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zu repräsentiren, ihren persönlichen Willen oder ihre Standes- Interessen haben zur Geltung kommen lassen. Dann haben sie aber den Staatswillen gefälscht und haben die ihnen anvertraute staatliche Function zu Gunsten privater Interessen gemissbraucht. So entstandene Gesetze können formell auf ganz legalem Wege zu Stande gekommen sein, aber jedenfalls verdanken sie ihren Ursprung einem unsittlichen Missbrauch der übertragenen Functionen. Die juridische Gültigkeit solcher Gesetze kann niemand anfechten, aber an ihrem Widerspruch mit dem Volksbewusstsein und an der Weigerung des letzteren, ihren Inhalt als moralisch verbindlich anzuerkennen, geht zur Evidenz die Unrichtigkeit des Kirchmann'schen Princips hervor, die formell legale Gesetzgebung zur Erzeugerin des sittlichen Inhalts zu machen, sowie die Unhaltbarkeit seiner Behauptung, dass bei einem formell legal zu Stande gekommenen Gesetze auch der widersinnigste und abscheulichste Inhalt moralische Verbindlichkeit besitze. Kirchmann's sittliches Ideal, der blinde, sclavische, viehische Gehorsam gegen jedes Gebot auch mit dem blödsinnigsten Inhalt, ist nicht einmal ein primitiver Zustand, sondern nur ein Zustand der Versunkenheit eines abgestorbenen, ertödteten Volksgeistes. Wo noch irgend eine Wurzel des Volksgeistes lebendig ist, da ist der thatsächliche Conflict des sittlichen Gewissens mit solchen Zumuthungen und der in Geschichte und Dichtung gefeierte Heroismus des äussersten Widerstandes gegen dieselben eine empirische Instanz gegen solche Eliminationsversuche alles an sich sittlichen Inhalts, und diese Instanz kann, wie wir bald näher sehen werden, auch nicht durch Herbeiziehung von Collisionen der verschiedenen Gebote verschiedener Autoritäten beseitigt werden, da das Gewissen seine Autonomie gegen alle gleichmässig zu behaupten hat, wenn wahre und echte Sittlichkeit entstehen und bestehen soll.

Selbst in patriarchalischen Anfangszuständen der Cultur ist der Stammeshäuptling keineswegs so souverän, wie es bei oberflächlicher Betrachtung wohl den Anschein hat. Er selbst ist geistig gebunden. durch das Rechtsbewusstsein seines Volkes, das sich in der Sitte äusserlich fixirt hat, und wollte er versuchen, sich von seiner Stammessitte eigenwillig loszureissen, so würde er sehr bald spüren, dass der Stamm sich so einmüthig gegen ihn wendet, wie er ihm bei Beobachtung der Sitte einmüthig gehorcht. Ihm bleibt keine andere Aufgabe, als dem jeweiligen Zustand des ungeschriebenen Rechts

bewusstseins in seinen Urtheilssprüchen Ausdruck zu geben, und den Veränderungen desselben sowie der Sitte zu folgen.

4. Das Moralprincip der Sitte.

Die Sitte steht der letzten Quelle des Ethischen jedenfalls näher als die Gesetzgebung; wenn die letztere der bewusste und auf das Erzwingbare beschränkte Niederschlag des ethischen Volksgefühls ist, so ist erstere der unbewusste Ausdruck desselben, der, namentlich in früheren Culturstadien, fast alle Thätigkeiten und Handlungen des Menschenlebens nach zum Theil höchst minutiösen Vorschriften regelt. Etymologisch sind sogar unsere Worte: Sittlich" und ,,Sittlichkeit", von Sitte" abgeleitet, und es liegt darin die richtige Ahnung, dass, was in der Sitte unbewusst durch collective Thätigkeit aller erstrebt und geschaffen wird, in der Sittlichkeit vom Einzelnen wie von Allen mit dem Bewusstsein seiner Tragweite und seines Werthes realisirt werden soll.

Die Sitte ist vor allem Eintritt der Reflexion, der Regulator für das politische, sociale und religiöse Verhalten des Einzelnen. Die bewusste Reflexion ist der schlimmste Feind der Sitte, weil Sitte unbewusst entsteht, unbewusste, der Reflexion oft erst nach langen Umwegen erkennbare Zwecke verfolgt, und weil ihre Zweckmässigkeit oft genug auf der Voraussetzung beruht, dass sie unangetastete, von keiner Reflexion zerfressene allgemeine Geltung bewahre.

So entspricht das zweifelfreie Verharren in der Väter Sitte dem Stande der Unschuld, über den der Mensch hinaus muss, um durch die Entzweiung der Reflexion hindurch zu selbstbewusster Sittlichkeit zu gelangen. Kein Wunder, dass beim Beginn solcher Skepsis die Vertreter des Moralprincips der Sitte durch die neuen Bahnen aller Sittlichkeit Gefahr drohen sehen und z. B. einem Sokrates den Giftbecher reichen. Aber die Versuche, die erwachende Reflexion zu unterdrücken, sind, wenn die Culturentwickelung eine gewisse Stufe erreicht hat, vergeblich; die Bewahrung der primitiven Unschuld wird dann unmöglich, und es handelt sich nur noch um die Alternative, ob die Reflexion sich zu selbstbewusster Sittlichkeit hindurchringen oder in bloss negativer Sittenlosigkeit stecken bleiben wird. Die durch Essen vom Baum der Erkenntniss einmal verlorene Unschuld

ist schlechterdings nicht wieder zu gewinnen, und deshalb ist auch von allen autoritativen Moralprincipien, das der Sitte am wenigsten geeignet, dem mit seiner Reflexion an den egoistischen Moralprincipien gescheiterten Menschen einen neuen Halt zu geben. Ist dies schon dann unmöglich, wenn es sich um die Rückkehr eines von der Volkssitte losgerissenen Einzelnen zu dieser von seinem Volke im Ganzen noch treu bewahrten Sitte handelt (die Rückkehr würde hier immer nur eine äusserliche Unterwerfung des Thuns, nicht eine Rückkehr zur früheren innerlichen Verwachsenheit mit der Sitte sein), so ist noch weniger daran zu denken, wenn der gebildetere Theil des Volkes im Ganzen diesen Process der Skepsis bereits durchgemacht hat. Mögen dann immerhin die ungebildeten Stände (z. B. die Bauern) die ursprüngliche Gesammtsitte des Volkes in den Hauptsachen noch wunderbar treu bewahrt haben, so kann das doch keinen sittlichen Halt mehr für den skeptischen Gebildeten abgeben.

Je reicher und vielseitiger das Culturleben eines Volkes sich entfaltet, desto mehr spaltet sich die ursprünglich gemeinsame Volkssitte in verschiedenartige Standessitten; je enger und exclusiver aber der Kreis ist, auf den die Sitte sich beschränkt, um so mehr neigt dieselbe zur Entartung in Unsitte. Gleichwohl ist es gerade der engere Kreis der Standesgenossen, der durch die nähere und häufigere Berührung sowie durch die Solidarität der socialen Interessen den bei weitem stärksten Einfluss auf den Menschen hat, einen so starken Einfluss, dass selbst für moralische Skeptiker, welche nicht nur mit der allgemeinen Volkssitte, sondern mit allen Gesetzen der Sittlichkeit vollkommen gebrochen zu haben glauben, oft genug die Standessitte unbewusst maassgebend bleibt. So ist es denn auch vornehmlich die Standessitte, an welche der moralische Skeptiker sich wieder enger anschliesst, wenn er das Bedürfniss fühlt, in dem einst vorschnell verlassenen Boden der Sitte neue Wurzeln zu schlagen.

Leider ist nur grade die Standessitte am wenigsten befähigt, einen sittlichen Halt zu gewähren, nicht nur weil, wie schon erwähnt, grade in ihr am meisten Unsitte Platz gegriffen hat, sondern auch, weil sie einen weit mehr äusserlichen, des ethischen Gehalts entbehrenden Charakter hat als die ursprünglich gemeinsame Volkssitte. Denn dieselbe fortschreitende Cultur, welche die Auflösung der Volkssitte in Standessitten bewirkt, schränkt auch das Gebiet der Sitte mehr und mehr ein, theils durch Erweiterung der Gesetzgebung und festere

Organisation der Kirche, theils durch Steigerung der Freiheit individualistischer Selbstgestaltung des Lebens. Wir können uns heute z. B. kaum eine Vorstellung davon machen, wie es möglich war, dass noch vor wenigen Jahrhunderten in unserem Vaterlande das ganze gesellige Verhalten bis auf die Form der Begrüssungsworte herab auf das Minutiöseste durch die Sitte geregelt war.

