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her. Sie ist häufig ausgesprochen worden und fand in neuerer Zeit ihre Vertreter in Ed. v. Hartmann*) und anderen. Ich habe in dieser Idee stets nur den Versuch erblicken können, der Unmoral und den Ausschweifungen des starken Geschlechts ein wissenschaftliches Deckmäntelchen zu verleihen. Wenn man auch annehmen wollte, dass im Durchschnitt der Geschlechtstrieb beim Manne stärker sei als beim Weibe, würde dies eine Moral rechtfertigen, welche dem Manne alles, selbst die wüstesten Ausschweifungen gestattet, das Weib hingegen, das nur ein einziges Mal einem Triebe nicht zu widerstehen vermag, als tief gesunken bezeichnet? Ist dies der Schutz, den der „Starke" dem ,,Schwachen" zu teil werden lässt?

Neu ist übrigens die Anschauung Nordaus, dass der Mann nicht von Hause aus stärkere Geschlechtstriebe habe als das Weib, sondern dass er seine polygamischen Tiertriebe noch nicht in dem Masse überwunden und vermenschlicht habe als das Weib." Mithin stünde nach Nordau das „schwache Weib", das des Schutzes des Starken bedarf, auf einer höheren Entwickelungsstufe als der starke Mann. Was doch alles für Weisheit ausgeheckt wird, um die eigenen Schwächen zu beschönigen!

Nordaus Hauptfehler und Irrtum besteht darin, dass er aus seiner rein subjektiven Kritik des Kunstwerks oder der Dichtung eine psychiatrische Schlussfolgerung zu ziehen sich für berechtigt hält. Der Standpunkt des ästhetischen Kunstkritikers gegenüber dem Kunstwerk muss ein wesentlich anderer sein als der des Psychologen oder Psychiaters. Ersterer betrachtet nur das Werk als solches nach seinem Wert, letzterer hingegen versucht aus dem Kunstwerk die psychologischen Vorgänge des Autors zu ermitteln. Hierzu ist es selbstredend unerlässlich, die Absicht des Künstlers oder Dichters, welche seinem Werke zu Grunde liegt, festzustellen. Nordau aber übt in erster Linie Kritik aus und kümmert sich wenig um die wirkliche Absicht des Dichters.

*) Ed. v. Hartmann, die Philosophie des Unbewussten.

In dieser Weise beurteilt er unter anderen auch Ibsen. Die Litteratur über diesen Dichter ist enorm gross, und die Meinungen über seine Absicht sind sehr verschieden. Von vielen wird Ibsen überhaupt nicht als Naturalist aufgefasst, sondern man glaubt in seinen Figuren symbolische Verkörperungen dichterischer und philosophischer Ideen zu erblicken. Dass seine letzten Dichtungen, wie besonders ,,Baumeister Solness" in allegorischer Weise aufzufassen sind, scheint eigentlich ziemlich zweifellos. Nordau aber behandelt sie sämtlich als rein naturalistische Erzeugnisse; er kritisiert die einzelnen Charaktere, ohne dabei zu erwägen, ob es überhaupt die Absicht des Dichters war, wirkliche aus dem Leben gegriffene Gestalten zu schildern.

Es würde mich zu weit führen, wenn ich mich hier in eingehendere Untersuchungen darüber einlassen wollte, ob die Auffassung, welche Nordau von den Dichtungen Ibsens hat, den Intentionen des Dichters entspricht. Jedenfalls basiert Nordaus psychiatrisches Urteil über Ibsen wieder lediglich auf einer rein subjektiven Kritik der Werke des Dichters.

Wie wichtig es für den Psychologen und Psychiater ist, bei der Beurteilung des Kunstwerks in erster Linie die Absicht des Künstlers, die dem Kunstwerk zu Grunde liegenden Motive zu ermitteln, will ich an einem Beispiel erläutern, das zur Genüge zeigt, in welche Irrtümer man geraten kann, wenn man sich bei einer psychiatrischen Begutachtung auf subjektive Kritik des Kunstwerks beschränkt, anstatt die psychologischen Quellen zu erforschen, welchen das Kunstwerk seinen Ursprung verdankt. Es ist dies Richard Wagner", der nun bereits mehrfach Anlass zu psychiatrischen Irrtümern geworden ist. Da dieser Fall in vieler Hinsicht lehrreich und gleichzeitig von allgemeinerem Interesse ist, so will ich etwas näher auf ihn eingehen und ihn in einem eigenen Kapitel behandeln.

Richard Wagner

und die Psychopathologie.

Es liegt ausserhalb der Grenzen dieser Arbeit, eine zusammenhängende Biographie Wagners zu geben, so sehr eine. solche auch zum besseren Verständnis unserer Untersuchungen beitragen würde. Ich verweise daher den Leser auf die reichhaltige Litteratur, welche über Wagners Leben existiert und auch besonders auf seine eigenen Mitteilungen, welche in seinen,,gesammelten Schriften und Dichtungen" zusammengestellt sind. Ich werde mich darauf beschränken, aus seinem Leben diejenigen Punkte hervorzuheben, welche zur Erläuterung jener psychologischen Vorgänge erforderlich sind, denen seine Kunstschöpfungen ihre Entstehung verdanken Die Betrachtung der Letzteren soll nicht eine kunstkritische Studie bezwecken, sondern soll lediglich vom psychologischen Gesichtspunkte aus geschehen, insofern sie zur Entwickelung einer psychologischen Analyse erforderlich ist.

