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Du bist ja doch auch klug und hast so viel gelernt, Bater, hatte der Knabe gefragt, warum bist Du denn so arm, daß wir oft kaum Brod haben, uns satt zu essen? Ich habe Unglück gehabt, hatte der Vater murmelnd geantwortet, ich bin auch nicht klug genug gewesen, hatte auch nicht genug gelernt. Du aber, Leo, Du mußt klug werden, flüger als alle andern Menschen, dann wirst Du auch mächtiger als alle andern Menschen sein.

Wie des Knaben Herz brannte, wenn diese und ähnliche Worte wie Feuerflocken in seine Seele fielen! Sollte das Wissen wirklich das Zauberwort sein, auf das sich die kahle Felsmand öffnet zu den weiten Sälen, in denen es von Gold und Edelsteinen glänzt und funkelt? Sollte in den lateinischen Vocabeln eine Kraft stecken, die eine niedrige, strohgedeckte Hütte in einen stolzen Palast umwandeln kann einen Palast, von dessen breiter Marmortreppe der Königssohn herabschreitet, die Schaar der Bauernknaben gnädiglich aufs zuheben, die an der untersten Stufe ehrfurchtsvoll auf den Knieen liegt? Das waren kindische Träume, über die der zum Jüngling herangewachsene Knabe lächelte.

Solche Zaubermacht hat das Wissen nicht; aber eine an= dere, die vielleicht nicht minder groß ist. Ueberredung ist auch Macht. Keine andere stand den Propheten des alten Testaments zu Gebote, und doch vermochten sie oft das ganze Volk nach ihren Absichten zu lenken; und der Herr selbst hat nichts gehabt als sein Wort, und doch hat das Wort die halbe Welt bezwungen und wird die ganze noch dereinst bezwingen. D, wie des Knaben Stirn glühte bei diesem Gedanken! Ein Prediger zu sein des Herrn, und hinauszuziehen in alle Lande, zu verkünden seine Lehre, die Lehre von der Freude, von dem Frieden, dem ewigen Frieden, dem eine ganze Welt voll schöner, unschuldiger Menschen lächelnd huldigt!

Und der Knabe versenkt sich immer tiefer in diesen Gedanken. Was er thut, ist nur Mittel zu dem großen Zweck. Er fastet und hungert, denn der Prediger in der Wüste

darf nicht fragen: was werde ich essen oder trinken; er schläft oft auf dem harten Boden, denn des Menschen Sohn hatte auch nicht, wo er sein Haupt hinlegte; er zwingt sich, halbe, ganze Nächte hindurch zu wachen, denn die Stunde auf dem Delberg wird auch für ihn kommen, die Stunde, wo er für die Wahrheit seiner Lehre wird zeugen müssen wo er wird beweisen müssen, daß er die Menschen, seins Brüder, ebenso und mehr geliebt hat, als sich selbst.

Die Menschen, seine Brüder! Er hat nie einen Bruder, nie eine Schwester gehabt; seine Mutter hat er kaum gekannt. Und seinen Vater liebt er den? Liebt denn der Vater ihn? Wodurch beweist er es? Ist er je so freundlich zu mir, wie der Onkel es stets gegen seine Kinder, ja selbst gegen mich ist? Weiß ich es nicht noch recht wohl, wie er mich früher geschlagen, ja mit Füßen getreten hat, wenn ich meine Lection nicht ohne Anstoß hersagen konnte? Ist er nicht stets verdrießlich, mürrisch, launisch? Kann ich ihm je das Mindeste recht machen? Beobachtet er mich nicht überall? lauert hinter mir auf Schritt und Tritt? Was kann ich dafür, daß er so viel Unglück gehabt hat? Es ist seine eigene Schuld gewesen; sagt er doch selbst, Niemand sei arm und elend ohne eigene Schuld. Warum ist er arm und elend und macht mich mit elend? Nun, heute wenigftens, vielleicht auf ein paar Tage, bin ich allein und frei und frei

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Und wieder versuchte der Knabe zu singen, und wieder schwieg er nach den ersten Tönen, erschrocken vor der eigenen Stimme. Er schlug seine lateinische Grammatik auf und begann, die Seite mit der Hand zudeckend, sich selbst seine Lection von gestern zu überhören. Es fehlte ihm auch nicht ein Wort; er lächelte stolz und zufrieden, und vertiefte sich in seine Arbeit.

