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Traume die Gesichtszüge eines Mannes, der ihn einst in der Dämmerung des Abends angebettelt hatte1.

Dagegen scheint es nicht vorzukommen, dass deutliche Wahrnehmungen, wenn sie im Traume reproducirt werden, an Deutlichkeit verlieren. Es scheint somit, dass in Hinsicht der Qualität die reproducirten Vorstellungen die Wirklichkeit erreichen. Auch das Gedächtniss für Gehöreindrücke scheint nichts an Deutlichkeit zu verlieren, sogar wenn, wie bei der obenerwähnten Viehdirne, den gehörten Tönen weder Aufmerksamkeit noch Verständniss entgegengebracht wurden. Der Korbmacher Mohk, den VARNHAGEN beobachtete, hörte einst eine Busspredigt, die ihn tief erschütterte. In der darauffolgenden Nacht stand er schlafwandelnd auf und wiederholte mit wörtlicher Treue den gehörten Vortrag. Nach dem Erwachen wusste er von dem Vorgefallenen kein Wort. Diese Anfälle wiederholten sich mehrere Jahre hindurch mehrmals täglich, bei Tag oder bei Nacht, in Gesellschaft oder in der Einsamkeit, besonders wenn er Branntwein getrunken hatte. Seine Reden enthielten oft Reminiscenzen aus Predigten, die er mehr als 40 Jahre früher gehört hatte 2. Aehnliche Zufälle hatte ein Knecht, den SPLITTGERBER kannte; er sank in denselben auf das Bett und wiederholte in fliessendem Hochdeutsch, das er sonst nicht sprach, die gehörte Predigt, die gesungenen Kirchenlieder, ja die ganze Sonntagsliturgie fast buchstäblich 3.

Die Somnambule Selma recitirte in der Krise ein längeres komisches Gedicht, dessen Vortrag sie ein Jahr früher gehört, später FREILIGRATH'S Mohrenfürst, das man ihr im vorigen Jahre vorgelesen hatte, und endlich trug sie

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ein längeres Jugendgedicht ihres Bruders vor, das dieser selbst nicht mehr wusste und schon seit dreizehn Jahren verloren hatte 4.

Diese Beispiele führen uns bereits zu der weiteren Frage, wie weit zurück in die Vergangenheit das Traumgedächtniss unbeschadet der Deutlichkeit der Vorstellungen zu greifen vermag. Es scheint aber, dass die Zeit überhaupt keinen Einfluss auf die im transcendentalen Bewusstsein niedergelegten Vorstellungen äussere, ja dass gerade Erinnerungen aus der Kinderzeit im Traume mit Vorliebe sich einstellen. MAURY hatte einen Freund, der in Montbrison erzogen worden war. Fünfundzwanzig Jahre später wollte er den Schauplatz seiner Kindheit wieder besuchen. In der Nacht vor der Abreise versetzte ihn der Traum an das Ziel der Reise und er traf dortselbst einen Herrn, der sich ihm als H. T. und Freund seines Vaters vorstellte, den er als Kind allerdings gesehen hatte, ohne jedoch an mehr, als den Namen, sich zu erinnern. Als er nun wirklich nach Montbrison kam, war er sehr erstaunt, dem im Traume gesehenen Herrn dort zu begegnen, dessen Züge nur etwas gealtert waren. Dieser letztere Umstand beweist, dass diese Traumfigur lediglich eine Jugenderinnerung war 5.

PLATO und ARISTOTELES 6 haben schon die Bemerkung gemacht, dass sich im Alter die Erinnerungen an die Kindheit erneuern. Es lässt sich dabei die Frage aufwerfen, ob vielleicht die Jugendeindrücke nur bewahrt bleiben, von der Vergesslichkeit des Alters ausgeschlossen sind und darum häufiger den Gegenstand der Rede bilden, oder ob wirklich eine gesteigerte Reproductionskraft des Gedächtnisses für Jugenderinner

