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Farrenkraut nach der Stelle, von der das Aechzen kam, hingearbeitet hatte, sah er seines Bruders Sohn mit zerschmettertem Schädel, todt oder sterbend.

Dem Förster stand das Herz still bei diesem furchtbaren Anblick; aber der alte, vielerprobte Mannesmuth vers stattete kein müßiges Entseßen. Und als er mit dem Wasser aus dem Bache das Blut von der Stirn und den Augen des Knaben weggewaschen hatte, athmete er tief auf, und etwas wie ein Lächeln flog über das ernste, wettergebräunte Gesicht. Es war keine Todeswunde, nur eine ganz tüchtige Schramme, die einen starken Blutverlust zur Folge gehabt. Dennoch dauerte es eine geraume Zeit, bis es dem Förster gelang, den noch immer halb Bewußtlosen ganz in's Leben zurückzurufen. Der verständige Mann vermied es, den Verstörten, Bleichen durch vieles Fragen zu belästigen. Er ließ ihn einen tüchtigen Schluck aus seiner Flasche nehmen und ein Stück Brod essen, das er beständig in seiner Jagdtasche bei sich trug. Dann geleitete er ihn auf dem kürzesten Wege zur Försterei, wo Tante Malchen schon über das lange Ausbleiben des Bruders, das sein Lieblingseffen zu gefähr= den drohte, in große Ungeduld gerathen war.

Leo's bleiches Gesicht und blutige Stirn erregten einiges Erstaunen, das der Förster indessen klug zu beschwichtigen wußte. Er selbst glaubte gern, was Leo ihm noch unterwegs in abgerissenen Worten erzählt hatte, daß er im Walde sich verirrt habe und zulezt vor Hunger und Müdigkeit umgefallen sei. Und das glaubten natürlich auch die Anderen. Silvia machte eine bestürzte Miene, als sie hörte, daß der Vater den Leo an den Wasserfällen gefunden habe. Aber da in der Verwirrung sich Niemand um sie bekümmerte und ihre langen Locken, noch ehe sie nach Hause kam, wieder troden gewesen waren, so beruhigte sie sich bald. Uebrigens sprach schon am nächsten Morgen Niemand mehr von Leo's Unfall. Der Förster besonders hatte ganz andere Sorgen. Die Rückkehr des Bruders aus der Stadt verzögerte sich über alle Gebühr. Der brave Mann hatte

sich mit seiner lebhaften Phantasie schon alle möglichen Unglücksfälle ausgemalt, die den Kranken, der Unruhe einer Stadt seit Jahren Entwöhnten betroffen haben könnten, und er war am Abend des zweiten Tages eben im Begriff, anspannen zu lassen und mit dem Knecht nach der Stadt zu fahren, als Anton gänzlich erschöpft, mit Staub bedeckt, hochgerötheten Gesichtes, aus dem eine weiße Nasenspiße gespenstisch hervorstarrte, auf dem Försterhofe ankam. Und augenscheinlich war es nicht blos körperliche Hinfälligkeit, was aus diesen düsteren, abgespannten Mienen sprach. Der Förster sah sogleich, daß seine Befürchtung eingetroffen und Anton den Zweck seiner Wallfahrt verfehlt habe.

