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solche Begebenheiten, glaubte der kindliche Mensch, gehen wirklich da oben vor, wo wir Wetter-Erscheinungen sehen. Sie sind der eigentliche Inhalt seiner Auffassung der Wirklichkeit.

Sie wurden erzählt von Geschlecht zu Geschlecht. Die Erkenntniß der Menschen schritt aber vor. Die Grenzlinie zwischen Lebendem und Leblosem, zwischen Thier und Mensch, die man zuerst nur sehr schwach und unbestimmt gezogen hatte, trat immer schärfer hervor. Die äußern Erscheinungen wurden also nach langer, langer Zeit allmählich in ganz anderer Weise aufgefaßt. Die Wolke und der Blizz wurden nicht mehr je nach ihrer Gestalt oder Farbe bald für dieses bald für jenes ungeheuerliche Thier gehalten, sondern für etwas ein für allemal Bestimmtes, eine besondere Art von Wesen, welches man auch immer mit demselben Worte Wolke, Blizz nannte. Im Aufgange und Untergange der Sonne sah man nicht mehr die Geburt und den Tod eines Helden, sondern das Schwinden und die Wiederkehr desselben lichten Wesens. Die mythischen Erzählungen aber, mit denen früher jene Erscheinungen erfaßt waren, wurden nicht um so weniger unaufhörlich erzählt, nun jedoch nicht mehr so verstanden, wie sie ursprünglich gemeint waren. Was sie bei ihrem Ursprunge bedeuteten, das war deswegen ganz aus dem Bewußtsein geschwunden, weil das Geschehen, dessen Erklärung sie gaben, jezt ganz anders verstanden ward. Die Beziehung, in welcher sie zur Natur standen, war vergessen; und so waren sie aus ihrem wesentlichen Zusammenhange herausgerissen, und gingen als bedeutungslose, eigentlich unverstandene Geschichten von Mund zu Mund, an welchen man sich erfreute. Dabei wurden sie immer lebendiger, immer mehr dem ästhetischen Interesse entsprechend umgestaltet, combinirt, fortgeführt. Da sie aus der ihnen eigentlich zukommenden Localität, dem Bereiche dort oben, herausgerissen waren, so gab man ihnen den irdischen Boden als

Schauplah, sei es einen Götterberg, wie den Olympos, sei es auch einen bestimmten Ort in der Nähe des jedesmaligen Erzählers. Wer jener Jäger, jene Jungfrau, jener Räuber u. s. w., wovon man erzählte, ursprünglich war, daß sie z. B. Ausdrücke für Gewitter-Erscheinungen waren, das wußte man nicht mehr. Sie mußten vor alten Zeiten gelebt haben, meinte man natürlicherweise; es waren Götter oder Könige früherer Geschlechter, ihre Gattinnen und Töchter und deren Feinde, wovon man eräblte. So erlitt der Mythos allmählich das Schicksal, daß die in den Wetter-Erscheinungen sich fortwährend wiederholenden Thaten himmlischer Persönlichkeiten für einmalige Begebenheiten unter Göttern oder Menschen gehalten wurden. Statt daß man urfvrünglich beim Anblick des Gewitters sagte: dieses Wesen thut jenem dies und das, sagte man in späterer Zeit: irgend einmal that eine so oder so benannte Person einer andern Person oder einem Thier das und das. Die Menschengeschlechter, in denen fich solcher Wandel des Mythos vollzog, blieben in ihrer Naivität chue jedes Bewußtsein darüber, daß in ihrem Geiste sich etwas geändert habe, daß alte Erzählungen umgestaltet worden. Ferner jezte man stillschweigend voraus, was zu einander zu passen icheint, das müsse auch wohl zu einander gehören. Kennt man eine Localität, die sehr geeignet ist, als Schauplatz einer jener Begebenheiten zu dienen, so wird sie auch unmittelbar dafür anerfannt und gilt als Beweis der Richtigkeit und Wahrheit der Erzählung. In diesem Lande muß jene gepriesene Persönlichkeit als Herrscher gelebt, an dieser Stelle seine That vollbracht haben. Kennt man einen wirklichen Menschen, etwa einen vor nicht langer Zeit verstorbenen König, der einer solchen Heldenthat, wie tiejenige ist, welche von einer mythischen Person erzählt wird, mohl für fähig gehalten werden kann, so wird sie ihm auch ohne Weiteres zugeschrieben; an Stelle des halb vergessenen mythischen

Subjects, an dem man kein Interesse mehr hat, schiebt sich unvermerkt durch einen Gedächtnißfehler der weit gepriesene König. Solche umgestaltete Mythen, welche ehemals in der Luft schwebten, nun aber in der nächsten Nähe des Erzählers localisirt sind, und deren Persönlichkeiten wie geschichtliche Menschen auftreten oder gar mit solchen verschmolzen sind, nennt man Sagen.

