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- von Walter's Bratenweste zu sprechen, bis der Freiherr es eines Abends hörte und mit einer Heftigkeit, die man sonst bei ihm nicht gewohnt war, sich dergleichen unwürdige Albernheiten auf das Ernstlichste verbat. Das war kurz vor Weihnachten gewesen, und zu Weihnachten wurde Walter von seinem Vater mit ein paar ganz neuen Anzügen beschenkt, die mit dem verhaßten Rock und der Bratenweste sehr wenig Aehnlichkeit hatten. Walter war dem Vater sehr dankbar; er hatte keine Ahnung davon, daß der Freiherr der eigentliche Geber war.

Doch das Alles waren am Ende nur Kleinigkeiten Staub-Atome, die vor einem glänzenden Gemälde vorübertanzten. Amélie blieb bei alledem doch die reizende kleine Fee, die nur in die Hände zu klatschen brauchte, um Alles rings umher in ein Zauberland zu verwandeln. Sie war für den armen Jungen der Inbegriff der Zierlichkeit, Schönheit, überhaupt jeder Tugend des Leibes und der Seele. Je häufiger er auf dem Schloß war und sie sah, desto voller wurde sein Herz von ihrer holden Anmuth, bis, als der Frühling kam und der Sommer, sein volles Herz über fließen mußte, nur daß der arme Junge leider nicht wußte, wem er den kostbaren Schat seiner Gefühle anvertrauen könne. Leo suchte mehr als je die Einsamkeit; Henri sprach immer so leichthin von den Damen im Allgemeinen und nahm sich gegen das hübsche junge Dienstmädchen im Pastorhause allerhand Freiheiten heraus, die Walter entschieden mißbilligte Henri konnte man dergleichen unmöglich sagen; Tante Malchen sah er jetzt sehr selten so blieb denn Niemand als Frau Urban, die stets so unendlich gut gegen ihn war und die er in Folge dessen und ihres Unglücks wegen sehr schäßte und liebte. Walter dachte nicht daran, ein Geständniß abzulegen, er wußte kaum, daß er etwas zu gestehen hatte er wollte nur Jemand haben, mit dem er über Amélie sprechen konnte, und da war Frau Urban ganz die geeignete Person. Sie wurde nicht müde, dem Knaben zuzuhören, wie er nicht müde wurde, zu er

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zählen harmlose Geschichten, in denen allen eine braunäugige Schönheit von vierzehn Jahren die Hauptrolle spielte, während ein unbeholfener Knabe von sechszehn sich scheu im Hintergrunde bewegte.

Aber so erquickend auch diese Plaudereien waren, fie erschöpften doch nicht das Meer von zärtlichen Empfindungen, das in dem Herzen des armen Walter wogte, und eines Abends, als er sich allein in den Park gestohlen hatte bis zu einer Stelle, von der aus man das Schloß und beson= ders einen Erker, in dessen Fenster ein Vogelbauer stand, übersehen konnte, schrieb er mit zitternder Hand etwas in seine Brieftasche, was, wenn es keine Verse waren, mit Versen wenigstens eine große Aehnlichkeit hatte. Walter hatte nie geglaubt, daß er es bis zu einem Gedicht bringen könne, und Leo stets um sein poetisches Genie beneidet; er hätte auch nicht gewagt, was er geschrieben, irgend einem Menschen, selbst nicht einmal seiner guten Frau Urban, zu zeigen; aber der einmal entfesselte castalische Quell war nicht mehr zu hemmen. Er ging umher, Trochäen und Jamben fingerirend, und dabei beständig in Verzweiflung, daß sich auf Amélie so wenig reimen wollte. Was redete sich der gute Junge nicht Alles ein, und welche wunderbare Dinge sagte er nicht von sich aus, wenn sie gerade in den Reim paßten! Wenn man ihm glauben wollte, so war es in seiner Brust öde, in seinem Herzen tiefe Nacht gewesen, bevor er „sie“ gesehen; „ste“ hatte ihm eine „neue Religion“ gegeben; durch sie“ war er ein anderer, ein guter Mensch geworden, wobei er Andeutungen von einem früheren Seelenzustand machte, dessen Qualen in der That entseßlich ge= wesen sein mußten. Er gelobte bei den grauen Locken seines Vaters der Förster erfreute sich noch der ursprünglichen braunen Farbe seines schlichten Haares daß er keinen andern Gedanken habe, als sie zu beglücken", daß er „fte", wenn das möglich sei, noch mehr achte als liebe", daß er dieser Liebe treu bleiben werde, wenn auch von ihren schönen Wangen der Reiz der Jugend abgeblüht."

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Dazwischen liefen dunkle Hinweise auf ganz ungeheure Thaten, die er für „fie" vollbringen werde, die er da diesmal der theure Name durchaus nicht in das Versmaß wollte nicht nennen zu dürfen behauptete, damit die Engel nicht eifersüchtig würden und „fie" ihm raubten.

Mit dieser erhabenen Lyrik bedeckte Walter nach und nach viele Blätter, die er auf das Sorgsamste sammelte und nicht minder sorgsam vor den profanen Blicken der Anderen versteckte. In der einzig verschließbaren Schublade seines kleinen Pultes ruhten in einem mit rothem Papier überklebten Pappkasten, in welchem Tante Malchen einmal Baumwollenstrümpfe für Silvia aus der Stadt geschickt bekommen hatte, diese kostbaren Blätter, und auf dem Deckel des Kastens war ein Zettel befestigt, mit der melancholischen Inschrift, daß er (Walter), im Falle ihn ein plößlicher Tod aus einem Leben, das keinen Reiz mehr für ihn habe, abrufen sollte, den, welchem dieser Kasten zuerst in die Hände falle, „bei Allem, was ihm heilig sei“, beschwöre, den Inhalt deffelben ungelesen zu verbrennen und die Asche in die vier Winde zu streuen.“

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Zwanzigstes Capitel.