4 Wiener: Selma, die jüdische Seherin. 55. 60. 120.

5 Radestock: Schlaf und Traum. 135. 6 Plato: Timäus 26 B. Aristoteles, Probl. XXX. 5.

ungen eintritt. Auf den ersten Blick möchte man sich für die erstere Ansicht entscheiden, weil Jugendeindrücke, gerade wegen ihrer weit zurückliegenden Vergangenheit im Verlaufe des Lebens am häufigsten reproducirt wurden und dem Gedächtnisse fest sich eingraben mussten. Bei näherem Zusehen aber müssen wir uns für die zweite Ansicht entscheiden. Was sich in der Wissenschaft so häufig zeigt, dass eine Thatsache nur so lange sie einsam dasteht, unfruchtbar und unerklärt bleibt, das gilt auch hier. Die Gedächtnissstärke der Greise für Jugenderinnerungen kann erst dann richtig verstanden werden, wenn sie zusammengehalten wird mit verwandten Thatsachen, und die richtige Erklärung kann nur die sein, welche die ganze Reihe dieser Thatsachen gemeinschaftlich umfasst. So wird sich auch zeigen, dass die Jugenderinnerungen der Greise nicht etwa nur stehengebliebene Worte auf der Gedächtnisstafel sind, von der das Uebrige hinweggewischt wurde, sondern dass sie auf einer wirklichen Steigerung des Gedächtnisses beruhen, indem häufig eine lange Periode der Vergessenheit ihnen vorhergeht.

Von KANT berichtet sein Freund WASIANSKY, dass ihm im Alter, trotz seiner Hinfälligkeit und Gedächtnissschwäche, die Jugenderinnerungen mit grosser Lebhaftigkeit hervortraten. Von HEINSIUS wird erzählt, dass er in seinen letzten Jahren von seiner ganzen philologischen Gelehrsamkeit nur das in seiner Jugend memorirte vierte Buch der Aeneis behielt 1. Ein 76jähriger Greis in Göttingen kannte seine Frau und Kinder, wenn man sie ihm am Morgen gezeigt, immer den Tag hindurch, musste aber am anderen Morgen immer wieder aufs Neue fragen, wer sie wären. Bei dieser Schwäche und Kürze des Gedächtnisses

1 Radestock: 298.

2 Perty: Blicke in das verborgene Leben. 25.

für die Gegenwart konnte er merkwürdiger Weise Lieder aus der Jugendzeit fertig singen und Auftritte aus derselben erzählen, während er alles ihm später Widerfahrene gänzlich vergessen hatte.

Vergleichen wir nun diese Erscheinung, die wohl jeder Leser innerhalb der eigenen Verwandtschaft beobachtet hat, mit verwandten Thatsachen im Traum, Somnambulismus, Fieberkrankheiten und Irrsinn, so ist leicht zu erkennen, dass hier wirkliche Steigerung des Gedächtnisses vorliegt. Ein Cassier der Bank von Glasgow war in seinem Bureau sehr mit den Kunden beschäftigt, als deren noch ein weiterer eintrat, der sich so ungeduldig benahm, dass man ihm seinen Geldbetrag rasch zukommen liess, um sich seiner zu entledigen. Bei der Jahresabrechnung, viele Monate später, stellte sich eine Differenz von sechs Pfund heraus. Umsonst verbrachte der Cassier mehrere Nächte, den Fehler zu entdecken, dann aber stellte sich ihm im Traume der eben berichtete Vorgang mit allen Details vor Augen, und nach dem Erwachen fand er nun leicht, dass der jenem Kunden verabreichte Betrag nicht eingetragen worden war 3.

Bedenken wir, dass von unseren Träumen nur selten längere Vorstellungsreihen ins Tagesbewusstsein übergehen, dass ferner häufig Reproduktion ohne Erinnerung stattfindet, so dürfen wir daraus schliessen, dass Kindheiterinnerungen im Traume weniger selten sind, als es den Anschein hat.

Eine Frau sah während eines Fieberanfalles sich selbst als kleines Kind in einer Lehmgrube liegen und eine Wartfrau händeringend daneben stehen. Sie hielt dieses Bild für eine blosse Phantasievorstellung, bis sie von ihrem Vater erfuhr, dass sie in der That durch Schuld der Wartfrau in eine Lehmgrube gefallen sei 4.

3 Brierre de Boismont: 258.

4 Kerner: Blätter aus Prevorst. VIII. 109.

In manchen Fällen lässt sich die der Reproduktion vorausgegangene lange Periode der Vergessenheit nicht bezweifeln, so dass die momentane Steigerung des Gedächtnisses nicht abzuleugnen ist. Im Traume kommt es häufig vor, dass wir halbvergessene Sprachen geläufiger reden, als im Wachen. Dass dieses keineswegs immer auf Täuschung beruht, erkennt man aus jenen Fällen, wo diese Erscheinung sehr gesteigert eintritt. JESSEN erwähnt einen Bauern, der in seiner Jugend griechisch gelernt hatte, und in einem späteren Fieberdelirium zum Erstaunen aller Anwesenden längst vergessene griechische Verse hersagte1. LEMOINE kannte einen Irrsinnigen, der in einem seiner Anfälle mit merkwürdiger Leichtigkeit Briefe in lateinischer Sprache schrieb, wovon er sonst keinen Gebrauch zu machen wusste 2. Sir ASTLEY COOPER erzählt von einem Matrosen, der in Folge einer Kopfverletzung in Monate lange Betäubung verfiel und erst durch eine Operation im Spital soweit hergestellt wurde, dass er wieder sprechen konnte. Aber Niemand verstand ihn, bis sich bei der Aufnahme eines walisischen Milchmädchens ins Spital herausstellte, dass er, der seit dreissig Jahren von Wales entfernt war, nun wieder seine längstvergessene Muttersprache ganz geläufig sprach, wogegen er sich keines Wortes einer anderen

Sprache mehr erinnern konnte. Als er vollkommen wiederhergestellt war, hatte er Walisisch wieder vergessen und sprach wiederum Englisch3. Genau dasselbe wird von einem walisischen Mädchen erzählt. Dr. RUSH erwähnt einen Italiener, der zu Anfang einer Krankheit englisch, dann französisch, aber am Tage seines Todes nur mehr seine Muttersprache sprach. Auch der englische Physio

1 Jessen: Psychologie. 491.
2 Lemoine: 313.

3 Georges Mooris: Die Macht der Seele über den Körper. Deutsch von Susemihl, 4 Passavant: Untersuchungen über Le

loge CARPENTER spricht von einem Manne, der in seiner Kindheit Wales verlassen. hatte und sein ganzes Leben als Diener bei verschiedenen Mitgliedern einer und derselben Familie verbracht und seine Muttersprache so gänzlich vergessen hatte, dass er seine Landsleute nicht mehr verstand, wenn solche ihn besuchten. Nach siebenzig Jahren aber, im Delirium eines Fiebers, sprach er walisisch, Wovon er aber nach seiner Genesung von Neuem alle Erinnerung verloren hatte 6. ANASTASIUS GRÜN berichtet in seiner Biographie LENAU's, die seiner Ausgabe der Werke LENAU's vorgedruckt ist, dass dieser Dichter im Irrenhause bisweilen rein lateinisch und, was er sonst nie that, ein Deutsch mit ungarischem Accente sprach, als sei er in das Land seiner Kindheit zurückversetzt.

Aehnliches wurde häufig bei Idioten beobachtet. Nach GRIESINGER sind psychische Krankheiten zwar häufig, aber nicht immer mit Störungen des Gedächtnisses verbunden, das oft vollständig treu ist sowohl für Ereignisse des früheren Lebens, als die während der Krankheit 7. MAUDSLEY sagt: >Das wunderbare Gedächtniss von gewissen Idioten, welche trotz sehr geringer Intelligenz die längsten Geschichten mit der grössten Genauigkeit wiederholten, liefert auch einen Beweis für eine solche unbewusste Seelenthätigkeit, und die Art und Weise, in welcher Erregung durch einen grossen Kummer oder andere Ursachen, wie z. B. das letzte Aufflackern des erlöschenden Lebens oft bei Idioten Kundgebungen von einem Seelenleben hervorrufen, dessen sie immer unfähig schienen, machen es sicher, dass vieles von ihnen unbewusst assimilirt wurde, das sie gar nicht

bensmagnetismus. 153.

5 Kerner: Magikon. V. 364.
Psychische Studien. I. 273.

7 Griesinger: Pathologie und Therapie der psych. Krankheiten. 69.

äussern konnten, das aber Spuren in der Seele zurückgelassen hatte. Es ist eine Wahrheit, die man nicht nachdrücklich genug hervorheben kann, dass Bewusstsein und Seele nicht Begriffe von gleicher Ausdehnung sind . . . Das Bewusstsein kann uns keine Rechenschaft geben, in welcher Weise diese verschiedenen Residua fixirt werden und wie sie latent in der Seele sich verhalten; aber ein Fieber, ein Gift im Blut, ein Traum kann augenblicklich Vorstellungen, Thätigkeiten und Gefühle hervorrufen, die für immer verschwunden schienen. Der Irrsinnige erinnert sich in seinen Delirien oft an Scenen und Ereignisse, welche ihm bei gesunden Sinnen ganz aus dem Gedächtniss verschwunden sind, der Fieberkranke recitirt Stellen in einer Sprache, die er nicht versteht, aber zufällig einmal gehört hat, ein Traum aus der Schulzeit bringt mit peinlicher Lebendigkeit die Schulgefühle zurück, und ein Ertrinkender sieht noch einmal in einem Momente alle Ereignisse seines Lebens eigenthümlich lebhaft in seinem Bewusstsein aufblitzen 1.

Diese letzten Worte dürften bei manchem Leser Bedenken erregen; aber die Sache ist so häufig beobachtet worden, dass daran nicht gezweifelt werden. kann. Sie wird weiter unten zur Sprache kommen.

