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III. Leibniz als praktischer Optimist.
(1870.)

Wir haben nicht wie andere Länder eine Gelehrtenbiographie... Denn Deutschland allein von allen Ländern hat kein Auge, die herrlichen Anlagen und Keime seines Bodens zu erkennen und ihnen die Unsterblichkeit zu sichern. Es vergisst sich selbst und die Seinen, wenn es nicht von den Fremden an seinen eigenen Reichthum erinnert wird." Diese Worte des grossen Leibniz, wie wahr sind sie noch heute, und wie bitter haben sie sich an ihm selbst erfüllt! Die erste Gesammtausgabe der Leibniz'schen Werke von dem Genfer Dutens enthält nur zwei politische Schriften und nur eine deutsche Schrift überhaupt; selbst unsere neuesten Literarhistoriker wissen von Leibniz' politischer Wirksamkeit spottwenig und meinen gar, es sei Leibniz fast ebenso schwer wie Friedrich dem Grossen geworden, sich deutsch auszudrücken. Durch die neueren Forschungen und Veröffentlichungen (von Guhrauer, Foucher de Careil, Pertz, Onno Klopp, Pfleiderer u. a. m.) ist nun aber die Zahl der an's Licht gestellten politischen Schriften bereits eine überraschend grosse geworden, und seine deutschen Schriften allein füllen jetzt mehrere Bände. Dabei aber ist gar nicht zu ermessen, wie viel später noch zu Tage kommen wird. Man kann also mit Recht sagen, dass wir uns jetzt recht eigentlich in einem Stadium der Wiederentdeckung unseres grossen Landsmannes befinden, das noch keineswegs zum Abschluss gelangt ist. Es ist unverantwortlich, dass die frühere hannoversche Regierung die in ihren Archiven ruhenden Geistesschätze jahrhundertelang hat verkümmern lassen, und tief zu beklagen, dass die preussische Regierung, als sie sich veranlasst sah, Onno Klopp die Herausgabe zu entziehen, nicht für

unverweilte Fortsetzung des begonnenen Werkes durch geeignete Kräfte Sorge getragen hat

Am wenigsten Bereicherung hat die Philosophie des Leibniz durch die neueren Veröffentlichungen erfahren, mehr schon seine Theologie, am allermeisten aber sein Leben, sein Charakter und seine Wirksamkeit in praktischer Richtung, von deren unglaublicher Vielseitigkeit und Wichtigkeit man bisher kaum eine Ahnung gehabt hat. Wenn Kuno Fischer in dem zweiten Bande seiner „Geschichte der neuern Philosophie" ein umfassendes Bild von Leibniz' philosophischem System entrollt, wenn Pichler in einem jüngst erschienenen Werke die „Theologie des Leibniz" behandelt, wenn Guhrauer seine Biographie in anerkannt trefflicher Weise geliefert hat, so bietet Pfleiderer *) eine Würdigung der praktischen Bestrebungen dieses universellen Geistes, und erst diese vier sich gegenseitig ergänzenden Werke geben ein vorläufig einigermassen erschöpfendes Bild, in welchem doch noch manche Seiten, wie z. B. die mathemathischen Leistungen und technischen Erfindungen völlig zu kurz kommen. Man sieht, wie weit wir noch von einer einheitlichen Gesammtdarstellung seines Lebens und Wirkens entfernt sind, wenn auch die emsigen Bestrebungen der Gegenwart freudig und dankbar zu begrüssen sind, welche sich bemühen, die unserm grossen Landsmann von der Vergangenheit angethane Unbill zu vergüten denn wir sind es, und nur wir, die bei diesen Bemühungen zu gewinnen haben.

Pfleiderer's Werk ist eine ebenso interessante und empfehlenswerthe Lectüre für den Laien wie eine wichtige Bereicherung der Geschichte (erste Hälfte des Buchs), Culturgeschichte (zweite Hälfte) and Literaturgeschichte (das Ganze). Das Ende des 17. und der Anfang des 18. Jahrhunderts spiegeln sich nach allen Richtungen des damaligen Lebens und Strebens in dem hellen Denkerauge Leipniz', und wenn wir mit unsern Geschichtsquellen überhaupt auf Mittheilungen der Zeitgenossen angewiesen sind, so sind die Schriften dieses universellen und vorurtheilsfreien Geistes wahrlich nicht die schlechtesten Quellen. Wie in seiner Philosophie jede Monade

*) Gottfried Wilhelm Leibniz als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger. Ein Lichtpunkt aus Deutschlands trübster Zeit. Für die Gegenwart dargestellt Fon Edmund Pfleiderer. Leipzig, Fues. 1870. Gr. 8. 3 Thlr. 10 Ngr.

