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wesen sein, auch wenn er sie weniger unglücklich gefunden hätte; aber daß ein Menschenkind ohne sein Verschulden so viel Leid erfahren könne das bringt den armen Jungen, der bisher nur Liebe und Güte, Freude und Frieden um sich hat walten sehen, ganz außer sich. Er erklärt seinen Kameraden, daß er den Doctor für einen sehr gelehrten Mann halte, daß aber des Doctors Predigten von christlicher Liebe und Barmherzigkeit nicht mit seinem Thun übereinstimmten, und daß er für sein Theil einem Manne, dessen Handlungen nicht mit seinen Worten übereinstimmten, seine Achtung versagen müsse. So habe er es von seinem Vater gelernt, und so wolle er es mit der Erlaubniß des Herrn Doctors auch weiter halten.

Auf dergleichen Ausfälle pflegt Leo die Achseln zu zucken; Henri aber ruft: Was wollen wir uns über den alten Burschen noch streiten! Ihr mögt Euch über ihn den Kopf zerbrechen; das gehört zu Eurem Stande; ich, als Edelmann, weiß auch ohne das, was ich von dergleichen Leuten zu hal> ten habe.

Leo hat, wenn Henri sich so gehen läßt, stets eine bei= Bende Antwort in Bereitschaft; auch Walter ist nicht unempfindlich gegen den Hochmuth, der aus den Worten des Junkerleins hervorschaut; aber er verschluckt seinen Aerger; er darf es ein für allemal mit Henri nicht verderben. Henri ist ihm so nothwendig wie Jemand, der in ein verschlossenes Haus will, der Schlüffel, der ihm das Haus erschließt; ja, er liebt Henri mit der ganzen Uneigennüßigkeit, mit welcher ein sechszehnjähriger Knabe an dem Bruder des Mädchens hängt, das ihm tausendmal theurer ist, als sein eigenes, harmloses Leben.

Neunzehntes Capitel.

Das war nun so gekommen, allmälig, wie das Frühroth kommt, wie eine Knospe sich entfaltet; am wenigsten hätte der arme Junge es selbst zu sagen gewußt. Er wußte überhaupt nicht so recht, was es war; er wußte nur, daß Amélie braune Augen hatte, und wenn sie lachte was fie oft that die Spizen von zwei Reihen blendendweißer Zähne und in der Wange ein allerliebstes Grübchen zeigte, das schon im nächsten Augenblicke wieder verschwand. Außerdem wußte er freilich auch noch, daß Amélie, so oft er sie sah, die allerzierlichsten Schnürstiefelchen trug, und daß sie ihren Dompfaffen mehr als Alles in der Welt liebte.

Dieser Dompfaffe war eigentlich die Veranlassung, oder doch wenigstens der erste Anfang von Walter's Leiden ge-= wesen.

Amélie, Silvia, Henri und Walter

Sie hatten einmal an einem Herbsttage

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noch während Leo's Krankeinen Spaziergang durch den Garten und weiter den Schloßberg hinab durch einen Theil des Parkes gemacht, und waren Alle sehr ausgelassen und gewiß sehr harmlos gewesen, als Amélie plöglich eines Dompfaffen ansichtig wurde, der auf einem schwanken Baumzweige saß und so melancholisch aussah und so melancholisch-monoton dazu pfiff, wie es eben nur ein Dompfaff vermag. Amélie, die noch nie einen solchen Vogel gesehen hatte, war über sein buntes Gefieder ganz entzückt gewesen und hatte in ihrer lebhaften Weise das Verlangen geäußert, das allerliebste Thierchen zu besitzen. Henri hatte gefragt, was sie mit dem dummen Gimpel wolle? Aber Walter war von dem Augenblicke an sehr still geworden, denn daß dieser Gimpel oder irgend ein anderer Gimpel gefangen werden müsse, hatte bei ihm sofort festgestanden, und die Frage war nur noch, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Seine Gedanken drehten sich

von der Stunde an um diesen Einen Punkt; er dachte nur im Vorübergehen daran, daß sein Vater dem Knaben das Fangen von Singvögeln auf das Strengste verboten hatte.

Der Gehilfe des Vaters, der in's Vertrauen gezogen wurde, fand die Sache bedenklich, sagte aber zuletzt doch seinen Beistand zu, als Walter mit der größten Leidenschaftlichkeit erklärte, daß, wer ihm in dieser Sache hülfe, für immer und immer sein bester Freund sein würde. So zogen denn die Beiden mehrere Tage lang hintereinander beim ersten Morgengrauen in den Wald, und der Zufall wollte, daß sie nach einer Woche fieberhafter Aufregung für Walter, der zuletzt am hellen Tage mit offenen Augen Gimpel auf den Stuhllehnen und Schränken fißen sah, fingen, was sie suchten. Walter's Freude war grenzenlos. Er gab dem Gehilfen zwei blanke Thaler, die er bei seinem legten Geburtstage von dem Vater erhalten hatte, und eilte dann in athemloser Hast mit dem kleinen hölzernen Bauerchen, in welchem der unglückliche Gefangene saß, nach dem Schlosse. Hier kam er gerade in dem Augenblicke an, als Miß Jones mit den beiden jungen Mädchen ihre gewöhnliche Morgenpromenade vor Anfang der Lectionen antreten wollte. Er konnte nur seine Müße ziehen, einige gänzlich unverständliche Worte stammeln, das Bauerchen auf einen Gartentisch stellen und so schnell davonlaufen, als er gekommen war.

