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Dieses den grossen Charakter kennzeichnende Selbstbewusstsein kann nur vom psychiatrischen Laien mit,,Grössenwahn verwechselt werden. Die Legenden von der grenzenlosen,,Eitelkeit", von der Sucht nach,,göttlicher Verehrung", Weihrauch streuen" u. s. w. beruhen sämtlich auf willkürlichen Entstellungen oder Unkenntnis der Thatsachen. Wie ich schon wiederholt nachwies, fragte Wagner nach dem grossen Publikum ebenso wenig wie Göthe. Allein im Schaffen, in seiner Kunst selbst empfand er Genugthuung und Befriedigung.,,Glaube mir nun unbedingt," schrieb er an Liszt, ,, wenn ich Dir sage, der einzige, wirkliche Grund meines. jetzt-noch-fort-Lebens liegt lediglich in dem unwiderstehlichen Drange, eine Reihe von Kunstwerken, die in mir noch Lebenstrieb haben, zu vollenden. Auf das Genaueste habe ich mich darin erkannt, dass nur dieses Schaffen und Vollenden mich befriedigt und mit oft unbegreiflichem Lebenshang mich erfüllt; ich dagegen aber die Aussicht auf die Aufführung derselben wirklich ganz und gar entbehren kann."

Die übrigen Ausführungen Nordaus beschränken sich fast ausschliesslich auf eine Kritik (und was für eine!) der Wagnerschen Werke und richten sich nach dem Prinzip: Alles was Max Nordau nicht gefällt, ist das Werk eines Geisteskranken. Die gesammelten Schriften Wagners haben nicht Nordaus Beifall, folglich - ist Wagner geisteskrank. Dass Wagner selber erkannte, dass das, was er zu sagen hatte, durch Worte allein nicht ausgedrückt werden konnte, dass er das Schwülstige seines Stiles selber herausfühlte, dass die einzelnen Schriften für bestimmte Zwecke geschrieben waren. dass schliesslich Wagner mit dem grössten,,Widerwillen und nur ,,aus Not getrieben" zum Schriftstellern griff, alles dies kümmert Herrn Nordau sehr wenig: Wagners Schriften gefallen Herrn Nordau nicht, und daher ist Wagner ein „Graphomane". Man vergegenwärtige sich nur den Widerspruch, der hierin liegt: „,Graphomanie“ und jemand der mit ,.Widerwillen", ,,aus Not getrieben" schreibt. Graphomanie bedeutet ungefähr das Gegenteil, aber das schadet nichts, auf eine Hand voll Widersprüchen mehr oder weniger kommt es bei Herrn Nordau ja nicht an.

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Von Nordaus Art, Kritik zu üben, sei hier nur ein kleines Pröbchen gegeben. Betreffs des Ideals Wagners, die einzelnen Künste zu einem grossen Ganzen, zum musikalischen Drama zu verschmelzen, sagt Nordau: ,,Sein,,Kunstwerk der Zukunft ist das Kunstwerk der Längstvergangenheit. Was er für Entwickelung hält, ist Rückbildung, ist Umkehr zu urmenschlichen, ja vormenschlichen (!) Zuständen." Was mag sich wohl Herr Nordau hierbei gedacht haben? Glaubt er vielleicht, dass die ,,vormenschlichen" Wesen Musikdramen aufgeführt haben?!

Wagner spricht in diesem Aufsatz wiederholt von der Thätigkeit des ,,Gehirns" gegenüber der des „Herzens". Er bezeichnet als Ausdrucksmittel des Gehirns das gesprochene Wort, als Ausdruck des Herzens die Musik. ,,Das Organ des Herzens aber ist der Ton, seine künstlerisch bewusste Sprache: die Tonkunst." Was hiermit gemeint ist, muss. jeder Schulknabe begreifen können; es ist einem ganz gewöhnlichen Sprachgebrauch gemäss das empfindende Gemüt gegenüber dem kalten berechnenden Verstande als Herz-, respektive Gehirnthätigkeit bezeichnet. Herr Nordau fühlt sich durch diese Ausdrucksweise zu folgender Aeusserung veranlasst: Da sein mystisch denkendes Gehirn aber nicht. imstande war, die einzelnen Bestandteile dieser krausen Vorstellung scharf zu erfassen und sie gleichlaufend zu ordnen, so verwickelte er sich in den Unsinn, von einer Thätigkeit. des Gehirns ohne Herzthätigkeit u. s. w. zu sprechen, und gelangte schliesslich zu der reinen Faselei, den ,,Ton" „das Organ des Herzens" zu nennen."