Aber die Sonne störte ihn; sie kam auf seinen Tisch und schien auf das Blatt; er rückte weiter; die Sonne fam ihm nach. Unwillig klappte er das Buch zu.

Draußen lag der goldene Schein so warm auf den

Wiesen und auf dem Waldrande, über dem ein Raubvogel seine Kreise zog. Der Knabe stützte den Kopf in die Hand und schaute hinaus. Und wie er so schaute, ergriff ihn stärker und stärker eine Empfindung, die er schon öfter ge= habt, wenn er Vögel im Fluge beobachtet hatte, als könne er auch fliegen, hoch, hoch über der Erde, ja über den Wolken in den Himmel hinein.

Es litt ihn nicht mehr in der Kammer; in der nächften Minute war er die Treppe hinab, hinten zum Häuschen hinaus auf der Wiese, und eilte dem Walde zu.

Wie schattig und fühl war es im Walde. Oben in den breiten Kronen der Buchen und Eichen spielte der Morgensonnenschein; aber nur hie und da drang ein Strahl bis unten auf den moosigen Grund. Es war ganz still; nur manchmal knackte es rechts oder links im Dickicht unter den leichten Tritten eines Rehes, das der frühe Wanderer aufgeschreckt hatte; zuweilen ging ein Rauschen durch die Wipfel, das aus den Tiefen des Forstes zu kommen schien und raunend und flüsternd in der Ferne erstarb.

Leo war noch nie so früh im Walde gewesen; der neue Eindruck entzückte seine empfängliche Seele. Er genoß zum ersten Male in seinem Leben das Gefühl vollkommener Freiheit; aber alsbald störte die Seligkeit, der er sich kaum überlassen hatte, der traurige Gedanke, daß er allein sei, daß er Niemand habe, mit dem er sein Glück theilen könnte. Zwar Walter liebte ihn gewiß, und er seinerseits hatte Waltern ja auch recht gern; Walter hörte wohl zu, wenn er von seinen Plänen, von seiner Zukunft sprach, aber das war ja auch Alles. Das rechte Verständniß für das, was ihn interesfirte, hatte Walter doch nicht. Wie oft hatte er das schmerzlich empfunden; noch gestern Abend, als er von seiner Absicht sprach, als Missionär in die weite Welt zu gehen, und jener behauptete, sich nicht von seinem Walde trennen zu können. Und Silvia? Des Knaben Lippe krümmte sich verächtlich, als er den Namen seiner Cousine laut ausges sprochen. Sie hatte ihn einen Bettler gescholten, das stolze,

trogige, wilde Ding; er hatte ein gutes Gedächtniß und wußte, daß er ihr das nicht vergessen würde. Einen Bettler, ihn! Wann hätte er je gebettelt? je einen Menschen um ein Stück Brod, ja nur um ein freundlich Wort gebeten, so oft er auch schon im Leben nach Brod gehungert und nach Liebe gedurftet hatte? Und doch! War er nicht im Begriffe, die Gastfreundschaft des Försterhauses in Anspruch zu nehmen? Sollte er zurückkehren in seine einsame Kammer, zu der Gesellschaft seiner Kaße, die heute Morgen schon vor Hunger geschrieen?

Wie allein sich der arme Knabe fühlte! Wie allein und wie verlassen und unglücklich! Wohin war nun die ambrofische Schönheit des Morgens geflohen? Wie war der helle Sonnenschein so falb geworden! Wie ahnungsreich und schwermuthsvoll rauschte es in den Bäumen! - Allein und verlassen!

