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gestüßt, lange auf die Zeichnung; endlich legte er das Blatt auf den Tisch und lehnte sich in die Sophaecke zurück.

Walter hatte sich wieder an den Tisch gesezt. Er schlürfte langsam seinen Wein und sagte:

Sie ist eine eigene, eigene Natur, meine Schwester; und so verschieden Ihr auch sein mögt, sie hat mich oft an Dich erinnert. Ja, wenn ich Dich recht betrachte, so habt Ihr selbst im Ausdruck eine gewisse Aehnlichkeit. Von ihrer Stirn leuchten, wie von Deiner, die Spuren origineller Gedanken; auch aus ihren Augen blickt, wie aus Deinen, eine Welt; aber schmerzlich, wie um Deinen Mund, zuckt es auch um ihre Lippen; und glücklich, Ihr armen Seelen, glücklich und zufrieden seid Ihr wohl Beide nie gewesen.

Glück und Zufriedenheit, sagte Leo, das sind curae posteriores, wie wir Aerzte sagen, Dinge, nach denen man so wenig fragen darf, wie in der christlichen Moral nach Effen und Trinken und Kleidung.

Und ohne die wir doch nicht leben, zum wenigsten nicht vollkräftig leben können, rief Walter. Ach, es ist gewiß ein wahres Wort, daß Freudigkeit die Mutter aller Tugenden ist. Wie können wir Wohlwollen gegen andere Menschen empfinden, wenn uns selbst nicht wohl ist? Wie können wir Kraft für Andere haben, wenn wir unsere Kraft verbrauchen in dem Kampf und Hader mit dem Geschick, das wir rauh und mürrisch nennen, um uns nicht selbst unfreundlich schelten zu müssen?

Du guter Junge, sagte Leo, Du denkst, weil in Deinem Herzen die Blumen duften und die Nachtigallen schlagen, müsse es in allen Herzen Frühling sein. Nein, lieber Walter, in meiner Brust ist kein Frühling und keine Frühlingsluft. Ein Stern ist's, der einsam in der kühlen Winternacht meines Daseins leuchtet, der immer vor mir her leuchtet und dem ich folge unermüdet, oft auf sehr rauhen, sehr beschwerlichen Bahnen! Aber um das zu können, um der Freiheit zu dienen aus allen Kräften, muß ich selbst frei sein. Ich muß mich, wenn es sein muß, in den Tod stürzen können,

wie der Sturmvogel in die Fluth, und darf keine andere Heimath haben als des Lebens schaukelnde Wellen. Baut ihr euch euer warmes Nest am sichern Felsenstrand, aber laßt mir den Ocean, der mir vorläufig genügen muß, obgleich auch er irgendwo seine Grenzen hat.

Leo hatte die leßten Worte mit plötzlich abfallender Stimme, wie mit sich selbst, gesprochen. Walter starrte nachdenklich in sein Glas, dann sagte er:

Du bist eine heroische Natur, Leo, wie ich glaube, daß Silvia in ihrer Art eine heroische Natur ist. Ja, ich will Dir gestehen, ich hatte Dich, kurz bevor Du kamst, noch so recht lebhaft in diesem blendenden Lichte gesehen und war Dir deshalb doppelt dankbar, und hieß Dich mit doppelt frohem Herzen willkommen, weil ich zu bemerken glaubte, daß Du jezt einer freundlicheren Lebensanschauung huldigtest. Nun aber sehe ich wohl: Du bist, was Du warst und, warum soll ich es nicht aussprechen: das erfüllt mich mit schwerer Sorge. Glaube mir, Leo, ich bin kein Philister; ich habe ein Herz, das höher schlägt, sobald in der Geschichte einer der Helden die mühevolle steile Bahn zur Unsterblichkeit an mir vorüber wandelt. Aber, wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist die Zeit des Heroenthums vorüber vorüber die Zeit, wo die Helden auf ihren Streitwagen das Blachfeld durchdonnerten und die kopf- und herzlose Heerde schreiend, thatenlos hinterdrein zog. Wohl mag es der groß angelegten Natur schwer werden, sich zu beugen unter das allgemeine Gesetz, schwer, von dem Irrthum zurückzukommen, daß sie allein schon ein Ganzes sei. Und doch ist es ein Irrthum. Das Feldgeschrei heißt jezt nicht mehr: Einer für Alle, sondern: Alle für Alle. ist der große demokratische Gedanke, der freilich schon mit der Menschheit geboren wurde, aber doch erst mit dem Christenthum die rechte Weihe empfing, der dann scheinbar wieder verloren ging, bis er in unseren Tagen aus der Asche des Mittelalters, wie ein Phönix verjüngt, sich erhoben hat, um nun nie und nie wieder verloren zu gehen. Wie

