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Daß solche unbegriffene Reden Jesu nicht ohne Widerspruch bleiben konnten, ist selbstverständlich; gerade durch diesen gerügten Widerspruch aber redete er sich in sein System immer tiefer hinein und gipfelte sich endlich sogar bis zu dem kühnen Vorwurf hinauf: ,,welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubet ihr mir nicht?”

Nun ließe sich über den Begriff „Sünde“ ein langes und ernstes Wort sprechen, welches uns aber zu weit von unserem Ziele abführen würde. So viel aber liegt am Tage, daß Jesu Theorie von der Fleisch gewordenen Vernunft durch das Merkmal der thätigen Liebe keine leere Redensart war, daß er sie vielmehr Tag für Tag zur Wirklichkeit machte, indem er seinen Mitmenschen durch Lehre und Krankenheilung, ohne dafür ein anderes Entgelt als nur Glauben an seine Worte und Nachfolge in thätiger Menschenliebe zu fordern, unablässig Wohlthaten erzeigte und bei dieser Forderung seiner Lehre mit dem schönsten Beispiele voranging.

Mir gebricht zwar der Raum, die in Vorstehendem gelieferte Lösung der wundersamen christlichen Dogmen in allen einzelnen Fällen nachzuweisen, aber dem denkenden Leser wird es nicht schwer fallen, sich selbst darin fortzuhelfen, sobald er sich überhaupt für dergleichen religiöse Enthüllungen interessirt. Jesus fühlte die Schwierigkeit, ein Verständniß zu erzielen, sehr wohl, denn er wiederholte häufig, daß er noch viel zu sagen habe, aber die Hörer noch unfähig seien, es zu verstehen. Und so ist es noch heute!

Bevor ich dieses schwierige Thema verlasse (das übrigens in meinem Werke: „Endlicher und vollendeter Friedensschluß zwischen Vernunft und Christenthum" [f. d. II. Theil dieses Werks] um= faffender behandelt wurde), will ich noch einige bedeutungsvolle christliche Gnadenworte im Lichte der Vernunft erläutern, die ebenfalls viele Jahrhunderte lang als durchaus mißverstandene Gnadenwahrheiten im Volk kolportirt wurden und in ihrer falschen Auffassung das größte Uebel unter den Menschen angestiftet haben..

An der Spiße dieses religiösen Aberglaubens, ja man möchte sagen Wahnsinns, steht die Theorie der Erlösung des Menschen durch Blut von aller Sünde und Schuld. Dieses verfängliche Kapitel ist so oft und vielfach durchgearbeitet, durchknetet und den geistigen Säuglingen als Lockspeise vorgehalten, daß es nicht zu verwundern, wenn die denkfaule Menschheit, dadurch moralisch eingeschläfert, sich allmählich beruhigte und die ungemein bequeme Entsündigung durch Christi Blut endlich für baare Münze genommen und sich wirklich für reingewaschen gehalten hat.

Daß sich das Christenthum hiermit bei allen Bekennern anderer Religionen, wie auch bei denkenden Christen ungemein geschadet, ist ebenso gewiß als natürlich. Die Gegner dieses absurden Dogma's aber brachten es nicht weiter als bis zur einfachen Abweisung, zur Negation, ohne auch nur zu ahnen, daß demselben in der That eine tiefe, unabweisbar richtige, allgemein gültige und in der Natur der Dinge begründete Wahrheit innewohnt, welche aber nur dann verstanden und richtig gewürdigt werden kann, wenn man Christus als die Fleisch gewordene Vernunft, als den Ausdruck der reinen Normalität der vom Schöpfer gewollten Menschenerscheinung oder als das Ideal derselben mit Jesu eigenen Worten: als das geistige Licht betrachtet, das vom Himmel gekommen, um alle Völker der Erde zu erleuchten.

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Die Sache will folgendermaßen aufgefaßt und verstanden sein:

Der Mensch tritt in den sichtbaren Naturkreis nicht als vollendeter Mensch, auch nicht mit der absoluten, schon ursprünglich eingeborenen Nothwendigkeit, das zu werden, wozu ihn seine Entwicklungsfähigkeit berechtigt und wie sie dem göttlichen Schöpfungsgedanken als Ideal vorgeschwebt haben muß, ehe dieser Gedanke Leben und Wirklichkeit wurde; also nicht in der Art, wie z. B. alle Thiergeschlechter in die Erscheinung treten, die bei ungestörten Entwicklungsbedingungen sich dem Urplane gar nicht entziehen können und nicht entzogen haben, heute wie vor tausend Jahren. Jeder Vogel baut sein Nest heute wie immer; jedes Thier geht seinen Trieben, seinem Bedürfniß nach und macht in seiner Freiheit weder Fort- noch Rückschritte; alle sorgen mit Liebe für ihre Jungen; die Vögel singen jeder das eigene, vom Schöpfer componirte Lied u. s. w. So in ähnlicher Weise und nicht anders geht es bei allen Thiergeschlechtern zu, nur nicht beim Menschen. Der Mensch tritt ins Leben einzig mit der Anlage, mit der Möglichkeit, ein Mensch zu werden; ohne Erziehung, ohne Ausbildung aber verfällt er dem Geschicke der Verthierung, für welche Behauptung Fälle der neuesten Geschichte den Beweis liefern, wie z. B. das Mädchen, das am Anfange dieses Jahrhunderts im Walde bei Hameln eingefangen wurde und nicht zu zähmen war.

