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In Schwester Malchen's Augen hatte er noch wenig oder nichts von seinen einstigen Vorzügen eingebüßt, und so erschien er ihr auch heute Morgen, während er wenige Schritte vor ihr dahin wandelte, als der schönste Mann. Mit dem reinsten Wohlgefallen, das ein Herz empfinden kann, hingen ihre Blicke an seiner rüstigen Gestalt, und sie bat ihren Gott, daß die beiden Knaben an seiner Seite so stattlich und stark, und vor Allem so gut und brav werden möchten wie er.

Neben der Tante ging Silvia. Die blauen Augen, die sonst so groß und forschend umher blickten, suchten den Boden. Tante Malchen hatte es heute Morgen nicht an thränenreichen Ermahnungen, wenigstens den Sonntag nicht durch Heftigkeit und Lieblosigkeit zu entheiligen, fehlen lassen; und weil es eben Sonntag und das Wetter so schön und Silvia's Herz durch die Aussicht auf den hübschen Spaziergang und durch die Glockenklänge, welche von Tuchheim durch die klare Luft herübertönten, sehr milde und feierlich gestimmt war, hatten die Worte der Guten ihre Wirkung auch nicht verfehlt.

Auf der halben Höhe des Schloßberges führte der Weg thalwärts in das Dorf. Man erreichte die Kirche zu Tante Malchen's nicht geringem Entsetzen als eben nach Absingung des ersten Liedes, vor dem Beginn der Predigt, die Thüren geschlossen werden sollten. Eiligen, geräuschlosen Schrittes huschte Tante Malchen zu ihrem Plaß vorauf; ihr folgten Silvia und die Knaben. Der Förster zog es vor, in der Nähe der Thür an einem Pfeiler, der ihn vor dem Prediger und der Gemeinde so ziemlich verdeckte, stehen zu bleiben.

Die Kirche war heute außergewöhnlich voll. Die sonore Stimme des Predigers erfüllte den nicht unbedeutenden Raum bis in die lezte Mauernische. Doctor Urban war sich des Vorzuges eines klangreichen, biegsamen Organs wohl bewußt, und er hatte es nach vielen mühsamen Versuchen der Akustik seiner Kirche vollkommen angepaßt. Er verstand es mei

sterlich, den Ton ausklingen zu lassen, und brachte dadurch, besonders am Schlusse einer längeren Phrase, die prächtigsten Wirkungen hervor.

Doctor Urban hatte zu seinem Texte die Worte des Apostels: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle." Er sprach von den Kindern dieser Welt, den glattzüngigen, redegewandten, wie sie so schön Herr! Herr! zu sagen und Jedem nach dem Munde zu sprechen wüßten, und inwendig sei doch Alles eitel Lug und Trug. So seien viele Blumen mit herrlichen Farben geschmückt, aber kein mild erquickender Duft entströme ihren Kelchen; so spielten die Leiber der Schlangen in warmem Schimmer, und doch seien es kalte, widerliche Geschöpfe, die der Herr verflucht habe, auf dem Bauche zu kriechen und Staub zu fressen. Aber diese Vergleiche seien noch bei weitem zu günstig: der liebeleere Mensch sei viel häßlicher, als eine geruchlose Blume, als ein schleimiges Reptil. Der Mensch, dem die Liebe fehle, begnüge sich nicht damit, Anderen nicht wohlzuthun; er müsse ihnen wehethun, wenn er seine Lust haben solle; er müsse schaden, zerstören, vernichten können. Der Mensch ohne Liebe sei schlimmer als die wildeste Bestie; die Welt ohne Liebe sei das Chaos eine heulende Finsterniß, in der es von Ungeheuern wimmle, die mit gierigen Zähnen gegenseitig auf einander hackten, die kein Recht gelten ließen als das des Stärkeren über den Schwächeren, kein Gesetz als die Gesezlosigkeit Nacht und Graus, Würgen und Morden überall.

Unter den wuchtigen Accenten, mit denen der Prediger so fürchterliche Worte ausstattete, bebte das Haus, bebten die Herzen seiner andächtigen Zuhörer. Es war, als ob der Tag sich verdunkle und die Nacht, deren Schrecken er so eindringlich zu schildern wußte, heraufdämmere. Man wagte kaum zu athmen, aus Furcht, das Verderben, mit dem die ganze Atmosphäre erfüllt schien, auf sich herab zu ziehen. Plöglich aber war es, als ob ein anderer Mann spräche

ein anderer Mann mit einer weichen, einschmeichelnden; angstbeschwichtigenden Stimme.

Aber was ist das? sagte die weiche Stimme. In dem ungeheuern Chaos verbreitet sich plößlich eine milde Wärme, und wo die Wärme sich zumeist concentrirt, da blißt eine Flamme auf, erst hier, dann dort, zulezt überall, wie am nächtlichen Himmel ein einzelner Stern auftaucht, dann ein zweiter, dritter, und endlich das ganze Gewölbe mit Myriaden leuchtender Welten übersäet ist. Diese Wärme nun, lieben Brüder und Schwestern, diese Flamme, dieses Licht ist die Liebe; die Liebe, die so lieblich ist, daß die Engel selbst ihre Herrlichkeit nicht hinreichend preisen können, und die Menschen, die sie im Herzen fühlen, gar verstummen und in Demuth ihr Haupt beugen; die Liebe, die alle Menschen zu Kindern des Einen Vaters macht, des Vaters, in dem wir Alle leben und weben, und der selbst der Urquell aller Wärme, alles Lichtes und aller Liebe ist. Hallelujah!

