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sehr ausgezeichnet. Alfieri erzählt, dass er sogar nie nur den vierten Lehrsatz des Eukleides begreifen gekonnt. Göthe ist der Mangel mathematischer Kenntnisse zur Genüge vorgeworfen worden. Aus demselben oben angegebenen Grunde erklärt sich die ebenso bekannte Thatsache, dass umgekehrt ausgezeichnete Mathematiker wenig Empfänglichkeit für die Werke der schönen Kunst haben, was sich besonders naiv ausspricht in der bekannten Anekdote von jenem französischen Mathematiker, der nach Durchlesung der Iphigenie des Racine achselzuckend fragte: Qu'est ce que cela prouve? Auch findet man bekanntlich selten grosse Genialität mit vorherrschender Vernünftigkeit gepaart, vielmehr sind umgekehrt geniale Individuen oft heftigen Affekten und unvernünftigen Leidenschaften unterworfen."

Diese Beschränkung des Genies auf das Gebiet der Kunst ist aber bei den modernen Autoren, welche über diesen Gegenstand geschrieben haben, auf allgemeinen Widerstand gestossen. Jürgen Bona Meyer*) erklärt ausdrücklich, dass es auch auf wissenschaftlichem Gebiete Genies gäbe, und sowohl die anderen Autoren, wie der gewöhnliche Sprachgebrauch haben sich dieser Einschränkung nicht gefügt, und man spricht nach wie vor von genialen Gelehrten.

Die Frage, ob mit der in dieser Weise angewendeten Bezeichnung Genie überhaupt noch ein bestimmter psychologischer Begriff zu verbinden sei, kann daher nur dadurch entschieden werden, dass man sogenannte Genies der verschiedensten Gebiete, also etwa geniale Dichter, Komponisten, Maler, Virtuosen, Schauspieler, Gelehrte, Staatsmänner und Feldherren psychologisch analysiert, mit einander vergleicht und dann ermittelt, ob ein gemeinschaftlicher Kern diesen verschiedenen Individuen innewohnt, ob eine gemeinsame Erscheinung, eine innere Verwandtschaft unter ihnen besteht, welche uns berechtigt, sie als einen einzigen Begriff zusammenzufassen.

Wenn wir die Aussagen hervorragender Dichter, welche ihre eigenen inneren Vorgänge zu beobachten verstanden,

*) Jürgen Bona Meyer, Genie und Talent. Zeitschr. f. Völkerpsychologie und Sprachwissensch. B. XI.

Hirsch, Genie und Entartung.

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näher betrachten, so werden wir häufig dem Ausspruch begegnen, dass ihre Werke unbewusst, wie im Traume entstanden seien, dass sie ihre Werke nicht willkürlich geschaffen hätten, sondern dass dieselben ihnen gleichsam zugeflogen seien.

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So sagt Göthe: Man sieht deutlicher ein, was es heissen wolle, dass Dichter und alle eigentlichen Künstler geboren sein müssen. Es muss nämlich die innere produktive Kraft jene Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Idole, freiwillig, ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervorthun, sie müssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen, zusammenziehen, um aus flüchtigen Schemen wahrhaft gegenwärtige Bilder zu werden."

Als einst Voltaire eines seiner Stücke aufgeführt sah, rief er aus:,,Est-ce bien moi, qui a fait cela?"

Lamartine äusserte: ,,Nicht ich bin es, der denkt, es sind meine Ideen, die für mich denken."

Ueber die Abfassung des Werther sagt Göthe:,,Da ich dieses Werklein ziemlich unbewusst, einem Nachtwandler ähnlich geschrieben hatte, so verwunderte ich mich selbst darüber, als ich es nun durchging, um daran etwas zu ändern und zu bessern."