Es ist ferner charakteristisch, dass beim allmählichen Zerfressen der Sitte durch die Reflexion der Intellect durch den egoistischen Willen gestachelt wird, sich grade gegen die wahrhaft ethischen Seiten der Sitte zuerst und am nachdrücklichsten zu kehren; der Eigenwille lässt sich merkwürdig lange eine gleichgültige formelle Regelung seiner Aeusserungen gefallen, die von allen gleichmässig getragen werden muss, und sich in Folge von Vererbung und Gewohnheit kaum noch als Zwang fühlbar macht, aber er rebellirt gar zu gern gegen jede sachliche Einschränkung seiner Souveränität, die ihm eine sittliche Entsagung im Verfolgen seiner selbstsüchtigen Interessen auferlegt. So setzt sich denn namentlich in den von Reflexion zerfressenen, d. h. gebildeten Ständen die Standessitte hauptsächlich aus gleichgültigen Aeusserlichkeiten zusammen, während grade in dem ihr noch verbliebenen ethisch nicht indifferenten Rest die Unsitte auf's Ueppigste wuchert. Bedenken wir nun, dass es doch eben die Sitten dieser gebildeten Stände sind, denen der einen neuen sittlichen Halt suchende Mensch sich gegenüber sieht, so begreift man, wie wenig das Moralprincip der Sitte geeignet sein kann, eine solche Aufgabe zu erfüllen. Grade die aus der Standessitte folgenden unsittlichen Handlungen zu bekämpfen, bleibt eine Hauptaufgabe der Ethik, weil solche Handlungen nicht bloss im Eigenwillen wurzeln, sondern durch jenes Pseudomoralprincip der Sitte sich für sanctionirt und sittlich gefordert halten.

Nach alledem kann die Sitte nach einmal angetretenem Stadium der Reflexion nicht mehr als Princip der Sittlichkeit im höheren Sinne gelten; vielmehr brauchen wir ein anderes Princip der Sittlichkeit als festen Maassstab, um an diesem den sittlichen Werth der als einer bloss thatsächlichen Macht sich aufdrängenden Sitten beurtheilen zu können. Niemals aber darf das philosophische Denken sich durch die mit solcher Sicherheit auftretenden Prätensionen der Sitte beirren oder gefangen nehmen lassen.

Diess darf uns natürlich nicht hindern, den hohen Werth der Sitte für alle jene Völker, Stände und Individuen anzuerkennen, welche

sich noch unterhalb des Stadiums der Reflexion befinden, wie diess noch heute mit der Mehrzahl unserer Volksgenossen der Fall ist. Die Sitte gewöhnt den Menschen, sich einem ungeschriebenen Sittengesetz unterzuordnen, seinen Willen vor einer unpersönlichen, unfassbaren, unsichtbaren Macht zu beugen, und bereitet ihn dadurch in gewisser Hinsicht besser auf die Unterwerfung unter das unpersönliche ethische Gesetz vor, als aller Gehorsam gegen die Gebote einer persönlichen Autorität diess vermag.

Die Sitte hat aber auch für die Moralphilosophie noch eine Bedeutung, die bisher noch nirgends ihre rechte Würdigung gefunden hat, weil diese Seite der philosophischen Ethik überhaupt noch nicht gehörig in's Auge gefasst worden ist. Die Sitte ist nämlich wesentlich Sociale thik, nur unbewusste Socialethik, und die ausschliesslich auf der Sitte ruhende Sittlichkeit hat immer einen mehr objectiven als subjectiven Charakter, d. h. in der Sitte wird die Sittlichkeit nicht sowohl als Aggregat individueller Gesinnungsleistungen, als vielmehr als einheitliches Product der Gesammtthätigkeit der Volksseele hervorgebracht, wobei die Individuen nur Werkzeuge sind. Die Sitte ist ein Naturproduct des Volksgeistes, ganz wie die Sprache oder Mythologie; was wir als Naturproduct, d. h. als unbewusstes Erzeugniss des Volksgeistes für immer verloren haben, das müssen wir suchen als bewusste Hervorbringung des Volksgeistes wiederzuerzeugen. Nicht um Verbesserung der Sitten als eines Naturproductes handelt es sich für uns Denkende (wobei doch schliesslich nur beschnittene Hecken herauskommen können), sondern um Ersetzung der unbewussten Sitte durch eine bewusste Sittlichkeit, um Erstrebung eines idealen Gesellschaftszustandes, in welchem wir alles das und noch weit mehr mit Bewusstsein besitzen werden, was unsre Urväter unbewusst besassen. Mit andern Worten: die Betrachtung der Sitte selbst enthält die dringendste Aufforderung, nach einer Ethik zu streben, welche Individualethik und Socialethik in gleicher Weise in sich schliesst, nach einer Ethik, welche dem Bewusstsein des Einzelnen und der Gesammtheit vollen Ersatz für die verlorene Unschuld der Sitte gewährt, und, um diess zu können, selbstverständlich auf einem von der Sitte unabhängigen Princip gegründet sein muss.

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