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kommt, so können wir doch niemals die Körper selbst wahrnehmen, sondern nur Teile ihrer Oberfläche. Von einer kleinen Kugel, welche sich nahe vor uns befindet, sehen wir allerdings mit beiden Augen mehr als eine halbkugelige Oberfläche, denn jedes Auge zeigt eine etwas von der anderen verschiedene Halbkugel. Aber die Vorstellung von der Ausdehnung der Kugel nach drei Dimensionen würden wir dadurch allein noch nicht erhalten, wenn wir sie nicht auch befühlen und greifen könnten. Bei Gegenständen, welche sich in so großer Ferne von uns befinden, daß die Differenz der beiden Augenbilder nicht mehr wahrnehmbar ist, sehen wir daher auch nicht stereoskopisch. Sonne und Mond erscheinen uns nicht stereoskopisch, sondern eben, weil die Parallaren der beiden Augen für unser Seh= vermögen zusammenfallen.

Wenn der Mensch Sonne, Mond und Sterne stereoskopisch sehen könnte, so hätte man ihre wahre Natur als im Raum schwebende Körper gleich in den ältesten Zeiten eingesehen.

Der Raum ist die Form unserer äußeren Anschauung; in den Raum konstruieren wir die Körper, welche wir sehen, und dennoch sehen wir keinen einzigen Körper so, wie er sich im Raum ausdehnt, sondern wir sehen ihn nach den Gesezen der sogenannten Perspektive. Die Körperwelt zeigt uns gar niemals ihre wirkliche Beschaffenheit, sondern stets nur Erscheinungen. Beständig und nach allen Seiten hin sind wir Irrtümern und Täuschungen unterworfen. Der Mond erscheint uns am Horizont größer, als wenn er hoch am Himmel steht. Wir können nachmessen und uns überzeugen, daß in der That die Mondscheibe in beiden Fällen genau denselben Durchmesser hat. Das macht alles nichts; wir sehen dennoch den Mond am Horizont größer. Hier liegt eine Täuschung im Urteil vor, hervorgerufen durch den Vergleich mit irdischen Gegenständen. Auch ein Mensch erscheint uns größer am Profil als am Fuß eines Hügels. Nun kommen aber auch Sinnestäuschungen hinzu, wie z. B. durch Brechungsverhältnisse der Luft und anderer durchsichtiger Medien. Eine eigentümlich verbogene Fensterscheibe zeigte jeden vorübergehenden Menschen, als wenn er an dieser Stelle vorüberfalle und wieder aufstehe 1). Dazu kommen nun noch Abweichungen in der Empfänglichkeit der Sinnesorgane bei verschiedenen Menschen, so z. B. die Farben= blindheit. Abnormitäten der Gehirnthätigkeit führen häufig zu denjenigen Spiegelfechtereien der Sinne, welche man Hallucinationen nennt. Ich litt früher an Anämie des Hirns. Bei heftigen Anfällen von Kopfschmerzen stellte sich nicht selten ein durchdringender Geruch nach rauchender Salpetersäure ein. Auch Blutgeruch ist in ähnlichen Zuständen nicht selten. Auzoun (Gazette des Hôpitaux 43, 1860) berichtet über einen ausgezeichneten Fall von Hallucinationen aller fünf Sinne ohne eigentlichen Wahnsinn. Der Mann litt indes offenbar an Pantophobie, welche zu Zeiten bei starken Hallucinationen zur Manie führte. Auzouy giebt an, daß der sechste Teil seiner Kranken im Irrenhaus zu Maréville an Hallucinationen leide. Gehörshallucinationen sind am häufigsten; dann Gesichtsund Gefühlshallucinationen; sehr viel seltener sind Geruchs- und Geschmackshallucinationen. Einen ausgezeichneten Fall von Hallucinationen erzählt Dr. Langwieser, damals Sekundärarzt an der Irrenanstalt in Wien. Der Fall begann mit Hören von Stimmen; diese wurden sehr bald personifiziert; darauf folgten Gefühlshallucinationen, endlich Geister- oder Personenschen *).

1) Vgl. M. Lazarus, Zur Lehre von den Sinnestäuschungen. Abdruck aus der Zeitschrift für Völkerkunde und Sprachwissenschaft 1867.

2) Wiener medizin. Wochenschrift 1863. Nr. 46 Beilage: Spitalszeitung v. 14. Nov. Spalte 521 ff. u. Nr. 47, Spalte 531 ff. Ueber das Sichselbstsehen als Krankheit bei Seneca (Quaestiones naturales. Lib. 1. Cap. 3), vgl. Lessing ed. Lachmann. Bd. XI, p. 710.