An Körner schreibt Schiller:,,Es scheint nicht gut und dem Schöpfungswerke der Seele nachteilig zu sein, wenn der Verstand die zuströmenden Ideen gleich an den Thoren schon zu scharf mustert. Eine Idee kann, isoliert betrachtet, sehr unbeträchtlich und sehr abenteuerlich sein; aber vielleicht kann sie in einer gewissen Verbindung mit anderen, die vielleicht ebenso abgeschmackt scheinen, ein sehr zweckmässiges Glied abgeben. Alles dies kann der Verstand nicht beurteilen, wenn er sie nicht so lange festhält, bis er sie in Verbindung mit diesen angeschaut hat. Bei einem schöpferischen Kopfe, däucht mir, hat der Verstand seine Wache von den Thüren zurückgezogen; die Ideen stürzen pêle mêle herein.“

Bettinelli sagt:,,Der dem Dichter günstige Augenblick kann ein Traum genannt werden, geträumt im Beisein der Vernunft, die den Gang desselben mit offenen Augen zu verfolgen scheint."

,,Schiller knüpft an eine Stelle Schellings die nachdrückliche Forderung, dass der Dichter nur mit dem Bewusstlosen anfange, ja sich glücklich zu schätzen habe, wenn er durch das nachträgliche, klarste Bewusstsein seiner Operationen nur so weit komme, um die erste dunkle, aber mächtige Totalidee in der vollendeten Arbeit ungeschwächt wiederzufinden; er selbst, der als eine Zwitterart zwischen dem Begriffe und der Anschauung zu schweben" gestand, beklagt sich, dass Theorie und Kritik ihm die lebendige Glut geraubt haben; er sehe sich jetzt erschaffen und bilden, er beobachte das Spiel der Begeisterung, und seine Einbildungskraft betrage sich mit minder Freiheit, seitdem sie sich nicht mehr ohne Zeugen wisse".*)

An den oben erwähnten Ausspruch Göthes erinnert Jean Paul,**) indem er sagt: ,,Das Genie ist in mehr als einem Sinne ein Nacht wandler, in seinem hellen Traum vermag es mehr, als der Wache, und besteigt jede Höhe der Wirklichkeit im Dunkeln, aber raubt ihm die träumerische Welt, so stürzt er in der wirklichen."

Dieser letztere Zusatz enthält dieselbe Beobachtung, die Göthe an sich gemacht hat und in folgendem wiedergiebt: „Ich war so gewohnt, mir ein Liedchen vorzusagen, ohne es wieder zusammenfinden zu können, dass ich einigemal an das Pult rannte und mir nicht die Zeit nahm, einen quer liegenden Bogen zurechtzurücken, sondern das Gedicht von Anfang bis zu Ende, ohne mich von der Stelle zu rühren, in der Diagonale herunterschrieb. In eben diesem Sinne griff ich weit lieber zu dem Bleistift, welcher williger die Züge hergab; denn es war mir einigemal begegnet, dass das Schnarren und Spritzen der Feder mich aus meinem nachtwandlerischen Dichten aufweckte, mich zerstreute und ein kleines Produkt in der Geburt erstickte. Für solche Poesien hatte ich eine besondere Ehrfurcht, weil ich mich doch ungefähr gegen dieselben verhielt, wie die Henne gegen die Küchlein, die sie ausgebrütet um sich her piepsen sieht."

*) Fr. Theodor Vischer. Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. **) Jean Paul, Vorschule der Aesthetik.

Klopstock sagt selber, dass er viele Ideen zu seinem Messias im Traume erhalten habe.

Voltaire schrieb an Diderot:,,Alle Handlungen des Genies sind die Werke des Instinkts. Wenn sich alle Philosophen der Welt zusammenthäten, so würden dieselben dennoch niemals die Armida Quinaults schaffen können. Ebensowenig würde es ihnen gelingen, die Fabel von den pestkranken Tieren zu dichten, die Lafontaine fast unbewusst schuf. Corneille schrieb die Scenen der Horazier, wie ein Vogel sein Nest baut."

Worauf beruht nun dieses instinktive Schaffen, das unbewusste Dichten, das selbständige Entstehen der Gedanken, wie es uns von so vielen grossen Dichtern geschildert wird?

