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die Möglichkeit des Falles, daß er seine Kraft auf ein ans deres Feld werfen muß, vorzubereiten gesucht.

Silvia hörte nur mit halbem Ohre zu: der Doctor bemerkte ihre Zerstreutheit, und der Richtung, welche ihre Blicke hatten, folgend, sagte er:

Haben Sie einen großen Einfluß auf Ihren Vetter, Fräulein Silvia?

Nein weshalb? erwiederte Silvia, die Augen schnell zu dem Doctor wendend.

Weil, entgegnete dieser, ich gern einen guten, klugen Menschen müßte, der etwas, oder genauer, der viel, sehr viel auf ihn wirken könnte. Von Walter, das weiß ich, hat er sich mehr und mehr zurückgezogen, und doch wäre Walter gerade der rechte Mann, wenn es überhaupt ein Mann vermag. Vielleicht vermag es nur eine Frau, und es fuhr mir eben durch den Kopf, Sie könnten diese Frau sein.

Aber um was handelt es sich, Herr Doctor? fragte Silvia, und ihre Stimme und ihre Mienen verriethen eine ungewöhnliche Bewegung.

Eine große Kraft vor einem großen Frrthum, vielleicht vor dem Untergang zu bewahren. Denn welcher Frrthum, zumal für einen Politiker, wäre größer, verhängnißvoller, als der, zu wähnen, er könne gegen den Strom schwimmen, ja diesen Strom selbst umlenken, zurückstauen und zwingen, dahin zu fließen, von wo er kommt? Ich will nicht sagen, daß Ihr Vetter schon auf diesem Punkte hält wäre dies der Fall, so vermöchte ihm Niemand mehr zu helfen — ich meine nur, daß er sich in einer Richtung bewegt, die bis zu diesem Punkte führen kann. Vorläufig wähnt er nur und das ist freilich schon schlimm genug ein einzelner Mann sei im Stande, in sich die Summe der Kräfte, der Einsichten, der Kenntnisse zu vereinigen, die sonst eine gute Zahl tüchtiger Parteiführer nur mit Mühe, und auch dann niemals vollständig, unter sich gegen- und wechselseitig zusammenschießt. Wie verderblich ein solcher Wahn werden kann, ist leicht begreiflich. Wenn wir auch dann und wann Spielhagen, In Reih' und Glied. I.

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einmal in der Maßlosigkeit der absoluten Selbstgenügsamkeit Berge verseßen zu können glauben, so bricht sich diese Ueberhebung an der unveränderlichen Schwere der Dinge, und der Verzweifelnde, mit Fug und Recht an seinen Kräften Verzweifelnde, greift nach Allem und Jedem, was nur ungefähr so aussieht, als könne es seiner Ohnmacht zu Hilfe kommen.

Der Arzt machte eine Pause, als er eine unruhige, vielleicht ungeduldige Bewegung Silvia's bemerkte, und sagte: Ich weiß nicht, ob Sie mir gefolgt sind, Fräulein?

Doch, ja, erwiederte Silvia, ich bin Ihnen gefolgt; ich ich meine nur, daß große Menschen nicht mit dem Maßstab der Alltäglichkeit gemessen werden dürfen.

Große Menschen, erwiederte Doctor Paulus lächelnd, große Menschen! Wer ist groß? Wenn ich ein Gläubiger wäre, würde ich antworten: Niemand, denn der allmächtige Gott; so aber sage ich: Der ist groß unter uns, der sich zu dem Gedanken der Solidarität der menschlichen Interessen durchgerungen hat, der diesen Gedanken in alle Modificatio= nen, so weit es ihm möglich ist, verfolgt, und deffen ganzes Thun in Folge dessen nun auch nichts weiter, als die Objectivirung dieses Gedankens ist. Diese Größe aber, liebes Fräulein, ist, wenn mich nicht Alles täuscht, keineswegs die, nach welcher Ihr Vetter strebt.

Und verzeihen Sie, Herr Doctor warum sagen Sie, der Sie ja, wie ich weiß, zu ihm schon seit langer Zeit in genauerer Beziehung stehen, ihm das nicht Alles selbst?

Würde ich mich an einen Dritten wenden, wenn ich, was in meiner Macht steht, nicht schon vergeblich versucht hätte? erwiederte der Arzt mit sanftem Vorwurf.

Silvia erhob sich rasch. Ich will versuchen, was ich vermag, sagte sie und ging dann zu den Uebrigen, die um den Kamin herum faßen.

Doctor Baulus folgte ihr langfam.

Die Unterhaltung war jest eine allgemeine geworden; man sprach vom Theater, von neuen Büchern, von der

Schwierigkeit, mit der sich in Deutschland selbst gute Werke einen Weg bahnen, und welche Ursachen diese Erscheinung in einem wegen seiner hoher Bildung gepriesenen Lande doch haben möchte. Man erörterte mit Einsicht und Kenntniß die Vortheile und Nachtheile, die dem Deutschen, der nur Hauptstädte, aber keine Hauptstadt hat, aus dieser Decentralisation auch für die ästhetische Cultur erwüchsen. Man war im Allgemeinen der Ansicht, daß, welche Förderung auch in einer früheren Epoche die politische Zersplitterung unserer Literatur gewährt habe, heutzutage davon nur in einem sehr beschränkten Sinne die Rede sein könne. Leo wollte selbst dies nicht zugeben. Ich liebe die Unterscheidung nicht, sagte er, die Goethe in dem bekannten Worte zwischen dem Talente und dem Charakter macht. Wenn der Charakter sich nur im Strome der Welt bilden kann, so gilt das wahrlich vom Talente nicht minder. Ein Talent, das sich in der Stille gebildet hat, ist ganz gewiß eine Treibhauspflanze, deren Blüthen in der rauhen Luft der Wirklichkeit bald verwelken. Giebt es überhaupt ein Talent ohne Charakter? Ich behaupte nein. Ein Mensch ohne Charakter kann nicht nur nicht richtig handeln, er kann auch nicht richtig denken. In seinen feinsten Schlußfolgerungen wird ihm seine Charakterlosigkeit plötzlich in die Quere kommen, und seinen bis dahin richtigen Gedankengang zum Fälschen umbiegen.

