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2.

Friedrich Vischer.

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Friedrich Vischer hat sich bekanntlich viele Jahre hindurch Goethes Faust mit Vorliebe gewidmet, und seine „Neuen Beiträge zur Kritik des Gedichts*)" sind aus dem Bedürfniss einer zweiten Ausgabe der vor Jahren erschienenen Kritischen Bemerkungen über den ersten Theil von Goethes Faust" entstanden, wobei er aufs neue erfahren musste, dass man mit diesem unfertigen Wunderwerke der Dichtung nie fertig wird." Er lässt deshalb dem eigentlichen Commentar über die inhaltsschweren Stellen des Gedichts" eine ausführliche Abhandlung über „die lange Säumniss" in der Vollendung desselben und ihre Ursachen vorausgehen. Von der ersten Conception des Faust bis zum Abschlusse des zweiten Theils verliefen über 62 Jahre, und doch kam es zu diesem Abschlusse! Gewiss eine seltene, schon an sich der Beleuchtung bedürftige Entstehungsgeschichte.

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*) Goethes Faust. Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts. Stuttgart 1875. Ferner: Ders., Zur Vertheidigung meiner Schrift Goethes Faust, in „Altes und Neues", 2. Heft. Stuttgart 1881. Die gegen meine Kritik gerichtete vierzig Seiten lange Antikritik zeugt nur von verletzter Eitelkeit.

Vischer stellt nach dem Grade des Erschwerungsgewichts" vier Ursachen der Verzögerung auf: „den Stilwechsel, die philosophische Schwierigkeit, die Schwierigkeit der politischen Aufgabe für Goethe und die rein subjective Schwierigkeit." Unter dem „Stilwechsel," der dem Dichter mit einem gewissen Schwergewicht der Objectivität entgegengestanden,“ und deshalb in erster Linie und sehr ausführlich behandelt wird, versteht Vischer den Gegensatz jener dem Dichter in seiner sog. Sturm- und Drangperiode mundgerecht gewesenen derb realistischen Kunstform und des späteren im Classicismus abgekühlten und abgeklärten Idealstils. Goethe hatte an seinem Faust den Geschmack verloren.

Dieses ästhetische Problem wird von Vischer mit gewohnter Virtuosität behandelt und in dieser seiner ästhetischen Kritik liegt auch der Werth seiner Beiträge. Nur hätte er den im Ganzen richtig gewürdigten zweiten Theil des Faust in diese Verschleppungsgeschichte zunächst nicht hereinziehen sollen; denn diese Verschleppung begann ja schon 1775, und jener Kampf des Goethischen Genius gegen die Verbindung des Ungeheuren mit dem Abgeschmackten," an welcher dieser zu Grunde zu gehen gefürchtet, ehe es ihm gelungen war „sich Shakespeare vom Halse zu schaffen," hatte zur Zeit der ersten Arbeit am zweiten Theil längst ausgetobt. Alle wesentlichen Bestandtheile des 1790 erschienenen „Fragments" sind, mit Ausnahme der Scenen „Wald und Höhle" und "Hexenküche," (diese ist übrigens nach meiner Vermuthung gleichfalls in der Anlage älter, und nur später ausgeführt) in Goethes Jünglingsjahren entstanden. Der Zuwachs, den das

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Werk in Weimar erhielt, kann nur unbedeutend

gewesen sein und sich nur auf die Vollendung oder Verbesserung bereits angelegter Theile erstreckt haben, sonst könnte Goethe unmöglich jenes von Kuno Fischer mit Recht als besonders wichtig hervorgehobene Zeugniss vom 1. März 1788 in sein römisches Tagebuch niedergelegt haben, wonach ihm sein eigenes Werk wie aus einer „selbsterlebten Vorzeit" entgegentrat, und das „vor fünfzehn Jahren" entstandene Manuscript „wie ein alter Codex" vor ihm lag. Auch bezeugt Jacobi 1791: dass er fast alles was 1790 erschien bereits 1775 gekannt habe. Es fragt sich nur was ausser jenen beiden Scenen etwa noch in Italien, bis zur Heimkehr des Dichters im Juni 1788 oder kurz danach, gedichtet sein könne, worüber die Acten noch nicht geschlossen sind. Im März 1788 also, nachdem ihm sein Werk eine Reihe von Jahren aus den Augen und aus dem Sinn gekommen war, glaubt er den Faden wiedergefunden zu haben und macht von neuem den Plan zu Faust," mit grossem Selbstvertrauen. An Ostern 1790 aber erscheint das „Fragment." Die Vollendung war mithin ganz unzweifelhaft schon geraume Zeit vorher wieder aufgegeben worden. Was aber Goethe damals herausgab, war nicht alles; bedeutende Bruchstücke hielt er, des fehlenden Abschlusses wegen oder aus anderen Gründen zurück. Nicht allein die Scene Trüber Tag," sowie die Kerkerscene, sondern auch Bestandtheile der Scenen, welche nunmehr die grosse Lücke ausfüllen, die das „Fragment" zwischen Wagners erstem Abgang und dem zweiten Gespräch mit Mephistopheles aufweist, gehören in die alte Dichtung.

