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Und Eve stampfte mit den Füßen, ballte die Fäuste und Inirschte mit den starken weißen Zähnen.

Leo war über dies Alles entseßt. Tusky sollte von dem Tode seiner Mutter Kunde haben? Und konnte mit den Bauern trinken und schwaßen und ihnen Reden halten? Und Eve selbst, die so wenig Gefühl für den Tod ihrer Mutter hatte, wie der Bruder; Eve, die auch mitwollte, die sich freute, heute Nacht in einem seidenen Bette schlafen zu können!

Ueber die Halde heulte der Wind; die Kälte schüttelte den durch den raschen Lauf Erhißten bis in's Mark.

Er wendete sich, unverständliche Worte murmelnd, von dem Mädchen ab und begann, so schnell es der steinige, schneebedeckte Boden gestattete, den Berg hinabzusteigen. Er glaubte hinter sich her Eve's höhnisches Lachen zu hören, doch konnte er sich auch irren; der Wind machte sich von Minute zu Minute stärker auf und sauste eben durch das trockene Laub einer Eiche, die vor dem Walde Wache stand.

Aber er hatte sich nicht geirrt. Eve, die dem Enteilenden, bis er zum Walde gelangte, mit starren Augen nachgeschaut hatte, lachte in diesem Augenblicke laut und gellend, und murmelte dann zwischen den weißen Zähnen:

Einer wie der Andere nicht Ein freundliches Wort für mich, die ich ihretwegen friere und hungere. Aber ich will es Euch anstreichen! Ihr sollt an mich denken, wartet! Die Dame vom Schloffe giebt mir doch wenigstens zu effen. Ich will ihr sagen, daß Ihr sie todtschlagen wollt.

Und Eve, anstatt nach Tannenstädt zurückzukehren, lief über die Halde nach einer Stelle, wo, wie sie wußte, ein sehr beschwerlicher, aber auch viel kürzerer Fußpfad von dem Walde über die Berge nach dem Tuchheimer Schlosse führte.

Leo hatte gehofft, den Heimweg mit geringerer Anstrengung zurücklegen zu können, aber darin hatte er sich getäuscht. Das Hinabsteigen auf dem steilen, durch Thau und Frost zerrissenen, zum Theil mit Schnee ausgefüllten Wege war unendlich mühevoller. Ueberdies begann es im Walde bereits

stark zu dunkeln, und dann fühlte er plöglich, daß seine Kräfte fast gänzlich erschöpft waren. Er mußte sich ent= schließen, langsam und immer langsamer zu gehen, ja endlich sich an der Wegseite auf einen Baumstumpf zu seßen, um wenigstens einige Minuten auszuruhen.

Er stüßte den Kopf in die Hände, und wie er so das saß, überfiel ihn eine unbezwingliche Traurigkeit. Thränen, die er seit seiner Kindheit Tagen nicht geweint, rannen aus seinen Augen. Alles, was er heute gesehen und gehört hatte, kam ihm auf einmal so widerlich, so entsetzlich vor. Mar dies die Erfüllung der Träume seiner Knabenjahre? Dies ein Stück des Weges, den er weit in die Zukunft hinein hatte schimmern sehen, wenn er in einsamen nächtlichen Stunden in der stillen Giebelstube seines väterlichen Hauses am weinlaubumkränzten Fenster saß und zu dem Monde aufschaute, dessen goldene Schale in dem wolkenlosen Aether schwamm? Waren die trunkenen, lärmenden Gesellen, die er heute um Tusky sich drängen sah, waren sie die Menschheit, der er das Evangelium des Friedens und der Liebe hatte predigen wollen? Und Tusky selbst, war er der Apostel, der Mann der Zukunft, der Held sonder Makel, als welchen er ihn bis heute verehrt hatte? Wenn Tusky nur sein Spiel mit ihm getrieben? Wenn er ihm die furchtbaren Consequenzen seiner Lehre von der Freiheit und Gleichheit gefliffentlich vers heimlicht hatte, um ihn weiter und weiter zu locken, bis dahin, wo eine Umkehr nicht mehr möglich war?

Warum nicht möglich? Wessen bedurfte es weiter, als auf das Schloß zu gehen, anstatt zurück in das Dorf? Man würde ihn, wenn er käme, gewiß freundlich empfangen die Mädchen, die in lezter Zeit immer so artig zu ihm gewesen waren, das gnädige Fräulein, das noch vorgestern so gütig mit ihm gesprochen hatte — war es nicht seine theure Pflicht, die Familie seines Wohlthäters von dem Verderben zu benachrichtigen, das über sie hereindrohte? Aber war dies nicht in demselben Athem Verrath an Tusky Tusky, dem er die reinsten Freuden seines Lebens, dem er

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an

die schönsten Weihestunden gemeinsamer Begeisterung für die höchsten Ideale verdankte?

Verrath dort und Verrath hier! Wowo ein Ausweg aus diesem Jrrsal? Die Flucht in die weite in die öde, winterliche Welt, in die Nacht, die drohend heraufzog, in den Wald, der mitleidslos mit seinen finsteren, schneebelasteten Tannen ihn umstarrte!

Leo fuhr von seinem Site empor und blidte wirr um fich. Ihm war gewesen, als wenn Tusky durch den Wald daherkäme, rufend — nach ihm, dem Säumigen, dem Freunde, dem er alle seine Geheimnisse anvertraut, und der ihn nun so schnöde verrathen: Leo, Leo!

