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Ich selbst habe ihn seit mehreren Tagen nicht gesprochen, erwiederte Leo.

Und wie steht es mit seinem Proceß?

Ich höre, die Sache ist in vollem Gange.
Glauben Sie, daß er verurtheilt werden wird?

Bei der augenblicklichen Lage der Verhältnisse halte ich es taum für zweifelhaft.

Das sollte mir sehr, sehr leid thun, murmelte der Freis herr. Der arme Junge, er hat es wahrlich nicht verdient; und dann die die Damen er wies mit zitternder Hand zum Fenster hinaus nach den beiden dahinwandelnden Gestalten fie werden es sehr, sehr schwer empfinden. Und auch derenthalben möchte ich gerade jetzt nicht den Kampf mit meinem Schwager aufnehmen. Es ist in der legten Zeit gar dunkel in meinem Hause geworden

dunkel.

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gar Und der Freiherr drückte sich die Hand gegen die Augen.

Leo zuckte die Achseln; über seine festen Züge flog ein unmuthiges Lächeln; er machte dem Freiherrn eine Verbeugung und verließ das Zimmer.

In dem Vorsaal fand er Henri in einem Wortwechsel mit dem alten Kammerdiener Christian.

Ich habe Befehl, Niemand vorzulassen, hörte er den Alten sagen.

Ich bin nicht Niemand, entgegnete Henri heftig; ich fage Dir, daß ich ihn sprechen will und muß; und nun schere Dich zum Teufel!

In diesem Augenblicke bemerkte er Leo. Ein häßliches Buden flog über sein erbleichendes Gesicht. Der Anblic des Verhaßten an dieser Stelle hatte noch gefehlt, das Maß feines Zornes zum Ueberlaufen zu bringen. Er trat an Leo heran, aber es gelang ihm nicht, die Worte, nach denen er suchte, zu finden. Leo wartete ein paar Augenblicke, lächelte verächtlich und schritt, ohne Henri weiter eines Blides zu würdigen, nach der Thür. Henri knirschte mit Spielhagen, In Reih' und Glied. I.

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den Zähnen, wendete sich dann gegen den alten Mann, der ihm den Eintritt verweigerte, stieß denselben unsanft beiseite und riß die Thüir auf, die zu seines Vaters Zimmer führte.

Der Freiherr war in derselben Stellung, in welcher Leo ihn zuletzt gesehen hatte, stehen geblieben. Erst das Geräusch der schnell geöffneten Thür ließ ihn die Hand wieder von den Augen nehmen. Er trat einen Schritt zurück und starrte den Eingetretenen mit düsteren Blicken an.

Was heißt das?

Ich glaubte, daß Du, wenn Du für jenen Herrn zu sprechen warst, auch wohl mich empfangen könntest, ers wiederte Henri.

Die beiden Männer standen mitten im Zimmer, ein paar Schritte von einander entfernt. In dem Ausdruc ihrer Augen, wie sie sich jezt gleichsam mit den Blicken maßen, war kein schwächster Strahl von Sympathie und Liebe. Der Freiherr rang sichtbar nach Haltung und Fassung, während seine Glieder vor innerer Erregung bebten; aber auch Henri, obwohl er sich lange auf diese Unterredung vorbereitet hatte und durch die Unbilden, die er den Tag über erfahren, auf's Aeußerste gereizt war, hielt die Lippen fest geschlossen und bemühte sich, den fliegenden Athem zu regeln.

Und was führt Dich zu mir? fragte der Freiherr.

Der Wunsch, mich mit Dir über Verschiedenes auseinander zu sehen, das schon längst einmal hätte unter uns zur Sprache kommen sollen.

Das sieht ja fast wie ein Verhör aus, sagte der Freiherr, indem er einen Versuch machte, zu lächeln, sich aber zugleich auf einen Stuhl niederließ, denn er fühlte, daß ihm seine Glieder die Kraft versagten.

Henri war die Schwäche des Vaters nicht entgangen; seine Entschlossenheit wuchs in dem Maße, als sie dem Vater abhanden zu kommen schien. Er lehnte sich an einen Tisch in seiner Nähe und sagte:

Ich bin von der Gerechtigkeit meiner Sache überzeugt, und so kommt es wohl nicht eben auf die Form an.

Deine Sache muß sehr gerecht sein, denn die Form ist in der That äußerst geschmacklos. Aber was wünschest Du?

Vorerst wünsche ich zu wissen, wie Du es mit Deinen bekanntlich so hohen Begriffen von der Würde Deines Standes und Deiner persönlichen Würdigkeit in Einklang bringst, jenen Abenteurer, dem ich soeben in Deinem Vorzimmer be gegnet bin, bei Dir zu empfangen.

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Würde meines Standes ich glaube, Du bist toll ge

Dem Freiherr hatte die lange gesellschaftliche Uebung, seine Empfindungen zu beherrschen, äußerlich wenigstens die Ruhe wiedergegeben; Henri fand seine Situation schwieriger, als er sich gedacht hatte.

Ich bin nicht toll, rief er, im Gegentheil, ich sehe sehr flar, und eben weil ich sehr klar sehe, will ich auch nicht länger thun, als ob ich blind wäre. Ich wiederhole: Deine Protection dieses Mannes ist unverantwortlich und kann höchstens dadurch erklärt werden, daß Du die saubere Rolle nicht kennst, die der Herr neuerdings zu spielen sich nicht entblödet.

