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und über den sie jest, wie über ein natürliches Wehr, in fast gleichmäßiger Stärke mehrere Fuß herabfielen. Die Kühle des Ortes, das durch die hohen Bäume gedämpfte Licht, das gleichmäßige, hier weniger betäubende Rauschen des Wassers, die unendliche Einsamkeit und Abgeschlossenheit das Alles stimmte so wunderbar zusammen, daß Leo sich wie von einem Zauber berührt fühlte. Er warf sich zwischen den Felsen auf den moosigen Grund, stüßte den Kopf in die Hand und blickte auf die kaum bewegte Fläche des Wassers und nach dem gegenüberliegenden Ufer, wo auf dem glatten Sande, den die Strömung dort hingespült hatte, schlanke Bachstelzen ihr zierliches Wesen trieben.

In dieser Einsamkeit fühlte sich der Knabe noch einsamer und verlassener, aber nicht mehr so unglücklich als vorher. Auch der Hunger war jest, nachdem er seinen Durst gestillt, nicht mehr so nagend. Eine große, allgemeine Erschöpfung, die aber nichts Beängstigendes hatte, ergriff ihn; er fühlte sich müde, todmüde. Er hätte einschlafen mögen, um nicht wieder aufzuwachen. Wer würde ihn vermissen? Vielleicht würde man seinen Leichnam ein paar Tage hindurch vergeblich suchen, und sich dann beruhigen, als sei eben nichts geschehen. Wer kümmerte sich um ihn?

Und seine großen Pläne? Die sollten nun alle bloße Träume gewesen sein? Er sollte nicht die fremden Länder sehen mit den seltsamen Menschen, den ungeheuerlichen Pflanzen und den wunderlichen Thieren? Und Papst und Jesuiten-General? das waren Alles kindische Wünsche,

Visionen eines Bettlerknaben, der tief im einsamen Walde vor Erschöpfung und Hunger umkommt?

Solche Gedanken zogen durch das junge überreizte Gehirn; bald aber mischten sich in die wachen Gedanken wunderliche traumhafte Gebilde. Er sah sich inmitten eines prachtvollen Saales, von dessen Marmorwänden die Lichter eines großen Kronleuchters blizend zurückgeworfen wurden, an einer großen runden Tafel, die mit den herrlichsten Schüsseln voll der leckersten Speisen bedeckt war. Er war

nicht allein; eine Menge Männer in den prächtigsten Kleidern saßen um den Tisch; er kannte die Männer nicht, konnte auch ihre Gesichter kaum unterscheiden, mit Ausnahme des Einen, der zu seiner Linken saß, eines jungen Mannes mit blauen, übermüthigen Augen und hoher, weißer Stirn, vor dem sich Alle ehrfurchtsvoll neigten, der sich aber mit Niemandem beschäftigte, als mit ihm, und nicht müde wurde, seinen Teller zu füllen mit Kuchen und Früchten, bis der Teller nichts mehr faffen konnte und der junge Mann mit den übermüthigen Augen übermüthig zu lachen anfing und plöglich in die Hände klatschte: Husch, husch! Und Saal und Tafel und Speisen und Gäste Alles war verschwunden.

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Drüben auf dem flachen, sandigen Ufer stand Silvia. Das Klatschen hatte den Bachstelzen gegolten, die jetzt in wiegendem Fluge über die Fläche zogen. Husch, husch! rief die Kleine noch einmal und hüpfte und lachte. Dann trat sie bis an den äußersten Rand, schaute, sich so weit als möglich vornüber beugend, hinein und nickte ihrem nickenden Spiegelbilde zu.

Im Nu hatte sie die Strümpfe und die Schuhe abgestreift. Jetzt ein halber Schritt in das Wasser und dann noch ein halber und dann in einem Sprunge zurück auf den trockenen, warmen Sand. Aber das sonnendurchleuchtete Wasser lockte nun erst recht. Ach, so einmal ohne die lästige Aufsicht der Tante zu baden wie lange hatte sie das gewünscht! Jezt war es Zeit, so gut kam die Gelegen= heit nicht wieder. Wer sollte sie sehen in dieser Einsamkeit!

Sie stand und lauschte. Eine Holztaube kam vorbeigeschwingt und ließ dann aus der Nähe, wo sie sich niedergelassen hatte, ihren Ruf ertönen. Silvia athmete tief auf. Noch einmal horchte und lauschte sie nach allen Seiten. Still Alles still — und mit hastigen Händen entkleidete sich das Kind.

Leo hatte sich, als er, aus seinem Halbschlummer erwa= chend, Silvia erblickte, leise auf die Kniee erhoben. Seine

erste Regung war gewesen, sich weiter zwischen die Felsen zu schleichen, dann hatte ihn die Besorgniß, ein Geräusch zu verursachen, und zulegt eine sonderbare Neugier, die ihm das Blut stürmisch zum Herzen trieb, festgehalten. Erst war es Silvia gewesen, die übermüthige, ihm verhaßte Silvia, und dann war es nicht mehr Silvia ein ganz fremdes, unheimliches Geschöpf, dessen weiße, rundliche, halb in das Wasser getauchte Glieder im Sonnenschein glänzten, während sie mit den flachen Händen auf das Wasser klatschte, daß es hoch aufsprigte, und sich dann lachend die Tropfen aus den langen Locken schüttelte.

