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und wo auch heute die Versammlung stattfinden sollte, lag in einem obscuren Quartier der gewaltigen Stadt, in einer engen, fast nur von Arbeitern bewohnten Straße. Leo hatte mit Absicht diese Gegend gewählt, dennoch war der erwartete Zufluß ausgeblieben. Der Verein hatte es in den besten Tagen nicht über ein paar hundert Mitglieder gebracht, und auch diese kleine Gemeinde war selten vollzählig gewesen, ja in lezter Zeit noch sichtlich zusammengeschmolzen. Umsomehr fiel es Leo auf, daß heute Abend, je näher man dem Orte fam, ein ungewöhnliches Leben sich in den um diese Zeit sonst ziemlich stillen Straßen regte. Ueberall standen Leute eifrig sprechend vor den Thüren; kleine Trupps von Arbeitern eilten vorüber; in den Bierstuben und Branntweinschenken ertönte aus den geöffneten Fenstern wüster Lärm; eine Menge halbwüchsiger Buben schwärmte pfeifend und schreiend umher; zwischendurch patrouillirten Polizisten, die heute kein Auge für den Straßenunfug zu haben schienen.

An der letzten Ecke stand ein Mann, der auf Leo ges wartet hatte, und nun eilig herantrat. Es war ein junger Arbeiter, der sich voller Begeisterung an Leo angeschloffen hatte und von demselben auch besonders ausgezeichnet war. Der junge Mann zog Leo ein wenig auf die Seite und theilte ihm mit hastigen Worten mit: es gingen seltsame Dinge vor; das Vereinslokal sei überfüllt mit Arbeitern, zum Theil der schlechtesten Sorte, die sich keineswegs, den Statuten des Vereins gemäß, an der Eingangsthür in die Listen hätten eintragen lassen, sondern mit Gewalt den Zutritt erzwungen hätten. Auch einzelne beffer gekleidete Personen seien darunter, die aber ganz in den Ton der Anderen einstimmten. Die Polizei, die zahlreich zugegen sei, mische sich gar nicht in den Lärm, der von Minute zu Minute größer werde. Alles in Allem sei kein Zweifel, daß man etwas gegen den Verein im Schilde führe und es wohl hauptsächlich auf Leo selbst abgesehen habe. Er für seinen Theil bitte Leo, nicht in dem Lokale zu erscheinen; der Vorsitzende habe dann einen trifSpielhagen, In Reih' und Glied. L

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tigen Grund, die Versammlung zu vertagen und so auf die einfachste Weise die Anschläge der Feinde zunichte zu machen.

Der junge Mann sprach lebhaft, eindringlich im Interesse des Vereins, der ihm ein Heiligthum war, im Interesse Leo's, an dem er mit größter Liebe hing. Aber Leo war nicht in der Stimmung, auf den wohlgemeinten Rath zu hören. Die Erbitterung, mit welcher ihn die Mißerfolge der letzten Tage zum Uebermaß erfüllt hatten, lohte in hellem Zorne auf.

Mit heftigen Worten schalt er den jungen Freund. Was hilft das Zagen und Zaudern! rief er, indem er hastig weiter schritt; zurück können wir nicht mehr; so mag denn kommen, was will!

Ich bin dabei! rief der Arbeiter, an Leo's Seite bleibend, und so wollten auch die Männer von Tuchheim sich nicht von ihrem Führer trennen, sondern drängten mit ihm in das Lokal, das in der That einen Anblick bot, der auch einen Muthigen hätte stußig machen können.

Der sehr weite Raum, welcher mit seiner breiten Galerie wohl an tausend Personen fassen konnte, war von einer lärmenden, wild durcheinander wogenden Menge erfüllt, deren Treiben um so unheimlicher war, als man auch heute, wie sonst an den Vereinsabenden, nur Einen der drei Kronleuchter an dem einen Ende des Saales, dem Präsidententische und der Rednerbühne zunächst, angezündet hatte, so daß die anderen Theile des Raumes, zumal die Galerien, im Halbdunkel oder ganz im Dunkeln blieben.

Nur mit großer Mühe gelang es Leo, bis zu dem Tische durchzubringen, in dessen Nähe der Vorsißende des Vereins (ebenfalls ein Arbeiter) nebst einigen von Leo's getreuesten Anhängern rathlos standen. Sie erschraken bei Leo's Anblick und baten ihn auf das Dringendste, sich nicht auf der Rednerbühne zu zeigen; noch habe man ihn offenbar nicht bemerkt, noch könne Alles gut ablaufen.

Aber Leo wollte nichts von diesen Vorschlägen hören; die Versammlung müsse abgehalten werden, der Borsigende sollte dieselbe eröffnen.

Mit Widerstreben bestieg der Mann die Plattform; aber was er sprach und selbst den Ton der Glocke, mit welcher er läutete, verschlang der Lärm im Saale.

Gleich nach ihm trat Leo auf die Tribüne.

Und nun erhob sich ein Getöse durcheinander rufender, schreiender Stimmen, ein Pfeifen, Heulen, Stampfen, daß es war, als müsse der Bau über den Unsinnigen zusammenbrechen.

Bleich, aber ohne eine Regung in der Miene, die großen, dunklen Augen ruhig auf das wogende Meer brutaler Gefichter, die zu ihm aufgrinsten und aufdrohten, gerichtet, stand Leo da. Dies waren die Menschen, für die er arbeitete!

Und während jezt ein Gefühl bitterster Verachtung all mälig seine Brust erfüllte, war es ihm, als ob eine Stimme dicht an seinen Ohren sagte: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

Und plöglich war es die Kirche von Tuchheim. Die Orgel brauste, der fromme Gesang fluthete, der Morgensonnenstrahl fiel goldig durch die hohen Spitbogenfenster, und neben ihm stand ein blauäugiges Mädchen und lispelte, seine Hand ergreifend: Willst du mit aus meinem Buche fingen?

