ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub
[ocr errors]

[ocr errors]

ich weiß nicht welchen politischen Größen aus der Schweiz und Süddeutschland oder Frankreich ich erinnere mich dessen nicht so genau. Der Papa sagt, ein so junger Mann mit so viel Kenntnissen und so viel Welt sei ihm im Leben noch nicht vorgekommen. Nun, die Kenntnisse lasse lasse ich dahingestellt, wenigstens habe ich ihn darauf hin nicht prüfen können; aber Welt, Welt hat er eine Welt von Welt, möchte ich sagen. Eine Sicherheit des Auftreten3, eine Präcision des Ausdrucks, die wirklich entzückend ist. Nicht ein Wort zu viel, nicht ein Wort zu wenig

[ocr errors]

Sie wissen diesen Vorzug zu schäßen? warf Silvia ein.

Sie meinen, ich mache zu viel Worte? sagte Emma, aber, mon Dieu! Ich bin nun einmal ein Naturkind und kann mich nicht in vornehmes Schweigen hüllen, wo mein Herz mich sprechen heißt.

Also bis zum Herzen sind wir schon! rief Amélie lachend; armer Henri!

Nun das mit dem Herzen war nur so eine façon de parler, sagte Emma und versuchte die Lage, welche die schlanke Silvia auf ihrem Fauteuil eingenommen hatte, zu copiren. Mein Herz gleicht ganz dem Meere, vor Allem darin, daß es nicht so leicht zu ergründen ist. Was ist mir Hekuba? was Henri? was die Andern? Ich sollte Euch nun eigentlich nichts mehr erzählen, aber ich will gutmüthig sein, wie immer, und wirklich, das Interessanteste habe ich noch in petto. Kaum hatte ich nämlich ein Stündchen oder so mit dem Herrn Doctor gemüthlich geplaudert, und ich wollte mich eben über eine Anekdote, die er ganz vortrefflich erzählt hatte, todtlachen wer läßt sich melden? Natürlich Henri. Der Doctor steht auf. Ich will nicht stören. Ganz und gar nicht, bleiben Sie doch! Da war Henri schon da. Erlauben die Herren, daß ich Sie weiter fam ich nicht, denn Henri's Gesicht nahm, während er den Doctor scharf in's Auge faßte, einen so seltsamen Ausdruck an aber ich sage Euch, einen wahrhaft erschrecker.den Ausdruck, daß ich selbst erschrak und schnell den

[ocr errors]

[ocr errors]

Doctor ansah. Der blickte so ruhig wie der steinerne Gast, und als ich wieder Henri ansah, hatte der auch seine gewöhnliche Miene wieder angenommen. Ich habe schon früher das Vergnügen gehabt, sagte er. Es freut mich, wenn Sie sich der alten Zeit mit Vergnügen erinnern, sagte der Doctor; vielleicht habe ich sonst noch die Ehre damit empfahl er sich. - Wo kommt denn der her? rief Henri, als der Doctor faum zur Thür hinaus war. Das hättest Du ihn selber fragen sollen, sagte ich, ein wenig empört über diese Rücksichtslosigkeit. Es scheint, daß Du heute in sehr ungnädiger Laune bist. - Findest Du? Mit einem Worte, es gab eine kleine Scene. Ist das Alles nicht sehr merkwürdig?

[ocr errors]
[ocr errors]

O, gewiß, sagte Amélie, sehr merkwürdig, sehr interessant. Aber eine Hauptsache hast Du noch vergessen: Wie sieht er denn aus?

[ocr errors]

Ich sagte ja schon, wie der steinerne Gast in Schwarz, und dreißig Jahre oder so jünger, aber mit derselben Grandezza. Ich kann wohl sagen, er hat mir sehr imponirt. Groß, schlank, dunkle Augen, dunkles Haar, dunklen Bart, dunkle Gesichtsfarbe, kurz Alles dunkel, wie ein spanischer Grande oder ein venetianischer Nobile in Frad und weißen. Handschuhen.

Das muß ja ein wahrer Ausbund sein von wem ist denn die Rede? fragte eine sanfte Stimme.

Ah, ma chère tante! rief Emma aufspringend und Fräulein Charlotte die Hand küssend.

Charlotte wiederholte die Frage und sagte, als sie ge= hört, von wem die Rede war:

Emma mag Recht haben. Leo's Wesen hat mich früher oft an das hübsche Goethe'sche Wort von den edlen Knaben Venedigs erinnert, die so eigen und stolz seien, weil sie dermaleinst doch Doge werden konnten.

Jest trat auch der Freiherr herein und begrüßte die Damen in seiner anmuthigen Weise.

Ihr wundert Euch, daß ich heute so zeitig komme,

sagte er, und, der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich gestehen, daß nicht Ihr es seid, um derenhalben ich mich von einer Broschüre über die sociale Frage losgerissen habe, deren Lectüre mich heute den ganzen Nachmittag beschäftigte. Ich stimme mit dem Autor keineswegs ganz überein; aber er behandelt seinen Gegenstand doch von einem so hohen Standpunkte aus und mit einem so weiten, großen Blick, wie sie in den platten Doctrinen unserer heutigen Liberalen geradezu unerhört sind. Vielleicht so find wir Menschen nun einmal würde das Büchelchen einen noch größeren Eindruck auf mich gemacht haben, wenn ich nicht wüßte, daß der Verfasser ein junger Mann ist, ein junger Mann, den ich noch vor wenigen Jahren als Knabe fast gesehen habe. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich von Leo spreche. Er ist nach Allem, was ich darüber urtheilen fann, ein bedeutender Mensch geworden, und es gereicht ihm in meinen Augen nicht zum Nachtheil, daß er es auf eigene Hand geworden ist. Ich verstehe jezt auch zum ersten Male die Motive seiner damaligen Handlungsweise. Er hat gefehlt, ohne Frage, aber nicht wie ein Thor, aus Unverstand, oder wie ein schlechter Mensch, aus Bosheit, sondern in dem Fanatismus einer noch nicht abgeklärten Ueberzeugung. Es kommt in der Broschüre eine schöne Stelle vor, die offenbar auf die Tuchheimer Affaire Bezug hat. Ueberdies hat mir Walter erzählt, daß Leo nicht persönlich oder doch nicht direct bei dem Angriff auf unser Haus betheiligt war. Dennoch lobe ich Walter's Tact, der Leo heute Abend mitbringen zu dürfen bat. Nach dem, was geschehen, hat eine erste Begegnung unter vier Augen immer etwas Peinliches für beide Theile; in der Gesellschaft macht sich dergleichen glatt und leicht. Ich bin recht, recht begierig, ihn wiederzusehen und der Freiherr rieb die schönen weißen Hände und ging, in Gedanken schon wieder bei seiner Broschüre, im Zimmer auf und ab.