Muratori ') teilt einen Bericht mit aus Bonnets Essay analytique sur l'âme, chap. 23 (Collection complète des oeuvres de Charles Bonnet, Tom. VI, p. 316): „Ich kenne," schreibt Bonnet, „einen hochachtungswürdigen, gefunden, aufrichtigen, verständigen Mann, welcher völlig wachend und ohne Veranlassung irgend eines äußeren Eindrucks von Zeit zu Zeit Gestalten von Männern, Frauenzimmern, Vögeln, Fuhrwerken, Gebäuden u. s. w. vor sich sieht. Diese Gestalten machen verschiedene Bewegungen; sie nähern, entfernen, verkleinern, vergrößern sich, erscheinen, verschwinden und erscheinen wieder. Die Gebäude richten sich unter seinen Augen auf und lassen ihn alle zu ihrem äußeren Bau gehörende Teile sehen. Die Tapeten in seinem Zimmer verwandeln sich vor ihm in Tapeten von einem ganz anderen Geschmack und größerem Wert. Zuweilen werden sie durch Gemälde von allerlei Landschaften verdeckt; zuweilen sieht er statt ihrer die nackten Mauern. Diese Bilder rührten ihn insgesamt so lebhaft wie wirkliche Gegenstände; und doch sind es nur Bilder. Denn die ihm vorgestellten Personen reden nicht und kein Geräusch trifft sein Ohr. Alles scheint in demjenigen Teil des Gehirns seinen Grund zu haben, welcher mit dem Gesichtsorgan verbunden ist. Der Mann, von dem ich rede, hat sich mehr als einmal und zwar in einem beträchtlichen Alter an beiden Augen den Star stechen lassen. Der glückliche Erfolg dieser Operation würde ohne Zweifel dauerhaft gewesen sein, wenn der Greis nicht durch zu großen Geschmack am Lesen verhindert worden wäre, seine Augen gehörig zu schonen. Jezt ist das linke Auge, welches vormals das beste war, fast ganz unbrauchbar. Mit dem rechten unterscheidet er noch die Gegenstände, welche er vermittelst desselben erreicht. Aber, was sehr merkwürdig ist, dieser Greis hält seine Visionen nicht für wirkliche Dinge. Sie sind ihm nichts weiter als was sie in der That sind, und seine Vernunft vergnügt sich daran. Er weiß im gegenwärtigen Augenblick nicht, was er im künftigen sehen wird. Sein Gehirn gleicht einem Schauplage, auf welchem Auftritte gespielt werden, die den Zuschauer um desto mehr in Erstaunen sehen, je weniger er sic vorhergesehen hat."

Bonnet erklärt in einer Anmerkung, daß es sein Großvater mütterlicher Seite, Charles Lullin, sei, von dem er solches berichte. Dieser starb 1761 im 92. Lebensjahr und hatte eine der ersten Ehrenstellen in seiner Vaterstadt bekleidet. Wenn er sich mit seinen Freunden unterhielt, so unterbrach er mehrmals die Unterredung, um sich mit einer ihm in eben dem Augenblick vorkommenden Vision zu beschäftigen. Er beschrieb alsdann dieselbe aufs genaueste, und nach einigen Scherzen über die Spiele seines Gehirns spann er ganz ruhig den abgebrochenen Faden seiner vorigen Rede wieder an.

In Kiesers Klinik in Jena befand sich ein Mensch, welcher infolge eines Ersudats im Gehirn, veranlaßt durch eine Encephalitis nach einem Sonnenstich, einen furchtbaren Gestank vor der Nase hatte. Durch ein Vesikatorium perpetuum wurde er geheilt *). Clemens sagt (Deutsche Vierteljahrsschrift, 1851): unterdrücktes Podagra mache ehrsüchtig, Krankheiten der Lymphgefäße machen geizig, Beschäftigung mit Indigo mache trübsinnig, Störung des Geschlechtstriebes religiösschwärmerisch und Säure im Magen feig. Wenn also sogar die ethischen Eigenschaften von äußeren Umständen beeinflußt werden, so dürfen wir uns nicht wundern, daß dasselbe bei Sinnescindrücken vorkommt.

1) L. A. Muratori, Ueber die Einbildungskraft des Menschen. Herausgegeben von G. H. Richerz. Teil H, S. 126-129.

*) Vgl. auch: Clemens, Abhandlung über die Sinnestäuschungen, in der deutschen Vierteljahrsschrift 1852, p. 216. Starke, anhaltende Hallucinationen während einer äußerst leichten Fingeroperation am Daumen. Vgl. Hoffbauer, Psycholog. Untersuchungen über den Wahnsinn. S. 41-42.