Leo reckte den Arm aus; wie durch ein Wunder war es plötzlich so weit still geworden in dem Saale, daß seine ersten Worte, hellen, ehernen Klanges, bis in die fernsten Winkel vernehmbar ertönten.

Und immer stiller wurde es, je länger er sprach; und je stiller es wurde und je länger er sprach, um so mächtiger rauschte der Strom seiner Rede, um so voller tönte seine Stimme, daß es wie ein Zauber die rohen Seelen umfing.

War es nicht eine zaubermächtige Kraft, die dem ernsten, blaffen Manne da oben den Muth gab, ein Einzelner, ihnen gegenüber zu treten, die ihn in Stücke zerreißen konnten, wenn fie wollten? Oder war seine Sache wirklich besser, als man ihnen gesagt hatte? Ja, war im Grunde nicht Alles ganz

richtig, was er da sagte, von dem Elend, in dem sie versunfen wären? dem Elend der Armuth und der Unwissenheit, die sie taub und blind mache, daß sie selbst die von sich stießen, die keinen anderen Wunsch, keinen anderen Gedanken hätten, als ihnen diese Bürde des Elends abzunehmen, daß sie sich aufrichten und aufathmen könnten in dem Licht der Sonne, die für Alle scheine?

War es nicht die reine Wahrheit, was der blasse Mann, dessen Wangen sich allmälig in der Gluth der Begeisterung rötheten, da weiter sprach: daß diese Sonne trotz alledem noch nicht ein einzigesmal im Laufe der Jahrtausende auf ein freies Volk geschienen habe, auf ein Volk, in welchem jedem Einzelnen nicht blos das Recht, sondern auch die Möglichkeit eines menschlichen Daseins gewährt sei? Und daß der Arbeiter der Neuzeit von dem Sclaven des Alterthums, von dem Leibeigenen des Mittelalters sich nur im Namen, aber nicht in der Sache unterscheide? Ja, daß dies vermeintliche Recht zu einem menschenwürdigen Dasein, auf das man den murrenden Arbeiter wieder und wieder verweise, in der Hand des Capitalisten zu einem Fallstrick werde, furchtbarer als die Kette, mit welcher der stolze Römer seine Sclaven fesselte, oder das Joch, mit welchem der finstere Baron des Mittelalters seinen Leibeigenen an die Scholle heftete?

Eine Kette kann man zerbrechen, ein Joch abschütteln, aber ein Recht ohne Wahrheit, das ist wie eine Schlange, in deren tausendfachen Windungen die zäheste Kraft allmälig hoffnungslos erlahmt. Glaubt Ihr, daß ich übertreibe, daß ich Euch nur gegen Eure Herren hezen will, wie man Euch gegen mich gehezt hat? Ich will es Euch beweisen Wort für Wort und Buchstab für Buchstab aus dem Gange der Geschichte, aus der Wissenschaft, das heißt: aus der Lehre von dem, was ist.

Glaubt ihm nicht, Leute, er lügt! Jedes Wort, das aus seinem Munde geht, ist eine Lüge!

Der Zauber war gebrochen. Die Stiame, die so rief es war nicht eines Arbeiters Stimme wurde verschlun

gen von dem Toben, das jezt mit Einem Schlage fürchterlicher als vorher losbrach. Die Anhänger Leo's, die der wunderbare Verlauf der Versammlung mit neuem Muth erfüllt hatte, heischten Ruhe und wollten ihr Hausrecht wahren; eine große Anzahl Anderer, die blos die Neugier oder die Lust am Skandal herbeigeführt, und die Leo's Wort wider Willen ergriffen hatte, schloß sich ihnen an; die größere Menge derer aber, die beinahe schon vergessen hatten, weshalb man ihnen Branntwein und Geld so reichlich gespendet, wollte nun nicht umsonst hierher gekommen sein, und erwiederte Schimpf mit Schimpf und Gewalt mit Gewalt. Im nächsten Augenblicke war das Ganze dieser Menschenmasse ein tobendes, greuliches Chaos, in welchem durch den aufgewühlten Staub hindurch kaum noch etwas Einzelnes: zornglühende Gesichter, geballte Fäuste, drohend erhobene Arme, hin und her wo= gende Gestalten, sichtbar wurden.

Leo hatte sich, seitdem der Lärm begann, nicht von der Stelle bewegt. Er stand da, die Arme über die Brust verschränkt, mit einer Miene halb des Mitleids, halb der Vers achtung.

Da traten ein paar der ihm befreundeten Männer an ihn heran und beschworen ihn, sich wenigstens jezt zu entfernen.

Eine kleine Thür, die aus dem Saal auf einen Nebencorridor führte, sei noch frei. Man könne von dort leicht auf die Straße gelangen; in der nächsten Minute sei es vielleicht schon zu spät.

Während die Männer noch so sprachen, drang plöglich ein Knäuel wüster Gesellen an die Rednerbühne heran mit wildem Geschrei, durch das eine Stimme, dieselbe Stimme, die vorhin das Signal zu dem Unfug gegeben, deutlich genug hindurch tönte. Leo fuhr zusammen, als diese Stimme sein Ohr zum zweitenmale berührte; er wendete sich hastig um, und sein scharfes Auge erkannte, troß der Verkleidung, in die sich Jener gehüllt, Ferdinand Lippert, der seinerseits mit wildem Gelächter seinen Todfeind zu verhöhnen und herauszufordern schien.

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