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Auffassung der Wissenschaft und so erklärte sogar noch Heinroth die Sünde als Ursache der Seelenstörungen.

Nach dem heutigen Standpunkt der Psychiatrie sind die geistigen und körperlichen Krankheiten überhaupt nicht mehr von einander zu trennen. Wie wir bei den meisten körperlichen Erkrankungen einen Einfluss auf die geistige Thätigkeit beobachten können, und daher auch ein gewissenhafter Arzt bei der Behandlung einer Krankheit das psychische Moment nie ausser Acht lassen wird, so geht auch die grosse Mehrzahl der Geisteskrankheiten mit körperlichen Symptomen einher, und zuweilen sind wir sogar imstande, eine schwere meist tötlich verlaufende Geisteskrankheit fast ausschliesslich aus körperlichen Symptomen zu diagnosticieren zu einer Zeit, wo die Psyche noch sehr wenig Veränderungen zeigt und dem Laien sicherlich nicht den Eindruck einer Erkrankung machen würde. Für uns ist daher die Geisteskrankheit etwas von der körperlichen Erkrankung vollkommen Unzertrennliches, und eine rationelle Behandlung der Psychosen erfordert mithin eine gründliche Erfahrung auf dem gesammten Gebiete der Medizin.

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Trotz dieser Thatsachen macht sich selbst noch in unserer Zeit ein Bestreben geltend, die Pflege und Behandlung der Geisteskranken den Aerzten zu entziehen und in die Hand der Geistlichkeit zu legen. Auf einer Konferenz des Verbandes deutscher evangel. Irrenseelsorger gab zwar Herr Pastor von Bodelschwingh zu, dass die „moderne wissenschaftlich-medizinische Psychiatrie" sich grosse Verdienste um die Erkennung, Pflege und Heilung der Gemütskranken erworben hat", beklagt sich jedoch darüber, dass sie im Grunde materialistisch und diesseitig“ ist. „Sie lässt Sünde und Gnade, Gewissen und Schuld ganz aus dem Spiel und weiss nichts davon, dass, wo Vergebung der Sünde, da auch Leben und Seligkeit ist." Herr v. Bodelschwingh erklärt: ,,Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass, je weniger der leibliche Arzt seine medizinischen Mittel bei den Gemütskranken anwendet, desto besser ist es. Dieselben wirken in den meisten Fällen nur schädigend auf Leib und Seele; der leibliche Arzt kann aber immerhin manche gute Hilfe auch

in der Seelenpflege bieten. Dennoch ist die Behandlung der kranken Seele die Hauptsache, und diese sollte nicht in erster Linie oder gar allein dem Arzte_obliegen." *)

Derartige Bestrebungen, welche lediglich eine Erweiterung der Macht und des Einflusses der Geistlichkeit im Auge haben, bilden eine direkte Gefahr sowohl für das Wohl der Kranken, als für die Allgemeinheit, und es ist Pflicht der Wissenschaft, im Interesse der gesamten Kultur solchen Strömungen entgegenzuarbeiten.

Es ist aber nicht allein die Kirche, welche einen Feldzug gegen die Psychiatrie unternommen hat, sondern es geschehen derartige Angriffe auf die Wissenschaft auch von mancher andern Seite, und namentlich in letzter Zeit pflegt man den Irrenärzten ein gewisses Misstrauen entgegenzubringen. Die Ursache hierfür liegt einerseits in dem naturgemässen Unverständnis des Laien für psychiatrische Fälle, deren krankhaftes Gepräge sich nicht in handgreiflicher Weise äussert, sondern das nur dem geübten Blick des Fachmanns erkennbar ist. Andrerseits aber wird häufig der Umstand, dass nicht allzu selten hervorragende Irrenärzte sich in ihrem Urteil diametral gegenüberstehen und bei der Begutachtung eines Geisteszustandes zu entgegengesetzten Schlüssen gelangen, als Beweis dafür angeführt, dass die Psychiatrie noch eine ganz unkorrekte Wissenschaft sei, und man daher den Irrenärzten nicht die Entscheidnng über das Schicksal eines Menschen überlassen dürfe.

Diese Anschauungsweise ist falsch; denn hiernach müssten wir gegen jede andere Wissenschaft dasselbe Misstrauen hegen. In jedem andern Zweige der klinischen Medizin giebt es ebenfalls zweifelhafte Fälle, und Meinungsverschiedenheiten sind hier mindestens ebenso häufig, wie in der Psychiatrie. Keine Wissenschaft, welche sie auch sei, kann sich für vollkommen und frei von Irrtümern bezeichnen, überall giebt es eine Grenze des Wissens und Könnens und Verschiedenheit

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*) Vgl. Bericht über die von dem Verein der deutschen Irrenärzte" in der Jahressitzung vom 25. Mai 1893 zu Frankfurt a. M. gepflogenen Verhandlungen und gefassten Beschlüsse: I. Psychiatrie und Seelsorge, Referent: Siemens.

in der Auffassung. Wir wissen, wie häufig verschiedene Richterinstanzen zu entgegengesetzten Ansichten gelangen, obwohl es sich hier doch immerhin um exaktere Begriffe handelt, als bei der Psychiatrie.