Pascal sah zu seiner linken Seite beständig einen Feuerabgrund und suchte sich gegen die Gefahr, in denselben hinabzustürzen, durch Stühle oder eine andere Schuhwehr zu sichern. Jener feurige Abgrund war nichts anderes als ein Phantasma. Denn Pascal selbst erkannte es, die Augenblicke seiner Angst ausgenommen, für nichts mehr als eine Einbildung1). Diese ängstigte ihn seit der Zeit, da er in großer Gefahr gewesen, mit einem Wagen, vor welchem die Pferde scheu ge= worden, in einen Abgrund zu stürzen).

Ein verdienstvoller Botaniter lebte in seinen lezten Lebensjahren im Maison de santé in Berlin in dem Wahn, seine Thürschwelle nicht mehr überschreiten zu können. Er behielt diesen Wahn bis zu seinem Tode. Bisweilen gelingt es, derartige Kranke von ihrem Wahn durch einfache Einwirkungen zu erlösen; doch muß man damit sehr vorsichtig sein. Hätte man z. B. Pascal zwingen wollen, die Stelle zu betreten, an welcher er den feurigen Abgrund gesehen, so wäre er vielleicht vor Angst und Schrecken gestorben, wie jener Wahnsinnige, von dem Donatus erzählt (Donati hist. mirab. lib. II cap. I. Krügers Wahrnehmungen S. 97). Dieser wollte nämlich sein Schlafzimmer nicht verlassen, weil er glaubte, sein Körper sei zu groß, als daß er durch die Thür kommen könne. Auf Befehl seines Arztes mußten ihn einige starke Leute mit Gewalt durch die Thür bringen. Der Kranke schrie, als dieses geschah, daß man ihm alle Glieder zerbrochen habe, schalt jene Leute seine Mörder und starb sogleich darauf 3).

Der Prediger Gabriel Gottlieb Voigt, Pastor an der Johanniskirche zu Danzig, im 78. Lebensjahr stehend und bald 50 Jahr im Amt, sah infolge großer geistiger Ueberanstrengung, als er sich am 17. Dezember 1804 auf seine Weihnachtspredigt vorbereiten wollte, zu seiner Rechten einen Knaben, der über seine Schultern hinweg auf das Papier blickte. Anfangs entsetzte er sich vor der Erscheinung, kehrte sich aber bald um, und dieselbe war verschwunden. Er bog sich aber wieder zum Schreiben hin, und die Erscheinung war wieder da. Knabe schaute sogar nach dem oberen Teil der Feder. Als er sich indessen bald darauf ermüdet auf sein Ruhebett niedergelegt hatte, wandelten fünf große Menichen, teils in Schlafröcken, teils angekleidet, in der Stube auf und ab. Zwischen= durch hüpften einige Knaben und machten allerlei lustige Bewegungen. Von jezt an dauerten diese Erscheinungen immer fort, wenn Voigt nicht gerade auf ein Buch sah oder einen anderen Gegenstand genau betrachtete, und sogar wenn er sich schlafen legte, war es, als wenn die Knaben auf seinem Bett umherkletterten. Eine von den größten Gestalten strich ihm sanft die Locken, eine andere den Arm. In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember konnte er wenig schlafen und immer waren menschliche Gestalten vor seinen Augen, wozu sich auch Bäume und Gesträuche gesellten. Er ging am Weihnachtstage auf die Kanzel; aber auch hier verließen ihn die Gestalten nicht. Sobald er den Tert verlesen hatte, jah er bald ein großes weißes Tuch, bald stand ein Baum da, wodurch er endlich so gestört wurde, daß er den ganzen Zusammenhang verlor*).

Der Maler Spinello sah den Teufel, den er in gräßlicher Gestalt gemalt hatte, immer zu seiner Seite und hörte Vorwürfe, die derselbe ihm deshalb machte 5). Sehr bekannt sind die Hallucinationen Le Vaillants und seiner Gefährten. Als diese bei großer Hiße, wo das Thermometer stets auf 100 Grad stand, unter

1) Richerz in Muratori, 2. T., S. 124.

3. Chr. Hoffbauer, Psycholog. Untersuchungen über den Wahnsinn. S. 56. Vgl. auch Eberhards Synonymik, T. 4, S. 205.

3) Hoffbauer a. a. D. S. 67. 68.

Nationalzeitung der Deutschen vom Jahr 1805. 5 St. S. 73-75. Hoffbauer a. a. D.