Was schließen wir hieraus? Wir folgern mit der unabweisbarsten Logik, daß der Mensch einer Erlösung aus dem ursprünglichen Ausnahmszustande, aus den Banden der thierischen Ursprünglichkeit bedarf, um den Begriff „Mensch“ in sich darzustellen, dem schöpferischen Urideale zu entsprechen. Wodurch, durch welche Vermittelung kann nun diese Erlösung einzig und allein ins Leben gerufen werden? Folgerichtig nur durch Erweckung und Ausbildung der als Anlage

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eingeborenen Vernunft, als deren reinster, idealster Ausdruck sich Christus selbst hinstellt; also kann und darf man — insofern man Jesus (oder Christus) mit der reinen Vernunft gleichbedeutend erachtet mit vollem Rechte sagen: der Mensch wird durch Christus erlöst, die Erlösung des Menschen ist Christi Werk. Und indem die Befolgung, das wahre Glück des Menschen nur in der idealen Darstellung der göttlich schöpferischen Absicht, mit andern Worten, in der Herausbildung der reinen Vernunft beruht, kann man weiter behaupten, daß wir nur durch Christus zur Seligkeit gelangen oder, wie Jesus sich ausdrückt, das Reich Gottes ererben können. Somit wären alle jene so mystisch-unheimlich klingenden christlichen Dogmen oder Glaubenslehren auf die einfachste und natürlichste aller Wahrheiten zurückgeführt: daß einzig der Mensch nur durch möglichst ideale Erweckung und Ausbildung der reinen Vernunft zu einer der Absicht des Schöpfers entsprechenden Glückseligkeit schon hier auf Erden gelangen kann und - die Universalität dieser Lehre zugegeben und über alle Menschen verbreitet dadurch allein jener Zustand herbeigeführt werden kann, den Jesus als das Gottesreich bezeichnet.

Daß diese Grundzüge des reinen idealen Christenthums zur umfassenden Verständigung einer weiteren Ausführung bedürfen, liegt auf der Hand, würde hier aber zu weit führen. Ich kehre daher nach diesen immerhin nothwendigen Andeutungen zu den ferneren Begebenheiten im Leben Jesu zurück, zuvor noch bemerkend, daß Jesus eben im Sinne der rein-menschlich vernünftigen Gottesverehrung das unfruchtbare jüdische Ceremonialgeset verwarf, seinen Jüngern und weiteren Bekennern ein Gleiches zu thun einschärfte und das Richtige seiner Auffassung von den religiösen Pflichten durch manches schlagende Beispiel, ja selbst durch längere Parabeln erläuterte.

Dem weisen und einsichtsvollen Jesus fehlte übrigens der Scharfblick nicht, um einzusehen, daß seine Lehren und Ermahnungen für unbedingte Rückkehr zu einem rein vernünftigen und entsprechend sittlichen Leben bei dem verstockten Volke der Juden vergebens sein würden und deshalb ein großes National-Unheil für dasselbe bevorstehe. Er kannte die Herrsch- und Rachsucht der Römer zu genau, als daß er nicht überzeugt sein durfte, es würde die Ausführung einer beabsichtigten Auflehnung der Juden gegen deren Oberherrschaft auf das Schrecklichste gerächt werden, und er verschwieg diese Vorausahnung des kommenden Unheils nicht. Namentlich beklagte er den prachtvollen Tempel in Jerusalem, den er schon in Trümmern dahin gesunken voraussah, und das kommende Unglück seiner Nation rührte

den gefühlvollen Menschenfreund oft bis zu Thränen. Dennoch reichte seine ergreifende Beredsamkeit nicht aus, das Unheil abzuwenden; ja er sah sogar schon die ihn selbst erwartende Katastrophe voraus, wohl wissend, daß die herrschende Priesterkaste ihm seine reformatorischen Bestrebungen nicht ungestraft hingehen lassen würde. Troßdem war er von seinem hohen Beruf dermaßen überzeugt und durchdrungen, daß er sein Leben nicht höher schäßte als das Werk, zu dem er sich berufen fühlte: eine sittliche Umwandlung des Menschengeschlechts, die ihm im Hinblick auf den Urplan des Schöpfers im Geiste als erreichbar vorschwebte.