Vielleicht gab es in diesem Augenblicke, wo das Hallelujah an der Decke verhallte, Niemand in der Versamm lung, den die bedeutende Rede des Predigers ungerührt gelaffen hätte; aber Leo's erregbares Herz hatte sie ganz und gar in Flammen gefeßt. Seine Wangen glühten; auf seiner Stirn standen dunkle Wolken, als von den Schauern des Chaos die Rede war, und helle Tropfen hingen in seinen Wimpern, während der Preis der Liebe in Worten, die ihm unmittelbar vom Himmel zu kommen schienen, verkündet wurde. So, so wollte auch er einst predigen in der Wüste unter den Heiden!

In seiner Extase hatte sich der Knabe von seinem Size erhoben. Hoch aufgerichtet stand er da, das schwarze lange Haar zurückgeschlagen von der weißen Stirn, die großen, von Thränen umflorten Augen starr auf den Prediger ge= richtet. Aber er sah den Prediger nicht mehr. Die Kanzel verschwand; die hohe Decke des Gewölbes that sich auf, und ein wolkenloser Himmel blaute herein; die starken Pfeiler wurden zu mächtigen Tannen, durch deren Zweige der Mor

genwind rauschte. In das Waldesrauschen brausten die strudelnden Wasser der Fälle, und drüben, halb noch im kühlen Schatten der Bäume, halb in dem hellen Sonnenlichte, tauchten die nackten weißen Glieder des lieblichsten Geschöpfes in die durchsichtigen Wasser.

Gewaltiger flutheten die Klänge der Orgel, und der Träumer erwachte aus seinem Traume. Neben ihm stand Silvia; sie hatte seine Hand ergriffen; ihre blauen Augen, die demüthig bittend zu ihm aufblickten, hatten geweint.

Willst Du mit aus meinem Buche fingen, Leo? sagte fie, indem sie sich wieder sezte und Leo neben sich Plat machte.

Ich kann nicht fingen, sagte der Knabe zögernd.

So sieh' wenigstens mit hinein.

Durch die hohen, schmalen Fenster fielen schräge Sonnenstreifen, in denen die Staubatome sich wirbelnd drehten; die Orgel brauste, lauter und kräftiger erhob sich der Gefang. Tante Malchen, welche die beiden Kinder mit, wie es ihr schien, verklärten Gefichtern einträchtiglich nebeneinander fizen sah, weinte helle Freudenthränen und pries die Güte Gottes, der seinem Diener Kraft gebe, die Herzen der sündigen Menschen zu rühren und die Liebe in ihnen zu erwecken, ohne die wir nichts sind, als ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.

So sagte sie auch zu Silvia, als sie sich Alle vor der Kirchthür auf dem Friedhofe zusammengefunden hatten. Silvia erröthete bis in die Schläfen.

Ich hätte viel lieber mein Buch für mich allein ge= habt, sagte sie, indem sie den Kopf mit den langen Locken trozig in den Nacken wars.

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Achtes Capitel.

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Ein paar Minuten später traten der Förster und die bei= den Knaben Tante Malchen mit Silvia war auf das Schloß vorausgegangen in den schattigen Pfarrhof. Die dämmerige Kühle unter den mächtigen Kastanienbäumen, die tiefe Stille, in der das Summen des leßten Glockentons verzitterte, das stattliche, alterthümliche Pfarrhaus, dessen schmale Spitzbogenfenster von Epheu zum Theil dicht umrankt waren das Alles verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf die Knaben zu machen, und selbst des Försters braunes Gesicht zeigte ein paar nachdenkliche Falten. Er blickte nach der Thurmuhr hinauf und schien zu überlegen, ob man nicht lieber noch ein paar Minuten warten solle; dann aber mochte ihm dieses Zagen vor einem ihm allerdings wenig angenehmen Besuch doch unmännlich vorkommen, wenigstens zog er die Glocke an der Thür mit einer gewissen energischen Heftigkeit, die durch die Umstände kaum gerechtfertigt schien.

Die öffnende Magd führte den Besuch in ein Zimmer zu ebener Erde, in welchem er alsbald von der Frau Pastorin begrüßt wurde. Die kleine, blaffe Dame reichte dem Förster mit großer Herzlichkeit die Hand und wandte sich dann zu den Knaben, deren Anblick ihre schmalen gerötheten Augen sogleich mit Thränen füllte. So groß würden meine Zwillinge sein, rief sie, wenn sie nicht gestorben wären.

Die Erinnerung an den bereits vor fünfzehn Jahren erfolgten, nie wieder erseßten Verlust dieser Kinder, von denen das eine todt zur Welt kam und das andere nicht den nächsten Tag erlebte, hatte der kleinen Dame ihre geringe Haltung vollends geraubt. Sie trocknete sich die reichlich hervorquellenden Thränen ab, lächelte, und bat den Förster und die Knaben um Entschuldigung, daß sie ihnen keinen besseren Empfang bereite; nöthigte sie darauf, sich um den

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