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das latente Gedächtniss erwecken. Ein Kapitän, der in Folge seiner in Afrika erhaltenen Wunden das Gesicht verlor, erzählte, dass ihm seit diesem Augenblicke die gänzlich erloschenen Erinnerungen gewisser Lokalitäten mit äusserster Deutlichkeit zurückgekehrt seien 2.

Ohne dass schon hier Schlüsse gezogen werden sollen auf die merkwürdigen Vorgänge, die mit den Worten Vergessen und Erinnerung zwar bezeichnet, aber nicht erklärt sind, erhellt doch aus dem Bisherigen wiederum so viel, dass unser Selbstbewusstsein seinen Gegenstand nicht erschöpft. Es ist nur ein Theil unseres psychischen Wesens, wovon wir äusserlich durch den Rapport der Sinne mit der Aussenwelt, innerlich durch unsere Erinnerung Kunde erhalten. Jedes Schwinden des normalen Bewusstseins im Traum, Fieber, Irrsinn, in der Narkose und Blindheit ist gleichzeitig verbunden mit einer Erweiterung unseres psychischen Wesens nach anderer Richtung. Wenn diese Erweiterung eine gleichwerthige sein sollte wie es sich vermuthen lässt nach Analogie mit der Aequivalenz der Kräfte in der physischen Natur dann ist das schon mehrfach gebrauchte Bild, dass sich transcendentales und sinnliches Bewusstsein wie zwei Schalen einer Wage verhalten, im eigentlichen Sinne zu verstehen. Nun geschieht das Schwinden des normalen Bewusstseins im Somnambulismus noch in höherem Grade, als in den bisher betrachteten Zuständen; es lässt sich also vermuthen, dass dort unser transcendentales Bewusstsein sich besonders bemerklich machen, ein besonderer Reichthum vergessenerVorstellungen hervortreten wird; denn Somnambulismus ist gesteigerter Schlaf, er muss also auch die Funktionen des gewöhnlichen Schlafes steigern.

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Untersuchungen über die Theorie der wechselnden
kontinentalen und insularen Klimate.

Von

Clemens König in Dresden.

II. Physische Einwürfe und Norwegens Klima.

Mit 1 Karte (Tafel II).

Die nördl. Halbkugel ist gegenwärtig weder ausschliesslich kontinental, noch ausschliesslich insular. Aus der Fülle verschiedener klimatischer Zustände sollen nur zwei auserlesen sein, mit einander abzuwechseln. Die Bezeichnung für beide Klimate ist keine präcise. Den astronomischen Werthen: 10 500 und 80 bis 90 000 Jahren, mangelt die botanische Fundation. Die erste Periode, sofern sie als Ende der Eiszeit erscheint, braucht kein insulares Gepräge zu tragen. Jetzt fehlt Norwegen der kontinentale Charakter und vielleicht schon seit der Eiszeit. Specielles über Norwegens Klima. Klimatische Provinzen des Landes.

Seit LEOPOLD v. BUCH, ALEXANDER von HUMBOLDT, CUVIER, ELIE DE BEAUMONT und D'ORBIGNY hat die Naturwissenschaft einen grossen Schritt vorwärts gethan; sie hat, geleitet von den beiden grossen Britten, von LYELL und DARWIN, sich von der Wahrheit überzeugt, dass der Puls im Leben der Erde von Anbeginn ungefähr denselben Takt gehalten hat, wie heute. Je mehr die Theorie der wechselnden Klimate diesem Principe Anerkennung zollt, je mehr sie die jetzt wirkenden, oft unscheinbaren Kräfte der Natur zur Erklärung der Vergangenheit herbeizieht. und je mehr ihre Behauptungen mit den exakten Resultaten moderner Forschung übereinstimmen, desto näher kommt sie der Wahrheit, desto grösser ihr Verdienst. Das Gegentheil dieses Satzes Kosmos, VII. Jahrgang (Bd. XIII).

auszusprechen, wird der geehrte Leser uns billig erlassen.

Dass die Theorie der wechselnden Klimate sich der denkbar bescheidensten Mittel bedient und nur zwei Klimate nennt, die seit vielen Jahrtausenden vor der Eiszeit bis zur Gegenwart einander regelmässig in der Herrschaft über die nördliche Hemisphäre ablösen, diese Einfachheit hat etwas Ansprechendes und Packendes. Und gerade das ist es, was unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Denn gesetzt, es sei so, wie die Theorie behauptet, dann müsste das Klima der nördlichen Erdhälfte jetzt entweder kontinental oder insular sein, eine Folgerung, welcher die heutigen meteorologischen Resultate widersprechen. Mit Evidenz erweisen die Isanomalen, die Dove ziehen lehrte,

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