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gewesen wäre, daß ich mit eben solcher klaren Stimme meine Lieder sang! daß ich mit eben der lauten Fröhlichkeit auf dem Rasenplage spielte! Ich könnte mir manchmal denken, ich wäre dieselbe noch. Aber Malchen war damals auch jung und frisch, und wie alt und unschön ist sie jezt! Kann ich hoffen, daß die Zeit gnädiger mit mir verfahren ist? Und wenn auch, verwelkt ist sie doch, die holde Jugend, wie diese Rose hier verwelkt ist; verweht sind sie doch, die goldenen Tage, wie diese Blätter hier unhörbar von den Zweigen wehen. Ach, wie so bald!

Ein Vögelchen zirpte in den Bäumen über ihr. Charlotte schaute hinauf. Sie konnte das Vögelchen nicht sehen, aber eine weiße, von der untergehenden Sonne röthlich angestrahlte Abendwolke, die hoch oben in dem blauen Aether schwamm. Noch indem sie hinaufschaute, verschwand das rosige Licht; Charlotte seufzte und wandelte weiter. Das Lied kam ihr wieder in den Sinn: War't ihr ein Traum, ihr Liebesgedanken?

War't ihr ein Traum? Sie hatte vorhin so ruhig gesagt, daß Friz Gutmann häßlich gewesen sei. Er war ihr nicht immer so erschienen, nicht so erschienen, als er in jener Nacht bleich und blutig in das Zimmer trat, wo der verwundete Bruder lag, und als er hernach auf den starken Schultern die schwere Last von dannen trug; nicht so erschienen, als er am folgenden Tage, während sie das Rufen der suchenden Franzosen im Walde hörten, in dem Eingang der Höhle stand, still und ernst, die nie fehlende Büchse halb im Anschlage, bereit zum Sterben, aber entschlossen, sein Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Wohl waren sie ein Traum gewesen, diese Liebesgedanken - ein kurzer Traum, und doch ein schöner Traum, ein Traum, so schön, daß die Erinnerung an ihn dreißig Jahre hindurch frisch geblieben war.

Charlotte lächelte und wurde dann auf einmal wieder sehr ernst. Er mochte ja lächerlich sein, der Gedanke, daß ein Freifräulein von Tuchheim einen herrschaftlichen Förster Heirathen könnte, aber, sagte sich Charlotte, wenn man dreißig

Jahre länger gelebt und gesehen hat, wie eitel sie sind, die irdischen Herrlichkeiten, wenn man erfahren hat, wie gleichgültig im Grunde die Welt, der wir unser Glück zum Opfer brachten, an unserem Glück und Unglück vorübergeht; wenn man Schönheit, Jugend, Gesundheit, Frohsinn zu Grabe getragen hat und sich sagen muß, daß man hätte leben und lieben können, und daß man nun alt ist, und Leben und Liebe wie bleiche Schatten an dem Rande der Ewigkeit schweben dann, ja dann sehen die Dinge sehr anders aus, und selbst die Liebe eines Freifräuleins zu einem Försterburschen steigt auf aus dem Grabe der Vergessenheit und fragt: weshalb sie nicht leben durfte, weshalb sie ein Traum bleiben mußte?

Und soll unter diesem harten Joche, das sie sich selbst aufgebürdet, die Menschheit ewig seufzen? Sollen in alle Zukunft die reinsten Quellen des Glückes verschüttet werden und die edelsten Herzen verschmachten? Soll jene Kinder, die heute so glücklich miteinander spielten, dasselbe Loos treffen? Ist es möglich, daß die beiden Mädchen sich heute selbst ihr Schicksal gesungen haben? daß die Knaben einst in Gram und Wehmuth an diese Stunde zurückdenken? Ist es möglich?

Charlotte war eben um einen jener Felsen gebogen, welche den Weg gänzlich zu hemmen schienen, und doch nur eine liebliche Aussicht künstlich verdeckten. Auf der Bank, die man auf einem kleinen, von einer Hängeweide überschatteten Plaze angebracht hatte, saß Jemand, der den Arm auf die Lehne der Bank und den Kopf auf den Arm gelegt hatte und in seine Träumereien so vertieft war, daß er den leichten Schritt der Herankommenden überhörte.

Fräulein Charlotte glaubte ein leises Schluchzen zu vernehmen. Voll Mitleid trat sie noch näher und legte dem Knaben leise die Hand auf die Schulter.

Das bleiche Gesicht, das erschrocken zu ihr aufstarrte, war von Thränen überströmt.

Warum sind Sie nicht bei den Anderen, die im Saale

fingen? fragte Charlotte, welche dieser Anblick selbst verlegen gemacht hatte.

Ich kann nicht singen, antwortete der Knabe.

Es lag eine solche Verzweiflung in diesen einfachen Worten und in dem Tone, in welchem sie gesprochen wurden, daß Charlotte sich auf das Innigste gerührt fühlte.

Aber bevor sie noch für das Mitleid, das sie fühlte, einen passenden Ausdruck finden konnte, hatte Leo schon seine Thränen getrocknet, und in dem Ausdruck seines Gesichts lag viel mehr Scham, daß er sich so hatte überraschen lassen, als der Wunsch, sich mittheilen zu dürfen. Die feinsinnige Charlotte fühlte das sehr wohl, und sie machte keinen Versuch, in diesem Augenblicke das Vertrauen des Knaben zu gewinnen. Mit dem Tact einer Dame von Welt sprach sie, während sie zusammen nach dem Schlosse zurückschritten, über andere Dinge; fragte nach Leo's Studien, nach dem Pastor und welchen Eindruck derselbe auf ihn gemacht habe.

