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Matthäus, und ebenfalls durchaus nicht aus eigener Anschauung hervorgegangen, da Lucas, ein Begleiter des Paulus, auf dessen vielfachen Reisen sein Evangelium aus einer Compilation von Daten aus dem Matthäus und einer aus Paulinischen Lehrbriefen herrührenden Grundschrift zusammenstellte, zu welcher dann als Bindemittel eigenes Phantasiematerial hinzugethan sein mag, wie dies so manche, nur ihm eigenthümliche Momente vermuthen lassen; es sei denn, daß er hie und da in den jungen Christengemeinden Sagen erkundet und benußt, oder aus Apokryphen geschöpft haben mag, die ihm sehr bekannt gewesen zu sein scheinen, da er im Eingange seines Evangeliums es selbst mit den Worten andeutet:,,Sintemal sich Viele unterfangen haben 2c.“

Die erwähnten Paulinischen Lehrbriefe waren in jenen Tagen unter der Bezeichnung,,Evangelium Marcions" bekannt: eine unbekannte Persönlichkeit, deren Schrift dem Lucas aber gut zu Statten gekommen zu sein scheint, um die Tendenz einer Vermittelung zwischen den Judenund Heiden-Christen anzustreben. Namentlich fühlt es sich leicht heraus, daß er mit einer ängstlichen Beflissenheit die älteren messianischen Weisfagungen den geschichtlichen Daten des Lebens Jesu anzupasseu bemüht gewesen, um dadurch den neuen Lehren einen erhöhten Ausdruck der göttlichen Vorherbestimmung zu geben. Hat dieses Moment allerdings eine ausschließlich christliche Färbung, so tritt er (der Evangelist) doch anderweit auch wieder vielfältig als Kosmopolit auf, der alle Völker der Erde des christlichen Heils theilhaftig werden lassen möchte und in diesem Sinne feindlich gegen die Engherzigkeit des Judenthums angeht, wie denn nicht zu leugnen, daß die wirklichen Gesinnungen und Reden Jesu im Lucas vielfach ihren Ausdruck finden.

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Wir haben nunmehr noch das vierte Stück der historischen Quellen für Jesu Leben und Wirken zu betrachten. Von vorn herein wiederhole ich, daß schon die Zeit der Entstehung dieser Schrift gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts — die physische Unmöglichkeit darthut, daß der Jünger Johannes, wie man es so gern glauben machen möchte, der Verfasser derselben sein könne; denn wenn dieser auch sehr alt wurde, und zwar so alt, daß er zuleßt nicht mehr predigen. konnte, sondern sich auf die Kanzel tragen ließ, und mit schneeweißem, bebendem Haupt nur die Paar Worte sprach: „Kinderchen, liebt euch, Amen!" und dann wieder heruntergetragen wurde, so hat er doch gewiß nicht das Alter von 180 Jahren erreicht.

Darüber kann es also zweierlei Meinungen nicht geben, daß das Johannes-Evangelium von einer andern Persönlichkeit herrührt. Gern mag dieselbe ebenfalls den Namen Johannes geführt haben, denn es

gab der Männer dieses Namens eine große Menge; aber hinsichtlich der historischen Zuverlässigkeit ist doch auch dieses, in anderer Beziehung sehr geistreich geschriebene Evangelium von keinem Werthe, da auch seine Quellen lediglich der Tradition angehören. Der geniale Verfasser dieser Schrift bekannte sich, seinem Bildungsgange nach, augenscheinlich zu der griechisch-philosophischen Schule, die ihm auf dem Wege der Allegorisirung die Mittel darbot, den an sich geringen geschichtlichen Kern für eine göttlich erhabene, Welt-umspannende Idee zu verwerthen, als deren Wurzel der unbekannte große Denker auch sofort am Eingange die ewige, hier freilich mystisch eingekleidete Wahrheit hinstellt: Im Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfange bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht und ohne dasselbige ist Nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsterniß, und die Finsterniß haben's nicht begriffen.“ Und V. 14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns 2c.“