Für Leo hatte der Frühling, hatte der Sommer keine Blumen gebracht. Wie Mehlthau auf die jungen Blätter, so war die Geheimlehre des Doctor Urban von der Religion, die man als Mittel zum Zweck zu benußen habe, in seine Seele gefallen. Zu feurig, um von der herzlosen Kälte dieser Doctrin nicht empört zu werden, nicht reif genug, um die Sophismen, auf welche der Meister seine Grundsäge stüßte, widerlegen zu können, zu ernst, als daß er im Stande gewesen wäre, ohne einen ideellen Inhalt nur eben so hinzu

leben, irrte er jeßt rathlos, hilflos umher, wie am Rande eines Abgrundes.

Von seiner Familie fühlte er sich seit der Nacht seiner Flucht innerlich getrennt. Er konnte es nicht verzeihen, daß man ihn, wie er meinte, in seiner bitteren Noth verlassen habe; alle Güte des Onkels, alle Sorgfamkeit der Tante, selbst Walter's Freundschaft konnten den Einen bösen Eindruck nicht wieder verwischen; und was er am wenigsten begreifen konnte, war, daß er in Silvia jemals etwas Anderes habe sehen können, als ein naseweises, vorlautes, ungezogenes Ding.

So vereinsamte der arme Knabe immer mehr; man war es schon so gewohnt, ihn seine eigenen Wege gehen zu sehen, daß man sich gar nicht mehr die Mühe nahm, ihn in die Gesellschaft zu ziehen. Wenn Leo und Herr Tusky sich nicht des Nachts in Eulen verwandeln und Mäuse fressen, so will ich nie wieder auf einem Pferde fißen, pflegte Henri zu sagen.

Herr Conrad Tusky war seit dem Frühling in Tuchheim als Schullehrer angestellt. Das Consistorium hatte ihn Hergeschickt; Niemand kannte ihn, und Herr Tusky seinerseits schien keine besondere Neigung zu haben, die Tuchheimer kennen zu lernen. Dies durfte allerdings um so mehr auffallen, als Herr Tusky nicht nur ein noch sehr junger Mann, sondern auch nach dem Urtheil einiger jungen Tuchheimerinnen, die es doch am besten wissen mußten, ein ganz hübscher Mann war etwas steif und hölzern allerdings und ohne Zweifel sehr ernst, aber doch mit seiner hohen breitschulterigen Figur eine gar stattliche Erscheinung.

Herr Tusky war dem Doctor Urban ungemein gelegen gekommen. Doctor Urban war ein ganz vorzüglicher classischer Philologe; auch in der Mathematik, in neueren Sprachen und in der Geschichte hatte er die gediegensten Kenntnisse, aber die Naturwissenschaften hatte er nicht ebenso cultivirt, und um seine Schüler doch auch in diesen Disciplinen schnell vorwärts zu bringen, sich bereits entschlossen, einen Hilfs,

Lehrer zu engagiren. Nun traf es sich, daß Doctor Urban auf seinen Spaziergängen ein paarmal seinem neuen Lehrer begegnete, der eine Botanisirtrommel um die Schulter und einen Spatenstock in der Hand trug. Doctor Urban war sonst principiell gegen dergleichen Liebhabereien, welche der guten Gesinnung junger Dorfschulmeister so leicht gefährlich werden können; diesmal aber paßte ihm die Sache so, daß er ein Auge zudrücken, ja sich mit Herrn Tusky über seine botanischen Studien und ähnliche Themata in ein Gespräch einlassen zu müssen glaubte. Doctor Urban merkte bald, daß der schweigsame, verschlossene junge Mann nicht blos in der Botanik, sondern auch in der Mineralogie, ja, in der Chemie ausgezeichnete Kenntnisse hatte. Das Resultat der Unterredung war eine längere Conferenz mit Herrn Tusky am folgenden Tage, in welcher sich derselbe — obschon nicht ohne einiges Widerstreben - verpflichtete, den Knaben für ein bestimmtes Honorar wöchentlich vier Stunden in den genannten Wissenschaften zu geben.

Bereits am folgenden Tage wurde Herr Tusky den Knaben vorgestellt, auf welche er den verschiedensten Eindruck machte. Henri erklärte: der Mann sehe aus wie eine Vogelscheuche, und er hoffe, sie würden einen Teufelsspaß mit ihm haben; Walter fand nichts Besonderes an dem neuen Lehrer, konnte aber allerdings auch nicht sagen, daß er sich zu demselben eben sehr hingezogen fühle; Leo dagegen kam Herrn Tusky mit einer Wärme entgegen, die Jedem, der den Knaben kannte, unbegreiflich war, um so unbegreiflicher, als Herr Tusky seinerseits nach wie vor gegen ihn wie gegen jeden Anderen dieselbe Zurückhaltung beobachtete.

Gieb Dir nur keine Mühe, Leo, sagte Henri; der plumpe Kerl ist noch unliebenswürdiger als Du, an dem hast Du Deinen Meister gefunden.

Henri haßte Herrn Tusky bald mit der ganzen Energie, mit welcher ein kleiner spieliger Schoßhund einen großen mürrischen Karrenhund hassen mag. Henri that sich für gewöhnlich in dem Ausdruck seiner Empfindungen wenig Zwang Spielhagen, In Reih' und Glied. I.

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