Leo antwortete einfilbig und zerstreut.

Zehntes Capitel.

Acht Tage später die Stoppeln standen jezt überall auf den Feldern, und hie und da fing man auch schon an, die Trauben zu pflücken nahm die Gegend um Tuchheim herum plöglich ein sehr kriegerisches Aussehen an. Die fünfzehntausend Mann starke Besatzung der ein paar Meilen entfernten Festung und Hauptstadt des Regierungsbezirkes war von einem detachirten feindlichen Corps, das man auf zwanzig-, ja auf fünfundzwanzigtausend Mann schäßte, überfallen worden. Die Feinde schienen es auf eine

regelmäßige Belagerung abgesehen zu haben, die in der Festung, dieser Gefahr um jeden Preis begegnen zu wollen. Es verging kein Tag, ja kaum eine Nacht, wo sie nicht mit bald größeren, bald geringeren Streitkräften Ausfälle machten, bei denen es wohl recht heiß herging, denn die ftillen Berge und Wälder widerhallten von dem schrecklichsten Kanonendonner und unaufhörlichen Flintengeknatter. Indessen waren diese großen und ohne Zweifel heldenmüthigen Anstrengungen von keinem sichtbaren Erfolge begleitet. Wenigstens sezte sich der hartnäckige Feind überall in den Dörfern fest, ja errichtete an passenden Stellen stehende Lager, die sehr zierlich anzusehen waren und Schaaren friedlicher Land- und Städtebewohner von nah und fern herbeilockten. Was gab es da nicht Alles zu schauen! Marschirende, in dichte Wolken von Staub gehüllte Colonnen; muntere Jäger auf Vorposten am Waldeshag unter schattigen Bäumen; Husaren, die ihre Pferde striegelten, Cürassiere, die ihre Harnische puzten, lange Reihen von Gewehrpyramiden, die gelegentlich wie ein Kartenhaus umfielen! Marketenderwagen, die von Neugierigen und Durstigen umlagert, Marode und Kranke, die von den Lazarethgehilfen hinter die Front geführt wurden; zwischendurch Ordonnanzen, auf feuchenden Rossen hügelauf jagend und schon durch ihren Anblick die Seele der Zuschauer mit dem Gefühl der ungeheuren Wichtigkeit der Dinge, die hier vor sich gingen, erfüllend.

Nicht geringer war die Aufregung, die auf dem Tuchheimer Schlosse herrschte. Den Monarchen, der am vierzehnten Tage mit seinem Gefolge eingetroffen, den jungen Kronprinzen mit seiner Begleitung, die große Zahl der höheren und niederen Hofbedienten so unterzubringen, daß sich jeder nach den Ansprüchen, die er machen durfte, logirt sah, war eine schwere Aufgabe, die indessen von Charlotten auf das Vollkommenste gelöst wurde.

Sie hatte mit Hilfe Tante Malchen's, deren Tüchtigfeit in solchen Dingen erprobt war, ihre Dispositionen so

flug und umsichtig getroffen, daß nicht die geringste Ver= wirrung einriß und Alles sich gleichsam wie von selbst machte. Wenigstens war der Abend der Ankunft und die erste Nacht glücklich vorübergegangen, und so ließ sich hoffen, daß jezt, nach Ueberwindung der ersten und größten Schwierigkeiten, auch die folgenden beiden Tage ohne Unfall verLaufen würden.

Es war am Morgen des ersten Tages. In der Veranda vor dem Gartensaale gingen die beiden Brüder von Tuchheim, der Freiherr und der General, auf und ab. Die Luft war empfindlich kühl, obgleich die Sonne hell genug schien und die Schatten der mit wildem Wein umrankten schlanken Säulen, welche das leichte Dach der Veranda trugen, auf den Fußboden zeichnete. Der Freiherr schien die Kühle nicht zu empfinden; er hatte nicht einmal einen Ueberrock an, nur oben einen Knopf seines Fracks über der weißen Weste zugeknöpft; der General dagegen hüllte seine lange, magere Figur dicht in den faltigen Mantel, und sein bleiches Gesicht sah sehr frostig aus, obgleich er sich augenscheinlich Mühe gab, den rüstigen Bruder nicht merken zu lassen, wie wenig ihm die kühle Morgenluft behagte.

Es ist mir lieb, sagte der General, daß ich Dich sprechen kann, bevor der König Dich rufen läßt; ich möchte mir erlauben, Dir einige Andeutungen zu machen, die Dir in der Unterredung doch vielleicht von Nußen sein können.

Ich bin Dir sehr verbunden, erwiederte der Freiherr lächelnd; aber Du weißt, Joseph, daß ich unvorbereitet am besten spreche, und überhaupt mich nur dann schicklich benehme, wenn ich vollkommen unbefangen bin.

Ich weiß es, sagte der General; aber, was ich Dir sagen wollte, ist von solcher Wichtigkeit, daß Du mir schon verstatten mußt, Dir für dies eine Mal Deine undiplomatische Sorglosigkeit zu rauben.

Du machst mich in der That neugierig, murmelte der Freiherr, der bereits ungeduldig zu werden begann.

Der General warf schnelle prüfende Blicke nach allen

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