Wir haben bereits im ersten Kapitel zwei verschiedene Arten von Denkprocessen kennen gelernt, und zwar das willkürliche Denken, bei welchem die Aufeinanderfolge der Vorstellungen durch den Willen geleitet ist, und das unwillkürliche Denken, das auf rein associativem Wege von statten geht, das wir als Phantasie bezeichnen wollen. Diese beiden Vorgänge sind aber durchaus nicht scharf von einander getrennt, sondern gehen vielmehr allmählich in einander über. Wir können uns daher auch den Process des Denkens als eine Thätigkeit der Phantasie mit verschiedener Intensität des Willens vorstellen, und zwar geht diese Intensität allmählich vom schwächsten bis zum höchsten Grade über. Wundt *) unterscheidet in diesem Sinne eine passive und aktive Phantasie: Passiv ist unsere Phantasie, wenn wir uns dem Spiel der Vorstellungen überlassen, die von irgend einer Gesamtvorstellung in uns angeregt werden; aktiv ist sie, wenn unser Wille zwischen den bei einer solchen Zerlegung sich darbietenden Vorstellungen auswählt und auf diese Weise planmässig das Einzelne zu einem Ganzen zusammenfügt." Wir wollen also diesen passiven, unwillkürlichen Ablauf der Vorstellungen schlechthin Phantasie nennen, während ich das planmässige Verknüpfen von Vorstellungen, das willkürliche Denken, als Verstandesthätigkeit bezeichne.

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*) Wundt, Grundzüge der philosophischen Psychologie.

Dieses unwillkürliche Denken ist es, das von Dichtern häufig als unbewusster Vorgang geschildert wird. Dies ist aber unrichtig, ein unbewusstes Denken ist eine contradictio in adjecto. Unbewusst ist nicht einmal die psychische Thätigkeit im Traume, gleichviel ob sie sich, wie es gewöhnlich der Fall ist, nur auf Vorstellungen beschränkt oder auch wie beim Nachtwandeln Handlungen zur Folge hat. Bei einem solchen Zustand handelt es sich nur um eine Aufhebung des Selbstbewusstseins, nicht aber des Bewusstseins. Aus diesem Grunde ist auch der Wortlaut des § 51 des deutschen Strafgesetzbuches unrichtig, in welchem es heisst, dass Handlungen, welche in bewusstlosem Zustande vollbracht seien, nicht strafbar wären. Um einen bewusstlosen Zustand handelt es sich bei der tiefen Ohnmacht oder unter Umständen beim Stupor. Handlungen sind aber stets an Vorstellungen geknüpft, hierin unterscheiden sie sich von automatischen und reflektorischen Bewegungen, Vorstellungen aber bilden bereits einen Teil des Bewusstseins, Vorstellungen ohne Bewusstsein sind daher undenkbar. Der betreffende Paragraph des Strafgesetzbuches müsste daher heissen: Handlungen, welche bei aufgehobenem Selbstbewusstsein vollbracht sind etc. Wenn uns also ein Dichter sagt, er habe Verse in bewusstlosem Zustande oder wie im Traume verfasst, so wissen wir nun, was wir darunter zu verstehen haben.

Die Phantasie steht gewissermassen zwischen Traum und aktiver Verstandesthätigkeit. Während letztere unmittelbar abhängig ist von dem sie leitenden Willen, ist dieser im Traume gänzlich erloschen. Das planmässige Denken gleicht einem Schiff, das von kräftigen Rudern geleitet ist, alle Biegungen und Wendungen auszuführen und sich durch die engsten Buchten hindurchzuwinden vermag; der Traum einem steuerlosen Boot, das, ein Spiel der Wellen, planlos auf launigen Wogen umherirrt. Die Phantasie aber gleicht einem Schiff, das mit aufgeblähten Segeln über die Fluten jagt, gespenstergleich saust es dahin, keine Kraft ist sichtbar, die es treibt noch leitet, und doch wird ein Steuer geführt, das den Lauf zu einem Zielbewussten gestaltet. Der Wille ist thätig bei der Phantasie, nur verhält er sich mehr passiv als aktiv, er

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