S. 45-47.

5) Hoffbauer a. a. D. S. 133. Muratori, T. II, S. 48.

offenem Himmel reisten, glaubten er und seine Begleiter Wagen, Häuser, Städte, zahlreich e Herden und andere Dinge zu erblicken, welche ihre Gestalt alle Augenblice veränderten. Aber keiner sah gerade das, was den anderen erschien; was dem einen ein Berg war, das erblickte der andere als einen Fluß 1).

Wir brauchen aber wahrlich nicht krankhafte Zustände und Hallucinationen in unsere Betrachtung zu ziehen, um uns zu überzeugen, daß wir nichts, auch gar nichts in der Welt so sehen, hören und empfinden, wie es wirklich ist. Die Sinne führen uns in eine Welt der Farben und der Töne, welche außer uns gar nicht eristiert, und die Raumwelt zeigt sich uns in verschobener, perspektivischer Gestalt im Widerspruch mit der Geometrie und mit unseren Vorstellungen von der wahren Natur der Körper. Wir mögen uns wenden, wohin wir wollen, überall ist Irrtum, überall Erscheinung, aber nicht das wahre Sein und Wesen der Dinge.

Wie für den Gesichtssinn der Raum, so ist für den Gehörssinn die Zeit die Form der Anschauung, und zwar in doppelter Weise. Erstlich hören wir bei symphonischer Musik verschiedene Töne gleichzeitig und können sie durch unsere Aufmerksamkeit sehr gut unterscheiden. Es ist nicht nur ein Bild, wenn man jagt, man suche in den Tönen. Man unterscheidet aber auch zwei Instrumente, wenn sie gleichzeitig denselben Ton spielen2).

Zweitens aber bewegen sich die Töne der Musik in einer gewissen Zeitfolge, im jogenannten Takt. Wie die Farben zur Gestaltung, so verhalten sich die Töne zum musikalischen Rhythmus. Wie die Gestaltung, das Zeichnen, bei weitem. der wichtigste Teil der Malerei ist, so ist auch der Rhythmus der wichtigste Teil der Musik. Auf dem Rhythmus beruht ihre Hauptmacht. Daher ist die Tanzmusik so leicht verständlich für jedermann und findet auch bei den weniger musikalisch Gebildeten so allgemeinen Beifall, weil der Rhythmus so einfach ist. Und je höher die Musik, desto bedeutsamer wird der Rhythmus. Was wäre wohl das Adagio von Beethovens A-Dur-Symphonie ohne den Rhythmus.

Das zweite ist Melodie, die einschmeichelnde Tonfolge. Daher hat nächst der Tanzmusik das Lied die größte Verbreitung und die meisten Freunde. Die Harmonie, die symphonische Musik, steht für den musikalisch Gebildeten am höchsten. Bei ihr sind Rhythmus und Melodie auf die höchste Stufe gehoben. Diese Musik erfordert aber ein künstlerisch gebildetes Ohr, daher ist die Zahl ihrer Verehrer weniger groß.

Die Musik hat vor den übrigen Künsten den Vorzug, daß sie nicht in den Raum konstruiert, in die reine Anschauung für den äußeren Sinn, sondern in die Zeit, in die reine Anschauung für den Sinn überhaupt. Die Musik haftet nicht an äußeren Gegenständen; der musikalische Genuß ist daher für sich abgeschlossen und erfordert eine völlige Versenkung und Vertiefung. Wir bewegen uns in einer ganz anderen, im höchsten Grade durchgeistigten Welt. Daher kommt die ungeheure Gewalt der Musik über den Menschen. Sie hat schon oft Menschen. von Anfällen der Melancholie befreit. Vor Davids Harfenspiel floh Sauls Melancholie, welche bald still, bald sehr gewaltthätig war. Tissot hat (Traité

1) Hoffbauer a. a. D. S. 48. 49. Handbuch der Psychologie, S. 364. Le Vaillant, Second voyage dans l'intérieur de l'Afrique, T. III. p. 248. Das Wort Hallucinationen braucht zuerst Sauvages. Nosologie méthodique. Ord. 1. Tom. IV. éd. Daniel, p. 235.