Anton war von dem Landrathe, Herrn v. Hey, welcher in dieser Angelegenheit das Decernat hatte, unfreundlich empfangen worden. Herr v. Hey hatte zwar sein Bedauern ausgesprochen, einen Mann in diesem Alter und von dieser Bildung in einer so abhängigen Lage zu sehen, aber auch sogleich hinzugefügt, daß die Regierung mehr als je Ursache habe, nur solche Leute in die Gemeindeämter kommen zu lassen, auf die sie sich unter allen Umständen verlassen könne. Außerdem habe ja die Regierung in diesem Falle nur das Bestätigungs-, nicht das Wahlrecht; dieses sei, wie Supplikant wisse, in den Händen der Gemeinde, oder genauer des Freiherrn von Tuchheim. Ob er die Stimme des Freiherrn zu haben glaube? Als Anton, im Vertrauen auf die Fürsprache des Bruders, dies bejahen zu können versicherte, hatte der Rath wieder mit den Achseln gezuckt und gemeint, er müsse sich sehr wundern, daß der Freiherr seine Wahl auf keine jüngere und rüstigere Kraft gelenkt habe; ob Supplifant ein ärztliches Zeugniß über eine ausreichende Gesundheit beibringen könne? Er habe sich darauf, um die Sache schneller zur Entscheidung zu bringen, zu dem ihm schon von früher her bekannten Kreisphysikus begeben und dieser eine sorgfältige Untersuchung mit ihm angestellt.

Als Anton in seiner Erzählung bis hierher gekommen war, schwieg er plöglich und starrte gesenkten Hauptes düster

vor sich auf die Erde. Dann entrang sich seiner kranken Brust ein Seufzer und er murmelte:

Es ist aus mit mir, Fris; es kann sich noch eine Zeit so hinziehen, aber es kann auch sehr bald vorbei sein, sagte der Doctor. Nun, mir ist es recht; ich habe das Leben satt, und wenn ich nur weiß, daß es dem Leo nicht schlechter geht, stürbe ich lieber heute als morgen.

Der Förster hatte schon seit längerer Zeit für das Leben des Bruders gefürchtet, dennoch erschütterte es ihn sehr, seine Vermuthungen durch den Kranken selbst bestätigt zu hören. Sein mitleidiges Herz floß über. Er wollte nichts vom Sterben wissen; die Gutmanns seien eine langlebige Familie, der Vater sei achtzig, der Großvater gar fünfundachtzig Jahre alt geworden; auch Mutter und Großmutter hätten sich eines langen Lebens erfreut. Anton sei allerdings niemals so rüstig gewesen, wie die übrigen Familienmitglieder, aber das schade nichts; kränkliche Leute lebten oft am längsten. Es komme nur darauf an, daß er in seinem Gemüth ruhiger werde und vor Allem seine Absicht, Leo aus eigenen Mitteln erhalten zu wollen, durchaus aufgebe. Der Förster, der zu bemerken glaubte, daß seine kräftigen, herzlichen Worte nicht ohne Eindruck blieben, kam dann auf die Absicht des Freiherrn zu sprechen. Er zählte Anton die unschäßbaren Vortheile auf, die dem Knaben auf diese Weise erwüchsen; er erklärte es für ein Verbrechen gegen die Kinder, für eine Impietät gegen den Freiherrn, der allezeit der Familie Gutmann ein gar gnädiger Herr gewesen sei, wenn man ein so großmüthiges Anerbieten zurückweisen wollte.

Der Förster hatte, in der geheimen Furcht, bei Anton auf den entschiedensten Widerstand zu stoßen, noch lebhafter und eindringlicher, als es sonst schon sein Wesen war, ge= sprochen. Er war deshalb freudig überrascht, als jener, ohne eine Spur seiner gewöhnlichen Empfindlichkeit, sich sofort mit dem Plane einverstanden erklärte.

Macht, was Ihr wollt, sagte er mit einem matten Lä

cheln; ich habe seit gestern, wo ich Doctor Homann's Stubenthür hinter mir zumachte, nichts mehr zu sagen.

Da er den Bruder in so unverhofft günstiger Stimmung fand, wagte der Förster auch noch mit einem zweiten Wunsche hervorzutreten. Die beiden Jungen hätten sich in den paar Tagen so aneinander gewöhnt, daß es eine rechte Freude für Beide sein würde, wenn man sie jest nicht wieder trennte, sondern beisammen ließe, wie sie ja später in der Pension bei Doctor Urban in innigster Gemeinschaft leben würden.