,,Sonderbarer Schwärmer!" hätte man ihm mit unserm großen Dichter zurufen dürfen, das Saatkorn hast du zwar gelegt, hier und da ist auch ein Körnchen aufgegangen, das meiste aber ist mit deinem eigenen Bilde zu reden auf einen steinigen Acker gefallen, und eine gesegnete Ernte liegt immer noch in weiter Ferne.

Um indeß die heldenmüthige Kühnheit dieses amt- und würdelosen jugendlichen Rabbis in ihrer rechten Größe und Erhabenheit zu begreifen, ist es nothwendig, mindestens einen kurzen Blick auf den von Glanz und Pracht, aber zugleich auch von bodenlos widersinnigen Dingen stroßenden religiösen Cultus der Juden zu werfen, dem Jesus nichts Aeußerliches entgegenzustellen hatte, als seine einfache bilderreiche Sittenlehre, die gerade durch den dazu verwendeten Bilderreichthum vielfach unverstanden blieb und nicht selten - selbst bis auf unsere Tage - als das gerade Gegentheil dessen genommen wurde und wird, was der Redner mit ihr sagen wollte.

24.

Eine Probe aus dem Ritual- und Ceremonien-Unwesen des jüdischen Tempeldienstes zu Jesu Zeiten.

Unserm Rabbi Jesu war vor Allem der schnöde blutige Opferdienst, von tausend Schnörkeleien illustrirt und darauf angelegt, dem dummen Volke der Juden zu imponiren, ein Gräuel. Dennoch haben unsere christlich katholischen Pfaffen unter verwandten Formen ganz Aehnliches in den christlichen Cultus aufgenommen, indem auch sie meinen, der Zorn Gottes sei durch Blutvergießen zu versöhnen.

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Wählen wir die höchste Blüte dieses jüdisch-religiösen Wahnsinnes 3. B. das Gebahren am sogenannten Versöhnungsfeste (Jom hakipurim), dessen Hauptperson der Hohepriester war, eine Würde,

welche ungefähr der des christlichen Papstes entspricht. Schon sieben Tage vor des Festes Beginn waren in dessen Behausung drei kostbare Sessel für ihn, den Landesfürsten und den Oberanführer der Priester, außerdem noch 70 silberne Stühle für die Priester Senatoren aufgestellt. Sobald Alle Platz genommen, erhob sich der älteste der letteren und ermahnte den Oberpriester, seiner hohen Verpflichtung an diesem Feste eingedenk zu sein, vor Allem sich strenge zu prüfen und jede entdeckte Sünde zuvor durch Buße unschädlich zu machen. Der Hohepriester betheuerte, dieses Alles gethan und sich mit Gott vollständig versöhnt zu haben, worauf ein Herold den draußen versammelten Volksschaaren die Meldung zurief, daß der Hohepriester im Begriff stehe, sein Zimmer im Allerheiligsten des Tempels zu beziehen. Sofort ordnete sich vorschriftsmäßig der Zug in folgender Weise:

Voran gingen Alle, die der königlichen Abstammung überhaupt sich rühmten, nach ihrem Range geordnet; ihnen folgten die Abkömmlinge des David'schen Geschlechts, vor denen her ein Herold ging, von Zeit zu Zeit rufend:,,Erzeiget Ehre dem Hause Davids!" Hierauf schlossen sich die Leviten, deren man etwa 38,000 zählte, in zwei Rangordnungen an, vor denen wieder ein Herold rief: „Erzeiget Ehre dem Hause Levi!" Die Höheren im Range waren fein blau, die niederen Priester (etwa 24,000) fein weiß gekleidet. Nun folgten die Sänger, die Musiker und abgetheilt ein Trompeter-Corps; ihnen nach die Pförtner, die Rauchwerksbereiter, weiter noch 4 mit dem Tempelwesen in Verbindung stehende Geschäfts-Corporationen in verschiedenen Costümen, (z. B. die Ehrenwächter, die Archivarii u. s. w.); hierauf die 70 Senatoren und 100 auserwählte Priester mit silbernen Aerten, um den Weg frei zu halten; endlich der Oberpriester, paarweise begleitet von den ältesten, ihm am Range zunächst stehenden Priestern. An allen Straßenecken waren Oberlehrer von hohen Schulen aufgestellt, die dem Hohenpriester ein Willkommen und das Gesuch um Fürbitte bei Gott zuriefen. Auch sie schlossen sich dem Zuge an und verrichteten bei Ankunft an der ersten Pforte des Tempelberges ein gemeinschaftliches Gebet für die Wiederherstellung der David'schen Regierung (zu deren Repräsentanten bekanntlich die Revolutionspartei Jesus ausersehen hatte), für die Priester und den heiligen Tempel. Ein Amen aller der Tausende im Zuge und des umstehenden Volkes, so mächtig, daß die Vögel aus der Luft hätten fallen mägen, bildete den Beschluß. Der Oberpriester machte vor dem gesammten Volke eine Verbeugung und ließ sich, anscheinend tief gerührt

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