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Entartung.

In das Geheimnis der Natur betreffs der Heredität hat die Wissenschaft noch nicht einzudringen vermocht. Dass das Samenkörperchen (Spermatozoon) und das Ei (Ovum), die männliche und weibliche Keimsubstanz, durch deren Verschmelzung der Mensch entsteht, imstande sind, nicht nur körperliche Aehnlichkeiten zwischen Zeugern und Gezeugten hervorzurufen, sondern auch psychische Eigentümlichkeiten, Charaktereigenschaften der Vorfahren auf die Nachkommenschaft zu übertragen, ist eine Thatsache, die wir lediglich aus der Erfahrung wissen, über deren naturgeschichtliche Ursache die Wissenschaft uns jedoch keinen Aufschluss zu geben vermag.

Dass bei einer grossen Reihe von Krankheiten, körperlichen sowohl wie geistigen, die Heredität eine wichtige Rolle spielt, ist den Aerzten seit langer Zeit bekannt und konnte bereits einem Beobachter wie Hippokrates nicht verborgen bleiben. In der grossen Mehrzahl der Fälle handelt es sich jedoch nicht um die Uebertragung einer bestimmten Krankheit, sondern um die Ererbung einer gewissen Praedisposition, eines Mangels an Widerstandsfähigkeit gegenüber schädlichen Einflüssen, welche letztere also als direkte Krankheitserreger zu betrachten sind.

In dieser Weise bildet die Heredität ein wichtiges Moment in der Pathogenese der gesamten Medizin und insbesondere der Seelenstörungen. Die Erblichkeit kann eine direkte, von den Eltern auf die Kinder übertragene oder eine indirekte sein. In letzterem Falle ist sie entweder von den Grosseltern herzuleiten (Atavismus), oder es handelt sich um eine kollaterale Vererbung, wie vom Onkel oder Tante.

Wesentlich verschieden von diesem Begriff der Heredität ist eine Erscheinung, welche zuerst von Morel v. Rouen*) eingehend studiert und von ihm als stufenweise, progressive Degeneration beschrieben wurde. Morel giebt hierfür folgendes Schema: 1. Generation: nervöses Temperament, sittliche Depravation, Excesse. 2. Generation: Neigung zu Apoplexieen und schweren Neurosen, Alkoholismus. 3. Generation: psychische Störungen, Selbstmord, intellektuelle Unfähigkeit. 4. Generation: angeborene Blödsinnsformen, Missbildungen, Entwickelungshemmungen. Mit dieser letzten Generation geht das degenerierte Geschlecht durch seine Zeugungsunfähigkeit zu Grunde.

Ausser einer grossen Reihe psychischer Symptome stellt Morel eine Anzahl Stigmata zusammen, welche er bei Degenerierten beobachtet hat. Es sind dies körperliche Missbildungen mannigfacher Art, Assymmetrieen der Gesichtshälften oder sonstiger korrespondierender Körperteile, ferner Anomalieen des Schädelbaues, abstehende oder ungleiche Ohren, angewachsene Ohrläppchen, Schielen, Stottern, Missbildung der Zähne, fehlende oder überzählige Gliederteile, Verkümmerung oder abweichende Bildung der Geschlechtsorgane u. s. w.

Diesen von Morel eingeführten Begriff der Dégénérescence hat man im Deutschen in unzutreffender Weise mit Entartung" wiederzugeben versucht. Das Wort „Entartung", also ein aus der Art schlagen, könnte man mit Recht auf jede chronische, sowohl körperliche wie geistige Krankheit anwenden. Es liegt hierin nicht, wie in der Bezeichnung Degeneration,

*) Morel, Traité des dégénérescences physiques, intellectuelles et morales.

Hirsch, Genie und Entartung.

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der Begriff einer fortschreitenden Verkümmerung des Geschlechts bis zu endlichem Erlöschen desselben.

Dieser Punkt scheint aber auch mit der Zeit vollkommen ausser acht gelassen zu sein. Die modernen Autoren, welche sich mit diesem Gegenstand beschäftigt haben, und besonders Magnan, welcher die Lehre der Degeneration mit vielem Eifer bearbeitet hat, lassen die Frage der progressiven Verkümmerung mit schliesslichem Aussterben der Gattung fast unberücksichtigt und legen den ganzen Schwerpunkt auf die Heredität. Die Bezeichnungen héréditaires, héréditaires dégénérés und dégénérés braucht Magnan als gleichbedeutend. Möbius1) erklärt daher geradezu, dass es zweckmässig sei, „den Ausdruck Hereditarier durch ,Entartete zu ersetzen."

In dieser Weise werden denn auch in der That gegenwärtig Ausdrücke wie „Belastete",,,Hereditarier",,,Entartete" ohne weiteres durcheinandergeworfen. Der Umstand, dass auf diesem Gebiete so viel Meinungsverschiedenheit herrscht, kommt daher, dass man, wie es leider so häufig in der Wissenschaft der Fall ist, um Worte streitet, anstatt sich die Begriffe klar zu machen. So z. B. bezeichnet v. KrafftEbing die Paranoia als eine ausschliessliche Entartungspsychose und erwidert Mendel,) welcher die degenerative Bedeutung dieser Krankheit in Abrede stellt, als Argument für die Richtigkeit seiner Behauptung, dass er die Paranoia nur bei,,Belasteten" beobachtet habe.") Belastung und Degeneration sind aber zwei gänzlich verschiedene Dinge, welche höchstens einige Berührungspunkte haben. Es giebt eine grosse Anzahl Paranoiker, welche vollkommen gesunde Kinder haben, und die mithin im Sinne Morels nicht als Degenerierte bezeichnet werden können. Auch kann die Paranoia völlig gesunde Individuen in gereiftem Alter betreffen, bei denen daher von Entartung nicht die Rede sein kann.