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fönnte verloren gehen, was in so vielen Köpfen und Herzen lebt, was so viele Kinder schon mit der Muttermilch einsaugen! Glaube mir, Leo, wie das Wort der Liebe für die Menschheit gesprochen ist, die mühselige und beladene, so soll auch der einzelne Mensch unter diesem milden Geset von seiner Mühsal, seiner Last befreit werden. Keiner soll jezt mehr tragen, als er tragen kann; kein Heiland unter der Kreuzeslast zusammenbrechen, kein Decius Mus den Speer weit hinein in die Feinde schleudern, und so, indem er seinem kühnen Ziele nachjagt, den Heldentod finden. Nein, nein, Leo, und abermals nein! Wir wissen jeßt, daß alle Länder gute Menschen tragen, und diese guten Menschen bilden eine einzige große Armee; der Einzelne ist nichts weiter, als ein Soldat in Reih' und Glied. Rechts und links Fühlung zu behalten und im Tact zu marschiren, und wenn zur Attaque commandirt wird, aus voller Brust Hurrah zu schreien und sich mit voller Gewalt auf den Feind zu werfen das ist seine Ehre, denn darin liegt feine Kraft. Als Einzelner ift er nichts — als Glied des Ganzen unwiderstehlich; den Einzelnen streckt eine Kugel in den Staub, aber die Reihe schließt sich über ihm, und die Colonne ist, wie sie war. Sieh', Leo, das ist die Macht der Disciplin, der keiner, er sei wer er sei, sich zu entziehen das Recht hat; denn, sei er noch so stark, in Reih' und Glied ist er stärker, und sei er noch so schwach,

in Reih' und Glied füllt er doch noch seine Stelle aus. In diesem Gedanken, den ich mir immer flarer und klarer zu machen suche, habe ich schon längst Trost, Ruhe und Freudigkeit gefunden.

Walter hatte die innere, Erregung wieder von seinem Size getrieben; hoch aufgerichtet stand er da, die schöne, freie Stirn und die Wangen von der Gluth des Weines und dem Feuer der Begeisterung leicht geröthet, den linken Fuß vorgeschoben, die breite Brust auf und nieder wogend, den Arm leicht gehoben. Leo hatte die Stirn gesenkt, sein bleiches Gesicht schien unbewegt, nur daß die feinen Lippen

noch fester zusammengepreßt waren. Auch seine Stimme flang herber, und die Worte kamen noch schärfer accentuirt, als er jetzt sagte:

Dein Gleichniß ist schön und hat nur mit anderen Gleichnissen den kleinen Fehler, daß es die verglichene Sache nicht deckt. Wenn Du behauptest, daß die Kämpfe der Menschheit jezt mehr als sonst Massenkämpfe sind, daß der starke Arm des einzelnen Kriegers nicht mehr das Gewicht hat, als wohl sonst, so ist das gewiß richtig; aber wenn Du daraus den Schluß ziehst, daß das Genie nun überflüssig geworden ist, so ist das gewiß falsch. Im Gegentheil! Was soll aus Deiner Colonne werden, wenn sie keinen Führer hat, der ihre Bewegungen leitet, der das Ganze übersieht, das der Einzelne nicht sehen kann? der in dem rechten Augenblick das Zeichen zum Angriff giebt, der mit Einem Worte erst einen Sinn bringt in die allgemeine Sinnlosigkeit? Die große Masse ist heute noch, was sie von jeher war und ewig bleiben wird. Sie will und muß geführt sein, sie erzeugt aus sich heraus nicht den bewegenden Gedanken. Weil der Gedanke, den der große Kopf dachte, jezt schneller als sonst das Gemeingut der Vielen wird, ist er darum weniger das Eigenthum des großen Kopfes? Weil die Ursache sich jetzt schneller in die Wirkung umseßt und die Wirkung in ihrer Breite die concentrirte Ursache verdeckt, stehen wir deshalb weniger unter dem Causalgeset? Freilich, wer denkt, wenn er eine complicirte Maschine arbeiten sieht, über all' den Rädern, Walzen und Kämmen an den, aus dessen Gehirn diese Wunder entstanden? Wer in einer Volksversammlung, die sich nach stundenlangen stürmischen Debatten endlich zu einer Resolution entschließt, an den, welcher die ganze Geschichte schon Wort für Wort schwarz auf weiß in seiner Tasche mitgebracht? Und jett, mon cher, laß uns zu Bette gehen, denn die Nacht ist weit vorgerückt, und ich bin müde von der langen Fahrt. Walter war mit diesem Vorschlage gar nicht zufrieden. Er hatte noch eine Welt zu sagen und zu fragen; das Ge

spräch war auf einen Gegenstand gekommen, der ihn ganz besonders interessirte und sollte nun mit einemmale ab= gebrochen werden, bevor die zweite Flasche geleert war. Aber Leo tröstete, daß morgen auch noch ein Tag sei, und daß er ja überhaupt so bald nicht wieder wegzugehen gedenke. Walter erfuhr dabei, was eigentlich Leo's Plan für die nächste Zukunft war. Er wollte, gestüßt auf die Prüfungs-Atteste einer süddeutschen Universität, auf eine bereits mehrjährige Praxis in der Schweiz und glänzende Empfeh lungen namhafter Gelehrten, sich um eine Assistenzarztstelle an einer der Kliniken der Residenz bewerben, oder, wenn das fehlschlage, sich eine selbstständige Praxis zu verschaffen suchen. Er sagte das, während er seinen Koffer aufschnallte; dann hielt er mit mühsam unterdrücktem Gähnen Waltern, der mit dem Lichte dabei stand, die Hand hin.

Ich gehe ja schon, rief dieser lachend; morgen werden wir uns vor elf Uhr nicht sehen. Ich habe zwei Stunden zu geben, und dann will ich beim Freiherrn vorsprechen und sagen, daß Du gekommen bist. Gute Nacht, lieber Junge, schlaf wohl!

Leo war allein. Er ordnete seine Toilettensachen und sah sich dabei manchmal im Zimmer um, das seltsamlich herausgeputzt war mit gestickten Fenster-, Sopha-, Fußtissen, und vor Allem mit zahllosen Nippsachen, welche in Glasspinden, auf Commoden, auf Edbrettern, auf dem Fußgestell eines schmalen Trumeau, sogar auf dem Vorsprung des weißen Kachelofens standen. An den Wänden hingen die Bilder des verstorbenen Königspaares, sowie die des jezt regierenden jugendlichen Königs mit seiner jugendlichen Gemahlin und der andern Prinzen und Prinzessinnen aus dem Herrscherhause.

Eine reizende Umgebung und schaft! sagte Leo.

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eine reizende Gesell

Er leuchtete mit dem Licht die Reihe der Porträts entlang. Vor dem Bilde des jungen Königs hielt er an und betrachtete es aufmerksam.

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