Nach dieser Heldenthat wagte sich Walter acht Tage lang nicht auf das Schloß und würde auch wohl noch sehr lange in dieser freiwilligen Verbannung gelebt haben, wenn nicht eines Tages Miß Jones mit den beiden Mädchen auf den Pfarrhof gekommen wäre, die beiden Knaben zu einem Spaziergang abzuholen. Walter's erste Empfindung, als der Besuch angekündigt wurde, war gewesen, auf die Gefahr hin, beide Beine zu brechen, aus dem Fenster zu springen und das Weite zu suchen; er wurde aber hieran von der resoluten Miß Jones gehindert, die etwas der Art geahnt haben mochte und in eigener Person ihn zu holen

kam. Die Begegnung mit Amélie ging viel leichter von statten, als er zu hoffen gewagt hatte. Amélie reichte ihm die Hand und sagte, es sei ein reizendes Thierchen und sie sei ihm auch so dankbar. Das war Alles.

Als ob das nicht genug gewesen wäre!

Es war ein wonniger Spaziergang durch den herbstlichen Park, in Begleitung einer wunderbaren Musik, zusammengesezt aus dem sanften Rauschen des Windes, dem Rascheln des Laubes und den hellen Stimmen der neckischen Mädchen. Dazu schien das Abendroth durch die Zweige, und Walter, der sehr still war, hatte eine dumpfe Ahnung, daß dies Alles wunderbar schön und viel zu schön sei, um länger als einen flüchtigen Augenblick dauern zu können.

Bon diesem Abende an stellte sich zwischen dem Schlosse und dem Pastorhause ein lebhafter Verkehr her, in welchen seit dem Anfang des Winters durch die Quartett- und Tanzstunden-Abende eine gewisse Regelmäßigkeit kam.

Im Anfang war es Walter in der duftenden Atmosphäre der großen stattlichen Schloßzimmer — zwischen all' den prunkenden Möbeln, den Delgemälden, Vasen, Statuetten, in dem Schein der großen Lampen, die von der Decke herabhingen und ihr mildes Licht auf die großen Blumen der Fußteppiche warfen, auf denen man fast lautlos dahinschritt — etwas ängstlich und beklommen gewesen; aber da Alle so gut gegen ihn waren und er sah, daß Silvia, die, wenn sie auch in jeder Hinsicht ein besonderes Kind war, doch am Ende immer seine Schwester blieb, gleichsam auf den Händen getragen wurde und recht eigentlich thun konnte, was sie wollte, so lernte er auch bald in dieser Luft freier athmen und sich wenigstens mit einiger Sicherheit bewegen. Einiges blieb freilich, was nicht so leicht wegzuschaffen war. Walter hatte den lebhaftesten Sinn für alles Schöne und Zierliche, einen Sinn, der bis dahin in der Einfachheit seines väterlichen Hauses vielfach geschlummert hatte, nun aber in dieser Umgebung, die in jedem Punkte den Stempel eines durchgebildeten Geschmackes trug, schnell und kräftig

erwachte. So sah er denn auch mit diesen seinen geöffneten Augen, daß er recht unschön, ja geradezu lächerlich ange= zogen war, wenn er seine plumpen, unbequemen Dorftleider mit den hübschen, nettsißenden Kleidern aus den feinsten Stoffen verglich, in welchen, wie Walter bald heraushatte, ein großer Theil von Henri's Grazie bestand. Mochte er thun, was er wollte, er konnte in seinen groben Stiefeln feine so zierlichen Pas wie sein glücklicherer Nebenbuhler machen, und das kränkte ihn tief, weil er fühlte, daß er es besser machen könne und es auch Amélie's halber, die für gewöhnlich sein Partner war, gern besser gemacht hätte. Silvia hatte gut lachen. Mädchen sind immer zierlicher gekleidet, und dann hatte Amélie, die mit Silvia von Einer Größe und Gestalt war, nicht geruht, bis ein nicht geringer Theil ihrer Garderobe aus ihrem Besit in den Silvia's übergegangen war. Silvia hatte gut lachen.

Aber er! Er hätte manchmal weinen mögen, wenn er seine Garderobe musterte. Wie diesen abscheulichen Rock mit den blauen Stahlknöpfen und den hochaufgepauschten Achseln hatte er in seinem Leben noch nichts gehaßt, es hätte denn die Weste mit dem Muster aus weißen und blauen Blümchen sein müssen, die Henri beständig mit mitleidslosem Spott die Bratenweste nannte.

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Henri fiel es nicht ein Walter hätte nichts von ihm angenommen, ganz gewiß nicht - aber Henri fiel es auch nicht einmal ein, seinem so dürftig ausgestatteten Kameraden etwas von seinem Ueberfluß anzubieten. Er fand es auch ganz in der Ordnung, daß der Sohn von seines Vaters Förster so wie andere Bauernknaben, oder doch ungefähr so gekleidet sei; ja er sprach das, wenn er zu den Schloßabenden Toilette machte was immer eine geraume Zeit in Anspruch nahm - ganz naiv aus. Walter, der sich seiner abhängigen Stellung vollkommen bewußt war, konnte nichts dagegen einwenden, obschon er unter der Härte des socialen Gesezes, auf das Henri sich beständig berief, so empfindlich litt. Henri fuhr fort selbst in Gegenwart der Anderen

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