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ihn betreten hätte; und welchen Tag unseres Lebens möchten wir bezeichnen, wo uns in dieser Beziehung kein Vorwurf träfe? Jenes Mißtrauen, das uns noch Alle erfüllt, ob die Menschen es redlich mit uns meinen, ist an sich selbst Beweis genug, daß wir uns kaum werden rechtfertigen können; denn allezeit ist der Aufrichtige auch arglos; Redlichkeit und Vertrauen stehen und fallen, schwinden und wachsen nach gleichem Maßstabe. Und der Umstand, daß eine absichtliche Berechnung unserer Unaufrichtigkeit im Ganzen selten zum Grunde liegt, daß wir uns dabei kaum etwas Arges denken, daß es die nichtigsten Beweggründe sind, um derentwillen wir uns unwahr oder halbwahr geben,- wie legt er doch ein so schmerzliches Zeugniß von den tiefen Wurzeln ab, welche diese Sünde in unserem Herzen geschlagen hat! Aber das Lob Jesu gegen den Nathanael geht dennoch über das Alles noch weit hinaus. Hätte er nichts weiter von dem nahenden Jünger zu rühmen gehabt, wer weiß, ob er alsdann mit so sichtlicher und ungetrübter Freude auf ihn hingeblickt hätte. Sehen wir davon ab, daß es Gemüther giebt, die mit der Aufrichtigkeit Neigungen verbinden, deren Verhüllen und Verbergen uns oft gewißlich lieber wäre; daß eine Offenheit denkbar ist, welche die Scham verlernt hat und sich bis zur ausgesprochenen Frechheit zu steigern vermag. Aber das lasset uns betonen, daß eine Tugend, die für das gedeihliche brüderliche Zusammenleben allerdings die höchste Bedeutung hat, unmöglich die Eigenschaft seyn könne, welche der Meister an einem angehenden Jünger vornemlich sucht und an deren Entdeckung er sich inniglich erquickt. Es giebt auch eine innere Aufrichtigkeit, eine innere Wahrheit, die frei von Verstellung, frei von Verstecktheit vor dem Angesichte Gottes und vor dem Auge des eigenen Gewissens das wahre Herz, das ganze Herz will offenbar werden lassen, jeden Schleier, alle Falten hasset und verschmäht; jene Wahrheit, welche der Herr in dem großen Worte an Pilatus als die Bedingung bezeichnet hat, unter der man seine Stimme als Gottes Stimme hören und

verstehen, unter welcher man sein gläubiger Jünger werden könne. Die Schrift setzt uns dazu in den Stand, uns zunächst an einzelnen Beispielen darüber zu verständigen. Sie verlangt die Aufrichtigkeit in der Erkenntniß und im Bekenntniß der Sünde. Darin begehrt sie, daß wir nicht nur tief und lebendig, wahrhaftig und inniglich der begangenen Schuld uns bewußt und ihrer geständig seyen, sondern zugleich auch, daß wir die ganze Schuld, ohne Einen Titel derselben zu verhehlen, offen und rückhaltslos von dem Lichte strafen lassen; wahr und vollständig, soll unser Bekenntniß jene Tiefe und Breite haben, welche der große Büßer des alten Bundes in der Seligpreisung Dessen verfaßt, in deß Herzen kein Falsch sey (Pf. 32, 2.) Die Schrift verlangt ein aufrichtiges Vertrauen auf den Herrn, und sie läßt darüber keinen Zweifel, daß ebensowohl die Zunigkeit und Tiefe, mit der wir uns gründen auf den Fels des Heils, mit der wir trauen unter dem Schatten der Flügel des Allmächtigen, als auch die Ausschließlichkeit darunter begriffen seh, mit welcher wir alles andere verschmähen, was uns Schutz und Sicherheit verheißt, auf daß wir unbedingt dem Fluch der Thoren entgehen, welche Fleisch für ihren Arm achten. Die Schrift fordert eine Gottesliebe von ganzem Herzen und aus allen Kräften: sie meint jene aufrichtige Liebe, welche theils wahrhaft empfunden, theils aber auch jedem andern Gegenstande versagt wird, so daß Gott allein das ungetheilte Herz besize. Es sind dieß Beispiele, an welchen wir das Wesen der Aufrichtigkeit kennen lernen können. Natürlich, bloß in solch' einer einzelnen Beziehung hat der Heiland sein Wort über den Nathanael nicht gemeint. Es lautet viel zu allgemein und umfassend, als daß es etwas geringeres bezeichnen könnte, denn die Wahrheit und Einfalt seines gesammten inneren Lebens, nach der Regel der Verheißung: wenn dein Auge, dieß Licht in dir, einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht seyn. Fürwahr, ein hohes Lob! Hat es Der ertheilt, welcher ins Verborgene sieht und nicht bedarf, daß Jemand ihm Zeugniß gebe