So irrte er weiter und weiter, stundenlang querwaldein, zulezt unter den Wipfeln mächtiger Tannen, deren herabgefallene, vertrocknete Nadeln den unebenen, mit Steingeröll überdeckten Boden noch weniger gangbar machten. An manchen Stellen war die Erde von Wasser durchsickert, das hie und da ein Rinnsal bildete. Mit dem Raunen des Windes in den Wipfeln vermischte sich ein stärkeres, gleichmäßiges Rauschen; es kam von dem Waldbach, der, oben im Gebirge entspringend, hier auf den lezten Terrassen der Vorberge dem nahen Flusse in der Ebene ein bedeutendes Wasser zuführte.

Unwillkürlich lenkte Leo seine Schritte dem Bache zu. Er wußte nicht, wie lange er bereits in dem Walde war, aber er fühlte sich müde, hungrig und durftig. Auch konnte ihm der Lauf des Baches, der, wie er wußte, nicht weit von dem Försterhause aus dem Walde in die Wiesen trat, als Führer in der pfadlosen Wildniß dienen.

In dem Maße als das Rauschen lauter und lauter ertönte, bedeckte sich der Boden mit immer größeren Felsblöcken, zwischen denen der Knabe mühsam hinabklomm. Auf einmal, ehe er es sich versah, stand er, aus den dichten Stämmen heraustretend, unmittelbar über dem Bache.

Spielhagen, In Reih' und Glied. I.

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Es war ein prächtiger Anblick. Von einer Felsentreppe kam das Wasser in mächtigen Sprüngen herabgestürzt, hier in glatter Masse über eine breite Stufe schießend, dort, zwischen großen Steinen gewaltsam zusammengepreßt, in fühneren Bogen hervorbrechend, strudelnd, wirbelnd, kochend, zu Schaum zersprigend, unter beständigem, in solcher Nähe fast betäubendem Brausen, Rauschen und Donnern.

Leo hatte diesen Ort noch nie betreten, obwohl er in der Familie seines Onkels oft schon von den Wasserfällen hatte sprechen hören. Wäre er weniger hungrig und durftig gewesen, so würde ihn das herrliche Schauspiel wohl ange= zogen haben; aber jezt machte ihn das starke Geräusch, das seine überreizten Nerven allzu sehr erschütterte, nur noch ungeduldiger. Er wollte trinken, aber da, wo er stand, war das Ufer viel zu steil, als daß man bis zum Wasser hätte hinabgelangen können. So fletterte er denn an den Felsen weiter, bald unmittelbar über dem Bache, bald, wo der Absturz allzu jäh war, genöthigt, sich wieder in den Wald zu wenden und dort zwischen den dichten Stämmen über die knorrigen Wurzeln, die wie Polypenarme die moosigen Blöde umflammert hielten, sich einen mühsamen Weg zu bahnen.

Dann ging es mäliger hinab nach dem Uferrand.

Uralte Bäume umragten eine kleine Bucht, die mit chaotisch übereinander gewirrten, von dichtem Moos und riesigen Farrenkräutern ganz übersponnenen Felsblöcken angefüllt war. Zwischen den Blöcken waren kleinere und größere Höhlen, von denen die eine mehreren Menschen zugleich vor einem plötzlichen Ungewitter einen sichern Zufluchtsort gar wohl gewähren mochte. Zwischen dieser Stelle und dem gegenüberliegenden Ufer, das viel sanfter zum Wasser hinabstieg, hatte der Bach ein kleines Bassin gebildet, dessen spiegelklare, friedliche Fläche mit dem brausenden Ungestüm der oberen Katarakte gar anmuthig contrastirte. Nach unten zu wurde das Bassin durch einen Felsenriegel begrenzt, der ursprünglich diese Aufstauung der Gewässer bewirkt hatte

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