2) Untersuchungen zur Naturlehre von Moleichott. IX. Bd., 3. Heft. 1864. S. 298 ff. Zur Theorie des Gehörorgans von Dr. Ernst Mach (Sizungsberichte der Wiener Akademie), S. 313. Ueber Parallelismus der Licht- und Tonwelt von J. L. Hofmann. Vgl. Goethe, Geschichte der Farbenlehre. Ausgabe von 1833. Band 54, S. 258. 259. J. Rosenthal, Allgemeine Physiologie der Muskeln und Nerven. Leipzig 1877. A. Classen, Physiologie des Gesichtsfinnes, zum erstenmal begründet auf Kants Theorie der Erfahrung. Braunschweig 1876.

des Nerfs. Tom. II. p. 417, 418) in dem trefflichen Artikel von dem Einfluß der Musik auf den Körper einige Beispiele von der Herstellung der Verrückten durch sie zusammengetragen. Durch die Musik wird, auch nach der Meinung eines vortrefflichen Psychologen, des Herrn von Irwing, die verhältnismäßige Bewegung, die ein jeder Nerv für sich und alle untereinander haben müssen, unterhalten und geübt, also auch wiederhergestellt, wenn sie nicht in gar zu große Verwirrung geraten war. Nach van Swietens Bericht ward ein Wahnwiziger dadurch vernünftig, daß man in das Zimmer, worin er sich befand, ein kupfernes Becken sezte und durch die Decke des Zimmers tropfenweise Wasser in dasselbe fallen ließ. Der sanfte, klingende Schall erregte des Kranken Aufmerksamkeit und reizte ihn zu sanftem Schlaf1).

Es ist nun eine merkwürdige Sache, daß gerade die Unzulänglichkeit unserer sinnlichen Auffassung der Dinge die ästhetische Auffassung veranlaßt und ermöglicht. Wären alle äußeren Dinge für unser geistiges Auge gewissermaßen durchsichtig, sähen wir z. B. den regelmäßigen Sechsflächner so, wie er wirklich ist, ohne perspektivische Verkürzung, dann würden wir etwas Schönes überhaupt nicht an ihm bemerken. Wir würden ihn nur wissenschaftlicher Untersuchung unterziehen nach den Gesezen der Gestaltung, also nach mathematischen Gesezen. Die mathematische Naturauffassung aber ist der ästhetischen geradezu entgegengesezt. Jene zeigt uns die ganze Welt als ein ungeheures Uhrwerk, welches nach unwandelbaren, ausnahmslosen Gesezen sich bewegt, diese führt uns in eine Welt schöner Erscheinungen2) ein, in eine Welt schöner Farben und Formen. Sie löst uns von den Fesseln der Naturgeseze, welche nur für uns, so lange wir sinnliche Menschen sind, zur Erklärung der Erscheinungen dienen, uns aber niemals das wahre Wesen der Dinge zeigen. Sie zeigt uns in der Schönheit der ganzen Natur, daß dieser noch eine ganz andere Bedeutung zukommen müsse als diejenige der mathematischen Naturgeseßlichkeit, die ja ohnedies unvollendbar, also durchaus unzulänglich ist, und nicht im stande, uns die Dinge so erkennen zu lassen, wie sie an und für sich sind.

Offenbar fordern die Dinge außer uns selbst uns auf zu einer zwiefachen Beurteilung, zur wissenschaftlichen und zur ästhetischen. Die Natur erregt in uns ein Wohlgefallen, auch da, wo sie uns furchtbar entgegentritt, wie auf dem sturmbewegten Meer. Es muß ihr also ein Wert an und für sich zukommen, denn wie sollte sie sonst uns zum Wohlgefallen zwingen auch in dem Augenblick, wo sie unser Leben bedroht. Diesem Wohlgefallen kann sich aber kein Mensch entziehen, dessen Gemüt durch feinere Erziehung empfänglich geworden ist. Der ganz rohe Mensch freilich wird die Schönheit der Natur ebensowenig verstehen, wie den pythagoreischen Lehrsah.

Was wir in der Natur wahrnehmen, das sind schöne Erscheinungen, aber es ist nicht Schein. Man hört oft irrtümlich von schönem Schein sprechen. Schöner Schein kann irgend eine Augentäuschung oder richtiger Gehirntäuschung sein, welcher gar kein wirklicher Gegenstand entspricht, wie die Fata Morgana Le Vaillants und seiner Gefährten oder wie eine Traumgestalt oder ein Gebilde dichterischer Phantasie. Die Naturerscheinung aber ist keine Fiktion; sondern es liegt ihr ein wirklicher Gegenstand zu Grunde. Aber dieser Gegenstand erscheint uns nicht so, wie er an und für sich ist, sondern in den Formen unserer sinn= lichen Vernunft. So z. B. besigen die Berge an und für sich keine perspektivische Verkürzung, sondern nur für uns, weil wir in unserem Leben von den Gesezen

1) L. A. Muratori, Ueber die Einbildungskraft des Menschen. Herausg. v. G. H. Richerz. T. II, S. 65.

2) Es ist unrichtig, zu sagen: schöner Schein, denn zwischen Schein und Erscheinung besteht, wie wir später sehen werden, ein großer Unterschied.

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