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So erklärt es sich wie Schiller schon 1794 „die ungedruckten Stücke" von Eingeweihten hatte rühmen hören, und wie der Dichter, nachdem er sich im

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Sommer 1797 endlich entschlossen hatte wieder an seinen Faust zu gehen," dem Freunde schreiben konnte er wolle, was gedruckt sei, wieder auflösen nnd mit dem, was schon fertig und erfunden sei, in grosse Massen disponiren, er werde vorerst „die grossen erfundenen und halb bearbeiteten Massen“ zu enden und mit dem, was gedruckt sei, zusammenzustellen suchen und so lange treiben bis sich der Kreis selbst erschöpfe. Er bat Schiller die Sache einmal in schlafloser Nacht durchzudenken, ihm die Forderungen, die dieser an das Ganze machen würde, vorzulegen und so ihm als Prophet seine Träume zu deuten. Unser Balladenstudium hat mich wieder auf diesen Dunst- und Nebelweg gebracht." Obwohl ihn Schiller an die Grösse der Aufgabe, an die Erhabenheit des Stoffs wieder lebhaft erinnert und dadurch das Interesse an seinem Faust wieder erweckt hatte, so sah er doch, wie Vischer sagt, mit vornehmem Auge auf den feurigen Wildling seiner Jugend herunter," sprach von Fratzen, von Possen, und meinte: wenn er nur einen ruhigen Monat hätte, so sollte das Werk zu männiglicher Verwunderung und Entsetzen wie eine grosse Schwammfamilie aus der Erde wachsen“; er mache es sich bei dieser barbarischen Composition bequem, indem er die höchsten Forderungen mehr zu berühren als zu erfüllen gedenke," ja er meinte, ,, da die ganze Arbeit subjectiv" sei, so könne er in einzelnen Momenten, mitten in der Unruhe und Zerstreuung seines damaligen Lebens, daran arbeiten. Er werde dafür sorgen, dass die Theile anmuthig und unterhaltend seien und etwas denken lassen; das Ganze werde immer Fragment bleiben!

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Wir sind hiemit schon in die nicht die Form sondern den Inhalt betreffenden Schwierigkeiten ein

getreten. Beide sind nicht von einander getrennt zu halten, sie sind nur die beiden Seiten eines und desselben Hindernisses der Vollendung des Gedichts. Alle drei sogenannten objectiven Verschleppungsursachen Vischers lassen sich meines Erachtens nicht einmal gesondert begründen, weder psychologisch noch chronologisch. Das heisst: alle drei würden weder für sich noch mit einander ausgereicht haben, wenn nicht die vierte, die sogenannte rein subjective Schwierigkeit als die wahre und eigentliche Verschleppungsursache hinzugekommen wäre. Zunächst äusserlich betrachtet: der Dichter zerstreute sich seit seiner Uebersiedelung an den Weimarischen Hof jahrelang dergestalt, dass er zwar nicht zur Aufnahme neuer bedeutender Conceptionen, aber doch zur Entwicklung der alten, schwierigsten, bedeutsamsten die erforderliche Concentrationsfähigkeit verlor. Eine poetische Arbeit, welche die denkbar höchste Zusammenfassung der Gestaltungskraft erheischte, nahm er, wie wir so eben gehört, als Zwischenspiel für müssige Augenblicke wieder auf. Und doch war dieses Unternehmen ja nur die Aussenseite des Hindernisses. Der Sache auf den Grund gehend, kommen wir zu der Ueberzeugung, dass die Conception des Faust, seines grössten und schwierigsten Werkes, von welcher er kurz vor seinem Tod an W. v. Humboldt schreiben konnte: sie habe bei ihm jugendlich von vornherein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorgelegen," trotz ihrer ursprünglichen Mächtigkeit eine unentwickelte gewesen, welche im Mutterschoose seines Genies still und stät, so zu sagen mit heiliger Scheu hätte ausgetragen werden. müssen, um zur Reife einer glücklichen Geburt zu gelangen.

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