Davon bin ich umsomehr überzeugt, sagte Doctor Paulus, als diese Erfahrung, die Jeder im täglichen Leben machen kann und die sich nur auf zu vielen Seiten unserer schönen Literatur findet, durch die höchste Philosophie auf das Herrlichste bestätigt wird. Gines und Alles! Denken und Ausdehnung; ideelles und reales Sein es find nur Anschauungsweisen der einen untheilbaren, unveränderlichen Substanz.

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Der Doctor hatte dies, zu Leo gewendet, gefagt mit einem Ausdruck, dem man das herzliche Verlangen, eine Brücke der Verständigung zu finden, deutlich anhörte; aber

Leo schien nichts davon zu bemerken, oder bemerken zu wollen, und fuhr in dem Tone schneidender Kälte, in welchem er bisher gesprochen hatte, fort:

Man nennt uns im Auslande ein Volk von Denkern; ich meine, wir sollten uns sehr besinnen, bevor wir ein so zweideutiges Compliment acceptiren. Wenn Denken und Handeln, wie soeben behauptet wurde, im höchsten Sinne identisch sind, so denken wir entweder gar nicht, oder unsere Gedanken find trübe, verworrene Phantasien eines überreizten und erschöpften Gehirns. Sind wir doch so weit ges kommen, daß wir jene Identität, die allen kräftigen Völkern, ja allen kräftigen Individuen angeboren ist, und von ihnen ohne langes Besinnen bethätigt wird, geradezu leugnen, daß man alle Tage in tausend Wendungen den Saß aufstellen hört: Warum sollen wir unseren Arm nach den Früchten ausstrecken, die, wenn sie reif sind, uns von selbst in den Schooß fallen? Und zu solchen Ariomen, die weiter nichts sind, als die Erklärung unseres vollständigen, schmachvollen Bankerotts an jeder Energie, jeder Virtus; zu solchen Argumenten, die den Säßen der Philosophie, den Lehren der Geschichte, ja dem gesunden Menschenverstande Hohn sprechen, rufen die Erwählten der Nation, die Verwalter ihres geistigen und materiellen Kapitals: Ja und Amen! Sie werden es rufen, bis einmal wieder der Genius des Volkes einen Mann erweckt, der das Verhältniß von Recht zu Macht ein wenig anders faßt und aus diesem Conglomerat von dumpfen Träumern ein Volk von handelnden Menschen macht.

Silvia hatte, während Leo so sprach, unwillkürlich die Mienen der anderen Männer beobachtet, und da konnte ihr nicht entgehen, daß Leo's Worte in einem genauen Zusammenhange mit dem, was in der Conferenz verhandelt war, stehen mußten. Man blickte einander verlegen an, und selbst auf Doctor Paulus' Stirn legte es sich wie eine Wolke. Mit schneller Gewandtheit sagte Silvia:

Du hast die Unterhaltung von dem literarischen Gebiet

auf das politische gelenkt, das heißt auf ein Feld, wohin wir Frauen Euch Männern nicht folgen können. Ich dächte, wir kehrten zu unserem ursprünglichen Thema zurück, das mir überdies noch lange nicht erschöpft scheint.

Doctor Paulus fiel sogleich mit einem Scherz ein, aber die Verstimmung wollte nicht weichen, troßdem Emma, der bei den ernsthaften Gesprächen ganz ängstlich zu Muthe geworden war, alle ihre gesellschaftlichen Talente aufbot. Einer von den Herren erinnerte sich, daß er noch eine Verabredung für heute Abend, ein anderer, daß er noch einen Commissionsbericht für die morgende Sizung zu beenden habe. Silvia fand, daß es schon sehr spät sei, und wollte nach Hause, trozdem der Wagen des Freiherrn, der sie hätte abholen sollen, noch nicht da war: sie zöge es vor, zu gehen. Leo bot ihr seine Begleitung an, die sie annahm. Emma war sehr verwundert, als ihre Gesellschaft so plötzlich auseinander fiel. Sie umarmte Silvia beim Scheiden und nannte Leo einen bösen Menschen, weil sie überzeugt sei, daß er durch sein conversationelles Talent die Gesellschaft hätte halten können. Leo schien dies Compliment nicht zu hören, wenigstens erwiederte er nichts. Silvia blickte finster drein. Gleich darauf hatten sie zusammen das Haus des Bankiers verlassen.

Achtundvierzigstes Capitel.

Es war eine stille, sternenklare Winternacht. Der vor einigen Tagen gefallene Schnee war hart getreten, die Fußgänger eilten munteren Schrittes über die Trottoirs. Doch gehörte dieses Quartier nicht zu den belebten. Nur manchmal rollte eine von zwei feurigen Pferden gezogene Equipage rasch vorüber.

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