Hier haben wir den erhabensten philosophischen Gedanken, der je mals aus einem christlichen Hirn zum Licht geboren wurde; nur hat Luther das griechische Substantiv Logos leider durch „Wort“ überseßt, da es, um den Gedanken faßbar und verständlich zu machen, doch heißen mußte: „Im Anfang war die Vernunft, und die Vernunft war bei Gott, und Gott war die Vernunft." Denn man muß wissen, daß Logos Beides: die Sprache (das Wort) und zugleich (sinnverwandt) die Vernunft bedeutet, da es ohne Sprache keine Vernunft giebt und geben kann. Der Evangelist Johannes will also mit dürren Worten jagen: Vom Uranfang an, ehe die sichtbare Welt entstand, war schon die höchste Vernunft und gleichbedeutend mit ihr der der That vorausgehende Gedanke vorhanden, und dieser Gedanke lag in Gott, und Gott war der Gedanke. Aus und durch diesen Gedanken wurden alle Dinge geschaffen, so auch das Leben, die Bewegung, und eben an dem Lebendigen sollte und konnte der Mensch den höchsten Gedanken, Gott, erkennen; er war das Licht des Menschen, daran seine Erkenntniß reifen konnte, das aber die verfinsterte Menschheit nicht begriffen, die Erkenntniß Gottes auf diesem Wege, aus der lebendigen Natur, das hat ihr nie gelingen wollen u. s. w. — Ich verspare mir die weitere Ausführung für das Ende dieses Werks, wo ich den christlichen Mythos in seinem Grundgedanken erfassen, zerlegen und als einzige Religion der Zukunft darstellen werde, indem (anknüpfend an das Johannes-Evangelium) das Christenthum seiner wahren Bestimmung entgegengeführt wird. — Das Ausführliche: der mythische Christus wird uns im zweiten Bande beschäftigen.

Clemens, Jesus I.

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Für jezt kehren wir zu der Lebensgeschichte Jesu zurück, als deren Hauptleitfaden uns allerdings die Evangelien, die canonischen wie die apokryphischen, und zwar schon der unabweisbaren Kritik halber, werden dienen müssen. Aber es wird im Ganzen unseré Aufgabe sein, dem Leser einen Scheidungsprozeß zwischen Wirklichkeit und Phantasie darzulegen, in welchem die Schlacken der letteren von dem lauteren Golde der ersteren sich trennen und als verwerflich zu Boden fallen werden.

13.

Jesu Verhältniß zu einer politischen Verschwörung.

Um nun, auf den leßten und wichtigsten Abschnitt des Lebens Jesu eingehend und allen angelernten und aufgedrungenen religiösen Vorurtheilen entsagend, den richtigen Standpunkt zu gewinnen, sei im Voraus bemerkt, daß den großen Weisen, der als solcher von allem Volk erkannt und geehrt, von einer gewissen Partei aber gefürchtet wurde, eine große politische Intrigue umspielte, die an der eisensesten, gepanzerten Redlichkeit Jesu scheiternd und somit zum Haß gegen ihn umschlagend, das versagende Werkzeug auf die schmählichste Weise fallen ließ und vernichtete.

Die Evangelisten, denen es vor Allem am Herzen lag, Jesus als den von den Juden erwarteten Messias einzuführen, ergreifen mit einer gewissen hast die Gelegenheit, wo Jesus sich von Johannes taufen ließ, um ihm auf wunderbare Weise das Zeugniß dieser Würde aus den Wolken, vom Himmel herab zurufen und vor den Ohren des Volkes verkünden zu lassen. Es bedarf aber für den mit der Geschichte bekannten denkenden Leser eines solchen zweideutigen Zurufs aus den Wolken nicht (wenn derselbe, als übernatürlich, ohnehin nicht als Märchen verworfen werden müßte, da in jener Zeit der Luftballon noch nicht erfunden war und sonst keinem des Zurufs fähigen Wesen ein Siß in den Wolken eingeräumt werden konnte), um Jesus als einen Befreier der Menschheit von Irrthum und Wahn anzuerkennen.

In dem nunmehr beginnenden Drama haben wir die öffentliche Thätigkeit Jesu in anderer Weise zu charakterisiren, als durch jenes Phantasiestück judenchristlicher Epigonen aus dem zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Jesus nahm nämlich zu jener Zeit, in welcher die eigentliche Geschichte seines Lebens und Wirkens beginnt, einen

anderen Standpunkt unter den Juden ein, als uns die theologischen Nachtreter glauben machen wollen. Es war in jenen Tagen die Situation des jüdischen Volkes, der römischen Herrschaft gegenüber, durch politischen Druck so ungemein peinlich geworden, daß sich der Nation, schon durch den gebeugten Stolz ihrer göttlichen Bevorrechtung, die düsterste Stimmung bemächtigt hatte; mit Zagen sah man den verhängnißvollen Augenblick herannahen, wo auch der letzte Schimmer nationaler Selbstständigkeit erlöschen und man nichts mehr als ein gehorsamer Sklave der Römer sein würde.

