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Nördlich vom Orangefluß erstreckt es sich in unendliche Ferne, erwiederte Leo und deutete mit der Hand nach dem Horizont; hier ein Dorf und da eins, aber alle meilenweit von einander entfernt, wie Inseln in diesem Ocean von grafigen Steppen, in denen Strauße und Antilopenheerden schweifen. Wer sich da hineinwagt, hinter dem schlägt das mannshohe Gras zusammen wie die Wellen über dem Ertrinkenden. Er muß sich auf Alles gefaßt machen; Leben und Tod müssen ihm wie zwei Brüder sein. So steht es in der Broschüre, die mir der Schulmeister geliehen hat. Die Zahl der Missionäre hat sich mit jedem Jahr verringert, und deshalb fordert der englische Missionsverein Alle, die den Beruf in sich fühlen, das große angefangene Werk fortzuseßen, auf, sich zu melden. Ich fühle den Beruf in mir, und ich werde mich melden, sobald meine Zeit gekommen ist.

Aber Du verstehst ja kein Englisch, Leo!

Ich werde es lernen.

Du wirst in jenen Länderu nicht leben können. Du kannst große Sonnenhiße gar nicht gut vertragen.

Ich werde mich abhärten.

Walter fonnte diesem neuesten Plane des planreichen Freun des keinen Beifall schenken. Er konnte sich nicht denken, daß man außerhalb des Waldes, in welchem seines Vaters Haus lag, glücklich leben könne. Wenn's aus den Ferien wieder zur Schule ging und der Leiterwagen mit den zwei munteren Braunen lustig auf der Chaussee dahinraffelte, da hatten seine Blicke sehnsuchtsvoll an dem lieben Wald gehangen, und an einer bestimmten Stelle, wo die Chaussee eine scharfe Biegung machte, und eine Hügelkette die Aussicht auf seine Heimath verdeckte, waren ihm noch jedesmal die Thränen in die Augen gekommen. Und dann wie hatte er sich stets von den Schulbänken und den engen Gaffen der Stadt und aus den drückenden Wänden seines Zimmerchens hinaus gesehnt in das grüne Revier nach Sonnenschein und Regenrauschen und Falkenschrei! Wie hatte ihm das Herz geklopft, als er gestern mit dem Ränzel auf dem Rücken nach Hause wanderte, um nicht wieder zur Schule

zurückzukehren, und endlich, endlich die langen vier Meilen durchmessen waren und der Bergrücken auftauchte mit dem weißschimmernden Schloß, das sich so prächtig abhob von dem Walde, der von hier aus meilenweit die Hügel bedeckte, dem dunklen Walde, seinem Walde dem Walde, der in seinem kühlen Schatten Alles einschloß, was dem Knaben lieb und werth und schön und heilig war.

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Ich könnte mich nicht von hier trennen, sagte Walter. Du hast es auch nicht nöthig, erwiederte der Andere. Du hast ja hier, was Du bedarfst für jezt und für die Zukunft. Wenn Du ausgelernt und dann vielleicht dem Vater ein paar Jahre zur Seite gestanden hast, wird er sich zur Ruhe sezen und Dir sein Amt abtreten. Sollte es dann noch an etwas fehlen, so wird der gnädige Herr aushelfen. Nein, Walter, für Dich ist gesorgt; Du hast, wo Du Dein Haupt hinlegen kannst. Aber mit mir ist es anders. Mein Vater ist arm und kränklich; ich fürchte, er wird nicht lange mehr leben. Wenn er stirbt, so stehe ich allein; ich muß mir meinen Weg durch die Welt bahnen; ich will es und werde es. Aber nicht für mich; ich denke nicht an mich. Ich will gelehrt werden, damit ich Andere lehren; ich will stark sein, damit ich Andere stüßen; ich_will_klug sein, damit ich Andern rathen kann. Darum möchte ich der Papst zu Rom sein, oder zum wenigsten Jefuiten-General. Da könnte man im Großen und Ganzen thun, was wir Kleinen im Kleinen und Einzelnen thun müssen. Aber auch so darf man nicht müßig sein. Die Ernte ist groß, und wir Alle sind zu Schnittern berufen. Vielleicht, daß ich zu den wenigen Auserwählten gehöre. Ja, Walter, ich gestehe es Dir. Manchmal ist es mir, als ob ich eine grenzenlose Kraft in mir spürte, als ob ich nur zu wollen brauchte und ich könnte Berge versetzen, es nur auszusprechen brauchte, und siehe, es müßte Alles so geschehen! Da pocht es mir in den Schläfen, meine Brust ist voll, als wollte sie zerspringen, ich möchte weinen, ich möchte laut aufschreien vor Schmerz und Lust. Und ach, ich darf das Alles ja Niemandem sagen,

außer Dir. Die Andern alle würden mich ja verspotten und verhöhnen. Wer glaubt denn sonst noch an mich?

Ich, schluchzte eine von Thränen halb erstickte Stimme; und Silvia, die auf den leichten Füßen lautlos näher und näher, zuleßt ganz nahe gekommen war und Alles gehört hatte, streckte die beiden gefalteten Hände wie anbetend ihm entgegen.

Mit einem zornigen Ausruf fuhr der Knabe in die Höhe. Hat man denn keinen Augenblick vor Dir Ruhe, rief er, mußt Du uns immer umschleichen und belauschen?

Silvia war bei diesen ihr im heftigsten Tone zugeschleuderten Worten sehr blaß geworden. Sich vor dem unfreundlichen Knaben abermals gedemüthigt zu sehen, das fuhr ihr wie ein Schwert durch's Herz. Sie war schnell ein paar Schritte zurückgetreten und blickte, die Arme über der Brust verschränkend, mit großen trogigen Augen zu ihm hinüber.