Man kann es sich wohl leicht vorstellen, wie die mannichfachen Formen der meteorischen Erscheinungen zu vielen Mythen Veranlassung geben, und wie dann weiter ein und derselbe Mythos in vielen Sagen umgestaltet und daneben doch auch in seiner ältern Gestalt als Mythos erhalten werden konnte. Völker von vorzugsweise regsamer Phantasie, wie die Griechen, die Germanen, besigen daher einen unerschöpflichen Reichthum an Sagen und auch an Mythen. Das Schicksal derselben war wie von Anbeginn, so auch weiter nicht das gleiche. Einige Mythen wurden von der Religion ergriffen und gewannen Bedeutung für das Dogma und den Cultus. So wurden sie von Priesterschaften in ursprünglicher Form bewahrt, oder auch nach den Anforderungen der religiösen Vorstellungen modificirt, zum Symbol gestaltet und dadurch geheiligt. Das Volksbewußtsein aber konnte solche Mythen, wie andere, die ohne Bedeutung für die Religion geblieben sind, in Sagen umgestalten. Traten nun später Dichter auf, so griffen diese solche Sagen heraus, die am meisten das ästhetische und auch das sittliche Interesse befriedigten, und behandelten sie rein nach Rücksichten der Poesie und der poetischen Gerechtigkeit. Andere Sagen wurden für wirkliche Geschichte genommen, wie die von Romulus, dem angeblichen Gründer Roms, oder wie die, welche sich um den Untergang Trojas gruppiren. Vor alter Zeit haben gelehrte Männer das Jahr berechnet, in welchem jene Ereignisse vorgefallen sein sollten;

fie glaubten es genau herausgebracht zu haben. Sie wurden von dem Scheine der Wirklichkeit getäuscht, welche jene Sagen vor sich her tragen. Andere Sagen wurden weder von Priestern, noch von Dichtern, noch von Historikern beachtet; sie blieben dem Volke anheim gegeben bis heute, wo sich die mythologische Wissenichaft ihrer annimmt und sie sammelt. Sie finden sich im Munde des niedern Volkes aller Orten, in Gebirgen und im ebenen Flachlande, und werden an Felsbildungen, an alte Schlösser oder Teiche und Seen geknüpft. Manche Mythen wurden ganz unter die Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft gesetzt, jedoch ohne an einem bestimmt genannten Orte und unter bestimmt benannten Personen zu spielen: so wurden sie zu Märchen. Im Märden giebt es wohl Könige, Königinnen und besonders Prinzeinnen und eine ganze menschliche Gesellschaft, Diener und Dienerinnen, treue und treulose; Väter und Mütter und besonders Stiefmütter u. j. m.; aber alle sind ohne Namen, und fie waren einmal, ohne daß gesagt würde, wann und wo. Wir kennen diese zum Theil tief innerlichen, wirklich poetischen Erzählungen, mit denen wir heute noch unsere Kinder und auch uns selbst erfreuen. Wir erinnern uns hier aber auch wohl der gruseligen Geschichten, des eigentlichen Aberglaubens, welche in der ehemaligen Spinnstabe die Gemüther erregten.

Das Schicksal des Mythos, welches ich hiermit in weiten Umrissen gezeichnet habe, mag nun noch ein Beispiel erläutern. An tausend Orten erzählt man unter abergläubischem Grauen von einer weißen Dame, einer Frau oder Jungfrau, welche in Burgen oder Schlössern in der Mitternachtsstunde umgeht, in weißem Kleide, welches, etwas gehoben, einen blaugrauen Unterred zeigt, mit einem Lichte oder einer Laterne in der Hand, den Schlüsselbund an der Seite. Das Volk, von welchem sie oft genug gesehen worden ist, wie man fest versichert, weiß auch,

wer diese Dame ist, wie sie im Leben hieß, und was sie ver= brochen und erlitten, weswegen sie so verdammt ist, und auch wohl wie sie erlöst werden könnte. Der Mythologe aber weiß, daß diese weißen oder vielmehr blaugrauen Frauen wirklich von sehr edlem Geschlechte sind; denn es sind die Nachkommen einer sehr nahen Verwandten der Göttin Athene, der Burgfrau der Akropolis von Athen, die ebenfalls mit einer Lampe versehen und Schlüffelbewahrerin ist. Dieses Geschlecht war nicht nur edel, sondern auch ausgezeichnet durch Schönheit. Helena, die auf der Burg des Priamus gefangen gehalten wird, Brunhild oder Sigurdrifa, die vom Dorn gestochen in der glutumgebenen Burg im festen Schlafe lag, bis sie von Sigurd oder Siegfried, der durch die Flammenmauer zu ihr dringt, geweckt wird, und endlich das liebliche Dornröschen: sie alle sind aus derselben Familie; derselbe oder ein verwandter Mythos hat sie erzeugt. Eben so ist der genannte Siegfried, der Drachentödter, ein Doppelgänger des Apollo, und so sind es alle jene Helden, von denen die Völker rühmen, daß sie den Drachenkampf bestanden haben.

Diese Erinnerung an Helena und Brunhild genügt, um zu zeigen, von welcher Wichtigkeit die aus dem Mythos entwickelte Sage für die Poesie ist. Nicht nur einzelne Gleichnisse und Bilder, nicht bloß den kleinen, wohl zu entbehrenden Schmuck gewährt der Mythos, sondern die Fabel, den Stoff für die großze epische Dichtung der Völker: so für Homer und die Nibelungen und den Gesang von Roland. Und nicht nur die dramatischen Dichter des alten Athen überdichteten Mythen und Sagen, sondern auch Shakespeares tiefste Tragödie, Hamlet, ist jenem Kreise entsprossen. Hamlets Stammbaum führt nach sehr wenigen Mittelgliedern auf Götter zurück. Auch gehören hierher, wiewohl ferner stehend, Macbeth und auch Romeo und Julie.

So lebt der Mythos bis heute fort in der Poesie, in Sagen,

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