Wenn schon, wie gesagt, Nordau auf dem Gebiete der Psychiatrie ein vollkommener Dilettant ist, und man daher auf die richtige Anwendung psychiatrischer Begriffe bei ihm durchaus verzichten muss, so wäre doch das Geringste, was man von jemandem, der über einen Gegenstand schreibt, verlangen kann, dass er sich über denselben einigermassen orientiert und nicht das erste beste Zeug vom Stapel lässt. Herr Nordau versichert zwar, dass in Wagners gesammelten Schriften keine einzige Seite sei,,,welche den unvoreingenommenen Leser nicht durch irgend einen unsinnigen Ge

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danken oder eine unmögliche Ausdrucksweise verblüffen würde," und man sollte daher annehmen, dass Nordau diese Schriften auch wirklich gelesen hat. Wie verhält sich aber dazu die Thatsache, dass er die Absicht der Wagnerschen Kunst, die doch aus den zahlreich angeführten Stellen deutlich genug hervorgeht, so gänzlich missversteht? Wagner erklärt ausdrücklich und zwar nicht einmal, sondern sehr, sehr häufig dass er unter dem Weibe" niemals das physische, geschlechtliche Weib gemeint habe, dass er es stets schmerzlich empfunden habe, wenn man ihm im Tannhäuser eine religiöse Tendenz untergeschoben habe u. s. w., und trotz dieser ausdrücklichen Erklärungen kommt Herr Nordau und leiert das alte abgedroschene Lied von der „schamlosen Sinnlichkeit" aufs neue herunter und diagnostiziert mit bombastischer Phrasenmacherei eine ,,Erotomanie" Wagners. So sagt er an einer Stelle: ,,Es gereicht der Sittlichkeit des deutschen Publikums wirklich zu hoher Ehre, dass Wagners Opern öffentlich aufgeführt werden können, ohne das tiefste Aergernis zu erregen. Wie unverdorben müssen Frauen und Mädchen sein, wenn sie imstande sind, diese Stücke anzusehen, ohne feuerrot zu werden und vor Scham in die Erde zu sinken! Wie unschuldig sind selbst die Gatten und Väter, welche ihren weiblichen Angehörigen gestatten, zu diesen Darstellungen von Lupanar -Vorgängen zu gehen! Offenbar denken sich die deutschen Zuschauer nichts Arges bei dem Thun und Gehaben der Wagnerschen Gestalten, sie scheinen nicht zu ahnen, von welchen Gefühlen diese erregt sind, und welche Absichten ihre Worte, Geberden und Handlungen bestimmen, und das erklärt die friedsame Harmlosigkeit, mit der sie Bühnenauftritten folgen, bei denen in einem minder kindlichen Publikum niemand das Auge zum Nachbar zu erheben wagen würde und seinen Blick ertragen könnte. Verliebte Erregung nimmt in Wagners Darstellung immer die Form einer verrückten Raserei an. Die Liebenden benehmen sich in seinen Stücken wie toll gewordene Kater, die sich über eine Baldrianwurzel in Verzückung und Krämpfen wälzen. Sie spiegeln den Geisteszustand des Dichters wieder, der dem Fachmann wohl bekannt ist. Es ist eine Form des

Sadismus. Es ist die Liebe der Entarteten, die in der geschlechtlichen Aufwallung zu wilden Tieren werden. Wagner leidet an dem ,,erotischen Wahnsinn", der rohe Naturen zu Lustmördern macht und höheren Entarteten Werke wie ..Die Walküre", „Siegfried" und ,,Tristan und Isolde" eingiebt."

Während Nordau über die wichtigsten Symptome der Geisteskrankheiten,,,Verfolgungswahn" und „Grössenwahn“, mit einer verblüffenden Leichtfertigkeit hinfortgeht, indem er sich begnügt, auf sie als „allgemein bekannt“ hinzuweisen, verweilt er mit auffallender Gründlichkeit bei der Besprechung des erotischen Elements. Es seien hier nur noch einige Stellen angeführt: ,,Mystik und Erotik gehen, wie wir wissen, immer zusammen, namentlich bei Entarteten, deren Emotivität hauptsächlich in krankhaften Reizzuständen der Geschlechtszentren wurzelt. Wagners Einbildungskraft beschäftigt sich unausgesetzt mit dem Weibe.