Ich habe Euch nicht umschlichen und habe Euch nicht belauscht, sagte sie, ich bin hergeschicht worden, um Euch zum Essen zu rufen; ich kann nichts dafür, wenn ich das dumme Zeug, das Ihr schwastet, gehört habe.

Leo lächelte. Komm' Walter, sagte er, wir können uns doch nicht mit einem Mädchen streiten.

Diese talte Geringschätzung war zu viel für das Kind. Sie wurde noch blasser und wollte heftig, trogig etwas erwiedern, aber tonlos bewegten sich die Lippen. Thränen, die fie vergeblich zurückzuhalten suchte, tropften aus ihren Augen.

Laß es gut sein, Silvia, sagte Walter beschwichtigend, Leo hat es so bös nicht gemeint. Du kamst so plöglich heran, ich war auch erschrocken; laß es gut sein, Silvia!

Und der treuherzige Knabe versuchte, der Schwester die Hände von dem thränenüberströmten Gesicht zu ziehen. Silvia fuhr ein paar Schritte zurück.

Rühr' mich nicht an! rief sie, keiner von Euch! Ich hasse Euch, einen wie den andern; ja, ja, Walter, Dich auch. Du bist seig, sonst würdest Du Dich meiner annehmen gegen diesen hochmüthigen Bettler.

Das Wort war kaum heraus, als aus Leo's Brust ein heiserer Wuthschrei brach. Er ballte die Fäuste und sprang auf Silvia zu. Das kühne Mädchen blieb ruhig stehen und schaute ihrem Feind, ohne mit den Wimpern zu zucken, in die zornglühenden Augen.

Nun, sagte sie, schlag' doch zu! Ich bin ja nur ein Mädchen!

Leo ließ die Arme sinken und wandte sich, heftige, unverständliche Worte durch die Zähne murmelnd, ab. Silvia lachte laut auf:

Adieu, Ihr schönen jungen Herren, rief sie, Eure Gesellschaft ist zu gut für mich.

Sie machte eine spöttische Verbeugung und lief dann in den Wald zurück. Bald war die lichte Gestalt zwischen den dunklen Stämmen verschwunden. Die Knaben hörten ihre Stimme, aber sie konnten nicht unterscheiden, ob sie ein lustiges Lied trällerte oder laut weinte.

Langsam folgten sie. Sie hatten Beide das Gefühl, ein Unrecht begangen und dazu noch den Kürzeren gezogen zu haben. Von Leo's kühnen Projecten war nicht mehr die Rede. Schweigend gingen sie neben einander hin. Nur einmal sagte Walter:

Du bist auch immer so barsch gegen Silvia.

Bettler, weißt Du, Walter, haben wenig Lebensart.
Sie meint es nicht so bös.

Nun, warum sollte sie es nicht sagen? sie hat ja Recht; sagte Leo mit finsterem Lachen.

Drittes Capitel.

Ziemlich früh am nächsten Morgen machte sich der Förster, nachdem er die laufenden Geschäfte besorgt hatte, auf, zum

gnädigen Herrn auf's Schloß zu gehen und den wöchentlichen Rapport abzustatten, bei welcher Gelegenheit sich dann auch vielleicht die Sache des Bruders mochte anbringen lassen.

Man konnte nicht leicht einen anmuthigeren Weg finden, als den, auf welchem der Förster jezt einherschritt. Dieser Theil des Waldes, auf dem lang sich hinstreckenden Ausläufer des Schloßberges, gehörte schon zum herrschaftlichen Park; aber man hatte sich darauf beschränkt, die Pfade durchaus gangbar zu machen und an passenden Stellen einen einfachen Ruhesis anzubringen, im Uebrigen aber der ursprünglichen Waldnatur keinerlei Zwang angethan. Selbst die Aussichten, die sich von Zeit zu Zeit hier in ein friedliches Wiesenthal, dort in die reichbebaute Ebene des fruchtreichen Landes öffneten, verdankte man nicht dem berechnenden Kunstsinn eines Parkgärtners, sondern sie waren ganz zufällig, wie es eben die launenhafte Formation des Terrains bedingte.

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Einzelne Stellen des Weges ließen sogar eine künstliche Nachhilfe entschieden wünschen. Hier hatte das Unkraut den Pfad übersponnen, dort ein Quellchen den lehmigen Boden ringsumher aufgeweicht. Einmal war sogar eine vom Sturme entwurzelte Tanne quer über den Weg gesunken.

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Hm, hm, murmelte der Förster, indem er einen Augenblick stehen blieb und gewohnheitsmäßig mit den Augen die Länge und Breite des Baumes maß und den ungefähren kubischen Inhalt berechnete; hm, hm ich fange an, alt und nachlässig zu werden. Die Tanne liegt hier schon mindestens ihre vierzehn Tage seit dem Ungewitter in der Nacht vom Zehnten auf den Elften und ich weiß nichts davon. Und wie schlecht der Weg geworden ist! Was würde die gnädige Frau selig sagen, wenn sie ihre Lieblingspromenade so verwahrlost sähe! Aber seitdem sie todt ist, kümmert sich Keiner mehr um dies Revier, nicht einmal ich, dessen verdammte Pflicht und Schuldigkeit es doch wäre.

Der brave Mann schüttelte den Kopf und schritt langsam weiter. Wenn er sonst durch den Wald streifte, entging ihm kein Vogellaut, kein Knistern und Knacken in den trockenen

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