Wenn Du, wie ich aus Deinen noch immer sehr formlosen Worten schließen muß, mich über die Stellung, welche Herr Doctor Gutmann in der politischen und socialen Frage einnimmt, aufzuklären wünschest, so muß ich Dir sagen, daß ich Deiner freundlichen Beihilfe vollkommen entrathen kann; ich habe die Rolle" des Herrn Doctors von seinem ersten Auftreten bis jezt mit größtem Intereffe und größter Genauigkeit verfolgt.

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So wirst Du auch wissen, daß er auf dem Punkt steht, wegen eines an dem Prinzen verübten Depeschendiebstahls vor den Staatsanwalt zu kommen.

Der Herr Doctor muß Dir ja sehr im Wege stehen, daß Du Dich nicht scheuest, zu so schmählichen Verleumdungen

Deine Zuflucht zu nehmen. Uebrigens muß ich Dir sagen, daß ich diese sonderbare, unschickliche Unterredung herzlich satt habe und Dich bitte, mich jetzt allein zu lassen.

Der Freiherr hatte sich erhoben und machte eine Handbewegung nach der Thür; Henri rührte sich nicht aus seiner Stellung.

Ich bin noch nicht fertig, sagte er, und muß Dich dringend bitten, mir nicht die Thür zu weisen wie einent hergelaufenen Supplicanten. Ich habe ein Recht, hier zu sein und Aufklärung von Dir zu fordern. Ja, ein Recht, Du magst darüber noch so sehr die Stirn runzeln. Ich will nicht länger in der kindischen Abhängigkeit leben, in der Du mich hältst; ich will wissen, was Du für Gründe haft, auf Onkel Sonnenstein's sehr vernünftige und juridisch unanfechtbare Propositionen nicht einzugehen; ich will wissen, weshalb Du geflissentlich einen Scandal provocirst, indem Du den Onkel zwingst, gegen Dich öffentlich aufzutreten; ich will schließlich wissen, wie es mit unserem Vermögen steht.

Der Freiherr hatte sich wieder gesezt, seine Kniee zitter ten; die Worte des Sohnes hatten ihn gepackt wie eine derbe Faust, die einen zerbrochenen Arm schüttelt. Alles Blut war aus seinen Wangen gewichen, dennoch gelang es ihm, mit ungeheurer Anstrengung gemessenen Tones zu erwiedern:

Ich glaubte bis jezt, das Tuchheim'sche Vermögen sei kein Majorat. Ich gestehe, es entspricht ganz meinen persönlichen Wünschen, daß es keins, sondern mein freies Eigenthum ist.

Ich bestreite das durchaus, erwiederte Henri; ein Vers mögen, das man von seinen Vätern ererbt hat, ist so recht eigentlich ein freies Vermögen nicht; man ist verpflichtet, es seinen Kindern in demselben Zustand zu überliefern.

Ich bin Dir sehr dankbar für Deine freundlichen Be lehrungen; aber Du wirst mir doch verstatten müssen, bei meiner Ansicht zu bleiben. Kinder, die in keiner Weise sind, wie wir sie wünschen, sind so recht eigentlich unsere Kinder nicht.

Leute, die stets Ja sagen und Alles, was Du thust, vortrefflich finden, find Dir natürlich lieber.

Wenigstens sind sie mir lieber, als ein Sohn, der den Bater auf seinem Zimmer überfällt, um ihn zu insultiren. Ich bitte Dich zum leztenmal, mich allein zu lassen.

Ich dächte, die alte Geschichte hätte oft genug herhalten müssen.

Um so weniger Veranlassung hättest Du, mich daran zu erinnern.

Henri zitterte vom Kopf bis zu den Füßen; sein Gesicht war verzerrt, seine Stimme heiser:

Wohl, ich sehe, daß es ganz unmöglich ist, sich mit Dir vernünftig auseinander zu seßen. Aber das muß ich Dir noch sagen: Du hast Dich stets beklagt, daß ich Dir nicht die hinreichende Achtung zollte, und haft Dich nie bemüht, mir diese Achtung abzuzwingen. Du hast noch in keiner Lage Deines Lebens Consequenz bewiesen in feiner! Du hast Dich weder in die patriarchalischen Zustände vor der Revolution, noch in die neuen Verhältnisse zu finden gewußt. Du haft nach einander den Grandseigneur, den Landwirth und den Industriellen gespielt, Alles ohne Energie und Ausdauer und Einsicht, auf Kosten unseres hörst Du? unseres Vermögens! Ich habe geschwiegen, weil ich schweigen mußte; ich habe es, ohne klagen zu dürfen, jahre- und jahrelang mit angesehen, aber es hat Alles sein Maß, und so auch meine Geduld. Du willst Dich durchaus ruiniren; gut! so habe wenigstens den Muth, es offen und ehrlich zu sagen, damit man sich beizeiten vorsehen kann. Du brauchst nicht nach der Klingel zu greifen; ich fürchte, was hier zwischen uns verhandelt ist, wird nur zu bald unter die Leute kommen.

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Und Henri stürzte zur Thür hinaus.

Der Freiherr war in der fürchterlichsten Erregung; er ging mit ungleichen Schritten in dem großen Gemache auf und ab, bald hier, bald dort stehen bleibend, ein Buch, ein Stück Papier, eine Stuhllehne ergreifend, und Alles

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