Des Försters Beredtsamkeit feierte heute Abend einen Triumph nach dem andern. Auch diesen Vorschlag fand Anton durchaus annehmbar; ja es schien fast, als ob er sich mit einer gewissen Hast aller weiteren Verantwortung für seines Sohnes ferneres Wohlergehen zu entledigen wünsche.

Dann aber erfaßte ihn die alte Unruhe. Er wollte sogleich nach Hause; nur mit Mühe behielt man ihn zum Abendbrode, bei dem er die Speisen nur eben berührte. Kaum aber, daß gegessen war, machte er sich bei aufgehendem Vollmonde nach Feldheim auf den Weg, die ihm angebotene Begleitung der Försterfamilie und selbst seines Sohnes entschieden ablehnend.

So war denn Leo ein Gast in seines Onkels Hause, und die Sorgfalt, mit welcher Tante Malchen seine wenigen Kleidungsstücke und seine dürftige Wäsche nachsah, ausbesserte und ergänzte, bewies, daß die gute Dame das bedeutsame Wort des Bruders: sie müßten fortan Leo als zu ihnen gehörig betrachten, vollständig begriffen hatte.

Tante Malchen's Gemüth war in diesen Tagen so vielfach und tief bewegt, daß sie kaum wußte, woher die Zeit zur Arbeit und zugleich zu allen Thränen nehmen, die zu weinen fie dringende Veranlassung hatte. Des armen Anton so nahe bevorstehendes Ende, des Bruders Friß unbegreifliche Halsstarrigkeit, der jeßt, wo die Tage bedeutend abnahmen und es manchmal schon empfindlich kühl war, noch immer bei offenem Fenster schlafen wollte; der Anblick des armen Leo,

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der nun so bald verwaist sein sollte; der beiden anderen Kinder, die, wenn ihr Vater fortfuhr, so auf seine Gesundheit einzustürmen, auch wohl allzu bald allein in der Welt stehen würden diese Sorgen und Befürchtungen hätten auch wohl ein stärkeres Herz, als das der guten Dame erschüttern können. Aber selbst dies, so viel es war, noch nicht Alles. Einen noch heftigeren Kummer bereitete ihr der neue Entschluß, den man plöglich über Walter's Zukunft gefaßt hatte. Warum in aller Welt sollte der Walter nun nicht werden, was sein Vater und sein Großvater ge= wesen war: ein rechtschaffener, gottesfürchtiger, gelernter Förster ? War es recht und billig, einen Menschen, dem seine Laufbahn so gleichsam von Gott vorgezeichnet war, in andere Bahnen zu locken, von denen Niemand zu sagen vermochte, wohin fie führen würden? Was hatte den beiden Geschwistern Gutmann, die sich aus dem grünen, frischen Wald in die graue, staubige Welt gewagt hatten, ihr Vorwig Anderes, als Kummer und Elend und höchstens sehr fragliche Vortheile gebracht? War der Anton mit all' feinen Talenten nicht ein elender Mensch geworden? War der Sara Gewissen so rein, wie sie wünschen mußte, wenn sie des Abends vor dem Einschlafen zu dem Herrn, ihrem Gott betete? Ja, betete die Sara überhaupt wohl? Malchen hatte über diesen Punkt die ernstesten Zweifel und unterließ daher niemals, die Schwester, als möglicherweise der Fürbitte gar sehr bedürftig, in ihr Gebet einzuschließen. Und nun sollte ihr Liebling, ihr Abgott, ihr Walter in dieselben verhängnißvollen Fußstapfen treten? sollte Gefahr laufen, sein reines Gemüth mit dem Schmuß dieser Welt zu beflecken? seinen gesunden Kopf durch übermäßige Anstrengungen zu zerrütten? Das Lernen war ihm ja nie so außergewöhnlich leicht ges worden, wie etwa der Silvia, die Alles behielt, was sie nur einmal mit den Augen überlaufen hatte, oder dem Leo, der ja überhaupt anders war, als alle anderen Knaben, und den man gar nicht mit gewöhnlichen Kindern vergleichen fonnte.

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