Wagner wurde am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren. Sein Vater wird als kluger und verständiger Mann geschildert, er war Polizeiaktuarius und starb bereits im November 1813, also ein halbes Jahr nach der Geburt des Sohnes. Die Mutter verheiratete sich bald darauf mit einem Freunde des Vaters, Ludwig Geyer, welcher Schauspieler, Maler und Dichter war. Auch er starb, als Wagner erst sieben Jahre alt war, so dass seine Erziehung hauptsächlich von der Mutter geleitet wurde, welche sich dieser Aufgabe mit Liebe und Gewissenhaftigkeit hingab. Er besuchte die Dresdener Kunstschule und später die Leipziger Nikolaischule.

Wagner war kein Wunderkind. Zwar bekundete er schon in frühen Jahren eine lebhafte Phantasie, welche mehrfache dichterische Versuche zur Folge hatte, jedoch ein ausgesprochenes Talent zur Musik zeigte sich erst im Jünglingsalter. In den Leipziger Gewandhauskonzerten lernte er zuerst Beethovens Musik kennen, welche einen mächtigen Eindruck auf das jugendliche Gemüt machte. Mit glühendem Eifer vertiefte er sich in das Studium Beethovens, und Dorn äusserte über ihn:,,Ich zweifle, dass es zu irgend welcher Zeit einen jungen Tonsetzer gegeben, der mit Beethovens Werken vertrauter gewesen, als der achtzehnjährige Wagner."

Schon in jungen Jahren machte sich bei Wagner jener Trieb geltend, welchen wir als charakteristisch für bedeutende Männer kennen gelernt haben, der Schaffenstrieb. Er selbst hat ihn richtig erkannt und gab ihm dichterische Gestalt, indem er sagt, dass an seine Wiege eine Norn geschlüpft sei, welche ihm eine häufig verschmähte Gabe verliehen hätte:,,den nie zufriedenen Geist, der stets auf neues sinnt." Dieser Schaffenstrieb bekundete sich während der künstlerischen Entwickelungsperiode Wagners auf zwei verschiedene Weisen. Es kämpften zwei entgegengesetzte Elemente in ihm; bald gewann das eine die Oberhand, bald das andere, bis er, durch diesen Kampf geläutert, seinem wahren künstlerischen Naturell folgte und diesem bis an sein Ende treu blieb. Diese beiden Elemente waren der Entäusserungstrieb künstlerischer Empfindungen und Gefühle, wie wir ihn als Triebfeder alles Schaffens bei Göthe kennen gelernt haben, und der von aussen bedingte objektiv gestaltende Schaffensdrang.

Nach einer Reihe kleinerer Versuche im Dichten und Komponieren verfasste Wagner nach einem Gozzischen Märchen einen Operntext,,Die Feen." Er selbst sagt zwar: ,,Was ich mir verfertigte, war durchaus nichts Anderes, als was ich eben wollte, ein Operntext: nach den Eindrücken Beethovens, Webers und Marschners auf mich setzte ich ihn in Musik."*)

*) Richard Wagner, Gesammelte Schriften und Dichtungen IV, S. 312.

,,Dennoch," fügt er aber hinzu,,,reizte mich an dem Gozzischen Märchen nicht bloss die aufgefundene Fähigkeit zu einem Operntexte, sondern der Stoff selbst sprach mich lebhaft an." Unbewusst hatte Wagner in dem poetischen Stoff, in der Fee, die für den Besitz eines geliebten Mannes der Unsterblichkeit entsagt, eine in ihm vorhandene Stimmung zu künstlerischem Ausdruck gebracht.

Zu gleicher Zeit hatte sich bei Wagner ein seinem Alter und den auf ihn einwirkenden äusseren Einflüssen vollkommen entsprechender Drang geltend gemacht ein Drang nach einer glänzenden künstlerischen Laufbahn, ein heisses Verlangen nach Ruhm und Ehre.,,Ein Drang entwickelte sich so in mir bis zur zehrenden Sehnsucht: aus der Kleinheit und Erbärmlichkeit der mich beherrschenden Verhältnisse herauszukommen. Dieser Drang bezog sich jedoch nur in zweiter Linie auf das wirkliche Leben selbst; in erstem Zuge ging er auf eine glänzende Laufbahn als Künstler hinaus."*)

In dieser Stimmung schrieb Wagner eine zweite Oper: ,,Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo,“ wozu er den Stoff Shakespeares ,,Mass für Mass" entnommen hatte. Im Sommer 1834 hatte Wagner die Musikdirektorstelle am Magdeburger Theater angenommen. Er sagt darüber: „Der wunderliche Verkehr mit Sängern und Sängerinnen hinter den Coulissen und vor den Lampen entsprach ganz und gar meiner Neigung zu bunter Zerstreuung."**) In dieser Zeit führte er die Komposition des Liebes verbotes aus. Der alleinige Zweck war: zu gefallen, Ruhm und Beifall zu ernten. „Zu einem Festspiel für den Neujahrstag 1835 machte ich im Fluge eine Musik, welche allgemein ansprach. Dergleichen leichtgewonnene Erfolge bestärkten mich sehr in der Ansicht, dass, um zu gefallen, man die Mittel durchaus nicht zu skrupulös erwägen müsste. In diesem Sinne komponierte ich an meinem Liebesverbot fort."

Wir sehen also einen wesentlichen Unterschied zwischen der Entstehungsweise,,der Feen," und des ,.Liebesverbotes."

*) a. a. O. IV, S. 317.

**) a. a. O. I., S. 14.

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