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Zugleich aber ist Faust „der verkörperte Geist Goethes, dem keine Entfernung zu weit, keine Erfahrung unmöglich war; wir trauten ihm zu, alle Gedichte Goethes, all seine wissenschaftlichen Werke geschrieben zu haben" (ders.) Er ist nicht minder der Herrscher unter den übrigen Figuren der gesammten europäischen Dichtung: Hamlet, Achill, Hektor, Tasso, der Cid, Frithiof, Siegfried und Fingal, die alle etwas von Mondschein bekommen" wenn Faust erscheint, der „in voller Sonne steht." „Der Athem, mit dem sie uns anhauchen, ist nicht so bergluftartig frisch wie der, der Fausts Lippen zu entströmen scheint." „Faust steht so gänzlich allein da" unter Goethes eigenen Schöpfungen, „als sei er überhaupt nirgends gewachsen, sondern fertig vom Himmel gefallen" (ders.). Bei allen übrigen Gestalten des Dichters ist „ein gewisser Mangel an innerem Gewicht bemerkbar und nur dadurch erklärbar, dass wir Werther als Werther plus Faust, Egmont als Egmont plus Faust und so die Reihe durch zu nehmen haben" (ders.)!

Und diess alles ist noch lange nicht alles: „Wer weiss was Diejenigen an und in der Gestalt Fausts. einst entdecken, die von unserer Zeit ab in 100, 500 1000 Jahren über sie urtheilen werden (ders.). Auch v. Löper versichert uns dass sich Goethes Faust „in jeder Zeitepoche anders reflectirt," womit freilich unseren Commentatoren eine unabsehbare Aussicht eröffnet wäre!

Nicht minder merkwürdig hat sich der zweite Hauptcharakter der Tragödie, Mephistopheles, entwickelt. Der Geist, der stets verneint, der höllische Verführer, das „abscheuliche Unthier, das sich am Schaden weidet und am Verderben letzt," ist zu Fausts nothwendigem Complement geworden und im

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Grunde nur Eine Person mit Faust. Ihr „Pact" ist nichts als der Durchdringungskampf beider," und das Facit dieses Processes ist das höchste Gut" (Fr. Vischer). Was auch Goethe selbst dagegen sagen mag, die Figur wuchs über die Absichten Goethes hinaus zu einer höheren Natur auf," ja sie „trägt eine ganze Schöpfung in sich" (Grimm)!

Der dritte Hauptcharakter, Gretchen, anfangs allerdings ein gar unschuldig Ding," von welchem jedoch nur der Lügengeist sagen kann: sie sei „eben für nichts zur Beichte" gegangen, da gleich die nächste Scene („Abend") uns die echte, schnell versuchte und verführte Evastochter vor Augen führt, wird nach Weisse's Vorgang, der in Gretchen bereits das ethische Kunststück verwirklicht findet, dass dieselbe trotz ihres Falles innerlich rein" geblieben sei, schon während dieses Falles zum Engel verklärt; ja sie nimmt sich in moderner Beleuchtung geradezu aus „als sei sie eine Heilige" und nichtsdestoweniger ganz intim als unsere Schwester" (Grimm), und ihr Liebeshandel mit der Introduction: Hör', du musst mir die Dirne schaffen," und dem Schlussaccord: „Heinrich, mir graut's vor dir," wird zum Musterbild, zum Ideal der Liebe gestempelt. Auf der anderen Seite wird uns versichert: die Gretchen-Scenen hätten ursprünglich nur ein idyllischer Ruhepunkt" sein sollen, und seien erst später zu einer „idyllischen Tragödie" geworden (Köstlin). Ein Idyll mit dem Refrain : Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an!"

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Freilich sind diese Transfigurationen, ja die völlige Umkehr des gegebenen Stoffes nicht neu. Schon vor 42 Jahren konnte von Hch. Düntzer, wenn auch mit ein bisschen anderen Worten," zu diesen Herrlichkeiten das System skizzirt werden. Schon in

dessen sonst sehr dankenswerthem Commentar kann man z. B. als Einleitung zur Erklärung der „Walpurgisnacht" lesen: „In der Liebe selbst hat Faust die Macht gefunden, die ihn immer sicherer über das Gemeine hinwegheben wird. “ Und wenn es am Schlusse der Tragödie heisst: Her zu mir" - Worte von denen selbst Fr. Vischer, den die Zumuthung, auch nur in der Poesie an den Teufel zu glauben, chokirt, durch sein sicheres ästhetisches Gefühl geleitet, sagt: „Es ist ein neuer Ton aus des Mephistopheles Munde, jetzt zum erstenmal brüllt das höllische Raubthier aus ihm, der Spass wird Ernst" so versichert uns Hr. Düntzer: für den verständigen Leser könne es „nicht zweifelhaft" sein, dass Mephistopheles nur zur Eile" dränge und der Dichter den Schluss nur etwas zweifelhaft gelassen" habe, „um dem lieben deutschen Publikum, welches dem Satan sein Recht an dem Faust nicht verkümmert wissen wolle, schalkhafterweise die Freiheit zu lassen, wenn es wolle, den Faust dem Bösen zu überantworten." Schalkhafterweise! Eine zu dem furchtbaren Ernst der Kerkerscene passende Attrape, würdig jener Lösung des Hauptknotens bei Düntzer, wonach der Vertrag zwischen Faust und Mephistopheles, „obwohl in aller Rechtsform geschlossen, null und nichtig ist, weil der Teufel selbst kein wirkliches Dasein hat"!

