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nommen und begann jezt den Schloßberg mit einer Eile herunter zu fahren, als ob auf dem glißernden Schnee Schaaren hungriger Wölfe hinter ihm her galoppirten; der Pastor schlug den Weg nach dem Dorfe ein. In seiner gebückten Stellung, seinen scheuen Mienen war feine Spur seines sonstigen Hochmuths zu entdecken.

Warum wiesest Du die militärische Hilfe zurück? sagte Charlotte, indem sie sich, nachdem jene kaum das Zimmer verlassen hatten, mit Lebhaftigkeit zum Bruder wendete. Du hast den wahren Grund nicht genannt.

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Nein, erwiederte der Freiherr, weil ich zu stolz war, einzugestehen, daß ich mich nicht fürchte, wie jene Memmen, aber mich grenzenlos unglücklich fühle, und daß ich ents schlossen bin, dies Unglück, komme was da fomme, allein zu tragen. So lange ich lebe und denke, hat es an meinem Herzen genagt, das Bewußtsein des Unrechts unserer excep= tionellen Stellung, und doch ist sie so mit meinem Leben verwachsen, daß ich sie nicht aufgeben kann, ohne mein Leben zugleich aufzugeben. Wehe dem, der zuerst die Hand ausstrecte nach ungerechtem Gut! Er hat damit zugleich den ersten verhängnißvollen Schritt auf der schiefen Ebene ges than, die allmälig, aber unaufhaltsam abwärts führt. Ich weiß, daß ich auf Kosten Anderer bin, was ich bin, und doch und doch entsetzlicher Widerspruch, grausige Sphinx, deren Geheimniß wir lösen sollen, ja lösen müssen und nicht lösen können! Charlotte, Charlotte, wenn wir seiner fühlen, edler denken, als jene Unglücklichen, könnten wir es, wenn wir uns plagen müßten, wie sie? Und, liegt nicht unsere Selbstachtung, unsere Selbstschäßung, liegt nicht Alles, was uns das Leben lebenswerth macht, in einem Vorzug, der in seinem tiefften Grunde ein Raub ist?

So gieb ihnen, was sie fordern, sagte Charlotte; Du mußt es, wenn Du überzeugt bist, daß sie Recht haben.

Gewiß haben sie Recht, rief der Freiherr; zehnmal haben sie Recht; heute, wie sie vor Jahrhunderten Recht hatten. Aber was hilft es, daß ich davon überzeugt bin,

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wenn die Anderen diese Ueberzeugung nicht theilen? Ist heute ein vierter August? Ist dies Zimmer hier der Situngssaal einer National-Versammlung? Charlotte, Du, und Du allein weißt, daß ich mich keinen Augenblick befinnen würde, die fadenscheinige Freiherrlichkeit auf den Scheiterhaufen zu den übrigen Feßen des Mittelalters zu werfen. Aber hier ist keine welthistorische That zu thun. Entwickelt sich aus diesem Treiben und Drängen eine Revolution, so wird meine kleine Rechnung mit der großen Rechnung, die das Volk aufstellen wird, zugleich geregelt werden; verläuft sich aber Alles wieder im Sande, so sind die Zugeständnisse, die der Einzelne gemacht hat, gar nichts nüße, ja, der Einzelne ladet, indem er in einer politischen Zeit den gutmüthigen Patriarchen spielt, den Fluch der Lächerlichkeit und - was wohl noch schlimmer ist – den Verdacht der Feigheit auf sich. Wer wird mir glauben, daß ich nur aus freien Stücken nachgab? Er that es, werden Sie sagen, weil er fich fürchtete, weil er seine Kornschober, seine Scheunen, seine Häuser, weil er sein Leben retten wollte. Nein, nein, Charlotte, das soll von keinem Tuchheim gesagt werden! Sie wissen, daß ich es gut mit ihnen meine, daß ich mehr für sie gethan habe, mehr zu thun bereit bin, als irgend ein Edelmann im Lande. Sie wissen es, fie müssen es wissen, und wenn sie es nicht wissen zu wollen scheinen, so sind sie Schurken, und mit Schurken verhandle ich nicht. Schlimm genug, daß ich mich so weit mit ihnen eingelassen habe. Eine Kugel dem Ersten vor den Kopf, der es wagt, gewaltsam in mein Haus zu dringen - das wäre in diesem Falle die einzig richtige Antwort gewesen. Wenn ich sie nicht gegeben, wenn ich die Beleidigungen dieses frechen Menschen erduldet habe

Der Freiherr beendete den Sag, der in einen Vorwurf für Charlotten ausgelaufen wäre, nicht. Er ging mit heftigen Schritten in dem großen Gemache auf und ab, augenscheinlich bemüht, seiner Bewegung Herr zu werden. CharLotte beobachtete ihn mit tiefbekümmerter Miene; fie sah,

wie der Widerspruch zwischen Ueberzeugung und Neigung, zwischen Kopf und Herz, an dem er sein Leben lang gekrankt hatte, in dieser wichtigen, entscheidungsvollen Stunde in ihm so ungelöst war wie nur je; fie mußte fürchten, daß der Moment der Entscheidung ihn unvorbereitet, unentschlossen finden würde, und dieser Gedanke war ihr der entseßlichste von allen.

Karl, sagte sie, und ihre sanfte Stimme war sehr fest und ruhig; Du mußt an das Aeußerste denken, denn sei versichert, er wird es auf das Aeußerste ankommen lassen. Das wird er nicht thun, sagte der Freiherr.