Aber es war Niemand da; auf der höchsten Spize der Tanne auf der anderen Seite des Weges saß eine Krähe und krächzte. Die Dunkelheit hatte sehr zugenommen; in den Wipfeln der Bäume saufte der Wind.

Es war die höchste Zeit, daß er zurückkehrte. Mit welcher Sorge mußte Tusky der Botschaft harren! Die kurze Rast hatte ihn ein wenig erquickt, und er begann wieder das mühsame Hinabklettern auf dem steilen, zerrissenen Waldwege.

Nun war der Ausgang des Waldes erreicht. Es ging noch immer bergab, aber weniger steil; dafür aber begann es jezt aus den dunklen schweren Wolken, die fast bis auf die Erde herabhingen, zu schneien, dichter und immer dichter -in wenig Minuten waren die undeutlichen Umrisse der Landschaft vor ihm verdeckt, und als er sich umwendete, war der Wald, den er eben erst verlassen hatte, verschwunden. Er sah nichts, als das Stück Boden unmittelbar zu seinen Füßen und rings um sich her eine grauschwarze Dämmerung, durch welche in rasendem Durcheinander die großen Flocken wirbelten.

Leo schritt, so schnell er konnte, vorwärts; aber er mußte sich oft gegen den Schnee die Augen mit der Hand be decken und manchmal auch stehen bleiben, um Athem zn schöpfen. Plöglich hörte er unmittelbar zu seinen Füßeu

ein starkes Brausen. Es mußte der Bach sein, über den eine steinerne Brücke führte, aber es war keine Brücke da; weder rechts, noch links — nur überall der Bach, welcher zwischen seinen steilen Ufern über mächtige Steine dahinschoß. Leo konnte nicht länger daran zweifeln, daß er vom Wege abgekommen war.

Ein jäher Schrecken erfaßte ihn nicht um seinethalben, obgleich seine Lage übel genug war aber um Tusky, der jetzt ohne Botschaft blieb, sich in der Ungewißheit viels leicht zu falschen, unbedachten Schritten verleiten ließ, die seinen Untergang herbeiführen konnten.

Und doch, was thun? Der Bach, welcher die Schneewasser aus dem Walde in trüben Strudeln zu Thal wälzte, war ohne augenscheinliche Lebensgefahr nirgends zu durchschreiten; und dann führten ja außer der Hauptbrücke noch ein paar Stege über den Bach, von denen sich doch einer oder der andere finden lassen mußte, um so sicherer, als der Schneesturm vorüber war und er jezt nur noch mit der Dunkelheit des Abends zu kämpfen hatte.

Mit der Dunkelheit - und dann mit der Müdigkeit, die zum zweiten Male, aber in viel stärkerem Grade, als vorhin im Walde ihn überfiel. Er konnte kaum noch einen Fuß vor den anderen segen hier am Rande des Baches, wo jeder Fehltritt ihm Verderben bringen mußte; dazu fühlte er heftige Stiche in der Brust, und seine Schläfe begannen ihn grausam zu schmerzen. Der Tod, den er sich gewünscht hatte, schien seinen Ruf vernommen und ihn mit seiner grimmigen Faust gepackt zu haben.

Zu seiner Linken fing ein rother Schein, der mit jedem Augenblic heller wurde, an, die trübe Schneeluft zu färben; aber der von tödtlicher Erschöpfung Gefolterte wußte nicht mehr, ob dies ein Spiel seiner überreizten Sinne oder ob es Wirklichkeit sei. Er hatte keine Kraft, darüber oder über irgend etwas nachzudenken; er hatte nur den einen Wunsch, eine trockene, warme Stelle zu finden, auf der er die entkräfteten Glieder ausstrecken könnte.

Da tauchte ein Licht unmittelbar vor ihm aus der Dunkelheit auf. Mechanisch schwankte er darauf zu. Wenige Schritte auf einem ebenen Pfade brachten ihn zu einer Hütte, in deren Thür eine junge Frau stand. Leo kannte sie wohl. Ihr Mann, ein Weinbauer, der ein vertrauter Freund Tusky's gewesen, war vor einigen Wochen gestorben; Leo war in der Hütte wohl bekannt.

Die Gewißheit der Rettung aus Todesgefahr gab ihm auf Augenblicke die Besinnung wieder. Er hörte Ausrufe der Verwunderung über sein plößliches Erscheinen von den Lippen der jungen Frau; dann hörte er eine andere Stimme die der Schwester der Frau sagen, daß es im Dorf brenne. Er murmelte ein paar Worte, daß er sich verirrt habe, daß er sich einige Minuten ausruhen müsse nur einige Minuten, weil Tusky ihn erwarte

aber

Dann aber schwand Alles in Nacht. Die beiden mitleidigen Frauen geleiteten den Schwankenden, Halbohnmächtigen in das niedrige Zimmer, legten ihn auf das Bett und deckten ihn warm zu.

Die Frauen standen wieder an der Thür und blickten nach dem rothen Schein, der jetzt bis zum Zenith hinaufreichte.

Ich hab' gewußt, daß es heute ein Unglück geben würde, sagte die Eine; die Todtenuhr, die seit dem Tage, wo mein Mann starb, stillgestanden ist, hat gestern die ganze Nacht durch gepickt.

Dummes Zeug! erwiederte die Andere, das Unglück kommt nicht davon her. Die schlechten Menschen machen es. Hab' Deinen Mann und Conrad oft genug davon sprechen hören. Ich fürcht', es giebt heut' Mord und Todtschlag im Dorf.

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