von einem Menschen, -wer sind wir, daß wir gemein machen sollten, was er gereiniget, oder verdächtigen, was er betheuert hat! Aber soll uns der Jünger zum Erempel dienen, so kann der Machtspruch der bloßen Thatsache uns nicht genügen, sondern ein tieferer Blick in die Entstehungsgeschichte dieser Aufrichtigkeit ist uns unabweisliches Bedürfniß.

Dasjenige nun, worauf wir uns aufs Erste aufmerksam machen wollen, scheint, statt zur Lösung der Frage zu frommen, ihre Erledigung wesentlich zu erschweren. Die wir daran gewöhnt sind, alles Gute, was wir haben und empfangen, von der einigen Quelle des Lebens, von Christo unserem Haupte abzuleiten, wir sagen es mit zwiefältiger Entschiedenheit, daß auf feinem anderen Wege in unser widerspruchvolles, ungeordnetes und unwahres inneres Wesen Licht und Klarheit kommen könne, als wenn Der unser Herzenskönig wird, der alle Vernunft, alle Empfindungen und Kräfte unter seinen Gehorsam gefangen nimmt und so den Frieden eines wohlgeordneten Gemüths herbeiführt. Aber was dünkt euch? Der Heiland fällt jenes Urtheil über den Jünger, ehe derselbe noch irgend welche heilsamen Einflüsse von ihm erfahren hatte. Die Aufrichtigkeit brachte er bereits zu Ihm herzu! Und doch weiset diese scheinbare Erhöhung der Schwierigkeit den Weg zum vollen Verständniß. So meint der Herr also unter der hier gerühmten Aufrichtigkeit eine Gemüthsstellung, die seinem Einzuge in die Seele vorausgehen müsse; die mithin für das Herz des Einzelnen der allgemeinen, das Große und Ganze angehenden Forderung entsprechen wird, daß alle Thäler erhöhet, alle Hügel erniedriget werden sollen. Die nähere Deutung geben die vorliegenden Worte selbst. Siehe ein rechter Israelit, in welchem kein Falsch ist. Es ist begreiflich, wenn unser Auge vorzugsweise an dem letzten Worte haftet; aber der Herr selbst hat doch nicht auf diesen Zusaß, sondern auf den Titel den Hauptton gelegt, welchen er dem Nathanael ertheilt. Die Aufrichtigkeit will nur die Erläuterung der Würde eines Israeliten seyn. Ihr wisset, wie das göttliche