Die Damen hatten die Worte des Freiherrn mit einer Aufmerksamkeit angehört, die sich in ihren Mienen und Ge

berden auf die verschiedenste Weise ausdrückte, und das Gespräch, das sich noch immer um Leo drehte, war bald ein allgemeines. Nur Silvia, die von Anfang an etwas abseits und halb abgewendet, den Arm auf den Sims des Kamins stüßend, dagestanden hatte, mischte sich nicht in die Unterhaltung und entfernte sich nach einigen Minuten. Amélie ging ihr nach und traf sie im Nebenzimmer am Clavier, in einem Notenhefte blätternd.

Ich bin heute so in Sorge um Dich, Silvia, daß ich Dich nicht aus den Augen lassen kann. Sobald Du den Rücken wendest, denke ich, Du gehst und kommst nicht wieder. Was hast Du? Ist Dir Emma's Geschwät so unangenehm?

Du weißt, ich höre das Wenigste von dem, was sie sagt, erwiederte Silvia; nein, das ist es nicht. Es ist mir eben wunderlich gegangen. Während Dein Vater sprach, fühlte ich ganz deutlich, wie die alte Abneigung gegen meinen Better sich wieder in meinem Herzen regte. Es ist so unbequem, Jemand loben zu hören, wenn man in das Lob nicht einstimmen kann. Das hat mir damals den Leo ver= leidet, und ich wollte wenigstens versuchen, ob ich ihm nicht jezt unbefangen und ohne Vorurtheil entgegentreten kann. Da kommt ja Miß Jones. Ist es denn schon acht Uhr?

Miß Ethel Jones hatte schon seit vier Jahren das freiherrliche Haus verlassen. Sie erklärte plößlich, daß die jungen Damen ihrem Unterricht vollständig entwachsen seien und daß sie es mit ihren Begriffen von Moral nicht vereinigen könne, in einer Stellung zu verharren, wo sie nichts mehr nüße. Vergebens, daß der Freiherr und Fräulein Charlotte in fie drangen; vergebens, daß die Mädchen sie mit Thränen beschworen, die resolute Miß ließ sich von ihrem Entschlusse nicht abbringen, packte ihre Koffer und errichtete mit den reichen Ersparnissen ihrer fast zwanzigjährigen Gouvernanten-Laufbahn in einem der fashionabelsten Quartiere der Stadt ein „Pensionat für junge Damen aus edlen und respectablen Familien", das sich bald eines un

gewöhnlich großen Zuspruchs erfreute. Miß Jones stand ihrem Institut mit einer Gewissenhaftigkeit vor, welche der Mißgunst und dem Neide ihrer zahlreichen Concurrentinnen auch nicht die mindeste Blöße gab, nur daß sie während des Winters regelmäßig einen Abend in der Woche in einer Miethkutsche ihr Haus verließ, um zehn Minuten später, mit dem Glockenschlage acht, in einem schweren braunen Seidenkleide, die breiten Schultern in einen gelben Shawl gehüllt, und auf dem viereckigen Kopf einen abenteuerlichen Puß aus Federn und Blumen, in den Salon des Freiherrn einzutreten, wo sie alsbald hinter dem Theetisch Plaz nahm. Dort verweilte sie bis zum Glockenschlage Zehn und rauschte dann stattlich, wie sie gekommen war, davon. Miß Jones war eine stereotype und allerseits gern gesehene Figur in dem Salon des Freiherrn; sie stand in dem Rufe, den besten Thee in der ganzen Residenz bereiten zu können, und Jedermann bewarb sich um ihre Gunst. Ihren Plaz hinter dem Theetisch verließ sie nur, wenn Silvia sang. Sie behauptete, daß Niemand außer ihr Silvia begleiten könne, und es war gewiß, daß diese junge Dame sich von Niemand lieber begleiten ließ.

Miß Jones' breites Gesicht, dessen Farbe stets ein wenig mit dem lebhaften Regenbogen ihrer Toilette wetteiferte, war heute noch ganz besonders geröthet, und sie war der jungen Dame kaum ansichtig geworden, als sie mit lauter Stimme rief: Ist es denn möglich, was mir Walter heute geschrieben hat? Ist der sonderbare Knabe wirklich zurück? Wo ist er?

[ocr errors]

Silvia zuckte ungeduldig die Achseln, während Amélie der bewährten Freundin, was sie wußte, mittheilte. &3 ist noch ganz wie damals, dachte Silvia, sie haben ihn immer verwöhnt und überschäßt, und können nun damit nicht zeitig genug wieder beginnen. Wenn alle Welt ihm so geschmeichelt hat, welch' ein widerwärtiger, anmaßlicher Mensch muß das geworden sein! Ich hätte fast Lust,

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »