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als ein Wesen niedrigerer Gattung angesehen und demgemäß behandelt hatte, so schien er jest vielmehr eine Art von Scheu vor ihr zu empfinden. Er widersprach ihr nicht mehr heftig und hochfahrend, wie er es sonst bei jeder GeLegenheit zu thun pflegte, sondern nahm ihre wunderlichen und nicht selten unvorsichtigen Aeußerungen, auch wo dieselben unmittelbar gegen ihn gerichtet waren, mit einem verlegenen Schweigen hin, wie Jemand, dessen Zunge durch Rücksichten entschieden gebunden ist. Dieser Wechsel seines Bes tragens war zu groß, um nicht von Allen bemerkt zu werden, und Silvia selbst war nicht die Lezte, die ihn bemerkte. Aber merkwürdigerweise blieb sie, die sonst durch Nachgiebigkeit so leicht gewonnen wurde, von Leo's Sanftmuth scheinbar vollkommen ungerührt; man mußte glauben, daß er sie neulich Abends auf eine Weise beleidigt hatte, die durch keine Sühne wieder gut gemacht werden konnte. Natür lich ließ es Tante Malchen an Ermahnungen zu einem freundlichen Betragen nicht fehlen. Das troßige Mädchen wollte nichts von Versöhnung wissen. Was will er hier? Was thut er hier? rief sie heftig; soll ich ihm dafür gut sein, daß Ihr mich seinetwegen vom frühen Morgen bis zum Abend ausscheltet? Was kann ich dafür, daß ich den Häßlichen Zigeunerjungen nicht mag? Glaub' ihm doch nur nicht, Tante, wenn er so sanft und freundlich thut! Er vers achtet uns Alle, weil er ein bischen Lateinisch und Verse machen kann, wie Walter sagt. Lateinisch! Verse machen! Das könnte ich auch, wenn ich nur wollte! und das Kind krümmte verächtlich die Lippe und schüttelte seine langen Locken.

Mit dieser Abneigung, die Silvia ordentlich geflissentlich zur Schau trug, stimmte es wenig, daß sie die größten Anstrengungen machte, sich dem Verhaßten in geistiger Hinsicht so viel als möglich zu nähern. Sie suchte sich die Bücher zu verschaffen, aus denen er seine Kunde von fremden Ländern und Völkern geschöpft hatte; sie lernte französische Vocabeln zu Hunderten und Hunderten, um doch etwas vor ihm voraus zu haben; ja sie ließ sich zu der Bitte herab, ob er

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ihr nicht Unterricht im Lateinischen geben wolle; und als er fich sofort dazu bereit erklärte, folgte sie in den Stunden seinem Vortrage mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, so daß sie wirklich in kürzester Zeit die Anfangsgründe überwunden hatte. Aber diese gemeinschaftlichen Studien konnten sie gegen ihren Better nicht milder stimmen. Verlegen und mürrisch nahm sie die Mühe hin, die er sich mit ihr gab, ohne ein Wort, ein Zeichen des Dantes. Er kann es ja bleiben laffen, wenn er nicht will er kann froh sein, daß ich mich von ihm unterrichten lasse, sagte fie trozig, wenn die Tante ihr eine so schreiende Undankbarkeit vorwarf. Du bist eifersüchtig auf Leo, sagte Walter, Du möchtest gern ebenso viel wissen wie er, und ebenso leicht lernen wie er; darin liegt's. - Wenn ich so alt wie Leo bin, werde ich so viel wiffen wie Leo, erwiederte Silvia, und was das Lernen bes trifft, so fragt sich's noch sehr, wer leichter lernt, er oder ich. Auch der Vater, den Silvia's wunderliches Betragen ernstlich betrübte, redete ihr in's Gewissen. Er sagte ihr, daß, wer die Gastfreundschaft verlege, sich eines schweren Vergehens schuldig mache; daß wir unseren Nächsten lieben müssen, wie uns selbst, daß der Hilfsbedürftige unser Nächster und der arme Leo doch gewiß der Hilfe bedürftig sei. Keines anderen Vergehens als der Lieblosigkeit gegen einen Unglücklichen habe sich Ahasver schuldig gemacht, und doch könne er, der Sage nach, keine Ruhe im Grabe finden. Das paßt sehr gut auf Leo, unterbrach Silvia den Vater, der Unglückliche, den Ahasver von seiner Schwelle stieß, war Christus, und Leo bildet sich ein, er sei auch ein Heiland. Wie Du nur so dummes Zeug schwagen kannst, Mädchen, fuhr der Förster auf. — Ich weiß, was ich weiß, sagte Silvia.

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Der brave Mann schwieg ganz bestürzt und theilte bald darauf Schwester Malchen des Kindes wunderliches Wort mit. Was ist dabei zu thun, sagte er, das Mädchen ist wie eine schlanke, junge Edeltanne; man kann sie brechen, aber nicht biegen.

Tante Malchen schüttelte den Kopf. Es ist dafür gesorgt,

Friß, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, sagte fie; und so wird auch schon der liebe Gott unser Kind in Gnaden vor Hochmuth und Sünde bewahren. Aber, Fritz, unsere Verantwortung ist deshalb nicht geringer, und die Strafe für unsere Nachlässigkeit wird uns nicht minder hart treffen.

Der Förster, welcher aus langer Erfahrung ganz genau wußte, worauf dies hinausging, würde unter allen anderen Umständen das Gespräch hier mit einem ärgerlichen Brummen abgebrochen haben; diesmal aber fühlte er sich wirklich so rathlos, daß er die Strafpredigt, die ihn erwartete, geduldig hinnehmen zu müssen glaubte.

