sie dem Gegner schlägt, sondern in der rückwirkenden Nöthigung zur besseren Selbstdeckung und Befestigung der eigenen Stellung. Ausserdem freilich wirkt sie eben so gut dahin, den Gegner zur Verstärkung seiner Position zu motiviren, nützt diesem also, dem sie zu schaden glaubt, genau in derselben Weise und in demselben Masse als sich selber und arbeitet durch beide Wirkungen schliesslich doch nur für einen höheren dritten Standpunkt, dem allein die Durchbildung der von ihm umfassten und in ihm aufgehobenen einseitigen Wahrheiten zugutekommt. So erweist sich auch hier der unbewusste Zweck der individuellen Thätigkeit als ein dem individuellen Bewusstsein durchaus fernliegender, paradoxer, ja sogar seinen beabsichtigten Zielen ironisch entgegengesetzter.

Bei einem systematisch durchgearbeiteten Standpunkt, gleichviel, ob es eine philosophische Weltanschauung, eine naturwissenschaftliche Hypothese oder eine politische oder sociale Theorie ist, bedingen sich alle einzelnen Theile wie in einem Organismus gegen

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