Wort den wahren Israel, den Israel dem Geiste nach, von dem bloß scheinbaren, schattenhaften, der auf diesen Namen keinen begründeten Anspruch habe, unterscheidet, wie es die rechten Abrahamskinder den unehelich geborenen, den Bastarden entgegensetzt. Was zeichnet nach dem Urtheil des h. Paulus den Israel Gottes aus? Es sind die Kinder der Verheißung, welche er unter diesen Ausdruck begreift, die Kinder, welche harren auf die Herrlichkeit Jerusalems, und saugen und satt werden. von den Brüsten ihres Trostes. Ihr habt es noch frisch im Gedächtniß, wie wir das Wesen der Aufrichtigkeit nach ihrer Tiefe und Höhe, nach ihrer Breite und Länge beschrieben haben. So wird denn der ein rechter Israelit seyn, dem die Erschei nung des Verheißenen nicht nur ein tief inniges, sondern dem es zugleich das einzige Bedürfniß war, welches seine ganze Seele erfüllete; dieß sein ausschließliches Interesse, sein Lebenselement, seine Lebensluft, seine Speise und Trank, sein Licht und Trost. So viel liegt in der That in dem einfachen Namen. Israel war nichts in der Gegenwart, es wies und wurde gewiesen auf die Zukunft. Durch die Verheißungen war es ausgezeichnet; in den Verheißungen stand sein Ruhm und seine Größe; von seinen Verheißungen sollte es leben. Was hat Israel voraus? oder was müßt die Beschneidung? so fragt der Apostel; und nachdem er alle Ansprüche zurückgewiesen hatte, welche Gottes Volk in Kraft des empfangenen Gesetzes erheben, oder welche es gar auf sittliche Vorzüge begründen möchte; nachdem er es mit aller Entschiedenheit ausgesprochen, es sey hier kein Unterschied, Juden und Griechen seven allzumal Sünder und mangelten des Ruhmes, fügt er dennoch hinzu: Israel hat viel voraus, weil ihm die göttliche Verheißung vertraut worden ist. Nicht das Haben, sondern das Hoffen; nicht das Sattseyn, sondern die verheißene Speise; nicht das gegenwärtige Glück, sondern der zukünftige Trost war Israels Herrlichkeit; der aber war kein rechter Zsraelit, der trug seinen Namen nicht in der That und Wahrheit, dessen Herz nicht in das

Verlangen und in die Hoffnung aufging, daß die Nacht vergebe und Gottes Glanz aus Zion hervorbreche. Alle Anstalten, die Der Herr unter seinem Volke getroffen, hatten keinen anderen Zweck, als die Sehnsucht zu wecken und die Hoffnung zu beleben. Das war die Bestimmung des Gesezes, welches weder Gnade noch Wahrheit zu spenden vermochte; das die Bestimmung der Propheten, von dem ersten bis auf Johannes den Täufer, so haben sie selbst ihre Mission verstanden und beschrieben. Und wo nun in einer Seele diese von Gott eröffnete Aussicht der einzige lichte Punkt war, in dem sich alle Strahlen sammelten, und von dem aus alles beurtheilt wurde, was irgend geschah, wo sie jede Regung und Lebensbewegung des Herzens bestimmte und bedingte: da war das Bild eines rechten Israeliten verwirklicht. In diesem Sinne war es ein Simeon, dem wir es Alle anmerken, wie er ein ganzes langes Leben hindurch allein von der Hoffnung gezehrt hatte, und welchem, wenn irgend Einem, deßhalb die Erquickung zu gönnen war, die er an des Grabes Rande genoß; in diesem Sinne war es auch der Nathanael. Wie aber? als solcher soll er uns zur Lehre und zur Ermunterung dienen? Zwar die Anerkennung wird nicht leicht Jemand versagen, daß der Herr, welcher das Leben und volle Genüge geben will, auch das innige Verlangen eines ungetheilten Herzens begehren darf. Aber wer kann sich das doch geben! Ein Hinaufschrauben dazu, ein. Rennen und Laufen darnach wäre ja an sich selbst ein gemachtes und unwahres Wesen. Ein Mensch kann sich nichts nehmen, es sey denn, daß es ihm gegeben werde von oben. Aber ob es nicht vielleicht schon vorhanden, nur durch uns selbst unterdrückt, durch unsere Schuld verkümmert ist? Wohl heißt Jesus die Erscheinung des Nathanael als eine seltene Ausnahme willkommen, aber eine eigenthümliche Gabe war doch gerade ihm nicht ertheilt, während sie Anderen verhalten worden wäre; sondern so Viele den Namen der Israeliten trugen, sie sollten ihn alle rechtfertigen, denn Gott hatte die Bedingungen dazu verschafft; sie konnten ihn Alle

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