Aber er sieht

dessen Verhältnis zum Manne nie in der Gestalt gesunder, natürlicher Liebe, die eine Wohlthat und Befriedigung für beide Liebende ist. Wie allen krankhaften Erotikern stellt sich ihm das Weib als eine furchtbare Naturgestalt dar, deren zitterndes, ohnmächtiges Opfer der Mann ist. Das Weib, das er kennt, ist die greuliche Astarte der Semiten, die furchtbare, menschenfressende Kali Bhagawati der Inder, eine apokalyptische Vision von lachender Mordlust, von ewiger Verderbnis und Höllenqual in dämonisch schöner Verkörperung." ,,Wagners Elisabeth, Elsa, Senta, Gutrune sind überaus lehrreiche Offenbarungen der erotischen Mystik, indem die halb unbewusste Vorstellung nach Form ringt, dass die Rettung des geschlechtstollen Entarteten in der Reinheit, in der Erhaltung oder im Besitze eines Weibes läge, welches keinerlei Individualität, keinen Wunsch und keine Rechte hätte und darum dem Manne nie gefährlich werden könnte." In einer seiner ersten Dichtungen wie in seiner letzten, im,,Tannhäuser" wie im Parsifal", behandelt er den Vorwurf vom Kampfe des Mannes gegen die Verderberin, der Fliege gegen die Spinne, und legt auf diese Weise Zeugnis dafür ab, dass der Gegenstand durch dreiunddreissig Jahre, von seinem Jünglings- bis zu seinem Greisenalter, nicht aufgehört hat,

seinem Geiste gegenwärtig zu sein.",,Siegfried",,,Götterdämmerung",,,Tristan und Isolde" sind genaue Wiederholungen des wesentlichen Inhalts der ,,Walküre". Es ist immer wieder die dramatische Verkörperung derselben Zwangsvorstellung von den Schrecken der Liebe."

Diese Stellen mögen genügen. Sie sprechen selber am besten sowohl für die Thatsache, dass Nordau die künstlerische Absicht Wagners gänzlich missverstanden hat, als auch für den vollkommenen Dilettantismus Nordaus in psychiatrischen Dingen. Ueber ersteres kann wohl kaum jemand, der sich nicht mit Gewalt den Thatsachen verschliesst und all' die Wagnerschen Aussprüche und Erklärungen ignoriert, im Zweifel sein. Wer nach meinen obigen Ausführungen noch dabei beharrt, dass Wagner bei der Schöpfung seiner Kunstwerke das sinnliche, geschlechtliche Weib vorgeschwebt hat, der will eben nicht verstehen, und dem ist nicht zu helfen. Was den letzteren Punkt anbelangt, dass man jemanden, dessen ganzes Leben nicht die geringsten Anzeichen geschlechtlicher Anomalieen darbietet, der in glücklicher Ehe gelebt hat, ein zärtlicher Gatte und Vater war, lediglich darum, weil in seinen Dramen von Liebe die Rede ist, einen ,,Erotomanen" nennt und einen ,,krankhaften Reizzustand seiner Geschlechtszentren" diagnostiziert, so ist dies der grösste, barste Unsinn, der jemals erfunden wurde. Es giebt kaum einen Dichter in der ganzen Kunstgeschichte, den man nach Analogie dieses Verfahrens nicht zum,,Erotomanen" stempeln könnte.

Herr Nordau hätte übrigens mit demselben Recht noch eine Anzahl anderer Symptome aus den Wagnerschen Dichtungen diagnostizieren können. Warum z. B. leidet Wagner nicht auf Grund des Feuerzaubers in der Walküre an Pyromanie, oder warum wird er nicht von Nordau infolge des mehrfachen Diebstahls des Rheingolds als Kleptomane erklärt? Es hätte dies genau ebenso viel Sinn, als aus dem Tannhäuser eine Erotomanie zu diagnostizieren. Möglicher Weise hat Herr Nordau diese Symptome nur übersehen, und vielleicht macht er uns das Vergnügen, sie uns in der nächsten Auflage seiner Ent

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