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Es hatte dem Sohne des Waldes zu sehr mißfallen in dem kühlen, stillen Hause mit der klösterlich dumpfen Luft.

Neuntes Capitel.

Als Tante Malchen und Silvia auf dem Schlosse anlangten, fanden sie die Familie in einer halb freudigen, halb schmerzlichen Aufregung. Henri war vor einer halben Stunde gekommen, gänzlich unerwartet und auch einigermaßen unerwünscht. Der lebhafte braunlockige Knabe erzählte unter vielem Lachen, wie er, dem Wunsche seines Papa's folgend, nach überstandenem Carcer mit der Familie seines Onkels, des Bankier Sonnenstein, die projectirte Rheinreise angetreten habe, daß aber der Onkel mit seinen ewigen Residenzwißen, Cousin Alfred durch seine großen Manieren, die Cousine Emma mit ihrem unaufhörlichen Schwagen so unausstehlich gewesen seien, daß er es schon nach den ersten Stationen nicht mehr habe aushalten können.

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Glücklicherweise hatte ich noch genug Geld in der Tasche, rief der Knabe; und da war denn die Sache leicht gemacht. In - ach wie heißt es doch nur gleich, wo die Bahnen fich kreuzen gleichviel in Dingsda sprang ich aus dem Wagen, nahm ein Retourbillet, sette mich in ein Coupé, und da mein Zug früher abging, als der, in dem Sonnenfteins saßen, so fuhr ich stolz an ihnen vorbei und schrie ihnen Halloh! in das Fenster hinein. Aber die erstaunten Gesichter! Papa, die Gesichter hättest Du sehen sollen! Emma kreischte, Alfred konnte nicht mit seiner Lorgnette fertig wer= den, und der Onkel — schickt sich nicht, so von seinen Verwandten zu sprechen? Pah, Tante, der Onkel ist mit uns verschwägert, aber, Gott sei Dank, nicht verwandt —- ein Freiherr von Tuchheim und ein Bankier von Sonnenstein Spielhagen, In Reih' und Glied. L

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verwandt! Das fehlte noch!

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uns nicht streiten. In dem anderen Dingsda, wo die Bahn aufhört Gott, bringt mich denn Keiner darauf — habe ich Extrapost genommen und bin die fünf Meilen heruntergeraffelt wie ein Prinz. Na, Tante, da bin ich nun. Wegschicken könnt Ihr mich nicht wieder, also macht gute Miene zum bösen Spiel.

Und der übermüthige Knabe umarmte zuerst den Vater, dann die Tante und zulezt auch noch Amélie's englische Gouvernante, Miß Ethel Jones, die eben in den Gartensalon trat, um anzukündigen, daß der Förster mit den Knaben angelangt und das Mittagmahl angerichtet sei.

Ein paar Stunden später, nach Tische, waren der Freiherr und der Förster nach den Ställen hinabgegangen, um die Einrichtungen, welche man zu der bevorstehenden Aufnahme von hundert königlichen und prinzlichen Pferden hatte treffen müssen, zu besichtigen. Die junge Gesellschaft spielte unter Anführung der wackeren Miß Jones auf dem Rasen vor dem Schlosse Reifen; Fräulein Charlotte und Tante Malchen saßen in der Veranda und schauten, häufig von ihrer Arbeit aufblickend, dem anmuthigen Treiben zu.

Fräulein Charlotte war heute noch ernster als gewöhnlich. Die bevorstehende Ankunft der hohen Gäste warf schon zum voraus einen Schatten auf ihre Seele, einen um so tieferen, als sie sich über die Weise, wie man dieselben zu empfangen und zu bewirthen habe, mit ihrem Bruder durchaus nicht hatte einigen können. Dies war nun freilich ein Thema, über welches sie mit Tante Malchen nicht wohl sprechen durfte; um so ausführlicher äußerte sie sich über eine zweite Sache, die ihr kaum minder schwer auf dem Herzen lag.

Ich wundere mich, sagte sie, daß mein Bruder diesen neuesten Streich, den uns der Henri gespielt hat, so ruhig hinnimmt. Er ist am meisten dadurch getroffen. Sie wissen, Malchen, wie sehr mein Bruder Henri's so oft und so leidenschaftlich ausgesprochenem Wunsche, Soldat zu werden, entgegen ist; ja, ich kann Ihnen sagen, daß er ihn haupt

sächlich deshalb aus der Residenz mit ihren Wachtparaden und Kasernen entfernt, und nun kommt der Junge, als ob er es darauf angelegt habe, zu einem militärischen Schauspiel, das ihm vollends den Kopf verrücken wird. Ich hatte es mir schon so schön ausgemalt, wie die drei Knaben von nun an einträchtiglich mit einander leben und lernen wir den; in unserer unmittelbaren Nähe, gleichsam unter unseren Augen. Es war einer der glücklichsten Gedanken, die mein Bruder je gehabt hat, und nun

Fräulein Charlotte stützte den Kopf in die Hand und schaute wehmüthig dem Treiben der Kinder zu. Tante Malchen versuchte einige Troftgründe aufzuführen, aber was sie sagte, mochte wohl nicht eben von Bedeutung sein, wenigstens war es nicht im Stande, Charlotte aus ihren Träumereien zu erwecken.