Die Irrenheilkunde beherrscht heute ein grosses Gebiet, das in Bezug auf Korrektheit den übrigen Disciplinen der klinischen Medizin ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann. Dass es eine Reihe von Fällen giebt, welche auf der Grenze stehen zwischen Irresein und geistiger Gesundheit, und dass dadurch erklärlicher Weise Verschiedenheiten in der Auffassung entstehen, kann unmöglich dem allgemeinen Wert der Wissenschaft Abbruch thun. Missverständnisse hat es von jeher und auf allen Gebieten gegeben, und jede neue Erkenntnis, jeder Schritt vorwärts musste sich durch eine Masse von Irrtümern hindurchwinden.

Dass auch in der modernen Psychiatrie manche Richtungen auf irrtümlichen Anschauungen beruhen, kann nicht zweifelhaft sein, und es ist die Aufgabe dieser Arbeit, zur Aufklärung einiger psychologischer und psychiatrischer Begriffe, welche bereits zu vielfachen Kontroversen und Missverständnissen Anlass gegeben haben, einiges beizutragen.

Während man in früheren Jahrzehnten in religiösem Aberglauben die Geisteskranken als Hexen uud Zauberer verbrannte oder in Ketten legte und in Kerker einsperrte, während man noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts die Psychiatrie als Wissenschaft überhaupt kaum kannte, macht sich in neuerer Zeit vielfach das Bestreben geltend, die Grenzen der geistigen Gesundheit immer enger zu ziehen und alles, was ungewöhnlich ist und von den alltäglichen Erscheinungen abweicht, als krankhaft zu bezeichnen. Man ist in diesem Bestreben schliesslich nicht nur dahin gekommen, auf der einen Seite den minder begabten nnd besonders den Verbrecher als geisteskrank zu betrachten, sondern man ist auch zu der Anschauung gelangt, dass auf der andern Seite der das Durchschnittsmass geistiger Kapacität in hohem Grade überschreitende Mensch als pathologische Erscheinung anzusehen sei.

Wie es häufig in der Wissenschaft der Fall ist, so führte auch hier eine gewisse Unklarheit von Begriffen, deren

ursprüngliche Bedeutung mit der Zeit umgestaltet und verändert wurde, zu derartigen Irrtümern. Die betreffenden Begriffe, mit deren Klarstellung sich die folgenden Untersuchungen beschäftigen werden, sind Genie und Entartung, deren psychologische und psychiatrische Bedeutung, wie wir sehen werden, in der verschiedensten Weise aufgefasst wird, und die daher zu vielfachen Missverständnissen geführt haben.

Bevor wir zur Besprechung des eigentlichen Themas übergehen, wird es zweckmässig sein, einen flüchtigen Blick auf die wichtigsten Symptome der Geisteskrankheiten zu werfen und uns klar zu machen, ob und wie weit wir imstande sind, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen geistiger Gesundheit und geistiger Erkrankung.

Die Grenzen des Irreseins.

Wie bei den somatischen Krankheiten bilden auch bei den Seelenstörungen die Symptome nicht etwas zu der physiologischen Thätigkeit neu Hinzugetretenes, sondern sie äussern sich lediglich in der Veränderung der normalen Lebenszustände. Sie können fast durchgängig als Steigerung oder Verminderung rein physiologischer Vorgänge aufgefasst werden, und wir werden daher für jedes Symptom der Geisteskrankheiten einen analogen Vorgang der normalen Geistesthätigkeit nachweisen können.

Wenn wir schon auf dem Gebiete der somatischen Medizin trotz der vielen uns zu Gebote stehenden Hilfsmittel nicht imstande sind, eine genaue Grenze zu ziehen zwischen Gesundheit und Krankheit, so werden wir sicherlich in der Psychiatrie, wo wir es mit einem so viel komplizierteren Organismus zu thun haben, als auf irgend einem anderen Gebiete der Medizin, die Grenze der Gesundheit nicht zu eng ziehen dürfen, sondern der psychischen Thätigkeit eine genügende physiologische Breite einräumen müssen.

Wenn ein geistesgesunder Mensch eine Trauerbotschaft erhält, wie z. B. den Tod eines nahen Anverwandten, so wird sich eine starke Depression seiner Gefühle einstellen, er wird vielleicht in sich in Schmerz versunken sein, die Vorgänge der Aussenwelt gehen spurlos an ihm vorüber, Dinge, für die

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