Solche und viele ähnliche Widersprüche in den Grundfragen der Beurtheilung des Gedichts nimmt. man immer noch ruhig hin, und doch sollten wir auch nur im ästhetischen Verständnisse desselben Fortschritte gemacht haben? Wie freilich wären diese Widersprüche, auch wenn man der weltbekannten Ideenspinnerei der Deutschen alles zutraut, anders möglich als dass der Dichter und

sein Werk, wie es aus letzter Hand auf uns gekommen ist, wesentlich mit dazu beigetragen haben?

Aber richten wir unseren Blick auf die ursprüngliche Conception des Gedichts, auf jene Scenenreihe, welche H. Grimm geringe Fragmente" nennt, die so gut wie unbemerkt vorübergegangen" seien, von welchen er nichtsdestoweniger jedoch in derselben Vorlesung versichert: „Die Scenen des ersten Theils in der Ausgabe von 1808, in denen Gretchen sich entwickelt (auch die, welche in der von 1790 nicht enthalten sind, aber ohne Zweifel gleich zu Anfang mitentstanden) athmen eine Kraft, eine Lebensgluth aus, wie nichts anderes was in den siebenziger Jahren von Goethe gedichtet worden ist. Wären sie nachträglich niemals gedruckt worden, so würde uns heute der Ruhm der jugendlichen Dichtung Goethes um seine besten Beweisstücke verkürzt erscheinen. Seine Verse strahlen hier ein unmittelbares Feuer aus, das wir weder im Werther noch in anderen Dichtungen der ersten Zeit empfinden." Dieses Urtheil, nicht auf die Gretchen-Scenen beschränkt, sondern auf sämmtliche der ursprünglichen Conception angehörige Scenen und sehr erhebliche 1790 nicht erschienene Bruchstücke ausgedehnt, bildet, als eine, man kann sagen allgemein anerkannte Thatsache unserer Litteraturgeschichte den richtigen Ausgangspunkt einer besseren Verständigung. Denn wir haben in diesen Fragmenten die theilweise Entfaltung eines poetischen Kerns, dessen ausserordentliche eigenthümliche Triebkraft die Bedingungen dessen, was man die Idee eines Kunstwerks nennt, in höchster Potenz aufweist.

Keineswegs darf man deshalb hiegegen an die eigene spätere Meinung des Dichters appelliren, selbst

nicht an die aus einer so frühen Zeit wie 1788, weil er geständigermaassen den Faden der ursprünglichen Conception bereits damals verloren hatte und ihr einen neuen „Plan“ substituirte, eine Operation, von der er allerdings hoffte sie werde ihm geglückt" sein. Noch weniger darf man mit H. Grimm sich ausschliesslich auf ein Zeugniss Goethes aus dessen allerletzter Lebenszeit stützen wollen, wo der Dichter in einem einige Tage vor seinem Tode geschriebenen Briefe an W. v. Humboldt, im Widerspruche mit jenem Geständniss äussert: „Es sind über 60 Jahre, dass die Conception des Faust bei mir, jugendlich von vorn herein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag," ja wo er allen Ernstes meint: „Ich lasse mich keine Furcht angehen, man werde das Aeltere vom Neueren, das Spätere vom Früheren unterscheiden können." Denn hier mischen sich „Wahrheit und Dichtung" in so auffälliger Weise, dass die ganze Reihenfolge" unklar bleibt und nur so viel klar ist: die ursprüngliche Conception war eine mächtige gewesen, und die blose Erinnerung an diese Macht, unter deren Bann er gestanden, genügte, ihn über die Entwicklungsstadien seines Faust," in welchen er ihr längst entfremdet war, bis zum Schlusse zu täuschen.

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Den Grad dieser Entfremdung verräth er uns selbst, wenn er schon 1788 in Rom, obwohl er den verlorenen Faden wieder gefunden zu haben glaubte, das Manuscript wie einen alten Codex" betrachtet und, wie er zur Zeit der Entstehung desselben „sich mit Sinnen und Ahnen in eine frühere Welt versetzt," so sich „jetzt in eine selbst gelebte Vorzeit wieder versetzen muss." Damit ist alles gesagt; wenngleich er meinte er brauche nur das Papier zu räuchern und niemand sollte ihm das Neue aus dem Alten heraus

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