Er wird es auf's Aeußerste ankommen lassen, wiederholte Charlotte. Ich habe es immer geahnt, wenn ich mir ihn in solchen oder ähnlichen Lagen dachte; seit heute Abend weiß ich es. Dieser Mann ist wie eine Naturgewalt, consequent, mitleidslos; nur von einer Kraft aufzuhalten, die stärker ist, als er. Konnte man ihm ansehen, konnte man ihm anhören, daß heute Morgen seine Mutter gestorben ist? In der That! sagte der Freiherr zerstreut.

Und doch hat er sie geliebt, fuhr Charlotte wie mit fich selbst redend fort; ich glaube es beschwören zu können. Gestern erst hatte ich die Frau zum erstenmale gesehen dort oben in Tannenstädt, eine alte, vom Schlage gelähmte Frau, die seit zehn Jahren nicht aus dem Bett gekommen war. Er hat sie stets mit aller Sorge umgeben; er hat weit über seine Kräfte an ihr gethan ich weiß es aus dem Munde der Leute, aus dem Munde seiner Schwester, die im Uebrigen gar nicht gut auf den Bruder zu sprechen war. Und vorhin vorhin, als er aus dem Zimmer ging, hat er mir gesagt, daß die alte Frau gestorben, heute gestorben ist, so ruhig, so kühl, so nüchtern - es ist furchts bar, furchtbar!

Charlotte unterdrückte mit Mühe einen Schauder und sagte wieder in ruhigem Tone:

Wir müssen an die Knaben denken, Karl. Wir können

sie nicht unten im Dorfe allen Gefahren und Verführungen ausgesett lassen.

Verführungen? sagte der Freiherr, wie meinst Du das? Ein Diener, der eilig und mit schreckensbleichem Gesicht in das Zimmer trat, ließ Charlotte nicht zur Antwort kommen. Es brennt im Dorf, gnädiger Herr, sagte der Mann.

Die Geschwister eilten aus dem Zimmer über den Vorsaal auf die Rampe des Schlosses. Sowie sie aus der Thür traten, sahen sie, wie ein rother Schein, der mit jedem Augenblick an Stärke zunahm, sich über den dunklen Winterhimmel gebreitet hatte.

Es ist das Pfarrhaus, sagte der Freiherr; sonst liegen keine Häuser so weit links.

Ja, ja, es ist die Pfarre, bestätigten die Leute, die sich in ängstlichen Gruppen um den Herrn drängten.

Man soll mir ein Pferd satteln, schnell! rief der Freiherr.
Charlotte faßte des Bruders Hand.

Nimm mich mit, Karl! bat fie leise und dringend. Hier ist kein Augenblick zu verlieren, rief der Freiherr ungeduldig.

Ich will Dich nicht aufhalten, aber wir kommen auf dem Fußweg eben so schnell hinunter, wie Du zu Pferde auf dem Fahrweg.

Was willst Du unten? sagte der Freiherr, glaubst Du, daß die Wüthenden Dich hören, Dich respectiren werden? Dies ist keine Zeit für Frauen; bleib' hier, Charlotte! und er begab sich eilends auf sein Zimmer, sich zu dem Ritte zurecht zu machen.

Charlotte hüllte sich in den Shawl, den ihr unterdessen Miß Jones gebracht hatte. Sie wollte sich auf keinen Fall von ihrem Bruder trennen. Der Anblick der beiden jungen Mädchen, die bleich und zitternd dastanden und die ängstlich starren Augen bald auf sie, bald auf den Himmel richteten, der den Schein des Feuers machtvoll zurückwarf, hätte sie fast in ihrem Entschlusse wankend gemacht; aber dann dachte

fie, daß Miß Jones muthig und klug sei und sie allens falls ersehen könne. Sie flüsterte der braven Dame einige Worte in's Ohr, worauf diese ernsthaft mit dem großen, viereckigen Kopfe nickte; küßte die Mädchen, welche sofort in Thränen ausbrachen, auf die Stirn und stand bereit, dem Freiherrn zu folgen, als plöglich ein Reiter in vollem Jagen auf den Hof gesprengt kam, bis an die Rampe, wo er vom Pferde sprang und die Zügel einem der Leute zuwarf. Gott sei Dank, Gott sei Dank! rief Charlotte, indem fie dem Ankommenden entgegeneilte und ihm beide Hände entgegenstrecte; wie habe ich Sie erwartet!

Der Förster hielt einen Augenblick die zarten Hände in festem, liebevollem Druck.

Ach, da ist der Friß! rief der Freiherr, der eben wieder aus seinem Zimmer trat; Du siehst, Friß, der Teufel ist los. Willst Du mit oder willst Du hier oben bleiben? Mir wäre es lieber, Du bliebst hier.

Auch Sie müssen hier bleiben, gnädiger Herr, sagte der Förster leise; verstatten Sie mir einige Worte.

Er trat mit dem Freiherrn auf die Seite und sagte zu ihm und zu Charlotte, welche den Männern gefolgt war:

Es ist vergebens, daß Sie den Unsinnigen entgegen treten; sie sind von Wuth und Branntwein außer sich, sie hören auf Niemand. Ihr hauptsächlicher Haß gilt dem Pastor; ich wußte es; vor einer Stunde erfuhr ich auch, daß man die Pfarre heute Abend anzünden wolle. Da habe ich die Pastorin und die Knaben in meinem Schlitten abgeholt und sie vorläufig nach der Försterei gefahren; dem Pastor bin ich soeben unterwegs begegnet; ich habe ihm gesagt, daß er umkehren müsse; er folgt mir auf dem Fuße. Und sollen wir die Hände müßig in den Schooß legen? rief der Freiherr ungeduldig.

Das Dorf ist in den Händen der Aufrührer, erwiederte der Förster.

Der Freiherr machte eine Bewegung der Ungeduld. Er konnte sich nicht verhehlen, daß es sehr wenig wahrscheinlich Spielhagen, In Reih' und Glied. L

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