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Wie doch beim Anblick dieser glücklichen Geschöpfe die Zeit meiner Jugend mir wieder in die Erinnerung kommt, sagte sie, und ihre sanfte Stimme zitterte ein wenig, während fie so sprach; meine Jugend und Ihre Jugend, liebes Malchen sind wir doch zusammen jung gewesen, wie wir nun anfangen zusammen alt zu werden wie oft haben auch wir auf diesem Plate Reifen gespielt; meine Mutter liebte das Reifenspiel so man könne dabei so viel Grazie entwickeln, meinte sie. Sie sagte es aber französisch, denn Sie erinnern sich, Malchen, wenn von Grazie die Rede war, wußte sie sich deutsch nicht auszudrücken. Aber Ihr Bruder Friß war doch der Gewandteste und Schnellste von der ganzen Schaar. Wenn er lief, so schienen die Füße kaum den Boden zu be= rühren, und über Gräben und Hecken sprang er mit den Hirschen um die Wette. Er war eigentlich nicht hübsch, Fhr Bruder Fris, bis auf seine schönen blauen Augen aber ich habe doch schon manchmal gedacht, solche Knaben giebt es jest nicht mehr.

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Tante Malchen's Augen waren, sobald Fräulein Charlotte auf die goldene Jugendzeit zu sprechen kam, feucht geworden, aber das Lob ihres geliebten Bruders entlockte ihr

helle Freudenthränen. Daß er nicht hübsch gewesen sein solle, wollte ihr allerdings nicht zu Sinn, aber, du lieber Himmel, der Geschmack der Menschen ist ja auch so sehr verschieden!

Die junge Generation ist schöner geworden, fuhr Fräulein Charlotte fort. Walter ist viel hübscher, als sein Vater jemals war, und Silvia hat etwas ganz Eigenes in Ausdruck, Haltung und Manieren. Mir ist manchmal, als wäre sie eigentlich gar kein Menschenkind, sondern eine Nixe oder sonst ein Feengeschöpf, das sich in Eure Familie eingeschlichen hat. Nun, nun, Malchen, Sie brauchen nicht so bestürzt auszusehen, sie wird sich ja nicht eines schönen Tages in einen Bach oder Baum verwandeln; aber sie ist ein merkwürdiges Kind. Sehen Sie nur, wie sie sich dort mit Henri neckt und ihre Locken nach hinten schüttelt! Welch' merkwürdig volles, lockiges Haar das Mädchen hat, und jezt sieht sie auch wirklich beinahe schön aus, bis auf den übermüthigen Zug, der, glaube ich, dem Leo gilt. Sie scheinen sich nicht eben zu lieben, Leo und die Silvia, wenigstens macht er jezt ein Gesicht, so düster wie eine Gewitterwolke. Ist er gut, der Leo? Ich kann mich in sein Gesicht nicht finden; ich verstehe es so zu sagen nicht, aber ich gebe zu, es liegt etwas durchaus Ungewöhnliches darin, etwas, vor dem man unwillkürlich Achtung empfindet. Es ist schwer zu glauben, daß dieses Knaben Leben wie anderer Menschen Leben dahinfließen sollte; aber ich fürchte ich fürchte besonders glücklich wird es nicht sein. Doch lassen wir die düsteren Gedanken, die sich für diesen entzückend schönen Abend gar nicht passen. — Ach, das ist herrlich, das kommt wie gerufen, wie lieblich das klingt!

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Die Kinder, die unterdessen mit ihrem Spiel aufgehört hatten, waren in den Gartensaal, deffen geöffnete Thüren auf die Veranda führten, getreten, und Miß Jones hatte sie dort um den Flügel zu einem kleinen Quartett gruppirt. Miß Jones begleitete und seßte mit einer etwas rauhen Altstimme kräftig ein, wenn die Accorde nicht ganz rein heraus

famen, oder es mit dem Tacte nicht recht fort wollte. Dies war aber nur äußerst selten der Fall. Die jugendlichen Sänger waren von Anfang an ihrer Sache so ziemlich sicher und wurden es mit jedem Liede mehr.

Es war für Charlotte ein hoher Genuß, diese thaufrischen, unentweihten Stimmen zu hören, besonders bei einigen Volksliedern, wo sie den einfachen Text und die schmucklose Melodie wie mit Morgensonnenschein verklärten. Aber kaum weniger gut gelangen einige moderne Compositionen, in denen wieder das sentimentale Pathos mit der hellen Klangfarbe des Tones einen eigenthümlich wehmüthigen Contrast bildete. Besonders ein Duett, das die beiden Mädchen sangen, war von einer ganz zauberischen Wirkung die rührendste Klage um eine verlorene Liebe, die thränenreichste Sehnsucht nach einem auf immer dahin geschwundenen Glück.

Charlotte trocknete sich die Augen. Aber was ist das, sagte fie aufstehend, alle Welt scheint es heute darauf angelegt zu haben, mich melancholisch zu stimmen. Ich will einen Spaziergang durch den Garten machen. Das wird mir ja wohl die Grillen vertreiben. Ich weiß, Sie sind keine Freundin von müßigen Promenaden, Malchen, so will ich Sie denn auch nicht auffordern, mich zu begleiten.

Es dämmerte bereits, als Charlotte jenseits des Rasenplazes in einen der laubigen Gänge des Gartens trat. Die Luft war frisch, ohne kalt zu sein; man spürte eben nur den Hauch des Herbstes. Der energische Duft des an der Erde modernden Laubes, das Säuseln des Windes in den braunen Blättern, das gelegentliche Fallen einer reifen Frucht, die ahnungsvolle Beleuchtung der hinter die Wälder sinkenden Sonne Alles sprach von Scheiden und Meiden und erfüllte Charlotten's Herz mit immer größerer Wehmuth. Die Melodie des Liedes, das sie soeben von den beiden hellen Mädchenstimmen gehört hatte, klang ihr fortwährend im Ohr, und seufzend wiederholte sie den Text: Ach, wie so bald verhallet der Reigen!

Ach, wie so bald! Ist es mir doch, als wenn es gestern

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