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ist zu betonen, dass diese jüdische Religion, deren Eigentümlichkeit nicht in Abrede gestellt werden soll, sich historisch in organischer Weise aus dem semitischen Polytheismus entwickelt hat, und dass dieser Entwicklungsprozess nicht verstanden werden kann, wenn man nur in hergebrachter Weise mit den beiden Ausdrücken Monotheismus und Polytheismus operiert. Es gibt viele Arten von Monotheismus wie von Polytheismus, und die Grenze zwischen diesen Religionsformen ist nicht immer leicht zu ziehen.

Nach der theologischen Auffassung ist Monotheismus identisch mit offenbarter Religion d. h. mit vollkommener, ideeller Religion, während Polytheismus als >> Heidentum« gilt, d. h. als religiöse Depravation, die als Werk des Teufels nur eine Karikatur der Religion darstellt. Polytheismus kann aber auf einer hohen Kulturstufe in ethischer und religiöser Hinsicht wertvoller sein als der Monotheismus einer niedrig stehenden Kultur. Unter den semitischen Religionsformen steht z. B. die babylonische Religion, wo der Polytheismus am stärksten entwickelt ist, in allgemeiner Humanität, im Verhältnis zu Frau, Kindern und Nächsten überhaupt, auf einer höheren Stufe als die altarabische Stammes- und Volksreligion, wo religiöse und ethische Pflichten ausserhalb des Stammes oder Volkes ganz aufhören, und wo die allgemeine Humanität und Kultur auch innerhalb des Verbandes auf einer niedrigen Stufe steht, obwohl die Gottesauffassung hier hart an Monotheismus grenzt1).

Nun hat die jüdische Religion, was sämtliche alttestamentlichen Schriften übereinstimmend bezeugen, seine Wurzeln gerade in dieser altarabischen Wüstenreligion. Es

1) Vgl. die Ausführung über Kollektivismus und Partikularismus oben Kap. 6 S. 161–186.

waren nach der Bibel nordarabische Stämme, die seiner Zeit Palästina eroberten, die legitime Religion dieser Stämme war ebenfalls nordarabischen Ursprungs, was schon der Name Sinai besagt, und war ursprünglich eine ziemlich rohe und primitive Beduinenreligion. Friedr. Delitzsch hat daher Recht, wenn er in einer Reihe von Schriften betont, dass die althebräische Religion und Moral in vielen Punkten auf einer niedrigeren Stufe steht als die babylonische, und dass diese Religion auch in ihren späteren Phasen eine Volksreligion war1). Jahwe war und blieb der Spezialgott Israels und ist niemals ein universeller Weltgott für alle Völker der Erde geworden, obwohl einzelne Propheten, besonders Jesaja und Deuterojesaja, ihn in dieser Weise auffassten.

Ein wirklicher Monotheismus, wie Zaratustra in Persien predigte, kommt auf semitischem Boden erst mit Muhammed und Islam rund 600 Jahren n. Chr. zum Vorschein. Die jüdische Reform bezweckte nur, die anderen Götter neben dem Volksgott innerhalb des jüdischen Volkes auszurotten, kein anderer Gott wurde hier neben Jahwe geduldet, aber die Götter anderer Völker waren für die alten Juden ebenso handgreifliche Realitäten wie ihr eigener Volksgott. Es war seit Jahrtausenden ein tief eingewurzelter Glaube, dass jedes Land und jedes Volk seinen eigenen Gott hatte, dem das Land ge

1) Friedr. Delitzsch: Babel und Bibel. Erster Vortrag 1902. Zweiter Vortrag 1903. Dritter (Schluss-) Vortrag 1905. Ein Rückblick und Ausblick 1904. Mehr Licht 1907. Zur Weiterbilding der Religion 1908. Die grosse Täuschung, 1. Teil. Kritische Betrachtungen zu den alttestamentlichen Berichten über Israels Eindringen in Kanaan, die Gottesoffenbarung von Sinai und die Wirksamkeit der Propheten. Stuttgart u. Berlin 1920. 2. (Schluss-) Teil. Fortgesetzte kritische Betrachtungen zum Alten Testament, vornehmlich den Prophetenschriften und Psalmen, nebst Schlussfolgerungen, ibid. 1921.

hörte, und der sein Volk beschützte. In diesem Sinne war also für die alten Juden Jahwe nur ein Gott unter vielen anderen Göttern. Wenn überhaupt ein Gott als Volksoder Nationalgott aufgefasst wird, so liegt in der Natur der Sache, dass man aus Partikularismus oder Polytheismus nie ganz herauskommen kann.