(Individuum) ein Mikrokosmos ist, welcher von seinem Standpunkte aus die ganze grosse Welt repräsentirt (vorstellt), so ist Leibniz ein Mikrokosmos für seine Zeit, gleichsam ein Kugelspiegel, in dem sich die Bilder der gesammten Umgebung mit besonderer Schärfe darstellen, und in welchen hineinzublicken heute nicht nur Belehrung, sondern auch künstlerischen Genuss gewährt. Die Leistungen des Mannes sind so umfassend, dass Pfleiderer's Werk trotz seines erheblichen Umfangs doch nirgends Längen enthält, sondern von Anfang bis zu Ende fesselt, nicht zum geringsten durch die eingestreuten, zum Theil sehr langen Anführungen aus Leibniz' Schriften, in welchen durchweg die Höhe des philosophischen Standpunktes im Verein mit dem liebevollen Versenken in die empirischen Details des besonderen Gegenstandes Bewunderung abnöthigt.

Um die Bedeutung der praktischen Bestrebungen Leibniz' zu würdigen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, welch eine Zeit es war, in die sein Leben fällt. Geboren am 21. Juni 1646 verlebte er seine Jugend unter den Eindrücken der Nachwehen jenes grässlichen Kriegs, der Deutschland auf fast ein Drittel seiner Bevölkerung heruntergebracht, der einen Abgrund von Rohheit und Sittenlosigkeit geöffnet und eine tiefe Nacht der Unbildung und des Aberglaubens über das deutsche Volk ausgegossen hatte. Es war kein Wunder, dass die Religion sich aus Gottesglauben in Teufelsglauben und der Cultus in eine Summe von Exorcismen verwandelt hatte, welche in der Hexenverbrennungswuth gipfelte; kein Wunder, dass der lange Kampf der Fürsten gegen den Kaiser das Gefühl der Zusammengehörigkeit auf's äusserste gelockert und unter dem trügerischen Deckmantel der Freiheitsliebe dem kurzsichtigsten und schamlosesten Partikularismus Thür und Thor geöffnet hatte, dessen Interesse nicht mehr auf Stärkung, sondern auf Lockerung des Reichsverbandes gerichtet war, um womöglich zur vollen isolirten Selbständigkeit und zur Vergrösserung der Hausmacht zu gelangen, und sei es auch durch Verrath am Vaterlande und mit ausländischer Hülfe. Bei jeder neuen Wahlcapitulation wurde das Recht des Kaisers mehr beschnitten; und die Reichstage beschreibt ein Zeitgenosse mit folgenden Worten: „Protestirend kommen wir zusammen, zusammenkommend erheben wir Competenzstreit, unter Competenzstreitigkeiten berathen wir, berathend richten wir Verwirrung an, in der Verwirrung beschliessen wir, das Beschlossene

verwerfen wir, und so erwägen wir des Vaterlandes Heil durch langsamen, gewaltsamen und weinseligen Rath (per consilia lenta, violenta, vinolenta)." Die Rechtspflege lag so im Argen, dass Leibniz vom Reichskammergericht sagt, die Herren Assessoren hätten, auch in völliger Anzahl, mit Erörterung des bereits Vorliegenden länger denn ein ganzes Jahrhundert zu schaffen. Die Gelehrtenzunft war dem deutschen Leben völlig entfremdet und wühlte in einem verknöcherten Humanismus den alten Staub lateinischer Manuscripte nutzlos stets von neuem durch. Die Theologie aber war in einem erbitterten Parteigezänk um die abgeschmacktesten Fragen und Haarspaltereien zu Grunde gegangen, so dass sie in ihrer Entfremdung von wahrer einfältiger Frömmigkeit ganz unfähig geworden war, dem abergläubischen Volke in seinem Elend einen Trost oder Ersatz zu gewähren. Vielmehr trug der wüthende Religionshass der Geistichkeit wesentlich dazu bei, die Zerrissenheit und den Jammer Deutschlands in's Unerträgliche zu steigern, da er die protestantischen Theile Deutschlands durch stetes Misstrauen gegen Oesterreich aufreizte, während der katholische Klerus nie aufhörte, das deutsche Wesen selbst wie die Sünde zu hassen, auf gewaltsame Unterdrückung des Protestantismus zu sinnen, und bei jedem Versuch Frankreichs, der auf Deutschlangs Schwächung und Erniedrigung abzielte, den eifrigsten Bundesgenossen desselben im deutschen Lager abzugeben. Trotz der vollständigen nationalökonomischen Verarmung waren doch die Wohlhabenderen durch den Mangel deutscher Industrie gezwungen, ihre Luxusbedürfnisse aus dem Auslande zu beziehen, also die Handelsbilanz des armen Landes immer mehr zu verschlechtern.