Eine seltsame Starrheit bemächtigt sich des Knaben. Etwas nie Gefühltes geht in ihm vor. Er kann den Blick nicht von dem lieblichen Schauspiel abwenden, troßdem ihm eine Stimme im Innern sagt, daß jeder Augenblic, den er länger zögert, ein Verbrechen ist. Ein Schwindel erfaßt ihn, es saust ihm in den Ohren, sein Athem geht schwer; es flimmert ihm vor den Augen; wie hinter einem durchsichtigen Schleier erscheint ihm jest die zierliche Gestalt; feine Sinne verwirren sich; mit einer legten Kraftanstrengung rafft er sich auf; sein Haupt, dem die Müße entglitten ist, stößt heftig gegen die scharfe Kante des vorspringenden Felsens, unter dem er gekniet hat, und, ohne eine Klage auszustoßen, sinkt er ohnmächtig in das weiche Moos.

Fünftes Capitel.

Als er erwachte, sah er das braune Gesicht seines Onkels über sich.

Der Förster hatte, als er von dem Schlosse kam, fich sogleich nach Feldheim begeben, um mit dem Bruder zu

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sprechen. Zu seinem Leidwesen erfuhr er dort von einem Bauer, der auf dem Felde arbeitete, daß der Doctor so wurde Anton, der fortwährend in seiner chemischen Küche Getränke kochte und unter anderen Herrlichkeiten auch ein Lebenselixir erfunden haben wollte, von Allen in der Nachbarschaft genannt schon vor Tagesanbruch mit einem langen Stock in der Hand und einem rothen Bündelchen unter dem Arm das Dorf verlassen habe. Von Leo wollte Niemand etwas wissen. Der Junge ist ja wie eine wilde Kate, meinte eine alte Frau aus der Nachbarschaft; wenn es dämmert und dunkel wird, streicht er aus dem Hause; ich wohne schon an die zehn Jahre ihnen gegenüber und weiß noch heutigen Tages kaum, wie er aussieht. Der Förster beunruhigte sich nicht, als er das Häuschen verschloffen fand und Niemand auf sein Rufen antwortete. Leo hatte sich ohne Zweifel, der Verabredung gemäß, bereits nach dem Försterhause begeben.

Dahin machte sich denn nun auch Frit Gutmann auf, und er schlug, um schneller nach Hause zu kommen, denselben wenig betretenen, ihm freilich wohlbekannten Waldpfad ein, den heute Morgen Leo zuerst gegangen und hernach in seiner schweifenden Laune verlassen hatte. Der Pfad führte direct auf eine Brücke, die man aus ein paar Baumstämmen und daran befestigtem schwankendem Geländer ein paar Schritte unterhalb der Wasserfälle über den Bach geschlagen hatte. Von der Brücke gelangte man über eine schöne Wiese und durch ein Stück Waldland zur Försterei.

Als Frit Gutmann in die Nähe der Brücke kam, fiel ihm ein, daß er seit längerer Zeit nicht an den Wasserfällen gewesen war. Sie hatten heute Morgen, als er über den Schloßberg ging, so erinnerungsreich zu ihm herauf gegrüßt; es packte ihn plößlich eine Sehnsucht, die Moosgrotte wiederzusehen, in welcher er die Fräulein und den kranken jungen Herrn verborgen hatte. Er bog rechts ab und kletterte am Ufer des Baches hin. Drüben auf dem Ufer flog etwas Weißes durch die Stämme, als er in die Nähe des Bas

sins kam; es war der Eindruck aber so flüchtig gewesent, daß selbst sein scharfes Auge nicht hatte ausfindig machen können, was es war. Er setzte sich an dem Rande des Bassins auf einen Steinblock, nahm das Gewehr zwischen die Kniee und lehnte den Kopf in die aufgestützten Hände. Wie eine Melodie, die man nicht wieder loswerden kann, wenn sie uns einmal die Seele bewegt hat, verfolgte ihn das Bild der alten Zeit. In dem langen Gespräch mit dem Freiherrn war es ihm immer gewesen, als hörte er die Knabenstimme von damals, und hernach, als die Unterhaltung im Schlosse fortgesetzt wurde, hatte Fräulein Charlotte ein paarmal „lieber Herr Gutmann“ zu ihm gesagt, und das hatte so geklungen, als ob es nicht heute Morgen, sondern vor dreißig Jahren gesagt worden wäre. Hier war die Stelle. Auf diesem Steine hatte er ge= sessen in jener Schreckensnacht, und da war Charlotte zu ihm getreten und hatte zu ihm gesagt: Du läßt mich nicht lebend in ihre Hände fallen. Versprich es mir! Und er hatte es ihr versprochen. Das war das erste und das letzte Mal im Leben gewesen, daß sie ihn Du genannt hatte; in einem Augenblicke, von dem sie in ihrer Aufregung glaubte, daß es der lezte sein würde. Und wenn es nun der lezte ge= wesen wäre! für sie und für ihn! Wäre er da nicht gestorben in der Gewißheit, von ihr geliebt zu sein? Mit ihr gestorben? Konnte das spätere Leben die Seligkeit dieses Augenblickes ersetzen?

So saß der Förster, das Gewehr zwischen den Knieen, das Haupt in die Hände gestüßt, und sann und sann. In den Wipfeln zu seinen Häupten rauschte es alte, vergeffene Geschichten; die plätschernden Wasser zu seinen Füßen erzählten von Lenz und Jugend und Sonnenschein dreißig Jahren!

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Plößlich fuhr der Förster jäh aus seinen Träumereien auf. Ein Laut wie das Aechzen eines Sterbenden hatte sein Ohr berührt. Noch einmal, lauter, vernehmlicher hörte er den Klageton; und als er sich hastig durch das dichte

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