Die älteste Form der semitischen Religion war Gestirnreligion und Stammes- oder Volksreligion, indem der oberste Gott zugleich als Vater und Beschützer des Stammes gedacht wurde. Die jüdische Religion hat verhältnismässig früh den Gestirnkult mit seiner Familienmythologie und mit seinem Polytheismus überwunden, aber ist bis auf den heutigen Tag eine Volksreligion geblieben. In Ägypten hatte von Alters her die Religion einen mehr internationalen Charakter, dafür spielte aber Gestirnkult hier ein grössere Rolle. Der grosse religiöse Reformator Amenophis IV versuchte hier die Sonne als einzigen Gott einzuführen. Wenn man aber seinen Gott als Gestirn auffasst, so kann man dafür nicht blind sein, dass andere Himmelskörper oder Götter auch existieren.

Eine ähnliche Unvollkommenheit haftet noch heute. an der jüdischen Religion. Nationale kann ebensowenig wie astrale Gottesauffassung Monotheismus werden im absoluten Sinne des Wortes. Eine Nationalreligion hat ausserdem in ethischer Hinsicht den schwachen Punkt, dass die moralischen Gebote eigentlich nur innerhalb des eigenen Volkes Gültigkeit haben. Auch der christliche Gott, der doch theoretisch für alle Völker der Erde bestimmt ist, ist mit dem jüdischen Nationalgott identifiziert worden, und hat sich somit noch nicht ganz aus dem jüdischen Nationalismus emanzipiert. Das Alte Testament, wo die Religion und die ganze Auffassung der Geschichte von einem engherzigen partikularistischen Geiste durchsäuert ist, bildet noch im 20. Jahrhundert n. Chr.

einen wichtigen Teil des christlichen Religionsunterrichts, denn für die Christen sind die Juden immer noch Gottes auserwähltes Volk und Jerusalem der Mittelpunkt der Welt (Abb. 61).

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Abb. 61. Weltkarte vom Jahre 1280 n. Chr. mit Jerusalem als Zentrum der Welt.

The Jewish Encyclopedia, Vol. 7 S. 128.

Wenn somit im Judentum der Glaube an die Einheit Gottes nur innerhalb der Grenzen der Nation durchgeführt wird, so wird diese Reform hier andererseits mit einer Strenge und Ernst realisiert, wozu wir keine Analogie finden im Christentum, ja kaum im Islam. Das Christentum mit den drei göttlichen Personen, mit der Sohnmythologie und dem Madonnakult ist nur ganz äusserlich und theoretisch als Monotheismus umgedeutet, durch die

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nachbiblische künstliche Lehre, dass diese drei Personen im Grunde genommen Eine Person sind. Der Islam lehrt zwar einen wirklichen Monotheismus, aber umspannt ein grosses Gebiet, wo der alte Polytheismus an einzelnen Orten noch in Sektenbildungen fortlebt. Das Judentum hat von Anfang an als nationale Religion seine Reform örtlich begrenzt, dafür sie aber in Praxis völlig durchgeführt. Das muhammedanische Glaubensbekenntnis: la ilah illa Allah »Es gibt keinen Gott ausser Gott hat einen absoluten Monotheismus formuliert, das jüdische wendet sich nur an Israeliten und betont nur die Einheit des jüdischen Nationalgottes: šema Jisrael Jahwe elohenu, Jahwe eḥad »Höre, Israel! Jahwe ist unser Gott, Jahwe ist ein<< (Deut. 64).

Theoretisch wurde die Einheit des nationalen Gottes dadurch hergestellt, dass die Funktionen der beiden anderen göttlichen Gestalten auf Jahwe übertragen wurden. Wie später in der Reform Muhammeds wendet sich die jüdische Reformation hauptsächlich gegen den Gottessohn, auf diesem Kulturboden überall den wichtigsten Gott. Der Sohn Gottes, wie überhaupt der Gedanke, dass Gott zeugt, war für die damaligen Juden wie später für Muhammed ein Greuel. Diese Gestalt wurde dadurch aufgelöst, dass seine Wirksamkeit als Auferstehungsgott als Leben- und Heilgebender Gott Jahwe zugeschrieben wird1), wie auch

1) Wolf Wilhelm Baudissin: Adonis und Esmun, Eine Untersuchung zur Geschichte des Glaubens an Auferstehungsgötter und an Heilgötter, Leipzig 1911, 4. Teil, I Jahwe der Erretter aus Krankheit und Tod, S. 385-402. II. Der Gedanke der Totenauferstehung im Alten Testament, S. 403-449. III. Jahwe der lebendige Gott, S. 450510. Baudissin hat hier nachgewiesen, dass der Anferstehungsgedanke im Alten Testament als eine Übertragung aus dem Naturleben entstanden ist, und zwar als eine Analogie zu dem Absterben und Wiederaufsprossen der irdischen Vegetation. Die Naturreligion glaubte in

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