So lag Deutschland in jeder Beziehung dem Ausland schutzlos zum Raube bloss, und die Hülfe war weder von dem völlig verkommenen niedern Volk, noch von den Gelehrten und Geistlichen, noch von den längst zu philiströser Spiessbürgerlichkeit herabgesunkenenen Reichsstädten, noch von dem seine Unbildung und Völlerei unter französischem Firniss verbergenden Adel, sondern einzig und allein von den Fürsten zu erwarten. Aber auch von diesen war wieder ein Theil in den Händen der jedem Fortschritt feindlichen Jesuiten, und die meisten in einer schwelgerischen Nachahmung des französischen Hofes verloren, deren eitler Prunk weder das Interesse für segensreiche Verbesserungen aufkommen, noch

auch pecuniäre Mittel dafür übrig liess. Dem Patrioten blieb also damals kein anderer Weg übrig, um seine Ideen zum Wohl des Volks zu verwirklichen, als dass er einen ausnahmsweise verständigen und wohlwollenden Fürsten aufsuchte und dessen Gehör gewann, wo er denn freilich um der guten Sache willen sich in manche Launen und Liebhabereien seines Gebieters schicken musste. Auch Leibniz konnte nicht anders verfahren, wollte er nicht die unzähligen fruchtbaren Keime, die er in sich trug, nutzlos verkümmern lassen. Er war von Neigung nichts weniger als Hofmann, wie er denn schwer über die Launen der Fürsten und über die Zeitvergeudung bei Hoffesten klagt (Pfleiderer, S. 26-27); er war auch keineswegs ruhmstichtig, wie die zahllose Menge seiner anonymen Schriften beweist, und wenn er bemüht war, sich eine pecuniär gesicherte Stellung zu erwerben, SO war es wesentlich deshalb, um nicht mehr Fürsten und Höhergestellten „nachlaufen" zu müssen. In allen diesen Punkten bringt Pfleiderer wesentliche Berichtigungen der bisher üblichen Ansichten über den Charakter Leibniz' bei. Er konnte es nicht unterlassen, auf dem einzigen Wege, den es damals gab, für das Wohl Deutschlands zu wirken; denn niemals fühlte Jemand wärmer und inniger für sein Vaterland, niemals empfand Jemand schmerzlicher und tiefer als er das jammervolle Elend des mit so schönen Anlagen versehenen deutschen Volkes, nie schwellte ein berechtigterer Stolz die Mannesbrust, eine freudigere Zuversicht, in vielen Punkten eine schmerzlos heilende Hand auf die eiternden Wunden legen zu können.

Es war eine wunderbar harmonische Natur, die das Bedürfniss hatte, alle Gegensätze in sich zu vermitteln. Alle einseitig theoretischen oder gar quietistischen Lebensanschauungen waren ihm ein Greuel; er wird nicht müde, an andern „diesen Sabbat der Ruhe in Gott als einen faulenzerisch-nichtsnutzigen Zustand" zu bekämpfen. Ihm selbst wäre ein contemplatives Gelehrtenleben wie das des Spinoza unmöglich gewesen; es drängten die Gedanken in ihm stets unmittelbar zur Ausführung, und liessen ihm keine Ruhe, so dass er nach noch so vielen vergeblichen Versuchen dieselbe Sache stets von Neuem in Anregung bringen musste. Ein solcher Mann kann kein Doctrinär sein; er weiss, dass die Idee das gebärende Princip ist, aber er weiss auch, dass die Reali

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