Mit wortreicher Beredtsamkeit und unter vielen herzlichen Thränen entwickelte Malchen nun die Folgen des schlimmen Einflusses, den der Unglauben ihres Bruders auf die Kinder ausüben müsse. Sie behauptete, daß Gottesfurcht die Quelle aller menschlichen Tugenden sei; daß Kinder, welche nicht in der Furcht Gottes aufwüchsen, wie Tannensamen seien, der in der Luft umherfliege und aller Wahrscheinlichkeit nach in den Bach oder auf den harten Weg fallen werde. Sie erinnerte an den Spruch von dem bösen Beispiel, das zuleßt die besten Sitten verderbe, und ob es ein gutes Beispiel sei, wenn ein Vater des Jahres vielleicht einmal in die Kirche gehe und den Tisch des Herrn seit zwanzig Jahren, das heißt seit seiner Verheirathung, nicht ein einziges Mal besucht habe? Schließlich ergriff die gute Dame des Bruders braune Hände, beneßte sie mit ihren Thränen und beschwor ihn, sich ihrer, die vor Angst um sein und der Kinder Seelenheil fast sterbe, zu erbarmen und, wenn nicht um seinet-, so doch um der Kinder willen, Gott zu geben, was Gottes sei.

Der Förster konnte nicht gut Jemand weinen sehen, am allerwenigsten, wenn es in seiner Macht stand, die Thränen zu trocknen. Ueberdies hatte Silvia's Halsstarrigkeit und Herzenshärtigkeit ihn wirklich erschreckt und seine reine Seele mit dem Schatten einer geheimnißvollen Schuld, die er,

Gott weiß wie, auf sich geladen habe, umschleiert. So gab er denn fast kleinlaut zu Malchen's Vorschlag, man wolle in Gemeinsamkeit am nächsten Sonntage in die Kirche gehen, feine Einwilligung.

Der Mensch ist nicht dazu auf Erden, daß er blos nach seinem Wohlgefallen lebe, sagte der Förster zu sich selbst, als er eine Viertelstunde darauf mit der Büchse auf der Schulter in sein Revier ging; für sich leben kann keiner; Andere müssen für uns leben, und so müssen wir wiederum für Andere leben, zumal für unsere Kinder, wie diese wieder für ihre Kinder leben werden, und so fort in alle Ewigkeit. Anders kann das Menschengeschlecht nicht bestehen; es erzeugt sich aus sich selbst wie der Wald. Hier schirmt auch ein Baum den anderen, daß die Stürme nicht schaden und Regen und Sonnenschein jedem im rechten Maße zu Theil werden. Darum ist es auch so herrlich im Walde, weil hier so Biele sind, die sich Alle dem gleichen Geseze willig fügen, darum braust der Wind hier so mächtig, darum scheint die Sonne hier doppelt lieblich.

Der Förster hing diesem Gedanken weiter nach, und es dauerte nicht lange, so fühlte er sich wieder ganz mit sei nem Gott versöhnt. Aber Malchen hatte doch am Ende Recht, schloß er seine Betrachtungen. Es kommt nicht Jeder auf dieselbe Weise zu Gott, und ich kann nicht verlangen, daß meine Kinder es just auf meine Weise thun. Deshalb soll man ihnen den Weg nicht verschließen, der ja seit so vies len Jahrhunderten von unzähligen Menschen betreten worden ist und gewiß recht, recht oft zum Ziele geführt hat. Weise doch auch ich Jemanden, der durch den Wald will, nicht auf die gewundenen Fußpfade, in denen ich mich allein zurechtfinde, sondern auf die große, breite Straße, von welcher Niemand so leicht abirren kann.

Siebentes Capitel.

Es war ein wundervoller Herbstmorgen, der Morgen des nächsten Sonntags, an welchem die Försterfamilie nach Tuchheim in die Kirche ging. Der Weg war in der ersten Hälfte derselbe durch den Wald, der auch auf das Schloß führte. Goldige Lichter spielten in den Zweigen, die ein sanfter Wind leise bewegte. Eine unendliche, lebensmüde Ruhe, ein süßer, sterbeseliger Frieden säuselte in den bräunlichen Blättern, duftete aus dem feuchten Laube, das hie und da schon ziemlich dicht die Erde bedeckte. Von Zeit zu Zeit ertönten, melodisch abgedämpft, einzelne Rufe hoch in der klaren Luft vorübersegelnder Wandervögel. Auf einer großen Lichtung am Rande des Holzes standen ein Paar Hirsche, die aus der Ferne neugierig, aber nicht ängstlich nach den friedlichen Pilgern hinüberaugten.

Der Förster schritt still und nachdenklich mit gleichmäßig langsamen Schritten dahin. Er hatte seinen besten grünen Uniformrock angezogen, der ganz neuerdings mit der kurzen Taille und den engen Aermeln wieder in die Mode gekommen war, und seine Sonntagsmüße aufgefeßt, deren Façon nach dem Muster der Landwehrmüßen aus den Befreiungskriegen genommen schien. Dazu trug er ein schwarzseidenes Halstuch, über welches er den Hemdkragen herausgeschlagen hatte, eine weiße Weste, die bis oben hinauf zugeknöpft war, und Beinkleider aus gelbem Nanking, die in grauen Gamaschen steckten. Uebelwollende behaupteten, er trage diese Gamaschen nur, um seine wohlgeformten Beine und seine kleinen, trotz der nicht eben seinen Schuhe, zierlichen Füße besser zu präsentiren. Wie dem aber auch sei, er war ein stattlicher Mann, der Förster Frit Gutmann, und man glaubte es gern, daß er in seiner Jugend der beste Tänzer, Läufer und Springer fern und nah und trotz seines nicht eben schönen Gesichtes der erklärte Liebling der Frauen gewesen sei.

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