1) Vergl. Einleitung zu Psychiatrische Vorlesungen von

V. Magnan," Deutsch von P. J. Möbius II/III.

2) Realencyclopädie der gesamten Heilkunde, Eulenburg.

8) v. Krafft-Ebing, Lehrbuch der Psychiatrie, vierte Auflage. Stuttgart 1890. S. 432.

Der Begriff „hereditäre Belastung“ in der Psychopathologie besagt weiter nichts, als dass sich in der Ascendenz eines Menschen Erkrankungen des Nervensystems befinden. Er selber selber braucht deswegen in keiner Weise krank zu sein, und so giebt es in der That eine grosse Anzahl hereditär Belasteter, welche selber vollkommen gesund sind. Auf den Umstand, dass die hereditäre Belastung nicht nur bei der Degeneration, sondern bei den meisten psychischen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt, habe ich bereits hingewiesen, und wir werden daher die Begriffe „,Heredität“ und „Entartung" wohl auseinander zu halten haben.

Die von Morel unter dem Namen Dégénérescence beschriebenen Krankheitsformen werden also von ihm und seinen Anhängern, wie besonders Falret, ausschliesslich auf hereditäre Belastung zurückgeführt, und man hat daher auch schlechthin von einem,,hereditären Irresein" gesprochen. Wenn wir nun einerseits gesehen haben, dass der Heredität bei den meisten Psychosen eine pathogenetische Bedeutung zufällt, so ist andererseits erwiesen, dass das sogenannte ,,hereditäre Irresein" oder die Dégénérescence auch bei Individuen beobachtet werden kann, welche überhaupt keinerlei psychische Erkrankungen in der Ascendenz aufzuweisen haben, und wir hätten also hier ein,,hereditäres Irresein" ohne Heredität.

Diese Thatsachen mussten also offenbar die Morelsche Lehre in ihrem innersten Wesen erschüttern, und so kam es, dass die Unklarheit der Begriffe zu vielen Missverständnissen und Meinungsverschiedenheiten geführt hat. Wenn man den Begriff der Degeneration oder Entartung beibehalten will, so kann man es daher nur in der Weise thun, dass man unter ihm alle diejenigen Fälle zusammenfasst, bei denen es sich um ein mangelhaft entwickeltes oder so zu sagen verkrüppeltes psychisches Organ handelt. Entartete sind geistige Missgeburten; die Krankheitsform der Entartung xa-'So ist die Idiotie.

Die Ursachen der Entartung lassen sich in drei Klassen teilen:

1. Die degenerative erbliche Uebertragung. Dieser Begriff ist wesentlich verschieden von der einfachen, oben beschriebenen Form der Erblichkeit. Während es sich bei der einfachen Heredität lediglich um die Vererbung einer gewissen Prädisposition handelt, das Individuum aber von Hause aus als gesund zu betrachten ist, müssen wir uns bei der degenerativen erblichen Uebertragung bereits eine erkrankte Keimsubstanz vorstellen, welche dann zur fortschreitenden Deteriorierung der Nachkommenschaft führt. Die Erkrankung der Keimsubstanz ist in einer grossen Anzahl von Fällen durch eine thatsächliche Vergiftung und ganz besonders durch den Alkohol herbeigeführt. Nach Aussage vieler Autoren bedarf es nicht einmal der chronischen Intoxication, sondern es genügt ein vorübergehender Rausch während des Zeugungsaktes, um eine degenerative Beschaffenheit der Nachkommenschaft hervorzurufen.*)

2.

Vorgeburtliche (intrauterine) Entwickelungsstörungen. Hierher gehören infektiöse Krankheiten der Mutter während der Schwangerschaft; schlechte Ernährung des Embryo infolge kachektischer Zustände der Mutter, wie Rachitis und dgl.; Deformitäten des Beckens und dadurch bedingte Kompressionen des Schädels; Verletzungen des Kopfes bei künstlichen Geburten und bei Unfällen der Mutter während der Schwangerschaft u. s. w.

3. Nachgeburtliche (extrauterine) Entwickelungsstörungen. Als solche sind Kopfverletzungen, infektiöse Krankheiten und dgl. während der frühen Kindheit zu bezeichnen.

Was das klinische Bild der Entartung anbelangt, so hat man vielfach versucht, dieselbe in verschiedene Klassen ein

*) Vgl. v. Kraft-Ebing, a. a. O. S. 179: „Wunderbar, aber durch von Flemming, Ruer, Demeaux herbeigebrachte Fälle erwiesen, ist die Thatsache, dass selbst Kinder sonst nüchterner Eltern, wenn ihre Zeugung mit einer unheilvollen Stunde des Rausches zusammenfiel, in hohem Grad zu Geistesstörung, überhaupt zu Nervenkrankheiten disponiert sind. Diese schlimme Interferenzwirkung kann sich sogar schon von Geburt auf als angeborener Schwach- und Blödsinn geltend machen."

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