Die Besseren im Volk fannen daher auf Mittel, wie eine jolche Katastrophe abzuwenden sei. Von den Notabeln der Nation wurden bereits im Stillen Versammlungen abgehalten, in welchen man diesen hochwichtigen Gegenstand einer eingehenden Besprechung unterzog. Jesus, als Rabbi (was in unsern Zeiten etwa einem Doctor der Theologie gleichkommen möchte) und längst zum Mitgliede des Sanhedrin, einer besonderen Art jüdischen Gerichtshofes, ernannt, erhielt eines Tages die Einladung zu einer außerordentlichen Versammlung, welche, um den eigentlichen politischen Zweck zu verdecken, unter dem Vorwande veranstaltet wurde, daß man einen neuen Brustschild für den Hohenpriester, der seit dem ersten Eril nicht wieder angeschafft worden war, anfertigen zu lassen beabsichtige. Die Parole für den Einlaß war: .,Urim metumin," der hebräische Name für jenen Schild. Nebenbei wurden auch alle Eingänge des Tempels, in einem von dessen Sälen die Versammlung stattfand, von der Tempelwache jorgfältig bewacht, damit kein Unberufener eindringen möchte.

Anwesend waren: der Hohepriester als Präsident, ihm zur Seite mehrere andere Priester, dann Rabbinen der verschiedensten Fractionen und Mitglieder des Sanhedrin.

Ueber diese interessante Sizung sind uns in alten hebräischen Manuskripten Berichte überliefert, die über das Vorgefallene überhaupt und somit auch über den Antheil, welchen Jesus daran nahm, ziemlich genaue Data bringen, von denen natürlich die einfachen Evangelisten in ihrem ganzen Umfange keine Ahnung hatten, wenn auch (wie ich unten. näher erörtern werde) bei Lucas einige leise Andeutungen nicht fehlen.

Es scheint, daß Jesus heute zum ersten Male Theil an einer solchen Versammlung nahm, denn einer der Würdenträger machte ihn eingänglich mit dem Zwecke derselben bekannt, indem er die trostlose politische Lage des jüdischen Volkes, den Römern gegenüber, darlegte. Jesus gab das Thatsächliche der Situation zu, erklärte aber, keine Mittel zu kennen, die dem Uebel abzuhelfen vermöchten, und erbat sich Aufklärung,

ob er sich hier wirklich in einer Gesellschaft Verschworener befinde und wie man dazu komme, seine Mitwirkung zu beanspruchen? :1

Der Redner legte nun dem erstaunten Rabbi folgendes Nähere über den Plan vor, zu dessen Verwirklichung die Verschworenen sich vereinigt hätten, und sprach dem Sinne nach ungefähr Folgendes:

,,Du weißt, Rabbi, daß Gott uns durch den Mund der Propheten einen Erlöser (Messias oder Befreier) verheißen hat, der, wie einst David, ein Gejalbter des Herrn sein werde. Lange schon haben wir vergebens auf die Erfüllung dieser Verkündigung gewartet und sind daher zu der Ueberzeugung gekommen, daß ohne unser Zuthun niemals jene Verheißung sich erfüllen und der ersehnte Messias, der Erlöser von^ römischer Knechtschaft, unter uns erscheinen werde, daß aber einem solchen Auserwählten, der den Muth hätte, diese Würde zu beanspruchen, die Kraft und der Schuß Gottes zur Seite stehen würden. Zugleich hat sich uns die Ueberzeugung aufgedrängt, daß Niemand diese große Idee mit mehr Aussicht auf Erfolg ins Leben zu rufen geeignet sei, als eben Du, hochbegabter Rabbi. Ungewöhnliches Ansehen und allgemeine Achtung im Volke zeichnen Dich aus. Alle Welt jauchzt Dir, wo immer Du erscheinst, Beifall zu, und allgemein anerkannt sind Deine seltenen Geistesgaben, wenn auch der Gebrauch, den Du im Geiste des Umsturzes davon machst und der Deine Lehren und Vorträge bezeichnet, vielfach und mit Recht gerügt und getadelt wird. Auch stimmt Deine Geburt und Abkunft aus dem königlichen Stamme mit den Worten der heiligen Propheten; selbst die Lehren und Verkündigungen des Johannes am Ufer des Jordan von der nahe bevorstehenden Ankunft des Messias kommen uns zu Statten. Unsere Macht wird Dich decken und das Volk Dich als den göttlichen Gesandten anerkennen; darauf wird die Gewalt Deiner Zunge Dein Ansehen befestigen. Die edelsten Töchter der Nation stehen Deiner Wahl frei, um eine Dynastie zu gründen, und für das Weitere laß Gott und uns sorgen.“ So sprach der Redner.

,,Auf Euren Antrag eingehen, hieße mich dem sicheren Verderben überliefern," antwortete der Ueberraschte,,,denn die römische Regierung würde Hochverrath darin erblicken, und an einen Erfolg Eurer Absicht ist nicht entfernt zu denken."

Der Sprecher suchte nun in längerer Auseinanderseßung die Folgen einer solchen Erhebung im günstigsten Lichte darzustellen. Er legte den ganzen Plan der Verschworenen offen dar, aus welchem hervorging, daß man schlimmsten Falls entschlossen sei, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, und daß waffenkundige Männer bereit ständen, sich sofort an die Spitze zu stellen, wenn der Moment der Erhebung gekommen sei.

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