August von Kotzebues ausgewaehlte prosaische Schriften

Die Neugriechen.

In der lezten Sihung der Gesellschaft der Menschenbeobachter zu Paris hat Coray, ein Grieche, ein interessantes Memoire über die jezt beginnende Wiederge= burt der Wissenschaften in Griechenland gelesen. Die Ursachen derselben findet er natürlich in der französischen Aufklärung, besonders auch in der Unternehmung, die Encyklopädie herauszugeben (!), nebenher in dem Kriege der Russen gegen die Türken, und in den Expeditionen nach Italien und Egypten. Doch die Ursache liege, wo sie wolle, genug, die erfreuliche Wirkung ist nicht abzuläugnen. Die jungen reichen Griechen sammeln auf den europäischen Universitäten Kenntnisse, mit denen sie ihr Vaterland bereichern. Locke's Versuch, Montesquieu über das römische Reich, die besten mathematischen Werke, Fourcroy's chemische Philosophie und eine Menge anderer guter Bücher sind in das Griechische überseht worden. Codrika, ein Athenienser, der zu Paris Sekretär des türkischen Gesandten war, hat Fontenelle's Welten und Anacharsis Reisen seinen Landsleuten in ihrer Muttersprache geschenkt *).

Daß die Energie, durch welche ihre Vorfahren so berühmt wurden, in den Griechen keineswegs erloschen ist,

*) Auch Menschenhaß und Reue ist kürzlich in's Griechische über-sezt worden.

beweisen noch täglich mehrere griechische Völkerschaften. Das Beispiel der Mainotten (vormalige Spartaner) ist bekannt. Ein anderer Stamm der Griechen, die Sullioten, weniger bekannt als jene, aber nicht minder tapfer, bewohnt einige Dörfer mitten zwischen den Felsen von Epirus, unweit des alten Dodona, umgeben von den der Poesie angehörigen Flüssen Acheron und Kozyt. Mit fünfzehnhundert waffenfähigen Männern vertheidigt dieser Stamm seine Freiheit gegen einen der mächtigsten Pascha's der europäischen Türkei. Wird die Gefahr groß, so gesellen sich auch die Weiber zu den Männern, und helfen einen Feind bekämpfen, der, troß seiner Ueberlegenheit an Zahl, doch fast stets überwunden wird. Hier fallen Begebenheiten vor, deren sich das alte Lacedämon nicht zu schämen brauchte. In einem lebhaften Gefechte fiel ein junger Anführer der Sullioten; sein Tod erschütterte die Krieger: sie vergaßen zu kämpfen, und sammelten sich klagend um den Leichnam. Da kam schnell die Mutter des Todten, bedeckte ihres Sohnes Gesicht mit einer Schürze, nahm seine Waffen und seinen Plaß an der Spiße des kleinen Heeres, jagte den Feind in die Flucht, eilte zurück, entblößte das Gesicht des Sohnes wieder, und rief mit unterdrücktem Schmerz: »Ich habe deinen Tod gerächt!”